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9. Kapitel.

Ein böser Anschlag der alten Zigeunerin. Said kommt nach Groß-Tarnow. Ende gut, alles gut.

 

Das Havelland und die Grafschaft Ruppin waren durchzogen, und es sollte durch die Ost-Prignitz nach Mecklenburg hinaufgehen, als ein unerwartetes Ereignis eintraf.

Der Anführer der Zigeuner, eben jener, der Said aufgefordert hatte, mit ihnen zu ziehen, war in einem kleinen Flecken, Wuthenow, beim Diebstahl einer fetten Gans vom Gehöft eines Großbauern ertappt worden und wurde ins schwarze Loch abgeführt.

Das war ein schlimmer Verlust für den Trupp.

Einige Tage hielt man sich im Walde in der Mähe auf, aber in der Hoffnung, daß es dem Gefangenen mit der Zeit gelingen wurde, zu entwischen und wieder zu ihnen zu stoßen, ging es schließlich in der vorgesetzten Richtung weiter.

Das Regiment führte jetzt eine alte Zigeunerin, die Frau des Diebes, und sie stand ihrem Mann an Klugheit und Verschlagenheit in nichts nach. Ja, wenn es galt lange Finger zu machen, war sie stets dabei, und es war nur ein Zufall gewesen, daß sie bei dem Gänsediebstahl nicht dabei gewesen war. Daß man ihren Mann gefaßt hatte, daraus zog sie durchaus nicht den Schluß, daß es besser sei nicht zu stehlen, sondern sich lieber aufs Betteln zu beschränken, sondern ihre Folgerung war nur, daß man das Diebeshandwerk mit größtmöglichster Schlauheit betreiben müßte. Unter dem Vorwand, den Leuten die Zukunft zu prophezeien, schlich sie sich in die Häuser ein, erspähte die Ortsgelegenheit und nachts wenn alles schlief, verschwand dann wohl ein Schinken aus dem Rauchfang, ein paar Hühner vom Hof oder gar das Bargeld aus der Kommodenschublade.

Aber die Alte ließ sich nicht fassen.

Im übrigen führte sie das Kommando in der Truppe strenger als ihr Mann, und bei den Kindern setzte es häufig einen Puff oder Hieb, wenn irgend etwas nicht nach ihrem Sinn ging. Said war oftmals das Herz schwer, wenn er an seinen guten Herrn dachte und daran, wie es ihm jetzt wohl ginge. Der Wunsch, Hans Bienegg wiederzusehen, wurde manchmal so lebhaft in ihm, daß er ernsthaft mit dem Plan umging, bei Nacht und Nebel auszureißen und wieder zurückzuwandern nach der fernen großen Stadt. Nur die Furcht vor dem alten Herrn Bienegg hielt ihn davon zurück und der Gedanke, daß er vielleicht den weiten Weg nicht wiederfände bis zu seinem Herrn. Aber der kleine Said war seinem Herrn näher als er ahnte.

In der Gegend von Wittstock, wo die Zigeunertruppe gerade bei einem größeren Flecken Halt gemacht hatte, lag ja auch Groß-Tarnow, wohin Hans wenige Stunden nach Saids überstürzter Flucht übersiedelt war, und wo sich der Schwerkranke bereits auf dem Wege der Besserung befand.

Die alte Zigeunerin hatte auch längst von dem reichen Besitzrum Groß-Tarnow gehört und beschlossen, es der Marschroute einzuverleiben.

Eines schönen Abends ward am Rand des Waldes, von dem man bereits den Blick auf die Türmchen des Tarnower Herrenhauses hatte, Rast gemacht, und die Alte begab sich zunächst mal allein auf den Weg nach dem Gut zum auskundschaften. Sie hatte vor, sich vor allem in der Küche Freunde zu machen, dem Wirtschaftspersonal die Zukunft zu prophezeien und sie über die Herrschaft auszufragen, sowie die Örtlichkeiten sich genau einzuprägen. Gewiß gab es auf dem großen Gute etwas zu holen, und in bester Laune langte die Alte auf dem Gehöft an. Mit unterwürfiger Miene grüßte sie die Knechte, die ihr begegneten, und der Wirtschafterin gegenüber, die eben aus der Thür trat erschöpfte sie sich in Ehrfurchtsbezeugungen. Schon hatte sie unbehelligt die Kellertür erreicht und wollte eben ins Haus schlüpfen, als ihr der alte Herr Bienegg entgegentrat.

