Otto Ludwig
Das Fräulein von Scuderi
Otto Ludwig

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Zweiter Aufzug.

Cardillacs Werkstatt.

Erster Auftritt.

Olivier sitzt arbeitend. Madelon, von ihm nicht bemerkt, naht sich ihm; zuweilen hält er inne und seufzt auf; wie er das wieder thut, neigt sie sich zu ihm; aufsehend sieht er ihr Gesicht an dem seinen.

Madelon. Schon wieder?

Olivier (schrickt auf).         Madelon?

Madelon.                                             Wie klingt das kläglich!
Das heißt nicht: Madelon ist all mein Glück.
Böser Olivier, bist du so falsch?
Du sagtest: Madelon, du bist mein Ich;
Und weiß dein Ich allein nicht, was dich kränkt?

Olivier. Mein Glück ist dein; den Schmerz laß mich behalten.

Madelon. Gib lieber mir den Schmerz. Den Schmerz vertraut
Man nur dem Freund; das Glück teilt man mit jedem;
Vertraust du mir den Schmerz, bin ich dein Freund.
Bin ich dein Freund nicht? Ach, so täuscht' ich mich!
Dir wollt' ich alles sein; und nun gibst du
Die bessre Hälfte mir zurück. Du denkst,
Ich bin ein kindisch Mädchen, gut nur, wenn du
Erheit'rung brauchst. Ernst muß der Freund dir sein.
Ich bin nicht kindisch nur; ich kann auch ernst sein.
Wie quält' ich mich! Er überschätzt mich, dacht' ich,
Hält mich für besser, klüger, als ich bin.
Nun seh' ich, wie ich irrte, und du zwingst mich,
Mich selbst zu loben. Alles dir zu sein,
Hofft' ich – und bin dir nichts.

Olivier.                                           Du bist mir – zu viel!

Madelon. Doch hast du recht. Ich bin ein albern Kind.
Gewiß! Sonst könnt' ich raten, was dir fehlt.
Ich kann's nicht, kann nur weinen, kann nur bitten,
Wenn dich was ängstet, das dich treffen soll,
Laß mich's mittreffen!

Olivier (thut sich Gewalt an). Eine Grille ist's.
Du würdest lachen, wenn du's wüßtest. Komm
Und laß uns scherzen.

Madelon.                           Sag' mir, ist's mein Vater?

Olivier (kann eine Anwandlung nicht bergen).
Dein Vater?

Madelon.             Claudes Caton sagt' es mir.
Er hat dich hart behandelt meinetwegen,
Armer Olivier! Für dich nicht hätt' er
Mich aufgezogen – doch was ist dir?

Olivier (aus Gedanken aufschreckend).         Wo-
Von sprach ich doch?

Madelon.                           Von meinem Vater.

Olivier.                                                               Was
Hab' ich –

Madelon.           Wie er dich aus dem Haus gestoßen,
Weil er erfuhr, daß du mich liebtest. Ich
Hatt' es ihm selbst gesagt. Olivier,
Nicht wahr? Ein Kind darf seinem Vater nichts
Verschweigen? Wollt' ich auch, ich könnt' es nicht.
Und er ist gut, wenn er auch manchmal zürnt.
Das eine Mal schien all mein Flehn umsonst,
Doch in der Nacht –

Olivier (wieder aus Gedanken aufschreckend).
                                  Was weißt du von der Nacht?

Madelon. Du närrischer Olivier; wie du fragst!
Hatt' er sich's anders überlegt. Da fiel
Ihm bei, wie du so fleißig doch und wie
Geschickt du bist. Früh kam er vor mein Bett
Und sagte: »Wohin denkst du, daß so früh
Ich gehe?« – »Auf den Markt wohl?« – »Albern Kind!
So früh? Ich gehe zu Olivier Brusson,
Und will er, seid ihr Bräutigam und Braut.«
Da litt mich's freilich auch im Bett nicht mehr.
Du schrickst? Ich hör's am Tritt. 's ist Claudes Caton;
Sie darf uns nicht beisammen sehn, sonst zieht
Sie uns mit ihren Scherzen auf.

