Otto Ludwig
Das Fräulein von Scuderi
Otto Ludwig

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Achter Auftritt.

Vorige außer Martin.

Cardillac (in Gedanken hin und her).
Punkt elf – und um die Ecke – zwanzig Schritte
Von hier – so mag's. Was summt mir stets im Ohr?
Ich will's nicht wissen. – Hm, ihr seid nicht klug –
Der böse Keim liegt freilich in uns allen,
Doch unsre Schuld ist's – Was ist Schuld? Was ist's?
Der Narr! Die Schuld trägt, der uns schuf. Ich hab'
Mich nicht geschaffen. Wär' ich nicht, so wär'
Ich nicht so, wie ich bin. Und bin ich nicht,
Wie er mich möchte – warum hat er mich –
Wie kann mich einer ohne meinen Willen
Ins Leben setzen und bestimmen noch
Dazu: du sollst dich plagen, besser werden,
Als ich dich schuf. – Hm – also punkt elf Uhr –
(Versinkt wieder ins Brüten.)
Das, was ein Hüben hat, hat auch ein Drüben,
Dasselbe Ding ist licht und dunkel, je
Nachdem es steht, die Seite bald, bald die.
Gut war nicht ohne Bös; wer's Gute schuf,
Der schuf das Böse mit. Und schuf's ein Gott,
So ist das Böse göttlich wie das Gute.
Er kann nichts schaffen, was er selbst nicht ist.
Und hat's ein andrer – warum litt er's denn?
Und mußt' er's leiden, kann er's auch nicht strafen.
Albernes Zeug. Das Drüben ist so nötig
Als wie das Hüben. Wie der Tag, die Nacht.
Da um die Ecke – still mit deinem Summen,
Verwünschte Wespe! – zwanzig Schritte nur –
(Er fährt auf und gewahrt Madelon und Olivier, die beide bei ihrer Arbeit sitzen.)
Hm, mit dem Jungen muß ich endlich reden.
He, Madelon, du störst mich. Geh hinunter
Zu Claudes Caton. Hörst du?

Madelon.                                       Väterchen,
Ich gehe schon. Siehst du?
(Sie legt ihre Arbeit in Ordnung und will ihn umarmen.)

Cardillac (abwehrend).               Schon gut. Ich rufe.
Eh' komm mir nicht. Schon gut. Schon gut. Ja, ja.

Madelon ab.

Neunter Auftritt.

Cardillac. Olivier.

Cardillac (sieht ihr nach; dann macht er Schritte, mit welchen er sich Olivier nähert. Plötzlich bleibt er bei diesem, der erschrickt, stehn).
Hör' du, Olivier, du bist mir so
Verändert. Bist nicht der mehr, der du mir
Vor vierzehn Tagen warst. Das hat 'nen Grund.
Was fehlt dir, Junge?

Olivier.                             Fragt Euch selbst. Ihr wißt es
Besser als ich.

Cardillac.                 Kommst du so außer dich!
Wie du mir bleich wirst. Hm; das muß doch was
Bedrohlich's sein! Sagst du's?

Olivier.                                           Entsetzlicher!
Auf Euch stand all mein Hoffen. Keinen Vater
Liebt so sein Sohn –

Cardillac.                         Das laß beiseite jetzt.
Jetzt möcht' ich wissen, was du weißt, was du
Von mir zu wissen glaubst – verstehst du? glaubst.
Ich hab's gern reinlich zwischen mir und andern.
Ein redlich Wort verhütet Mißverstand.

Olivier. Sprecht Ihr von Redlichkeit?

Cardillac.                                             Und sollt' ich nicht?
Du hast von mir geträumt jene Nacht –

Olivier.                                                         Geträumt
Bis jene Nacht mich gräßlich hat geweckt.
Ihr seid ein Ungeheuer. In der Faust
Zuckt mir's. Fort, Mörder! Fort von mir.

Cardillac (ganz ruhig und kalt).                         Kurios.
Sonst seh' ich, wie ein Tiger, scharf bei Nacht
Und höre leiser, als der Hase hört,
Der bangend sich im hohen Grase birgt.
Dich hört' ich nicht, der meinen Schritten folgte,
Nicht eher, als mein schauriges Geheimnis
Dir meine That verriet, das Degrais' List
Und aller Wachen Wachsamkeit verhöhnt.
(Indem er die Thür abschließt.)
Der Zufall, du nicht, hat mich dir entlarvt.
Recht so, mein Junge. Recht. So weiß man doch
Nun, wie man steht.

