Otto Ludwig
Das Fräulein von Scuderi
Otto Ludwig

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Dritter Aufzug.

Cardillacs Werkstatt.

Erster Auftritt.

Cardillac (allein; arbeitend).
Wer kommt da? Ach, der Graf von Miossens
Wird schicken nach dem Schmuck.
(Er holt den Schmuck herbei.)
                                                        Hol' Euch der Teufel,
Ihr Lastervolk.
(Betrachtet den Schmuck.)
                        Dich wollen sie mir nehmen,
Mein Kleinod! Meine Seele! So wie dich,
Liebt' ich noch keinen. Und dich, armes Herz,
Will man mir nehmen, einer Dirne hängen
An den verbuhlten Hals. – Du mußt es dulden,
Du armes Ding. Doch ich, ich will's nicht dulden!
Daß ich an jenen denke, den die Scuderi
Nun hat, das ärgert dich. Ich wär' ein Narr,
Dächt' ich an jenen. Du bist tausendmal
So schön. Recht! Äugle, Schelm, mit mir, daß ich
Jenen vergesse. –
                              Eine Heil'ge ist
Das Fräulein; ihr ein Haar möcht' ich nicht krümmen,
Doch dieser – Graf und seinesgleichen! Ja;
Der Himmel will mich nicht, und dennoch schon' ich
Und schäume nur den Moder oben ab.
Kein heilsam Kraut, langhals'ge Gräser nur
Reut' ich, die frech die Kräuter überwuchern.
(Schritte in der Szene.)
Das ist der Graf Miossens selbst. Was solch
Ein Fußtritt sich herausnimmt. Wie ein Herold
Zieht er voran und ruft: Platz da, Gesindel!
Hier kommt des Herrgotts feinstes Backwerk! Doch
Will ich den Hochmut dulden. Er ist noch
Bescheiden gegen jenen Hochmut von
Herablassung. Läßt Gottes Kuchen sich
So weit herab, zu Gottes Schwarzbrot sich
Herabzulassen, wie läßt sich das Lächeln
So gnädig dann herab, dem Glücklichen,
Der die Herablassung erdulden muß,
Bis auf den Zoll die Tiefe vorzurechnen,
In welche sich der gnäd'ge Herr so gnädig
Herabgelassen, um zu thun, als wär' er
Nichts als ein bloßer Mensch, nichts als Kanaille.

Zweiter Auftritt.

Miossens. Cardillac.

Miossens. Bin ich hier bei dem Goldschmied Cardillac?

Cardillac. Ist's Euch gefällig; nun so denkt, Ihr seid's.

Miossens. Mein Schmuck ist fertig. Gebt ihn!

Cardillac.                                                         Wißt Ihr das,
Herr Graf?

Miossens.           Ich höre: will man sein Bestelltes
Von Euch, so muß man selbst es holen. Gebt!
Die Rechnung wird mein Diener morgen holen.

Cardillac. Ihr meint, wenn Ihr befehlt, muß man gehorchen.
Sonst bät' ich Euch: Herr Graf, seid nicht so kurz.

Miossens. Meint Ihr, Graf Miossens soll mit Euch schön thun?
Meine Hände sind zu schwer dazu. Ich bin
Zu streicheln nicht gewohnt und rat' Euch Gutes,
Herr Bürger.

Cardillac.             Euer Rat, Ihr wißt's wohl, ist
Zu gut für einen Bürger. Drum behaltet
Ihn selbst.

Miossens.         Ihr wollt mir trotzen? Wagt, mir so
Zu kommen, Ihr elender Knecht? Her mit
Dem Schmuck!

Cardillac.                 Ja, ja! Hier. Hier. Nehmt ihn und – geht.
Dies Zimmer hier ist mein. Begreift Ihr das?
Ihr edler Herr, Ihr gnäd'ger Graf? Seht Ihr,
So werf' ich Euch die Trepp' hinab; Ihr hoch-
Geborner Herr! Was unterfängt sich nicht
Solch ein elender Knecht! Denn seht, solch einer
Hat Arme just wie Ihr. Daran habt Ihr
Wohl gar noch nicht gedacht? Ihr meintet wohl,
Ihr Herren nur seid Menschen und habt Köpfe,
Habt Arme, Beine und dergleichen mehr?
Ich will Euch zeigen, daß wir Arme haben,
So gut und bessre noch als Ihr.

Miossens.                                         Fort mit
Der Hand, verrückter Knecht! Solch ein Verrückter
Hat mehr als Menschenkraft. Heiß' ich Miossens,
So kommt Euch teuer dieses Thun.

Cardillac.                                               Verzeiht,
Mein gnäd'ger Herr, wenn ich in allertiefster
Demut Euch hier beim gnäd'gen Kragen packe
Und Euch in tiefster Unterwürfigkeit
Die Trepp' hinab – 's ist eines Knechtes Treppe,
Und drum nicht wert, daß Ihr hinunter geht
Wollt Ihr das nicht, so packt Euch huldreichst selbst!

Miossens. Wahnsinniger, ich gehe schon. (Ab.)

Dritter Auftritt.