Zweiter Auftritt.

Caton. Vorige.

Caton (noch in der Thür).                    Weil ich
Doch just vorbeigeh'. Guten Tag herein!
Wo Liebesleute sind, braucht's nicht den Wunsch.
Ich muß mich setzen, wenn ihr mir's vergönnt.
Vor Schrecken zittern mir die Knie. Stets mächt'ger
Wird der Gottseibeiuns. Ei, ei, ei, ei!
's geht nirgends toller zu als auf der Welt.

Madelon. Ihr habt doch stets 'was Neues.

Caton.                                                       Ja; das Neue,
Gott sei's geklagt. Seit vierzig Jahren hab' ich
So vieles Neue nicht erlebt, als nun
In einem Monat. Hm; das Neue, das –
Ist neu; das Alte aber ist das Gute.
Und doch ist jetzt nichts neuer als das Gute.
Doch das ist's nicht, was ich zu sagen kam.
Ja, braver Meister Cardillac, jetzt müssen
Die Frommen sich zusammenthun. Denn soll
Die Welt ein Jahr noch halten, kostet's Knieen
Und Beten, Fasten, Beichten, Händeringen. –
Der fromme Meister – in der Kirch' ist er
Gewiß. Wo sollt' er anders sein? Ganz recht,
's ist seine Zeit. O ja, in dieser Zeit
Ist's endlich Zeit, auf nichts mehr Zeit zu wenden,
Als daß beizeit – du lieber Gott! bin ich
Da in die Zeit gekommen – was doch – ja,
Mich wundert gar nichts mehr; i Gott bewahre!
Die Welt geht jetzt so rasch, daß man sich nicht
Verwundern darf, will man zurück nicht bleiben.
Der Meister Cardillac – kenn' ich ihn vier
Und zwanzig Jahr? Wie so? Und war sein Ja
Nicht mehr, als wenn ein andrer schwur, sein Nein
Nicht wie ein eisern Thor, dadurch kein Aber,
Kein Außer und kein Doch den Weg mehr fand?
Und doch! Heut schilt er laut, das Angesicht
Zornflammig: Fort mit dir! Aus meinem Haus!
Für dich hängt diese Frucht zu hoch. Mein Kind
Solch einem Burschen? Und denselben Burschen,
Den er heut ausgewiesen, führt er selber
Mit seiner selben Hand durch selbe Thür
In selbes Haus und in die selbe Stube,
Zur selben Tochter, die er erst ihm hat
Versagt. Da möchte man doch selber nicht
Den selben Augen und den selben Ohren –
Ich sage weiter nichts; auch wollt' ich damit
Gar eigentlich nichts sagen. Sonst einmal,
Wenn einem eine Taub' ins Maul geflogen,
Will sagen, wenn ein Mensch ein Glück gemacht,
So war er fröhlich auch von Angesicht
Und lobte Gott und die ihm wohlgethan –
Ihr meint, das geht auf Euch? Nun, wen es traf,
Der wird's wohl spüren. Aber solch ein Bräutlein –
Euch mein' ich nicht, Herr Brusson. Ja, des Königs
Erhabene Person, wär' er nichts mehr
Als eines Bürgers Kind, dürfte sechs Kerzen
Von weißem Wachse seinem Heil'gen stiften.
Was meint Ihr? René Cardillacs, des bravsten
Und angesehnsten Bürgers in Paris
Erwählter Schwiegersohn – und ein Gesicht,
Als wär' – ich nenne niemand, nein; ich nicht!
Doch kommen einem allerlei Gedanken.
Ein gut Gewissen macht nicht bleich – ich meine
Den Mann im Mond – und wenn ein großer Haß
So plötzlich sich in Lieb' verwandelt, wer
Muß denn auch gleich an Liebestränke denken!
Ein frommer Mensch denkt heutzutage gar nicht.
Nun bin ich fertig für diesmal.
(Schritte außen; indem sie öffnet.)
                                                Der Meister?
Ja. Und der arme Lejean ist mit ihm.