Olivier (springt auf).         Was wollt Ihr, Gräßlicher?
Wollt Ihr mich morden? Kommt mir nicht zu nah'.
Ich bin nicht ungewarnt, wie Eure Opfer.

Cardillac. Zu spät entdeckt' ich dich, und doch noch nicht
Zu spät. Es war ein Sprung, ein Stoß. Der Löwe
Springt sichrer nicht. Der Blitzstrahl schmettert nicht
Mit ungestümrer Kraft sein Opfer nieder,
Die Lungen um den einz'gen Schrei betrügend.
Ich schone dich. Warum? – Wenn ich dir sage:
Ein Stoß, und mein Geheimnis war begraben
Bis zu dem Tag, der alle Gräber öffnet.
Trotz deiner Jugendkraft bist du ein Kind
Nur gegen mich. – Und wollt' ich noch – was wär's?
Ein armer Bursch wie du verschwindet spurlos
In dieser ungeheuern Stadt. – Ich geh'
Zu der Genossen einem: Hattet Ihr
Die Steine nicht, nach denen ich geschickt? –
Ihr habt geschickt? – Nun freilich. Meinen Burschen.
Und weil ich vieles Geld ihm mitgegeben
Und er nicht heimkommt, mach' ich selbst mich auf.
So geh' ich, und der Juwelierer lacht
Mir nach und denkt: wie ist der Mann so ehrlich,
Der einem Burschen soviel Geld vertraut.
Ich frage noch in ein'gen Häusern nach.
So läuft die Sache mir voraus, und komm' ich
Aufs Rathaus, kommt sie da mir schon entgegen,
Begleitet von Bedauernis und Warnung
Von wegen der zu großen Ehrlichkeit.
Nun ja. Bin ich nicht René Cardillac,
Das Muster eines wohlgesinnten Bürgers?
Derweil im tiefsten Keller du vermoderst,
Hetzt deinen Namen Scherg' und Schande matt.

Olivier. Sei du so klug und stark; aus Furcht nicht schwieg ich.
Doch Madelon! – O dreimal heil'ger Gott!
Mir ist's um Madelon, und thu' ich unrecht,
Thu' ich's um Madelon und nicht um dich.

Cardillac (heiser lachend).
Um Madelon –

Olivier.                   Die Nachricht wär' ihr Tod.

Cardillac. Wie rührend, wenn's ein andrer hörte. Mich
Täuscht Ihr mit solchen Phrasen nicht. Aus Liebe?
Der Mensch thut nichts aus Liebe, macht er's auch
Sich selbst und andern weiß. Ich will's Euch sagen,
Warum Ihr schwiegt. Wenn Ihr Beweise hättet
Und Zeugen, schwiegt Ihr nicht. Und was denn hättet
Ihr sagen wollen? Etwa das: ihr sucht
Vergeblich jener Bande Spur, die frech
Auf offner Straße Mord und Diebstahl paart?
's ist keine Bande. Einer nur thut alles.
Unmöglich. Und wer wär' der eine dann?
Der René Cardillac? Der Goldschmied? Habt
Ihr Zeugen? Oder sonst Beweis? Ihr habt
Sie nicht? Ihr seid ein Thor, wenn nicht ein Schurke,
Die wunderlich beschränkte Künstlerseele,
In frommen Träumen heim'scher denn auf Erden,
Der unbeholfen Kinder lachen macht,
Der jede Laune harmlos walten läßt
Und ehrlich sagt, was Dümmere verschweigen,
Der Bettler schilt und immer wieder gibt;
Der wär' entschlossen wie ein Löwe, schnell
Und blutig wie ein Tiger, listig wie
Ein Fuchs? Dem hätte jener Schlaukopf Degrais
Vergeblich tausend Fallen schon gestellt?
Und wußte man, daß ich dich fortgejagt,
Wie nah' dann lag's, der Bursche will sich rächen?
Ihr hießet vor der Welt und Madelon
Ein undankbarer Bösewicht. – So stand's
Noch kürzlich. Da war ich sicher schon,
Als ich den Schmuck dir heimlich anvertraute –
Und hätt's nicht, wenn das Fräulein selbst zu Haus war
Zurückgekehrt zu mir, gingt Ihr dann auch
Zu klagen, und man glaubte auch, Ihr ständet
Nun als mein Helfer da und mein Genosse;
Und Madelon –

Olivier.                     Ihr wißt, womit Ihr mich
Zu allem treiben könnt. Um Madelon
Schweig' ich. Ich sollte sagen: Madelon,
Dein Vater ist – Verzeih' mir's Gott, ich kann nicht.
Doch Eures Treibens Helfer werd' ich nicht.
So wahr ich lebe, niemand sollt Ihr mehr
Berauben, niemand töten mehr; soll mich's
Mein Leben kosten oder Euch das Eure.