Cardillac (allein).                                       Haha,
Hahahaha!
(Pause, dann fährt er auf.)
                  Er geht mit meinem Schmuck.
Halt' ich ihn auf? Laß ihn nur. Laß ihn nur.
Er wird nicht weit gehn. – Da – da um die Ecke –
Punkt elf. – Gott sei's gedankt. Das war ein Stein
Vom Herzen; das betrügt den wilden Geist
Da drin. – Statt jener werf' ich den ihm vor.
Was wär' das eine Schurkenthat gewesen,
Das Fräulein morden, das ein Engel ist.
Verbrecher morden, das ist kein Verbrechen.
Thut's doch der Richter auf dem Richterstuhl,
Aus den ihn Gott gesetzt. Er thut es freilich
Nur an den Kleinen. Große Missethäter
Zerreißen ihm sein Netz. Um das, worum man
Das Schächerlein hängt an das große Kreuz,
Hängt man ein Kreuzlein an den großen Schächer.
Das machen ihre angebornen Rechte.
Haha! mein Thun ist mir auch angeboren,
So mach' ich draus ein angeboren Recht
Und bin der Herr von Adelshaß, der Ritter
Vom Dolch, haha! der Graf von Straßenmord.
Der Straßenmord, der ist ihr altes Recht,
Davon ist dies Paris ihr Pergament,
Und fleißig haben sie's mit Blut besiegelt.
Warum, was sie Jahrhunderte gethan,
Warum nicht ahmen das wir ihnen nach,
Wie wir's mit Kleidern und mit Sitten thun?
Scheint sich der Bürger doch ein Bauer, geht er
Nicht wie ein Herr gekleidet. Was? – Schlag elf? –
Nun ist es zehn erst, und kaum das. – Das ist
Mein Morgen; da wird meine Seele frisch
Und stark. Ein anderer bin ich bei Nacht.
(Schritte; Gebärden, zuweilen ein Gelächter; sein Selbstgespräch wird mählich wieder lauter.)
Haha – ja doch – hm ja. Was ist's? Was ist's?
Ein Leuchten nur von faulem Holz; ein – ja doch –
Ein Krampf, der durch des Dunkels Wimpern zittert,
Am totenfahlen Blei der bunte Moder;
Der Ausschlag böser Säfte; wie der Pilz,
Die Blatter auf der kranken Haut der Erde,
So bunt und seltsam und so flüchtig auch.
Die offne Wunde an dem stummen Nichts
Und wir die Maden drin, und eine macht
Die andre Made fürchten mit Vergeltung,
Dem nebligen Popanz; so macht das Nichts
Im Nichts das Nichts mit künft'gem Nichts zu fürchten.
Je schärfer man's beschaut, je kleiner wird's,
Und endlich schwindet's; 's ist im Auge nur,
Nicht außer ihm und in der Wirklichkeit,
Krankheit des Aug's und schwindet mit der Krankheit – –
Diese Zofe der Verwesung, unermüdlich
Mit Schmink' und Putz; wie bunt und frech – es bleibt
Der alte Tod; er wechselt nur die Kleider.
Schmink' ist das Leben auf der Wang' des Todes
Und weiter nichts. Und doch ist ein Geschrei,
Wenn einer, der der Narren Narr nicht ist,
Ein Tröpfchen Schmink' verwischt. Ho! ein Geschrei
Von Tugend, Glauben, Liebe. Seifenblasen,
Von weitem Weltensterne, in der Näh'
Zwei Tropfen Seifenwasser, wenn der kalte
Verstand sie anhaucht. Kommt mir an, ihr Blasen,
Bastarde ihr vom Tag, dem Millionteil
Des Augenblickes Leben; kommt mir an!
Der Tag ist nur die krankgewordne Nacht,
Nur ein Erbleichen auf der Mohrin Antlitz,
Das kaum die Wang' ihr mit dem Fuß berührt.
Tag ist's, solang' die Nacht sich nicht besinnt.
Da kommt 'ne Blase. Tugend? Ja, dich kenn' ich.
Wenn Müdigkeit des Menschen wirkliche
Natur einmal einnicken macht, dann steigst
Du auf, und Narren rufen: Welche Tugend!
Dann ist der edele Entschluß gefaßt,
Das nicht zu nehmen, was man nicht mehr mag,
Und just solang' hält der Entschluß, wie du!
Noch eine Blase? – Wie 'ne rote Mütze.
Von Gottes Gnaden war hier ein Tyrann,
Nun sind es hundert in der Freiheit Namen.
Die Thaten nicht, die Thäter wechseln nur.
Ob einer sie besitzt, ob hunderttausend –
Wer die Gewalt hat, der mißbraucht sie auch.
Noch eine Blase? Her damit. Es ist
'ne Arbeit. Haha! Eine Krücke kommt
Geflogen; drum ein Heil'genschein von Seife.
Nach fremden Göttern rafft um sich die Ohnmacht,
Die sich nicht selber Gott kann sein, und tauscht
Des Lebens wilden, sturmdurchbrausten Baum
Um dürres Holz, 'ne Krücke. Eine Krücke
Für Lahme nennt man Glauben. Hahaha!
Drum liebt er seinen Glauben, seine Krücke,
Und haßt den Starken, der sie nicht bedarf,
Und wütet, wenn man nach der Krücke faßt.
Noch eine Blase? Eine noch? Die Liebe;
Ein stolzes Schifflein auf der Jugend Welle,
Und falsche Schwüre blasen in die Segel.
Der Zwitter, oben Geist und unten Vieh.
Das Feuer liebt das Holz, das Holz das Feuer.
Des Mannes Lieb' ist Herrschsucht. Wie das Feuer
Ums Holz, schlägt er verzehrend seinen Arm
Um des Weibes Selbst und schlingt es gierig in sich.
Und ist nichts zu verzehren mehr, dann ekelt
Ihm vor der Asche, und er flackert weiter.
Des Wolfes Liebe ist, das Lamm zu fressen;
Des Lammes Liebe, sich vom Wolfe fressen
Zu lassen. – Und die Menschenlieb', die Milch,
Von der der Menschheit Brei so süßlich schmeckt,
Die Kinderspeise für entnervte Magen?
Haß ist der wilde Atem der Natur;
Haß ist der Atem in der Menschenbrust,
Der sie zu markiger Gesundheit schwillt,
Und Liebe nur ihr lungensüchtig Keuchen.
Kampf ist des Tieres Leben. Die Vernichtung
Ernährt uns; wir ernähren die Vernichtung.
Die Lunge frißt, ein gierig Tier, die Luft;
Das Auge schlingt die lichten Strahlen ein;
Die Arglist lauert dem Vertrauen auf;
Der Wilde sucht die Willen zu verschlingen.
Und wenn wir nicht die Dinge mehr vernichten,
Vernichten uns die Dinge. Fried' und Ordnung
Sind für die Schwäche; denn da ist der Schwache
Der Starke, und der Starke ist der Schwache.
Still da, du Stimm' im Busen, wildes Tier;
Daß du mir nicht die Vorsicht überschreist. –
Punkt elf – da an der Mauer hin. Husch nur,
Verbuhlter Luftzug, an dem Busentuch
Der stillen, traumversunknen Gäßchen hin.
Die Nacht läßt leben, hält ihr Ohr gern zu.
Ihr habt die dunkeln Straßen gern; ich auch.
Nur zu – nur zu – ihr kommt mir schon. Ich will
Meinen Schmuck schon haben. – Klirrt nur mit den Sporen,
Besorgt Eu'r eigen Grabgeläut'. Still – still –
Die Nacht hält ihren Atem an – ihm nach –
Treu wie sein Schatten – lautlos leicht wie er –
Dem trüben Blick einsamer Lampen, die
Vor Langweil' nicken und sich mühsam nur
Einmal aufrecken und dann wieder nicken –
Jetzt biegt er ein – schnell hinterher – die Mauer
Entlang – des Vorsprungs Schattenmantel um
Die Brust geworfen – flink an ihm vorbei,
Denn ihm zuvorzukommen gilt's. Hier hinter
Das Heil'genbild – das Heil'ge ist gefällig,
Deckt das Unheil'ge gern – und nun nicht atmen –
Schon recken sich des Armes Muskeln – still –
Noch fünfzehn Schritt – noch zehn – so; nun den Arm
In die Höh'; der andre drückt den schweren Atem
Zurück – noch fünf – noch drei – noch zwei – noch
(Ein Sprung beschließt die Vision und ein Stoß mit der Hand, in der er den Dolch zu haben meint.)
                                                                                  So;
Nun ist's geschehn. Und nun den Schmuck, den Schmuck;
Her mit dem Schmuck! Nun hab' ich –
(Er erwacht wie aus einem Traum, matt.)
                                                              Nein – ich hab'
Ihn nicht. 's war nur ein Traum. – Ich hab' ihn nicht,
Meinen Schmuck. Ich hab' ihn nicht. – He, munter, munter! –
Es lauscht doch niemand? Nein. Verwünschtes Träumen!
Ich schließ' die Thüre. Meine Leute müssen
Zu Bett. – Die Caton lauscht mir so umher.
's ist hohe Zeit. Kommt jemand? Ja. Bewahr' –
(Er singt.)
                Bewahr' uns unser besser Teil,
                Bewahr' uns unser Seelenheil.
                Laß es dem Satan nicht gelingen,
                Daß er uns fängt in seinen Schlingen.