»Hier ist kein Eingang für Gesindel,« herrschte er sie an, »allons, marsch, fort!«

»Mein guter Herr, ich bitte schon, ich bin eine ehrliche Frau, kann Kartenschlagen und die Zukunft voraussagen, bitte schön, guter Herr, die Köchin unten ist mir bekannt,« – das log die Alte, wenn sie nur Eintritt erhielt, auf eine Lüge mehr oder weniger kam es ihr dabei nicht an.

Doch der alte Herr unterbrach sie: »Pack Dich fort, alte Hexe, oder« – und er erhob drohend seinen Stock.

Noch einmal wollte die Zigeunerin es mit demütiger Bitte versuchen, aber mit Herrn Bienegg war nicht zu spaßen, zumal wenn er ärgerlich war. Und das war er heute. Eben hatte ihm ein Knecht beim Hereinfahren die Deichsel des Wagens zerbrochen und heut Morgen waren ein paar seiner fettesten Gänse krepiert. Da war schon den ganzen Tag nicht gut Kirschen essen mit dem alten Herrn. Zudem war ihm alles fahrende Volk im Grunde seiner Seele zuwider, und als die Alte sich nun nicht sogleich anschickte, seinem Befehl zu gehorchen, holte er wirklich zum Schlage aus. Wäre die Zigeunerin nicht schleunigst bei Seite gesprungen, hätte sie leicht einen kräftigen Hieb auf ihrem mageren Rücken zu kosten fliegen können. Schneller als sie gekommen, trat sie ihren Rückzug an, denn ein paar Knechte waren auf den Wink ihres Herrn sofort zur Stelle und machten ihr sehr handgreiflich verständlich, daß sie hier nichts zu suchen habe.

Wütend über die erlittene Unbill und noch wütender darüber, daß ihr ein guter Fang entgangen war, langte die Alte bei den übrigen Zigeunern wieder an, und schwarze Rachegedanken tauchten vor ihrem Innern auf. Ja, in ihrem Jähzorn lag ihr jetzt weniger am Stehlen wie daran, dem Tyrannen von Tarnow für seine schmähliche Behandlung einen gewaltigen Tort anzuthun. »Den roten Hahn setze ich ihm auf das Dach, den roten Hahn,« murmelte sie zwischen den Zähnen, und ehe die Nacht herniedersank, stand bereits der Plan zur Ausführung ihrer Unthat bei ihr fest.

Vor dem Haus breitete ein großer Nußbaum, der bis an das Dachgesims reichte, seine Äste aus. Da sollte Said hinauf! Der konnte klettern wie keiner! Der mußte dann durch eine Bodenluke in den Bodenraum gelangen und hier den Feuerbrand legen. Das von der heißen Sommersonne ausgedörrte Gebälk, würde ja, brennen wie Stroh! Während dann alles beim Löschen war konnte man unbeobachtet dieses und jenes in Haus und Hof an sich nehmen, und ehe der Morgen graute und die Ortspolizei aufmerksam würde, wäre man über alle Berge.

Die Alte hieß deshalb die Zigeuner wach zu bleiben und alles zum Aufbruch bereit zu halten. Sobald man vom Walde aus den Feuerschein über Groß-Tarnow wahrnehmen würde, sollten einige der gewitzigsten Burschen ihrer Truppe nach dem Guthaus eilen und gemeinsam mit ihr zu stehlen versuchen, so viel in der Eile nur immer an ginge, aber vor Morgen, bevor es hell würde, müßte aufgebrochen werden, deshalb sollten die übrigen zurückbleiben und sich bereit halten.

Dann wurde Said bei Seite genommen und ihm bedeutet, daß er auserlesen sei, einen wichtigen und gefährlichen Plan auszuführen.