Cardillac. (hat Schritte gemacht, nun bleibt er wieder vor Olivier stehen; sein Ton ist verändert).
Du hältst mich für ein Scheusal – und ich bin's.
Du thust mir recht, und doch thust du mir unrecht.
(Stellt Stühle nahe zusammen.)
Komm, setze dich, Olivier; du sollst
Der einz'ge schaun in meines Busens Hölle.
Mir ist, als müßt' es mir das Herz erleichtern.
Und sieh, ich glaub' an Himmelsschickungen.
So eine ist's, die dir mich hat verraten.
Zu meiner Bessrung hat sie dich geschickt.
Verworfen bin ich, doch, Olivier,
Elender noch, als ich verworfen bin.
Ich bin ein Elender, weit elender,
Als es der Säufer und der Wüstling ist,
Der das verachtet und verwünscht, dem er,
Kaum daß er es verschwor, aufs neu' verfällt.
Das ist des Bösen schwerste Strafe, daß
Er nicht ganz bös kann sein. In seinem Herzen
Bleibt unverwüstlich noch ein Stückchen Himmel,
Ihn ewig ans Verlorne zu erinnern,
Ein Stern, vor dem die Nacht sich schaudernd krümmt,
Ein kühler Hauch, der noch die Gluten anfacht,
Die kein Erbarmen löscht. – –
Und gäb's für Tugend sonst kein Zeugnis mehr,
Das Laster selbst muß für die Tugend zeugen.
Leis ist der Stimme Ton, doch unbestechlich.
Wenn ich auf meinen Knieen betend ringe
Um Selbstvergessen in der Andacht Taumel,
Dann flüstert sie: »Du lügst, dir ist's kein Ernst;
Du möchtest Gott betrügen und dich selbst.«
Dann fahr' ich auf: »Es ist kein Gott!« und bau'
Aus Gründen mir ein Bollwerk auf, und schließ' ich
Hohnlachend dann: »Es ist kein Gott!« dann flüstert's
Wie Echo irgend aus des Zimmers Ecke:
»Und doch ist einer!« – Und so leis es flüstert,
Es überbrüllten's tausend Donner nicht.
Und kämpft um mich der Himmel und die Hölle,
Kann ich's nicht ändern, wenn die Hölle siegt.
(Eine Pause, während Cardillac einige Schritte macht; sein Ton wieder verändert.)
Eh' ich geboren ward, sechs Monde früher
Warf meines Vaters Herr – er war Leibeigner –
In Ketten ihn. Warum? Weil meine Mutter,
Die ihm gefiel, ihm nicht zu Willen war.
Doch einen Vorwand brauchte man. Mein Vater
Sollt' edeles Gestein zum Schmuck ihm fassen;
Damit er nun nicht in Versuchung komme,
Sei er bewacht, bis er das Werk vollendet.
Meine Mutter war, wie junge Weiber sind,
Nach Schmucke lüstern. Mit des Mannes Arbeit
Und dem Versprechen, dann ihn frei zu lassen,
Bestach der Edelmann des Weibes Tugend.
Den Morgen nach der sünd'gen Nacht war endlich
Mein Vater frei, wie es der Graf versprochen.
Doch kaum in seiner Hütte, als der Graf
Mit seinen Schergen auf dem Fuß ihm folgte.
»Hier«, rief der Graf, »dies Weib hat einen Schmuck
Von mir bekommen, weil es mir an Münze
Gebrach, sogleich ihr die Gefälligkeit,
Die Kurzweil einer Nacht nach Wert zu lohnen.
Hier ist das Geld; nun gebt das Pfand heraus!
Gutwillig, oder man entreißt es Euch!«
Mein Vater – was der fühlte, denk' dir selbst.
Meine Mutter – was die that? Sie leugnete,
Bis sie der Schmuck, gefunden, Lügen strafte.
Schnell war mein Vater, doch der Graf war schneller,
Hatt' auch den Dolch zur Hand. – Aus ihrer Ohnmacht
Erwachte meiner Mutter Seele nie
Zur vollen Wirklichkeit. Barmherzig täuschte
Der Wahn, wo Wahrheit nur Verzweiflung bot.
Bei Tag und Nacht nie dachte sie was anders
Mehr, als den Schmuck. Der Wahnsinn spielt wie Kinder;
Er macht aus allem alles. Einen Strohhalm
Band sie um ihren Arm und jauchzt' ihm zu;
Verlor sie ihn, so war der Schmuck gestohlen,
Im nächsten Strohhalm war er wieder ihr.
Ich wurde ungeboren schon der Erbe
Von ihres Wahnsinns Keim. Der Anblick edeln
Gesteins erregte schon des Kindes Triebe,
Und kam's aus meinen Augen, war es mir