Vierter Auftritt.

Olivier. Cardillac.

Cardillac (unterbricht sich im Singen).
Kommst du, mein Junge? Wo ist Madelon?
Zeit ist's, zu schließen. Ich bin schläfrig.

Olivier (für sich).                                             Nein.
Er täuscht mich nicht. Er geht mit etwas um –

Cardillac (hat für sich fortgesungen; gähnend).
Was meinst du? Ah, ah. Sagtest du nicht 'was?

Olivier. Ich? Nein. Ich sagte nichts.

Cardillac.                                         Nun, so schlaf wohl,
Mein Junge. Diese Nacht hab' ich geträumt:
Ich war ein andrer Mensch. Ich will es werden.
Schwer ist es, doch wenn man nur wollen will,
So kann man können. Leg' dich. O, es ist
Ein Wohlgefühl, das fromme Wollen. Tugend
Geht über allen Schmuck – den Schmuck – er hat
Ihn noch – den –
(Er reißt sich mit Gewalt los.)
                            Wie gesagt – wie? sagt' ich's nicht?
Daß ich – nun freilich; ah, ich bin schon halb
Im Schlaf; bin heute müd' geworden. Voll
Eine Stunde hab' ich in Notre-Dame gekniet.
Ich schließe. Leg' dich. – Gute Nacht, mein Junge!

(Er geht, ein Licht in der Hand; man hört ihn singen und gähnen.)

Fünfter Auftritt.

Olivier allein; gleich daraus Madelon.

Olivier. Daß mit dem Fräulein wieder mir's mißlang.
Gott! sie hat nichts geschickt, hat meine Warnung
Verachtet, und der Unmensch – o, es ist
Nur zu gewiß, er brütet ihren Tod.
Was thu' ich? Nein, er darf es nicht. Dann wär' ich
Sein Helfer, sein Genosse. Um Madelon
Schweig' ich, doch nicht, daß er –

Madelon (ist eingetreten und während der letzten Worte, ohne darauf zu hören, von hinten nach ihm zugeschlichen und hält ihm die Augen zu).
                                                      Rat', rat', wer's ist?

Olivier. Du –

Madelon (immer noch mit veränderter Stimme).
                Nein. Ich nicht. Es ist Herrn Claudes Caton.

Olivier (will sich nichts merken lassen).
Du, wart' –
(Geräusch; er erschrickt.)

Madelon.           Erschrickst du? Fährst du aus um nichts?
Es war das Thor, das in den Angeln kreischte.
Der Vater schließt's. –

Olivier (für sich).                 Daß ich ihn nicht verfehle!

Madelon. Dich wundert's auch –

Olivier (wie vorhin).                     Ging ich vor ihm, er merkt' es.

Madelon. Er ist so eigen sonst und spart kein Öl,
Und läßt das durst'ge Thor doch immer schrein.
Was pocht da noch? Gewiß ist's Claudes Caton.
Was die nur immer auf den Treppen schleicht.

(Während sie öffnet und Caton eintritt, spricht)

Olivier. Ich will ihm nach. An der geheimen Thür
Wart' ich auf ihn. Bin ich nicht jung und schnell?
Er soll nicht! Nein. ich duld' es nicht. Wie gestern
Steig' ich aus meinem Fenster. Gott, laß mir's
Um Madelon gelingen!

(Er eilt ab, ohne Caton zu bemerken.)

Sechster Auftritt.

Caton. Madelon.

Caton.                                   Na, das heiß' ich
Es eilig haben. – Keine gute Nacht –
Nichts. Im Vorbeigehn, dächt' ich, gute Nacht,
Angenehme Ruh' oder sonst 'was zu sagen,
Das könnt' die schnellste Eile noch erlauben;
Guten Tag, gute Nacht, Mamsell Caton. Hat er's
Doch sonst gekonnt. – Ich will nicht lange stören.
Die Lamp' wird's ohnehin nicht lang' mehr machen.
(Sie löscht ihre Lampe aus und stellt sie hin.)
Die junge Welt – wenn ich was loben kann,
Thu' ich; das weiß die ganze Welt. Wo Caton
Die Achseln zuckt, da schlagen andre Frau'n
Die Hände schreiend überm Kopf zusammen.
Na – na; ich sage nichts. Wenn ich nicht täglich
Den Meister Cardillac mit Augen sähe –
Das ist ein Trost noch, solchen Mann zu sehn.
Ich kam an seinem Kämmerlein vorbei
Und hörte seine frommen Seufzerlein.
Der Mann – Gewalt thut er dem Himmel an;
Gott selber kann sich seiner nicht erwehren.
Horcht nur –
(Sie öffnet die Thür; man hört Cardillac singen)
                      Hört Ihr? (Sie singt mit.)
                Daß er uns fängt in seinen Schlingen.
Dich fängt er nicht, dich nicht, du frommer Mann.
Ich aber bete für dein armes Kind.
Behüte Gott die liebe Madelon!
Denn, fürcht' ich, fürcht' ich schier, der Satan sinnt,
(Sie bekreuzt sich, singend.)
                Wie er sie fängt in seinen Schlingen.

Madelon. Es ist schon spät, Frau Caton –

Caton.                                                       Eine Seele
Zu retten aus des Gottseibeiuns Klauen,
Ist's nie zu spät.

Madelon.                   Der Vater hat's nicht gern,
Wenn ich nach ihm noch auf bin.