Dritter Auftritt.

Cardillac rasch herein; hinter ihm Lejean. Die Vorigen.

Cardillac. Ihr wollt? – Was wollt Ihr? Kommt Ihr mir schon wieder?
Hab' ich nicht erst –? Wer saugt am Bürger nicht
Sich voll? Der Hof, die Kirche; muß auch solch –
Ihr kommt zu mir, als müßt' es sein. Zu wem
Geh' ich denn nun?

Lejean.                         Wärt Ihr ein braver Armer,
So sagt' ich: Geht zu René Cardillac!
Wenn Gott nicht hilft, so hilft der Cardillac.

Caton. Bei Gott! Er ist ein Sieb. Von oben schüttet
Der Herrgott; unten liest das Armut auf.

Cardillac (als sollte es niemand sehen, daß er gibt).
So; gebt die Hand – so, Tölpel. Muß es denn
Jed' Mutterkind mit ansehn? (barsch) Ich Euch geben
Und immer geben! Fragt doch, ob ich solch
Ein Schwamm bin, den man nur zu drücken braucht.

Lejean. O, Meister –

Cardillac.                   Haltet's Maul! – Sie nennen mich
Freigebig hier? Ich bin's nicht. Ich bin geizig.
Und sagt Ihr's jemand – Überlaufen wird
Man ohnedem von Freund und Feind. Schon gut.
Noch eins! Wenn Ihr wo sagen hört: der Mann,
Der Cardillac, ist doch ein geiz'ger Schuft;
Da zuckt die Achseln, sagt: das weiß der liebe
Gerechte Gott und ich – ich hab's erfahren!
Sagt Ihr mir irgendwo, daß ich Euch gab –
(wieder barsch)
Nun geht und laßt mich ungeschoren!

Lejean.                                                     Tausend
Und aber tausend –

Cardillac.                       Wollt Ihr gehen? frag' ich.

Lejean. Laßt einen alten Mann –

Cardillac.                                     Schert Euch zu dem
Und jenem –

Lejean.               So nimm du den Dank, o Gott,
Den dieser gute Mann –

Cardillac.                               Zum Henker! Bringt
In dieser gotteslästerlichen Zeit
Die Menschen noch zum Fluchen!
(Wieder, als sollte es niemand sonst hören.)
                                                      Seid mir sparsam
Und jeden Freitag könnt Ihr (wieder barsch)
                                            Wart', ich will
Euch Beine machen!

(Er kommt mit einem Hammer auf ihn zu.)
Lejean entflieht.

Vierter Auftritt.

Vorige ohne Lejean.

Caton.                               Wunderbar! O über
Den Mann, der aller Heil'gen Wunderlichster
Und aller Wunderlichen Heiligster!
Ihr seid mir ein Johannes in der Wüste.
Wie jener seinen Leib in hären Kleid,
Versteckt Ihr Eure Milde hinter Zorn.

Cardillac. Gib mir mein Hauskleid, Madelon – Daheim
Ist doch daheim.

Caton.                       Doch, Meister Cardillac,
Wo wir auch sind, sind wir bei Gott zur Miete.

Cardillac. Und mit der Zunge tragen wir sie ab.

Caton. Weshalb ich eigentlich gekommen bin –
Laut red' ich nicht davon. Ihr wißt, daß man
Fast jeden Morgen hier in Gottes liebem
Paris Erschlagene gefunden hat.

Cardillac. Und wenn ich's weiß?

Caton.                                           So wißt Ihr nichts; ich meine.
Nicht, wer's gethan.

Cardillac.                       Und das ist just soviel,
Denk' ich, als einer weiß. 's weiß keiner mehr.

Caton. Ganz recht. Und einer weiß es doch. Wißt Ihr.
Der eine, der das alles angestellt.