Gestohlen, faßte mich ein Schmerz und Grimm
Auf den, der es besaß, was mein doch war.
Dazu ein Haß auf alle, die genossen,
Ohne zu schaffen, während der Arbeiter
Aus seinem eignen Schweiß sein dürftig Brot
Nicht kneten darf, gibt er das Beste nicht
Dem faulen Dränger hin. –
                                            Der Schein des Bluts
Schlich sich durch meiner Mutter brechend Aug'
In meiner Zukunft Schlummer als ein wild
Vordeutend Traumgespenst. Da schlief es, bis
Der Haß es weckte und des Wahnsinns Erbtum.
Meines Vaters Mörder war der erste, den
Es fraß; der erste war's, der letzte nicht.
Nun steht's blutrot an meines Bettes Fuß
Und macht mich toll und zeigt die Spangen mir,
Die ich aus meiner Hand gegeben habe –
Läßt mir die Steine blitzen in das Herz
Und wendet sie bald so, bald so – wie es
Ein üppig Weib mit seinen Reizen thut.
Im halben Wahnsinn fass' ich nach dem Schmuck
Und greife leere Luft. Ich schließ' die Augen,
Um nicht zu sehn. Vergeblich. Seh' ich's mit
Den Augen nicht, so seh' ich's mit dem Herzen.
Dann flüstert's: »Fort mit dem, der dir ihn stahl!
Fort mit dem Dränger! Fort mit dem Verführer!
Zapf' das verdorbene Blut ihm aus den Adern,
Eh' er das Weib, die Tochter dir vergiftet.
René, auf! Straf' ihn. Räch' an ihm das Elend.«
Im Traum eil' ich ihm nach und fass' ihn fest
Und bohr' den Stahl ihm in die Brust; und wieder
Seh' ich ihn gehn, und wieder treff' ich ihn.
Und eher kehrt nicht Ruh' in meine Brust,
Bis, was ich träumte, wirklich ist geschehen
Und meinen Schmuck ich halt' in meiner Hand.
Hab' ich so das Gespenst mit Blut versöhnt,
Dann ist mir leicht, als hätt' ich recht gethan.
Doch lange ruht der blut'ge Wahnsinn nicht.
Sieh her – (Er öffnet eine geheime Wandthür.)
                  Die Schmucke hier im Schrein. Bei jedem
Ein Blatt, worauf geschrieben steht, wem er
Auf nächt'gem Gang das Leben hat gekostet,
Damit nach meinem Tod das ungerecht
Erworb'ne Gut an seinen Eigner kommt. –
Du kennst den Grund von meinem Elend nun,
Doch meines Elends Tiefe weiß nur ich.
Ein Zufall, der die schwangern Mütter schreckt,
Prägt unsern Seelen ihre Zukunft auf.
Das Leben ist nichts anders, als die Seele,
Aus sich herausgestellt, ihr Spiegelbild;
Erschien ein Engel meiner schwangern Mutter
Am Ostermorgen beim Geläut der Glocken,
Wär' meine Seele weiß wie sein Gewand.
So schwankt sie ruhlos in den dunkeln Tiefen.
Mein Äußeres wär' ihrer Schwärze Bild,
Prägt' ich nicht die Verräter des Gewissens
Mühsam mit eiserner Beharrlichkeit
Zu ihren Gegenteilen um. Es muß
Der herrenlose Zustand meines Innern,
Wenn meine Seele meiner Faust voraneilt
Und Reue sie vergeblich halten will,
Zerstreutheit scheinen, wie sie Künstlern eignet;
Und zwischen der Affekte zack'ge Klippen
Breit' ich das Thal erheuchelten Gemüts,
Werf' über meines innern Leib's Gebrechen
Den Schleier allen Greuls, Scheinheiligkeit.
Und so erschein' ich ein gutmüt'ger Poltrer.
Bete für mich, Olivier! Ach, bete,
Daß das Gespenst mich läßt. O bete, daß
Ich fromm kann werden. Keine Seligkeit
Muß reichen an den frommen Seelenfrieden.
Wie ein Verdammter, siehst du, könnt' ich heulen,
Mess' ich die Himmelshöhe jener Wonnen
An meiner Qualen Höllentiefe ab. –
Der Hoffnung grünes Eiland, ewig grün,
Des Glaubens blauer Himmel drüber hin –
(Er verliert sich ins Brüten.)
Hm ja; Aquamarin läßt schon sich sehn;
Jubelnder der Rubin; doch der Demant
Hat alle Farben, weil er keine hat,
Ist die Kokette drunter – – – –
(Wie aus einem Traum auf.)       Ja, – der Schmuck –
Der Schmuck, den ich der Scuderi gesandt –
(Sich besinnend)
Du hast ihn hingeschafft, Olivier.