Caton.                                                 So? Und er
Ist streng; ich weiß es. Ja, ich möchte nicht
Mit ihm zusammenkommen anders als
In Fried' und Frömmigkeit. Ich zünde nur
Mein Lämplein wieder an.
(Sie beginnt, kann aber nicht damit fertig werden.)
                                            Ich sage nur:
Die Menschen leben froh und unbekümmert
Und lassen Gott den guten Vater sein;
Warum muß ich denn nur den Bösen sehn,
Wo ich nur hinseh'? und mich drob ereifern?
Die andern, o wie sind sie glücklich blind;
Warum muß mich denn nur der Geist regieren,
Daß ich mich über alles ärgern muß
Und überall Gottlosigkeit entdecken,
Daß ich drein schlagen möcht' mit Hand und Füßen?
Ich denke, Gott hat etwas mit mir vor.
Ich gehe schon. Nur eins. Ich sage nur –
Ich weiß, Ihr hört's nicht gern; doch sprechen muß ich,
Wenn mich der Geist regiert. Ich frage nur:
Was kann ein junger Mensch darunter haben,
Bleich auszusehn, wenn er sein gutes Essen,
Sein Trinken hat und seine rechte Ordnung
In allen Dingen, nicht für Wäsche braucht,
Noch für Geleuchte, Betten, Knecht und Vieh,
Noch sonst für was zu sorgen? Was? Wie kann er
Sich unterstehn da, blaß zu sein? Und da vorbei
Mir nichts und dir nichts stürzen, als wär' ich
'ne Nadel, und das bin ich, Dank Gott, nicht.
Ein gutes Auge kann mich noch erkennen.
Ich sage nur. was hat er blaß zu sein?
Kann er nicht sagen. Guten Abend; wie?
Und daß ich's Euch nur sage: was steigt er
Aus seinem Fenster nachts? Kann er das nicht
Den Herren lassen? – Nicht, als lobt' ich die –
Und hat ein Bräutchen wie ein Nelkenstöcklein!

Madelon. Ihr scherzt, Frau Caton; das ist Eure Art so.

Caton. Meint Ihr, Unart sei meine Art? Da schlüg' ich
Doch noch in meinem Alter aus der Art.
Ich sag' Euch: das ist eine Art von dem
Gottseibeiuns. Nehmt Euch vor dem in acht.
Ich sag's ihm so noch, daß es eine Art hat.
Ei, mag er klettern doch soviel er will,
Was geht das mich an? Aber zu verschwinden,
Spurlos verschwinden, sag' ich Euch, rein von
Der Gotteserde wegverschwinden, ganz und gar
So mir nichts, dir nichts und, weiß Gott, wohin?
Das geht Euch nicht mit rechten Dingen zu.
Was ist er bleich und sagt nicht guten Abend?
Als wenn er mich nicht säh'? Hat seinen Grund:
Der Gottseibeiuns mag von mir nichts wissen;
Er weiß, ich bin ihm immer auf dem Dach.
Na, nichts für ungut. Ja; Ihr glaubt mir nicht.
Ihr seid verliebt; da seht Ihr freilich nicht.
's ist eine wilde Nacht heut, schaurig, schaurig,
Über die Maßen schaurig. Nun, wir stehn
Und reden hier im warmen Kämmerlein,
Derweil vielleicht da draußen auf der Straß' 'nem
Vornehmen Mutterkind der kalte Dolch
Ins warme Herz fährt –

Madelon.                               Macht Ihr mich zu fürchten.
Sprecht nicht so garst'ge Dinge, böse Caton.
Gewiß steck' ich die Nacht bis an die Stirn
Unter der Decke. Daß ein Mensch so 'was
Soll können; doch ich glaub's Euch nicht.

Caton.                                                               Ich glaube,
Ihr glaubt, es glaubt es jemand gern? – Für heut
Nun weiter nichts als eine gute Nacht.
Schlaft Ihr nur. Schlaft Ihr nur. Wir wollen desto
Munterer sein. Die Maréchaussée – hört
Ihr sie? – die ist mein Adjutant; ein frommes Lied dazu –
Nun laßt den Bösen bellen. – Gute Nacht.
Schlaft nur. Denn Gott und Claudes Caton wacht. (Ab.)

Siebenter Auftritt.

Madelon (allein).
Was die nicht sieht! Ich zittre ordentlich
Vor Furcht. Daß es so böse Menschen gibt!
Wie glücklich bin ich doch, du lieber Gott,
Daß ich so guten Menschen angehöre.
Man sagt: so fromm wie René Cardillac.
Da muß ich dankbar sein, solang' ich lebe.
Könnt' ich nicht eines bösen Menschen Kind sein?
Ob solche böse Menschen Kinder haben
Und Bräute? Und was könnten die dazu?
Ach, das ist schrecklich, wenn man sich's nur denkt!
Ich will's nicht denken, krank könnt' ich sonst werden
Vor bloßer Furcht. Nein, ich will beten. Gott,
Ich kann es nicht dem Vater danken, daß er
So gut ist und so brav. Hörst du ein Kind,
O so vergilt du's ihm! Und meinen Bräut'gam –
Ich weiß nicht, was ihm fehlt, doch ist's kein Unrecht,
Das weiß ich so gewiß – laß wieder sein
So froh und heiter, als er sonst es war. –
Wird das so seltsam sein, wenn man mich Frau nennt,
Und ich nicht mehr im bloßen Kopf kann gehn,
Ein Häubchen tragen muß. Wie ich mag aussehn?
Ach, ich muß lachen, wenn ich nur dran denke.
Und schämen werd' ich mich zuerst. Warum?
's wird ja nicht anders, als es jetzt schon ist –
Was ist's denn weiter, wenn's Frau Brusson heißt?
Das ist schon wahr. Und doch werd' ich mich schämen.

(Sie geht mit ihrer Lampe durch die Seitenthür, nachdem sie das Licht ausgelöscht.)

Achter Auftritt.

Einige Zeit bleibt das Theater leer, dann Schritte und das Werda der Maréchaussée auf der Straße. Dann bringt Olivier den verwundeten Cardillac mehr getragen als geführt.r

Cardillac. Oh – hierher – hierher – oh. Der Teufel selbst
Hat ihm die Hand geführt. – Langsam – nur langsam –
Ich bin des Todes.

Olivier.                         Setzt Euch in den Stuhl hier.
Gott! ich bin ganz verwirrt – so wie im Traum.
Sagt nur, was ich beginnen soll?

Cardillac.                                             Meinen Schmuck!
Meinen Schmuck!

Olivier.                         Ist das entsetzlich, wie er stiert
Und mit den Händen tastet in der Luft.
Was thun? Was thun? Kommt zu Euch, Meister, sagt,
Ich bitt' Euch, Meister, sagt, was ich beginne?
Fahrt Ihr so fort, so tötet mich die Angst.

Cardillac. Es wär' ein Gott? Es wär' ein Gott? Du lügst.
Ich soll nicht ruhig sterben.