Cardillac (wild).
Der eine? Dumm Geschwätz! Was wißt Ihr da
Von einem? Hol' Euch der und jener! Hat
Man Euch ein Märchen aufgeheftet? Ja?
Mit Euerm einen! Dichtet ihm doch gleich –
Seid einmal d'rüber – einen Namen an.
Bringt noch unschuld'ge Bürger ins Gerede
Mit Euerm –

Caton.                   Ei, geratet Ihr in Zorn,
Verblaßt Euch ganz.

Cardillac.                         Verblaßt? Ich bin nicht blaß.
Was sucht Ihr mir da im Gesicht herum?
Was einer? Nein, ich sag' Euch: Hundert sind's,
Hundert zum wenigsten. Es langen hundert
Noch nicht. Und einer? Warum nicht ein halber?
Das wär' der Teufel!

Caton.                               Freilich doch, nun freilich!
Der ist's ja eben, den ich meine.

Cardillac.                                           Was?

Caton. Ja; der Gottseibeiuns. Das weiß ich so
Genau, als wär' ich selbst dabei gewesen.
Seht Ihr, hätt' ich die Hörner ihm befühlt
Mit meinen Händen, wüßt' ich's nicht genauer.
Warum denn sonst der Lärmen der Patrouillen
Mit Räuspern und mit Stöcken durch die Straßen?
Als wollten sie den Dieb zu fürchten machen
Mit ihrer Furcht? Lärmt auch die Katze, wenn
Sie Mäuse fangen will? Wann war's doch? War's
Vorgestern nicht, daß Euch der schlaue Degrais,
Der Polizeileutnant – er war vermummt
Und schlich auf allen vieren durch die Straßen
Im Schatten fort; und wie er in Gedanken
Der Mutter Gottes zwanzig Kerzen stiftet
So dick wie er, wenn sie's gelingen läßt –
Da singt's und tanzt's die Straße her, wie nur
Ein Kavalier, wenn er zur Liebsten schleicht.
Nun – ich verteid'ge solche Gänge nicht,
Ich nicht. Die Strafe war auch gleich dahinter:
Ein Faustschlag wie ein Donnerschlag. Da liegt
Der Kavalier. Der Polizeileutnant
Schreit laut: Nun hab' ich euch, ihr Mörderbande!
Stößt in sein Horn, oder vielmehr er will's,
Will schreien und will stoßen. Ach, du heil'ger
Sebastian! Was schreit er und was stößt er?
Er schreit Miau. Vor Schrecken fährt er sich
Hinter die Ohren. Da war keine Haut mehr,
Ich meine, keine Menschenhaut. Er greift
Sich ins Gesicht – ach, nichts und nichts als Hammel-
Und Katzenfell. Der Teufel aber springt
Euch wie ein Hund, so groß als wie ein Kalb,
Mit Augen – hört, mit Augen! na – mit Augen,
Ich sage weiter nichts davon. Hättet
Ihr sie gesehn – na, ich vergesse sie
In hundert Jahren nicht.

Cardillac.                             Ha, ha, ha, ha!
Ihr waret selbst dabei?

Caton.                                   So was man selbst
Dabeisein nennt, so eigentlich nun nicht.
Das weiß doch aber alle Welt, was der
Gottseibeiuns für Augen hat. – Der springt
Auf Degrais los. Der will schnell auf die Beine,
Ich meine, auf die Menschenbeine. Das
Ist Häckerspinnen. Nun, so läuft er denn
Als Katze auf vier Beinen fort. Der Hund,
Groß wie ein Ochse, immer hinterher.
So geht es Straßen auf und Straßen ab.
Die Katz' macht Sprünge groß wie ihre Angst,
Doch der Gottseibeiuns mit seinem langen
Kamelhals immer hinterdrein, bis endlich
Degrais die Genovevenkirch' erreicht, –
Da war er sicher. Der Gottseibeiuns
Sah durch die Kuppelfenster –

Cardillac.                                         Kuppelfenster?
Das nenn' ich doch in kurzer Zeit gewachsen.
Und Degrais, wuchs der mit?

Caton.                                           Nein; der ward kleiner.
Durchs Schlüsselloch entkam er in die Kirche.
Da schlug es eins, und Degrais saß, gestaltet
Wie sonst, in einem Beichtstuhl. Doch ihm war's,
Als wär' er nur aus einem Traum erwacht.
Der Gottseibeiuns aber war entwichen.