Olivier. Ihr wißt es doch; ich hab' ihn hingeschafft.

Cardillac. Du hast ihn hingeschafft. – (Für sich.)
                                                    Ich wollte doch,
Er wär' noch da.

Olivier (für sich, ihn beobachtend). Gott! womit geht er um?

Cardillac (wie vorhin).
Erblassen, dacht' ich, sollte das Gespenst
Vor jener Heil'gen – denn so strahlt sie mir
Wehthuend in der Seele Aug'. Sie ist
Ein Kind des Tages. – Fort, Gespenst! Es geht
Nicht fort. Vielleicht, wenn ich was anders in
Die Händ' ihm spiele. Morgen mag der Graf
Miossens – (Wie erleichtert, reibt die Hände.)
                    Ja; das hilft; der muß – der muß.
Punkt elf – da um die Ecke – zwanzig Schritt.
Schon gut. – Der Himmel will mich nicht. Er stößt mich
Zurück. – Und dennoch wollt' ich doch, ich hätte
Den Schmuck noch von dem Fräulein – –
                                                                  Ah! Du bist
Noch da, Olivier? Es ist schon spät.
Schlaf' wohl. – Läg' er im Meer. – Ich schließ' die Hausthür. (Ab.)

Zehnter Auftritt.

Olivier allein, später Cardillac in der Thür.

Olivier. Ich weiß nicht, wach' ich oder träum' ich schwer?
Was will er von dem Fräulein Scuderi?
Will er sie morden um den Schmuck? – Wenn ich
Verhindern könnte, was der Unmensch brütet!
Da leuchtet mir zum zweitenmal der Stern;
Ist's Gottes Fügung, daß der Teufel selbst
Mich an die Retterin erinnern muß?
Heut nacht noch, wenn er schläft, mich niemand sieht,
Steig' ich durchs Fenster und durch die
Geheime Thür. Ja; ich muß zu ihr!
Diesmal wird mir's gelingen, sie zu treffen.
Wenn ich ihr sage: Anne Guiots Sohn
Fleht Euch um Rat, um Hülfe und um Rettung –
Behalten darf den Schmuck sie nicht. – Gewiß!
Sie ist so gut, so klug. Gewiß, sie weiß
Mir Rat, wie Cardillac unschädlich wird,
Ohne daß Madelon davon erfährt. –

Cardillac (erscheint in der Thür).
Bist du noch auf? Leg' dich zu Bett. (Ab.)

Olivier.                                                   Ja, Meister.
Ich geh' zu ihr, und sie wird Hülfe wissen. (Ab.)


Beim Fräulein von Scuderi.

Eine Thür im Fond und eine Seitenthür.

Elfter Auftritt.

Baptiste und die Martinière kommen im Streit durch die Fondthür.

Martinière. Kein Mensch kann durch verschlossne Thüren gehn.
Das kann nur der Gottseibeiuns.

Baptiste.                                            Drum hätten
Sie schließen sollen.

Martinière.                       Ich?