Olivier.                                       Meister, ich
Hab' nichts gesagt.

Cardillac.                     Nein, nein, du bist's auch nicht.
Und doch spricht's immerfort. Sieh hin, sieh hin
In jene Ecke; dort kommt's her. Sieh hin,
Wer dort ist?

Olivier.                 Dort ist niemand.

Cardillac.                                           Aber hier
In dieser; oder dort. – »Es ist ein Gott.«
Hörst du, Olivier? »Und doch ist einer,
Und doch!« Wahnsinnig könnte man da werden.
Sieh hin ans Fenster du. Vielleicht spricht jemand
Durchs Fenster: »'s ist ein Gott, und doch ist einer!«

Olivier. Spräch' jemand, Meister, so hört' ich's doch auch.

Cardillac. Wie' s flüstert: »'s ist ein Gott, und doch ist einer –
Und doch! und doch!« und immer, immer, immer:
»Es ist ein Gott!« Es ist ganz nah' herum –
's ist in mir selber, glaub' ich. Wie das brennt
In meiner Seele Ohr. Wie wird mir angst.
Nimm mir den schwersten Hammer, schlag damit
Den Amboß, bis er weißlich glüht! Laß! Laß!
Bräch' selbst der ehrne Himmel müd' zusammen,
Kreischten die Stern' in ungeölten Angeln,
Und ging der Donner mit dem Reiter durch
Und schlüg' den Huf der Wolk' in ihren Rücken,
Daß sie aufstöhnte hunderttausendstimmig –
Das Flüstern übertönt' es nicht: »Es ist
Ein Gott!« O, brüllt' es selbst mit Sturmposaunen
Daher, so wär' es doch zu tragen noch;
Vor einem Lärmen kann die Seele flüchten
Unter der Betäubung Vampirsflügel. Diesem
Entsetzlich leisen Flüstern muß sie stehn.
Das hält sie fest und leuchtet unbarmherzig
Ihr alle Falten aus, so daß ihr selbst
Vor ihrer wüsten, leeren Tiefe graut.
»Und doch ist einer!« Hörst du? »Doch ist einer!«
Hahaha! »Doch ist einer – doch ist einer.«
Wär' ich wahnsinnig, dann wär' alles gut.

Olivier. Die Seele, angstverwirrt, vergreift sich, mengt
Die Gegenteile schaurig lächerlich.
Der Jammer flucht, und die Verzweiflung jubelt,
Das Lachen weint, das Weinen lacht. Und mir
Reißt Schwindel hier an dieses Abgrunds Kluft
Die Stütze der Besinnung aus der Hand.
Ach, großer Gott, wie bin ich ratlos.

Cardillac.                                                   Schaff'
Mir Madelon. Vielleicht, wenn ich sie seh' –

Olivier (pocht an Madelons Thür).
He, Madelon! Hörst du mich, Madelon?
Steh' auf! Steh' auf! Dein Vater –

Cardillac.                                             Nimm den Dolch
Mir aus der Brust. Versteck' ihn. Sag ihr nicht,
Daß ich gemordet bin. Deck' mir 'was über
Die Brust, daß sie das Blut nicht sehen kann.

Olivier (steckt den Dolch in die Tasche, bedeckt Cardillac die Brust und pocht wieder).
Sie hört mich nicht.

Cardillac.                       Solang' man jung ist, hat
Man guten Schlaf und jeder Traum ist süß
Vom Zucker der Gewissensruh'.

Olivier.                                               Hörst du?
He, Madelon!

Madelon (draußen). Was ist?

Olivier.                                   Schnell komm heraus.

Madelon. Ich komme schon. Ich zieh' mich nur schnell an.

Olivier. Eil' dich.

Cardillac.             Meinen Schmuck. Meinen Schmuck!

Olivier.                                                                           Wie schauerlich!
Das Fieber rüttelt ihn schon wieder.

Cardillac.                                                 Gib
Mir meinen Schmuck, und du sollst leben bleiben.
Ich will dir einen andern schaffen. O,
Ich weiß schon, wie man Schmucke schafft. Still doch,
Wenn ich dir was erzählen will. Hör' du,
Warum ist rot das Gold und weiß das Silber?
Still doch; so was sagt man nicht gerne laut.
Das Gold ist rot von all dem roten Blut,
Das drum geflossen ist; das Silber bleich
Vor Schauder über das, wozu es lockt.
Sie schliefen süß unschuld'gen Kinderschlaf –
So heißt's, wenn man noch keine Träume hat –
Am Erdenherzen, bis das Raubtier Mensch
Der alten Mutter in das Eingeweide
Die Klauen schlug. Die arglos Schlummernden,
Sie mußten Räuber, Kuppler, Mörder werden;
Nun rächen sie ihre Unschuld am Verführer;
Aus Knechten werden sie des Menschen Herr
Und treiben ihn zu allem Gräßlichen.
Alles ist gut, was noch nicht Menschen dient,
Dem schlauen Feind der Unschuld der Natur.
Die ew'gen Sterne selbst am Himmel dort,
Wenn sie des Menschen Gier erreichen könnte,
Die müßten seiner Lüste Kuppler werden. –
Her mit dem Schmuck. Fort mit dem Schmuck. Fort! – Her! –
Die Steine brennen. Bunte Flammen sind's,
Die durch das Aug' mit glüh'nden Zungen züngeln
Und, durst'ge Vampire, an dem Hirn mir saugen.
Das brennt! Das brennt! Das brennt! Dasselbe, was
Des Menschen Himmel ist, ist seine Hölle.
's gibt Menschen, die nur beten dürfen, und
Ablassen muß der böse Geist von ihnen.
Ich kann der Kirche schenken. Die Kirch' ist feil.
Für Geld verkauft der Priester mir den Himmel.
Für Geld ist Erd' und Himmel feil. Haha!

Olivier. Ein jedes Haar bäumt einzeln ihm die Angst
Und Schauer kräuseln flüchtig seine Haut,
Wie Wirbelwind den Staub am Boden hin.
Aufzuckt Entsetzen jeder Nerv an ihm,
Ein jeder Nerv ein Mensch im Todesringen.
Jetzt faltet er die Hände. Welch ein Beter!