Fünfter Auftritt.

Martin. Vorige. Caton (im Abgehn).

Martin. Gott grüß' Euch. Seid Ihr Meister Cardillac?

Cardillac.                                                                     Zuweilen.

Martin. Wie?

Cardillac.       Ich meine, Meister – Cardillac
Heiß' ich nun fünfzig Jahr'. Ihr seht, ich hab'
Zu thun.

Martin.         Ihr überrascht mich nicht. Ich muß es
Gestehn: der Ruf von Eurer Seltsamkeit,
Nicht mein Geschäft allein führt mich zu Euch.

Cardillac. Den Leuten, die wie alle andern sind,
Deucht jeder seltsam, der ist, wie er selbst.
Ich bitt' Euch, geht. Wer Kurzweil kommt zu suchen
Bringt Langeweile mit. Ich merk' schon, Euer
Geschäft ist, einen Narren mir zu zeigen.
Vergebt; ich bin gern grad' heraus.

Martin (für sich).                                   Was ist
Das für ein Mensch! Welch stechend unstet Auge!
Ist dieses trocken biedre Wesen Wahrheit,
Hat keine Seele je unpassender,
Als dieses Mannes Seele, hier gewohnt.

Cardillac. Ihr habt wohl selten ein Gesicht gesehn?
Ich kann's nicht leiden, dieses Spionieren.
Ihr seht, Ihr stört mich. Wollt Ihr was, so sagt's
Und geht.

Martin.           Hier bring' ich, Meister Cardillac,
Fünf edle Steine, nichts Besonders eben –

Cardillac. Seid Ihr ein Kenner? Nichts Besonders? Hm.
Euch soll doch gleich – Wenn Ihr kein Auge habt,
So laßt's die edlen Steine nicht entgelten!
Hm, hm, ei, ei, (indem er sie in der Hand zusammenstellt)
                        Das macht sich. Hm; ja. Setzt
Die schönsten Mädchenaugen einem Fisch
An seinen Bauch. Was? Augen sind nicht Schuppen,
Und Euer Goldschmied war ein Stümper. Hol' ihn
Der Teufel. Schön ist alles. Nichts ist häßlich,
Wenn's nur an seiner rechten Stelle steht.
Was ist das Schöne? was an einem Schmuck?
Die Steine sind es nicht; das Gold ist's auch nicht.
Stellt sie ein wenig anders, als sie müssen,
Es ist dasselbe Gold, dieselben Steine,
Doch mit der Schönheit ist's vorbei. So wie
Des Mondes Abglanz in dem Krug mit Wasser,
So ist das Schöne eines Schönern Abglanz,
Das Ihr mit Händen nur nicht greifen könnt.
Ihr könnt nichts weiter thun, als Euern Krug
So stellen, daß der Mond sich drinnen spiegelt,
Und steht er recht, scheint schlechtes Wasser Gold. –
Hm. – Nichts Besonders. Wartet nur. Ich kenn' Euch!
Der fadste Hans, der nicht sein leichtes Handwerk
Begreift, spricht man von Kunst, da reckt er sich
Und reißt sich selber zur Bewund'rung hin
Mit weisem Urteil und mit Lob und Tadel.
Und hätt' er nur nichts Besseres zu thun,
Er würd' uns zeigen, wie man's machen muß.
Gebt her und sagt mir, was es werden soll.
Ein Halsband? Armband? Diadem?

Martin.                                                     Ein Halsband.

Cardillac. Recht. Recht. Nun geht zum – daß ich's nicht vergesse,
Ihr heißt?

Martin.           Ich heiße Martin.

Cardillac.                                     Martin? Seid –
Ich will doch hoffen –

Martin.                               Wohne Faubourg Saint
Germain.

Cardillac.       Seid Ihr der große Maler, der
Die heil'gen Kön'ge in der Notre-Dame
Gemalt?

Martin.         Was weiter?