Baptiste.                                   Sie hatten mir
Die Schlüssel abgeschwatzt.

Martinière.                                   Geschwatzt? Mit Ihnen,
Da schwatzt man auch. Ich schwatze nicht mit Ihnen.

Baptiste. Ich werde wachen.

Martinière.                             Sie? O gehn Sie immer
Zu Bett. Die Augen fallen Ihnen zu.
Ich glaub', Sie schlafen stehend schon.

Baptiste.                                                       Madame!

Martinière. Monsieur!

Zwölfter Auftritt.

Das Fräulein. Die Vorigen.

Fräulein (aus der Seitenthür). Ei, Kinder! Lebt ihr stets im Krieg?

Martinière. Der Herr hier –

Baptiste.                                 Diese Dame hier –

Martinière.                                                              Er will –

Baptiste. Sie denkt –

Fräulein.                     Schon gut. Schon gut. – Was euch entzweit,
Ihr wunderlichen Kinder, sollt' euch einigen.
Ich weiß, es ist die Lieb' und Treu' für mich.
Du, lege dich, Baptist'. Ich weiß, du hast
Die ganze vor'ge Nacht gewacht. Und du,
Martinière, hilf mir, mich entkleiden.
(Da Baptiste zögert.)
Ei was! Ihr müßt mir folgen, junges Volk.
Schlaft! Ihr bedürft's. Was fürchtet ihr für mich?
Ein armes Fräulein, das nichts hat als Bücher
Und etwas Staat, darin an Hof zu gehn,
Das ist, so hoff' ich, doch vor Räubern sicher.

Baptiste. Gehn will ich; aber schlafen? Gnädig's Fräulein –

Martinière, Mein Gott, so gehn Sie nur.

Baptiste.                                                 Sie – Sie – o Sie –

Fräulein (gibt ihm die Hand).
Kehr' dich doch nicht an die. Schlaf' wohl, Baptist'!

Baptiste. Die heil'ge Frau thu', was Baptist' nicht kann.
(Küßt ihr die Hand und geht )

Dreizehnter Auftritt.

Das Fräulein. Die Martinière.

Fräulein. Heut nacht träumt' ich zweimal von Anne Guiot.

Martinière. An was man denkt, das träumt man. Sie verdient nicht,
Die Undankbare, daß Sie an sie denken.

Fräulein. Wie hart du bist.

Martinière.                         Was Sie an ihr gethan,
Die rechte Mutter that es nicht. Sie nahmen
Das Mädchen von der Straße auf, in Lumpen
Gehüllt, vor Frost und Hunger zähneklappend;
Erzogen sie mit Muttertreu' und Sorgfalt,
Und als ein braver Werber sich gefunden,
Entblößten Sie sich selbst, um sie zu kleiden.

Fräulein. Wer weiß, welch traurig Schicksal sie verhindert,
Ein Zeichen ihres Lebens mir zu geben,
Wenn sie noch lebt. Ich müßte mich erkund'gen.

Martinière. Und haben Sie das nicht gethan?

Fräulein.                                                         Ja. Doch
Wie einer nur, der etwas thut, damit
Er sich nichts vorzuwerfen haben will.

Martinière. Ich leid' es nicht, daß Sie sich unrecht thun.
Sie thaten, was Sie konnten.

Fräulein.                                       Zwanzig Jahr'
Nun müßt' Olivier sein, wenn er noch lebt,
Das arme, liebe Kind; wer weiß, wo es
Jetzt darbt, und ich leb' hier im Überfluß!

Martinière. Nun freilich. Und nun fehlt nur, daß Sie sagen:
Sie sind an seinem Unglück schuld.

Fräulein,                                                   Vielleicht,
Wenn ich es sagte, sagt' ich nur die Wahrheit.
Ich ließ sie ziehn mit ihrem Mann.

Martinière.                                           Er hatte
Das Heimweh. Wollen Sie den Schweizer halten,
Wenn ihn das Heimweh faßt? Das war' sein Tod.

Fräulein. Du bist ein guter Anwalt, wenn es mich
Verteid'gen gilt. Nun geh! Daß du nicht wachst!
Die Straße wird nicht leer von Degrais' Wächtern.
Schlaf' wohl! Vielleicht gibt mir's ein freundlicher
Engel im Traum, wo Anne Guiot lebt.

(Martinière küßt ihr die Hand.)

Martinière. Ich schließe nur die Thüren.