Cardillac. 's könnt' jemand lauschen; Claudes Caton etwa –
(Er singt.)
                Und laß dem Satan –
Hol' euch die Pest, ihr Blutvergifter – halt' ihn!
Mir nach, Olivier, schnell! halt' ihn! halt' ihn!
Halt' ihn! Da läuft er fort mit meinem Schmuck.
Mach mir die Füße frei, Olivier;
Eine Spinn' umspinnt sie mir – da fall' nicht über
Den roten Faden – ich lauf' und lauf' und lauf',
Und komm nicht von der Stelle – und muß dort sein
Punkt elf – da an der Mauer. Gib die Schmucke;
Hörst du, Olivier? Laß Messen lesen.
Dann hol' ich mir sie wieder. – So 'was kommt
Nicht alle Tage vor; die werden lachen;
Was steht ihr da und schüttelt euch! Bin ich
Der Cardillac nicht mehr, der fromme Bürger?
Hahahaha; die Guten ließ ich leben,
Hab' nur die Schurken abgethan. Haha!
Hörst du? hörst du? wie's hämmert hier? Haha,
Und hin und her ächzt in der Nerven Kreuzgang?
Wie's angstvoll an die leeren Zellen pocht?
Wie's ruft, wie's trippelt hin und her und stöhnt?
'ne arme Seel', die soll begraben werden,
Und hämmert jetzt sich selber ihren Sarg.
(Singt.)
                O du heilig ewig Gut,
                Nimm uns du in deine Hut!
Ich will euch – Harnisch unterm Koller tragen,
'nen tugendhaften Mann zum Narren haben,
Mit meinem eignen Dolche mich bedienen –!

Olivier. Sie kommt. Gott! wenn sie seine Reden hört,
Wenn sie erfährt –

Cardillac.                       Ich will euch, Schurkenpack!
Halt' ihn! Halt' ihn! Halt' ihn! Olivier!
Er hat meinen Schmuck noch. Bohr' ihm durch den Harnisch!
Such' seine Seele mit dem Dolch! Halt' fest,
Und laß sie nicht! Die Seelen sind wie Luft,
Wie Blasen. Halt' sie fest! Nagl' ihm die Seele
Ans Herz! Häng' sie an seinen Därmen auf!
Halt' ihn! Halt' ihn! Zapf' ab! Zapf' ab! Zapf' ab!
(Singt.)
                Und fassen uns des Todes Wehen,
                Laß deine Engel um uns stehen.

Neunter Auftritt.

Madelon im Nachtkleide und aufgelösten Haaren; mit einem Licht. Die Vorigen.

Cardillac. Was ist da – da – da – da? – ein weißer Engel?
Er thut mir in der Seele Augen weh.
Ich kann das Weiße nicht – hat er meinen Schmuck?
Und wenn's ein Engel ist. meinen Schmuck soll er
Mir geben.

Madelon (vom ersten Schreck erholt).
                    Vater! Vater! Was ist dir?

Cardillac. Ich hab' ein Kind? – Ach, so ein frommes Kind,
Dein Atem kühlt mit süßem Veilchenduft –
Das wäre schön, wenn nicht – jetzt faßt er mich,
Der Tod – Laß – laß – oh – oh –
(Er kann nicht mehr sprechen.)

Olivier.                                                 Siehst du? Er winkt.
Die Hand sollst du ihm geben –

Madelon.                                           Vater, stirb
Mir nicht! Ach, stirb mir nicht! Was hab' ich dir
Gethan, daß du mir stirbst?

Olivier.                                       Er legt deine Hand
In meine – sieht nach dem Schranke – wie? was meint Ihr?
Er deutet – macht ein Kreuz – ja, ich versteh' Euch.
Ja; ja; er zuckt! es ist vorbei. –

Madelon.                                           Nein! Nein!
Er soll noch leben! Nein, er muß noch leben!
Laß ihn nicht sterben! Liebst du mich, laß ihn
Nicht sterben! Wenn du Mitleid hast mit mir –
Ich will dir alles, was du willst – nur laß ihn
Nicht sterben! –

Olivier.                       Madelon! Mein armes Mädchen!

Madelon. Gott, hier ist Blut – ist – Hülf'! Er ist ermordet!

Olivier. Um Gottes willen, schweig'! – Wenn's jemand hörte!

Madelon. Olivier! Hülfe! Hülfe!

Olivier (außer sich).                     Du sollst schweigen!
Die Wache zieht vorbei. Ach, Madelon,
Komm zu dir!

Madelon.               Du? Du bist's? Und hätt' ich mich
Verloren, hier in deinem Aug' fänd' ich
Mich wieder. Ach, Olivier, könnt' ich
Nur weinen!

Olivier.                 Horch! Was ist das?

Madelon.                                               Nun hab' ich
Nur dich noch auf der Welt, nur dich allein!

Olivier. Um Gottes willen! horch; da auf der Treppe –
Es klingen Sporen. Gott! wer wird mir glauben!

Madelon. Was fürchtest du? Ist nicht mein Vater nun
Ein Engel? Fühlst du's nicht? Mir ist, es weht
Um uns wie leiser, lauer Flügelschlag.
Nun bet' ich noch um eins so gern zu Gott.
Bei ihm ist ja der gute Vater nun!

Zehnter Auftritt.

Caton, Degrais, Gendarmen, erst noch in der Szene. Die Vorigen.

Caton (draußen).
Hierher, Herr Polizeileutnant Degrais!
Hier war's, hier oben. O, ich kenne noch
Den Gottseibeiuns; der macht Claudes Caton
Nichts vor.

Degrais (weiter entfernt als Caton).
                    Nicht einen Fußbreit dieses Hauses
Laßt undurchsucht.

Caton.                           Wenn Eure Leute nur
Standhalten.

Degrais.               Ihr seid sicher.

Caton.                                           Meinetwegen?
Mit meinem Rosenkranz und frommen Sprüchlein
Nehm' ich's allein auf mit dem Gottseibeiuns.
Laßt sehen, wer den andern schützen wird.
Ihr mich oder ich Euch? Nur hier herauf.
Kein Wunder, daß Ihr nicht den Bösen fangt;
Der wird Euch leichter fangen als Ihr ihn.
Er hat Euch schon. Das Liebeln, Trinken, Spielen,
Das Fluchen und das weltliche Erzeugen,
Das sind die Henkel, dran er Menschen faßt.
Nehmt's nicht für ungut, Herr, doch ich muß sprechen,
Wenn mich der Geist regiert. Wie kommt Ihr mir?
Ihr wäret mir die rechten Himmelsfechter.
Wozu das Schwert? Einen Weihwedel hängt
An Eure Seiten. Ein Gebetbuch faßt
Anstatt des Stabs in Eure Hand. Was soll
Dies weltliche Gekrös von Posamenten?
Hängt's Paternoster um. Das ist Euch besser.
Dann fangt den Satan Ihr; so fängt er Euch.

Degrais. Gut ist's, Frau Caton, was Ihr sprecht. Doch besser,
Wenn Ihr jetzt schwiegt.

Caton.                                   Glaubt Ihr, ich kann nicht schweigen?
Doch muß ich schweigen, bin ich unnütz hier.

Degrais. Wir brauchen Euch, Frau Caton.