Said war es dabei gar nicht geheuer.

»Said schlafen, bitte, Said so müde«, bat er ein paarmal, aber dieser Wunsch blieb unberücksichtigt, er mußte der Alten folgen, so widerstrebend er das auch that. Seine einzige Genugthuung war, daß er im letzten Moment noch heimlich Joko mitgenommen hatte. Unbeobachtet hatte er ihn unter der Jacke eingeknöpft und kraute ihm vorsichtig von Zeit zu Zeit den Kopf, um sich selbst Mut zu machen, während er mit der alten Zigeunerin durch Nacht und Nebel dem unbestimmten Ziel, wo ihm unbestimmte Schrecknisse zu drohen schienen, zuschritt. Joko schlief und rührte sich nicht. Ihm war der Platz an Saids Herzen gerade recht, obgleich dies Herzchen gar laut und ängstlich heut klopfte, und die Hand, die Jokos Köpfchen kraute, öfter bedenklich zitterte.

Endlich langte man an dem Park von Groß-Tarnow an, der nur durch eine niedere Einzäunung von den Feldern abgetrennt War. Dies Hindernis war leicht zu übersteigen, und bald standen Said und die Zigeunerin angesichts des im nächtlichen Dunkel daliegenden Gutshauses.

Jetzt erst eröffnete die Alte Said leise und eindringlich, was er zu thun hätte.

»Siehst Du den Nußbaum dort, Said?«

»Ja.«

»Da mußt Du hinaufsteigen, bis oben an das kleine Dachfenster. Siehst Du das dort oben, die Luke, die geschlossen ist?«

»Ja.«

»Die schlägst Du ein und springst von da aus auf dem Boden und hier«, sie schlug ihr Tuch auseinander und holte einige bis dahin verborgene, trockene Stücken Reisig hervor, »hier ist das Holz, das Du dort oben sorgfältig übereinander legst und dann in Brand steckst. Du begiebst Dich aber erst auf den Rückweg, wenn Du siehst, daß es wirklich brennt, verstehst Du nach wohl? Es muß brennen in heller Flamme!«

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Said hatte wohl aufgemerkt und war den Worten der Alten gut gefolgt, jetzt aber rief er plötzlich ganz erschrocken: »O, o, großes, schönes Haus wird brennen, wenn Said Feuer macht unter Dach.«

»Wirst Du still sein und nicht schreien, Bengel«, herrschte ihn die Zigeunerin, an sich hastig umblickend, ob auch niemand in der Nähe sei, dann fuhr sie leise und eindringlich fort: »Du erhältst einen schönen Lohn, wenn es gut brennt, klingende Münze, kannst Dir Süßes kaufen dafür, was Dir schmeckt und eine neue Mütze, aber mach' Deine Sache geschickt, Said«, und sie wollte ihm Holz, und Feuerzeug in die Hand drücken.

Said jedoch wich scheu zurück.

»Said nix kaufen will, nix, nix, nur nicht brennen lassen, nicht brennen.«

Er sah sich um, ob nicht die Gelegenheit gekommen sei, sich dem Staube zu machen, aber schon hatte ihn die alte Zigeunerin beim Handgelenk gefaßt und ihre Augen funkelten wild und böse.

»Du willst nicht, Bursche«, zischte sie, »ich schlage Dich auf der Stelle tot, wenn Du es nicht thust.«

Der kleine Said zuckte unter diesen Worten zusammen, gleich als fühlte er schon den Schlag, und damit er nicht etwa an der Wahrheit der Worte der Alten zweifeln sollte, hielt die ihm die eine Faust jetzt dicht vor die Augen und drückte mit der andern sein Handgelenk wie im Schraubstock zusammen.

»Nicht schlagen«, stammelte der Kleine, »Said will thun, will thun.«

Die Alte atmete auf. Sie hatte auf Widerstand nicht gerechnet gehabt, war aber nun um so froher, daß es ihr gelungen war, den Jungen so bald einzuschüchtern. Mit einigen eindrücklichen Kniffen händigte sie ihm Holz und Feuerzeug aus, und mit drohender Gebärde wies sie dann auf den Baum, auf den Said jetzt gehorsam zuschritt.