Cardillac.                           Ei, zum Teufel, Herr!
Was weiter? Nichts. Denn weiter geht es nicht.
Seht, ich verstehe nichts von Proportionen
Und von Verkürzungen. Doch für die Farbe
Und für den Schmuck, da hab' ich Sinn für hundert.
Da an des Mohrenkönigs Säbel habt
Ihr Edelsteine angebracht – man sieht,
Ihr habt Verständnis von der Steine Wesen.
Ihr seid ein großer Maler.
(Er dringt ihm seine Steine mit heftiger Gebärde wieder auf.)
                                          Da – da, nehmt,
Laßt Euer Halsband machen, wo Ihr wollt.
(Er setzt sich wieder zur Arbeit.)

Martin (erstaunt).
Plagt Euch – Nur eben wolltet Ihr –

Cardillac.                                                 Ich wollte;
Nun will ich nicht.

Martin.                         So sagt mir wenigstens,
Warum?

Cardillac.      Wenn einer erst ins Fragen kommt.
Warum halt' ich den Hammer mit der Rechten?
Könnt' ich ihn nicht auch in der Linken halten?
Wenn ich ihn nun mit meinen Zähnen faßte?
Ihr fragt: warum ich Euch nichts machen will?
Wenn ich nun frage: warum fragt Ihr mich?

Sechster Auftritt.

Jérome. Die Vorigen.

Cardillac (barsch).
Was gibt's?

Jérome.             Graf Miossens, mein gnäd'ger Herr,
Will sich nicht mehr gedulden mit dem Schmuck –

Cardillac. Ah, mit dem Schmuck. Kommt wieder, guter Freund,
In acht – in vierzehn Tagen. Heute ist
Der Erste; fragt am Letzten wieder nach.

Jérome. Zehn Monde schon habt Ihr mich so zum Narren.
Jetzt reißt dem Grafen die Geduld. Wenn nicht
Den fert'gen Schmuck, so will er seine Steine;
Ich geh' nicht eher, bis Ihr mir sie gebt.

Cardillac. Hol' Euch der – da, ins Teufels Namen, nehmt!
(Er bringt den Schmuck zum Vorschein.)

Jérome. Nun endlich ist er fertig!

Cardillac.                                       Fertig? Wißt
Ihr auch davon? Wärt Ihr erst selber fertig!
Und kurz und gut: ich geb' ihn Euch noch nicht.
(Er will den Schmuck wieder wegnehmen.)

Martin. Ein herrlich Stück. Erlaubt. Und das nennt Ihr
Nicht fertig?

Cardillac.             Was? Ein Stuhl, ein Tisch, ein Sattel,
'ne Pflugschar, die wird fertig. Denn das Handwerk
Ist endlich. Ist es brauchbar, ist's geraten.
Das Schöne wird nie fertig; immer könnt' es
Noch schöner sein. Und Ihr, ein Künstler, sprecht
Von Fertigsein?

Martin.                     Das Schöne ist ein Maß.
Was drunter und was drüber ist's nicht mehr.

Cardillac (lauernd).
Was, guter Freund? Ihr braucht es doch noch nicht?

Jérome. Ich sag' Euch, morgen muß der Graf es haben.

Cardillac. Was, morgen? Übermorgen. Ist's denn gar
So eilig?

Jérome.         Ein Geburtstag ist im Jahr
Nur einmal.

Cardillac.           Ein Geburtstag; hm; 's hat freilich
Zweifachen Wert, kommt es zum rechten Tag.
Und die Frau Gräfin – ist wohl jung und schön? –

Jérome (lachend).
Ja; sie ist schon zum zweiten Male jung.
Sie war schon einmal zwanzig; jetzt wird
Sie's noch einmal dazu.

Cardillac.                             Spitzbube, du!
Der Bursch ist witzig. Gut. Den Schmuck schlag' ich
Zusammen noch einmal. So, wie er ist,
Paßt er für zwanzig Jahre, nicht für vierzig.