Caton.                                                       So; Ihr braucht mich?
Ich brauche niemand. Doch – wenn Ihr mich braucht,
Claude Patru ist mein Herr; ich weiß nicht, ob er
Euch kennt? – Nein, Gott sei Dank, er kennt Euch nicht.
Und ging ich, nicht um Euretwillen ging ich,
Denn seht: ich steh' in Gottes Namen hier.
Doch Ihr sollt sehen, daß ich schweigen kann.
Nur immer hier heran. Hier ist die Thür,
Hier in der Stube war der wilde Zank.
Ich wohne gleich darunter. Hier ist vorhin
Geröchelt worden. Hier herein, so fangen
Wir den Gottseibeiuns in seinem Nest.
Ich habe nicht umsonst gewacht. Ich wußte:
(Sie tritt ein mit ihrer Lampe.)
Der Herrgott hatte Großes mit mir vor.

Degrais (tritt ein; Gendarmen besetzen die Thür)
Im Namen des hochpeinlichen Gerichtshofs
Chambre ardente; was ist hier geschehn?

Caton. Ihr fragt noch, Herr? Seht Ihr nicht hier? Da liegt er,
Der tugendhafte Mann – doch ich kann schweigen.

Degrais (untersuchend).
Gemordet? Leuchtet her.

Caton.                                     Gott sei uns gnädig!

Degrais. Ha, endlich. Gott sei Dank!

Caton.                                                 Seid Ihr ein Heide?
Wollt Ihr uns allesamt – doch ich kann schweigen.

Degrais. Dieselbe Wunde. Endlich, endlich sind wir
Der Mörderbande auf der Spur. Wer ist
Der Bursche hier?

Caton.                           Olivier Brusson, sein
(auf die Leiche zeigend)
Geselle.

Degrais.       Seht, wie er erbleicht.

Olivier.                                             Herr, wenn ich
Erbleiche, so ist's nicht aus Schuld. Ich bin
Unschuldig. Bleich macht der Gedank' mich nur,
Daß ich als schuldig Euch erscheinen muß.

Degrais. Müßt Ihr? Das mein' ich eben.

Olivier.                                                   Ihr müßt glauben:
In diesem Zimmer sei die That geschehn,
Und ich der Täter.

Degrais.                       Ja; das muß ich denken,
Bis Ihr mir, daß es anders ist, beweist.
Frau Caton, sprecht: Habt Ihr an diesem Burschen
Bemerkt, daß er jähzornig ist? daß er
Im Streit mit seinem Meister war?

Caton.                                                   Hm ja;
Jähzornig? Nun, das weiß ich selber nicht.
Noch vor acht Tagen, das weiß ich gewiß,
War er ein andrer. Wie 'ne Taube, seht,
'ne ausgestopfte Taube, lustig, rot
Von Wangen – ei, er war ein hübscher Junge.
Ein Hammerschlag, ein muntrer Ton und wieder
Ein Hammerschlag: so schmiedet' er ein Lied
Und eine Arbeit miteinander fertig,
Und Lied und Arbeit, beides war geraten.
Ja, damals hatt' er stets ein freundlich Wort,
»Ein guten Tag, Frau Caton«; und seit gestern,
Glaubt Ihr, daß mich der Bösewicht nur einmal
Gegrüßt hat? – Und wie ich Euch schon gesagt,
Der Meister jagt' ihn fort und bracht' ihn doch
Den nächsten Morgen selbst ins Haus zurück.

Olivier. So wahr ich lebe und so wahr Ihr lebet,
In diesem Haus ist's nicht geschehn. Der Meister
War ausgegangen –

Caton.                             Ausgegangen? Seht doch!
Euch wird schon noch der Lügenatem ausgehn.

Olivier. Und in der Straß' Nicaise stach ihn einer
An meiner Seite tot. Ich trug ihn heim.

Caton. Ihr trugt ihn heim? Durchs Fenster? Durch den Schornstein?
Ihr trugt ihn heim?

Degrais.                       Nach Euern Worten scheint es,
Es führt kein zweiter Eingang in das Haus.

Caton. So wenig als zwei Wege in den Himmel.
Und diesen einen Weg hielt ich belagert
Mit allem Sturmgeschütz der Frömmigkeit.
Hab' mit den Augen hier den Seligen
Die einz'ge Thür verschließen sehn; bin dann
An seinem Schlafgemach vorbeigekommen,
Da sang er einen gottesfürcht'gen Vers –
Es ist noch keine Stund' vorbei seitdem –
Und bin seitdem nicht von der Trepp' gekommen.
Und wär' er ausgegangen, was doch nicht ist,
So müßt' er mir vorbeigekommen sein –
Das wär' er nimmer ohn' ein freundlich Wort;
Und müßt' die Thür alsdann geöffnet haben –
Denn durch verschlossne Thüren geht kein Mensch.
Und nur vorhin hab' ich den Seligen
Mit ganz erstickter Brust hier röcheln hören:
»Halt' ihn! Halt' ihn!« Und, Herr, wie klang Euch das!

Degrais. Was sagst du nun? Wie, Bursche?

Olivier.                                                         Herr, so wahr
Ein Gott im Himmel ist, der Meineid straft,
Ich kann nicht anders sagen, als ich sagte.
Vor meinen Augen stach ihn einer tot.

Degrais. Geschah's, ihn zu berauben?

Olivier.                                                 Herr, ich weiß nicht.

Degrais. Und du hielt'st nicht den Mörder ab? Du standest
Dabei und ließest es geschehn? Stand'st ruhig
Dabei? riefst nicht um Hülfe?

Olivier.                                           Herr, zum erstern
Kam ich zu spät. Und Hülf' herbeizuholen,
Verbot der Meister selbst. Ich durft' es nicht.

Degrais. Wenn Ihr wollt lügen, lügt wahrscheinlicher.
Und was hatt' er so spät in jener Gasse
Zu thun?

Olivier.         Ich weiß nicht.

Degrais.                                 Was du selbst?

Olivier.                                                           Ich kann's Euch
Nicht sagen.

Degrais.             So? Kommt mir doch etwas näher.
Ihr blutet wohl zuweilen aus der Nase?
Oder habt Euch geritzt?

Olivier.                                 Als ich ihn trug,
Da floß das Blut von ihm auf mich herab.

Degrais. Und ließ, der ihn erschlug, den Dolch zurück?
Nahm er ihn mit sich?

Olivier (verwirrt).               Herr, das weiß ich nicht.

Degrais. Es scheint, wir wissen mehr als Ihr. Er nahm
Ihn mit sich. Wußt' er, daß der That Genosse
Auch ihr Verräter würde sein –
(Mit feierlich erhobener Stimme.) He! Ihr,
Olivier Brusson;
(Er reißt ihm rasch den Dolch aus der Tasche und hält denselben ihm vor die Augen.)
                              wovon ist der Dolch
In Eurer Tasche blutig bis ans Heft?