Fräulein geht ab durch die Seitenthür.

Martinière.                                               Sie ist selbst
Ein Engel. Und die Martinière fleht,
Der Himmel soll ihn noch der Erde gönnen,
Bis sie ihn einst begleiten darf.

(Sie geht. Gleich darauf kommt:)

Vierzehnter Auftritt.

Olivier außer sich; die Martinière hinter ihm.

Martinière (erst noch in der Szene).         Baptiste!
Schnell rufen Sie die Wache! Räuber! Mörder!

Olivier. Ich muß sie sprechen. Still! wollt Ihr nicht sterben.

Martinière (hat ihm die Seitenthür abgewonnen, die sie mit ihrem Rücken deckt).
Versucht's! Doch lebend lass' ich Euch nicht zu ihr.

Olivier, O Gott! So nah' dem Ziel und sollt' es nicht
Erreichen. – Habt Erbarmen! Die Verzweiflung
Trieb mich, den Dolch zu ziehn. Ich muß sie sprechen.
Frau Martinière, denn das seid Ihr doch; –
Hier liegt mein Dolch. Ist Euch ihr Leben lieb,
Laßt mich zu ihr. Ich bin –

Fünfzehner Auftritt.

Das Fräulein. Die Vorigen.

Olivier.                                       Da ist sie selbst.
O Gott sei Dank!

Fräulein.                     Wer rief nach mir?

Martinière.                                                 Laßt ihn
Euch nicht so nah'. Dank sei der heil'gen Jungfrau –
Hört ihr die Waffen? und Baptistes Stimme?
Die Wache kommt!

Olivier.                           So muß ich eilen. Fräulein,
Bei Gott und allen Heil'gen fleh' ich Euch,
Schickt morgen jenen Schmuck an Cardillac,
Den Ihr zu Nacht erhieltet. Schickt ihn hin,
Er soll die Steine anders fassen. Mehr
Kann ich nicht sagen. Mich vertreibt mein Schicksal.
Schickt, Fräulein, schickt! – Eu'r Leben hängt daran. (Ab.)

Sechzehnter Auftritt.

Vorige ohne Olivier.

Fräulein. Was wollte dieser Mensch?

Martinière.                                           Nach Euch verlangt' er.
Der Schreck! Die Angst! Nun die Gefahr vorbei ist,
Nun fühl' ich erst, wie ich erschrocken bin.
Ob sie ihn haben? (Am Fenster.)
                              Nein; da eilt er hin, –
Der Bösewicht.

Fräulein.                   Die Haare flogen wild
Ihm um die bleiche Stirn; es zuckten ihm
Die Lippen fieb'risch; doch im Auge selbst
Lag etwas freundlich Frommes. Fast erinnert'
Er mich an Anne Guiot –

Martinière.                             Freilich, was
Das Herz erfüllt, das kommt uns in die Augen.
Sind wir betrübt, gleicht alles unserm Kummer.
Ich sah ihn schon einmal; es ist derselbe,
Der von den Räubern Euch den Schmuck gebracht.

Fräulein. Nicht möglich!

Martinière.                       Darum sprach er von dem Schmuck.
Oh gebt ihn weg, den unglücksel'gen Schmuck.
Es ist kein Segen dran. – Da kommt Baptiste.

Siebzehnter Auftritt.

Baptiste. Vorige.

Martinière. Nun? Haben Sie den Menschen? Ja; Sie sind
Der Rechte!

Baptiste (keuchend). Er war schon zu weit. Er hatte
Zu viel Vorsprung.

Martinière.                     Zwei Schritte.

Baptiste.                                                 Wenigstens
Zweihundert.

Fräulein.               Laß es gut sein, ehrlicher
Baptiste. Sie neckt doch nur. Sie macht's nicht anders.
Du kennst sie ja. Dafür ist sie ein Kind
Auch noch.

Baptiste.             Ein Kind von fünfzig Jahren.

Martinière.                                                         Fünf-
Undvierzig erst, wenn Sie erlauben, Herr.

Fräulein. Da bist du fünfzehn älter, mußt drum klüger
Auch sein, Baptist'. – Ja, Jugend hat nicht Tugend.
Man hat seine Not, in Ordnung euch zu halten,
Ihr junges Volk. Nun geht; geht. Gute Nacht!

(Alle gehen.)

Vorhang fällt. Ende des zweiten Aufzugs.

 


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