Jérome. So gebt ihn nur; denn – im Vertraun – der gnäd'gen
Frau Gräfin wird der nicht zu teil. Der kommt
Gar nicht so weit von hier. Wißt Ihr? – Da um
Die Ecke –

Cardillac.           Um die Ecke –

Jérome.                                       Von der Straße
Nicaise; da gleich bei der langen Mauer –
Da wohnt –

Cardillac.           Was kümmert's mich? Laßt mich zufrieden
Mit Euerm Sündenleben.

Jérome.                                   Mein Herr Graf
Kommt nur soeben aus dem Krieg zurück.
Wer aus der Fremde kommt – so ist's Gebrauch
Der muß – Ihr wißt schon – schwitzen –

Cardillac.                                                       Dacht' ich's nicht?
Ja; dies Paris, das ist ein neues Sodom.
Da hilft kein Warnen mehr, kein Himmelszeichen.
Und schickt der Herrgott einmal eine Pest,
Muß der Strafengel noch zum Kuppler werden.

Jérome (will fort).
Nun gebt ihn her –

Cardillac.                       Kommt morgen wieder, morgen.

Jérome. Nun gut. Vor zehn Uhr aber, sag' ich Euch!
Punkt elfe pflegt mein Herr – ist's just nicht Vollmond –
Ihr wißt nun, welchen Weg zu gehn. Er wird
Mich schelten, daß ich heut den Schmuck nicht bringe. (Ab.)

Siebenter Auftritt.

Vorige ohne Jérome.

Cardillac (für sich).
Da um die Ecke – und Punkt elf –

Martin.                                                 Ich sehe,
Man hat mich nicht belogen. Zwingen muß
Man Euch, will man zu dem Bestellten kommen.

Cardillac. Gebt Ihr ein Bild, an das Ihr Euch gewöhnt,
So gern aus Euern Händen, Meister Martin?
Ein Bild wird erst durch den Beschauer fertig.
So ist's mit Büchern auch. Ein Buch ist schlecht,
Wenn's nicht den rechten Leser findet, der
Im Lesen erst es fertig macht. Es liest
Kein Leser mehr heraus, als er hineinliest.
Dem andern ist dasselbe Buch ein ander's.
Macht Ihr ein Bild, so ist's die Wirklichkeit,
Durch Euer großes Auge angeschaut.
Der Kluge weiß Euch Dank; indem er sie
Durch Euer Auge schaut, glaubt er die Klarheit,
Die Ruh', die Euerm Anschau'n eigen ist,
Die wohn' in seinem Aug'. Er fühlt sich größer
In Eurer größeren Persönlichkeit;
Das nennt er Kunstgenuß und dankt es Euch. –
Hol' Euch – da der Gedanke macht mich wild:
Mein Werk soll ich hingeben, mich, mich selbst,
So wie's dem Herrn beliebt zu winken!
Hört Ihr? das macht mich toll. Was meint Ihr? Wie?

Martin. Was hilft's. Ein jeder Stand hat seine Rechte.
So wollt' es Gott. Drum lass' ich mir's gefallen.

Cardillac. Hat seine Rechte? Schwatzt mir nicht so zahm.
Gott schuf das Recht; die Rechte schuf der Teufel.
Ich sag' es Euch nur, Meister: Frankreichs Adel
Ist faul. Dem schönen Frankreich fehlt ein Gärtner,
Der schneidet, schneidet, bis aufs Leben schneidet.
Davon ein andermal. Was, Meister Martin?
Ihr macht den Stuhl, und dürft nicht sitzen drauf.
Ihr schafft, damit ein andrer schwelgen kann.
Aus Euern Mühen destilliert er Wein. –
Und, trunken von dem Wein, sieht er sich um,
Ob Ihr ein schönes Weib nicht habt; ob er
Nicht der Gesundheit Eures Hauses kann
Das Gift einimpfen, das sein Blut verpestet.
Und was Ihr schuft, was Euerm tiefsten Wesen,
Da es erregt in heißen Wogen schwoll,
Entstieg wie jene Göttin aus dem Meere,
Wovor Ihr selber knie'n und schmachten möchtet
Ein ganzes Leben lang – um die verstumpften Sinne
Empor zu stacheln, holt er sich die Kraft
An Eurem Bild, um Euer Haus zu schänden.
Ihr müßt Euch selbst verkaufen. Denn das Bild
Ist mehr Ihr, als Ihr selbst – denn Ihr müßt leben.
Ihr müßt ihn selber waffnen, Euch zu schänden
Mit Eurem Heiligsten – denn Ihr müßt leben.