Es war gegen elf Uhr nachts und alles lag wohl sicher im tiefen Schlaf. Trotzdem aber spähte die alte Zigeunerin wachsam nach rechts und links, während Said gewandt wie ein Affe und lautlos wie eine Katze an dem Nußbaum emporklomm. Schon war das obere Stockwerk erreicht und Said sah dicht über sich die Bodenluke, als ihn ein schwacher Lichtschein, der aus einem Giebelfenster fiel und von unten nicht sichtbar gewesen war, aufmerken ließ.

Er beugte sich vor, um durch das etwas zurückliegende Fenster einen Blick in den dahinter liegenden Raum zu gewinnen, in dem eine Kerze brennen mußte.

Aber was war das? Sah er denn wirklich recht? Ein matter Kerzenschimmer fiel auf ein im Hintergrund des Zimmers aufgestelltes Bett und – der dort das Haupt aus den Kissen erhob, um sich von der über ihn gebeugten Gestalt ein Glas Wasser reichen zu lassen – das konnte niemand anders sein – das war niemand anders, als Saids lieber, guter Herr – Hans Bienegg, an den der Kleine unausgesetzt in Sehnsucht gedacht hatte.

Said konnte einen freudigen Aufschrei nicht unterdrücken und nun wandte sich die Gestalt neben dem Bette um – Frau Rebling. Sie trat an das Fenster, dasselbe zu öffnen, um nachzusehen, was es gäbe, – und mit einem Satz und einem hellen Aufjubeln war Said drinnen und lag auf den Knieen vor dem Lager seines Herrn,

Dieser selbst war noch zu schwach, um recht zu erstaunen oder über den Zusammenhang der Dinge nachzudenken. Er horchte kaum auf das, was Said in atemloser Erregung hervorbrachte, um so besser aber merkte Frau Rebling auf, sobald sie sich von dem ersten Schreck erholt hatte. Das Feuerzeug, sowie das trockene Reisigbündel sprachen deutlich genug für die Wahrheit dessen, was jener erzählte, und Frau Rebling zögerte nicht, alsbald den Gutsherrn und die übrigen Bewohner des Gutshauses zu wecken und in Kürze von dem Vorgefallenen zu berichten, damit schleunigst die Verfolgung der Zigeuner aufgenommen würde.

Zwar hatte die alte Zigeunerin schnell genug gemerkt, daß nicht alles programmmäßig vor sich ging und sich bei Saids erstem Aufschrei eilends aus dem Staube gemacht. Es gelang ihr indessen nicht zu entkommen, sondern sie und ihre ganze Bande wurden dingfest gemacht.


Es bleibt uns nur noch wenig hinzuzufügen:

Selbst der gestrenge, alte Herr Bienegg brachte es nicht über das Herz, den treuen, kleinen Diener zum zweiten Mal von seinem Herrn zu trennen. Said durfte helfen Hans gesund zu pflegen und folgte ihm dann zurück in das uns bekannte Heim. Später kam Said in Berlin auf die Fahrschule, wo er zu einem tüchtigen, brauchbaren, herrschaftlichen Kutscher ausgebildet wurde.

Nach dem Tode des alten Herrn Bienegg ist Hans Besitzer von Groß-Tarnow geworden, wo er allsommerlich verschiedene Monate zubringt. Am 6. September 1900 hat er eine reizende junge Hausfrau heimgeführt, die jetzt als Herrin auf Groß-Tarnow waltet.

Schwesterchen Emma ist Frau Dorn geworden, wodurch sich die alten Freundschaftsbande zwischen Werner und Hans nur noch herzlicher geknüpft haben.

Die blonde Portiersguste hat nach ihrer Einsegnung eine Stellung als Kindermädchen angenommen, aber der schwarze Said ist ihr immer noch gut, und ihre Freundinnen necken sie, daß sie doch noch über kurz und lang Kutschersfrau auf Groß-Tarnow werden wird.



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