Olivier. Ich bin verloren! Ohne Schuld verloren!

Degrais (untersucht).
Das Messer und die Wunde hier verleugnen
Sich nicht. Mit diesem Dolch ist es geschehn.

Olivier. Der Meister wollt' es so, daß ich den Dolch
Ihm aus der Wunde nahm und ihn versteckte;
Er wollte nicht, daß es sein Kind erführe –

Degrais. Er wollte? Ihr, Ihr wolltet's nicht. Genug.
Faßt ihn und legt ihm Ketten an die Hände.
Vielleicht, wenn er die span'schen Stiefel trägt,
Fällt dann ihm ein, was jetzt ihm ist entfallen.

Olivier. Gott! Die Tortur! Allmächt'ger Gott! Sie werden
Mich zwingen, zu gestehn, was ich nicht weiß.
La Regnie läßt kein Opfer aus den Händen.
Fesselt mich nicht – und ich bekenn' Euch alles.
Ich bin unschuldig, doch –

Degrais.                                     Und doch unschuldig?
Hört man Euch Buben selbst, seid Ihr nie schuldig.

Olivier. Ich will Euch nichts verschweigen. Ihr sollt sehn,
Daß ich der Schuldige nicht bin. Zwei Thüren nur
(mit einer Bewegung nach dem geheimen Wandschrank hin)
Brauch' ich zu öffnen, und Ihr müßt mir glauben.
Unglücklich bin ich; schuldig bin ich nicht.
Laßt mich, und Ihr sollt sehn.

Degrais.                                         Wohlan, so laßt ihn;
Zeig' uns, daß du unschuldig bist, und du
Bist frei.

(Sie lassen ihn.)

Olivier.           Was thu' ich?
(Nach Madelon blickend, um welche, da sie ohnmächtig, Caton beschäftigt ist.)
                                      Madelon! – Ich darf's nicht.
Nein. Führt mich fort!
(Sie halten ihn wieder.)
                                      Nein, laßt mich! Großer Gott!
(Er sinkt auf die Kniee.)
Was thun? Was thun? O Gott, erleichtre mir
Den Kampf. – Hier sterben, schmerzens-, schreckensvoll,
Und doch unschuldig – dort, o Madelon,
Meine arme Madelon! Es wär' ihr Tod.
Wie hast du so entsetzlich mich verlassen!
Und doch, sterb' ich, so muß sie mich verfluchen –
Und trag' ich alles, das ertrag' ich nicht.
Ich will sie fragen. Madelon!
(Sie fährt aus ihrer Lethargie auf und umschlingt ihn leidenschaftlich.)
                                                Kann ich
Sie lassen? Ich muß leben! Ich muß leben!
Dies Auge soll ich nicht mehr sehn, wie's Frieden
Und Ruh' mir in die trübe Seele blickt –
Ja; ich will leben! Ihr sollt sehn, daß ich
Unschuldig bin. Ich bin der Mörder nicht.
Ich will Euch zeigen, wer der Mörder war.

Madelon. Mein frommer Vater, hilf uns doch vom Himmel!
Olivier, sei unverzagt. Er ist
Ja dort und wird dir helfen. O, ich weiß es!

Olivier. Du weißt es, daß er dort ist? – Ja; so muß
Ich sterben. Eins nur, Madelon, nur eins,
Eins laß mich fragen: Hältst mich du für schuldig?
Wenn sie mich töten –

Madelon.                             Dich, Olivier?
Wenn sie dich töten, will ich auch nicht leben.

Olivier. Glaubst du an meine Unschuld?

Madelon.                                                 Wie an Gott
Und meinen Vater.

Olivier.                         Ja; es muß! – So führt mich,
Wohin Ihr wollt. Ich bin bereit, zu sterben.
Verdien' ich's, ist es nicht um diesen Mord.
Schuldig bin ich – und doch bin ich unschuldig.

Degrais. Schließt ihn und führt ihn fort. Wer ist dies Mädchen?

Caton. Des Sel'gen Tochter, Herr. Ein Engel.

Degrais.                                                           Weiß
Sie von der That?

Caton.                         Ich ging nur erst von ihr.
Sie legte sich zu Bett.

Olivier.                               Als ich sie weckte,
War alles schon geschehn.

Caton.                                       Seht Ihr, wie sie
Sich schämt, daß Ihr sie so betrachtet?

Degrais.                                                       Vorwärts.

Madelon (an Olivier hängend).
Ach, Herr, nehmt ihn mir nicht. Ich habe niemand
Mehr auf der Welt als ihn. Er ist unschuldig.
Seht, wenn er schuldig war', liebt' ich ihn nicht.
Er ist so brav, so gut. Ach, Herr, warum
Sollt' ich das sagen, wenn es anders wäre!
(Auf ein Zeichen von Degrais bewegt sich der Zug.)
O Gott, Ihr hört mich nicht. Ihr wollt ihn töten.
Ich aber laß ihn nicht. Erst tötet mich.
Wenn Ihr ihn tötet, tötet Ihr mich mit,
Und wenn Ihr's nicht wollt. Führt mich mit!

Degrais.                                                               Das könnte
Noch werden. – Vorwärts.

Madelon.                                     Führt mich mit! Wo er ist,
Muß ich sein. Wo er nicht ist, kann ich ja
Nicht sein, kann ich nicht leben. Habt Erbarmen!.
Ihr tötet mich doch einmal, trennt Ihr uns.

Degrais. Zurück!

Olivier (indem er weggeführt wird).
                      Ach, Madelon! arme Madelon!
Meine arme Madelon!

Degrais.                               Vorwärts!

Madelon (will zu Olivier; dieser aber ist so von Gendarmen umgeben, daß sie nicht zu ihm kann).
                                                        Olivier!
(Sie sinkt um; Caton bemüht sich um sie.)

Olivier (an der Thür schon, hält mit Gewalt an).
Ihr zürnet mir, Frau Caton. Nicht um mich
Erfüllt mir eine Bitte. Schützt die Arme,
Die stützenlos nun in der Welt soll stehn.
Betet für mich, denn ich muß sterben, weiß ich.
Ihr haltet mich für einen Bösewicht;
Und ich nur weiß, daß ich unschuldig bin.

(Auf erneuten Wink Degrais' drängen die Gendarmen ihn mit sich fort. Indem fährt Madelon aus Catons Armen auf, sieht sich wild um und eilt außer sich nach. Einige tragen den Leichnam ab.)

Vorhang fällt. Ende des dritten Aufzuges.

 


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