Martin. Er kauft die Leinwand, doch das Bild bleibt mein;
Er holt es in sein Haus, doch bleibt's bei mir.
Dem, der es schaffen kann, gehört das Schöne,
Der Reiche hat den Marmor – wir den Gott.

Cardillac. Zum Teufel, nein! sag' ich. Denn, wenn er will,
Kann er den Marmor, den er kauft, zerschlagen. –
Mein ist nur, was ich straflos kann zerstören; –
Und thut er das, hat Euer Gott ein Ende.
Aus Eurer Göttin macht er seine Dirne
Durch frech Betrachten. – (Er hat den Schmuck in der Hand.)
                                          Diese Himmelsfunken,
Die süßen, wonn'gen Tropfen meines Herzbluts,
Die soll ein andrer – Herr, was sagtet Ihr,
Wenn Ihr so einen bei der Tochter fändet?
Solch einen Blutvergifter? – Seht, das kann
Mich wütend machen.

Martin.                               Seid Ihr wunderlich!
Ihr liebt den König, weiß ich, und doch wollt
Ihr ihm nichts schaffen, habt, so hört' ich einst,
Ihn auf den Knie'n gebeten, ihm nichts schaffen
Zu müssen –

Cardillac.             Ich lieb' ihn, schmied' ich gleich ihm nichts.
(Fromm.)
Erhalt' uns Gott den lieben Bürgerkönig,
(Für sich.)
Die große Ratte, die die kleinen frißt!

Martin. Und dann liebt Ihr den Adel nicht, und dennoch
Arbeitet Ihr nur für den Adel. Mich,
So scheint es, achtet Ihr und dennoch weist
Ihr selber mich zu einem andern Meister, –
Ich kann nicht denken, welchen Grund Ihr habt.

Cardillac. Ich lieb' den Adel nicht, und dennoch – Muß
Man denn zu allen Dingen Gründe haben?
Genug, ich thu's. Warum trägt einer Lust
Zu dem? warum der andre zu was anderm?
Warum stehlt Ihr nicht und ein andrer thut's?
Kommt das auf Euch an?

Martin.                                   Seid Ihr bei Vernunft?
Der böse Keim liegt freilich in uns allen,
Doch unsre Schuld ist's, überwächst er uns.
Nur selten sah ich einen Arm wie Euern;
Nicht Ruh', die Arbeit hat ihn so gestählt.
Durch Übung wächst das Gute und das Böse.

Cardillac. Was da? Was könnt Ihr gegen Eure Art?
Seid Ihr ein Kind des Tags, liegt Euer Wesen
Am Tag und, was Ihr thut, Ihr wißt, warum!
Und Ihr könnt sagen: morgen will ich das,
Und in zehn Jahren will ich noch dasselbe!
Das kann der Mensch nicht, den die Nacht regiert.
Er ist sich selbst ein Rätsel. Dunkler Drang
Regiert ihn, und er kann nicht, wie er will.

Martin. Pah! Das ist Euer Scherz nur. Nennt Euch doch
Paris den wackersten von seinen Bürgern;
Zum Wohlthun fleißig, wie zu dem Gebet.

Cardillac. Drum denk' ich: ist er sonst nur fromm und gut,
So gönnt dem alten Kauze seine Launen!

Martin. So muß ich meine Steine weiter tragen?

Cardillac. Wär't Ihr von Adel, so behielt' ich sie.
Ihr seid es nicht, so geht in Gottes Namen!

Martin. Und fragt mich einer, so verschweig' ich's nicht:
Paris hat keinen seltnern Kauz als Euch. (Er geht.)


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