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1. Kapitel.

Wie zwei große weiße Männer mit einem kleinen Schwarzen Freundschaft schließen und alle zusammen ein gefährliches Abenteuer erleben.

 

Es war ein schöner Märzmorgen im Jahre 1892. Auf dem Marktplatz eines größeren Eingeborenen-Dorfes in Oberägypten herrschte aber trotz der frühen Morgenstunde schon reges Leben. Dattelverkäufer in langem Mantel und buntem Turban riefen ihre Waren aus und Wasserträger schleppten keuchend ihre schweren Schläuche auf dem gekrümmten Rücken daher.

Am lautesten ging es indessen am Eselstand her.

»Guter Esel – schöner Esel – Kaprivi-Esel, Herr – Bismarck-Esel«, so scholl der Chor der Eseljungen um einen Trupp Reisender herum, die sich eben durch das Markttreiben Platz gebahnt hatten und bei dem Eselstand angelangt waren.

Jeder der kleinen dunklen Eseltreiber suchte seinen Esel im besten Lichte darzustellen; reichten die wenigen deutschen Worte, deren sie mächtig waren, dazu nicht aus, so ging es auf arabische weiter. Und die Heimatssprache wurde mit so deutlicher Gebärdensprache begleitet, daß es unschwer war den Sinn derselben zu erraten. War es doch immer nur das eine was Augen, Mund und Hände auszudrücken suchten: »O Herr, reite auf meinem Esel und auf keinem anderen.«

»Alles mögliche, daß die Jungens überhaupt einige Brocken unsrer edlen Muttersprache aufgeschnappt haben«, meinte ein junger Mann in grauem Reiseanzug zu seinem Nachbar gewandt, der, mit ihm etwas abseits stehend, der Entwicklung der Dinge zugeschaut hatte.

»Mir vergeht ganz die Lust zum Reiten, Hans«, entgegnete der andere, »wenn ich die elenden Esel sehe, die so klapprig auf den Beinen sind als sollten sie jeden Moment zusammenbrechen und die greulich schmutzige Eingeborenenjugend dabei.«

»Ach was«, versetzte der erste, »ich finde das alles höchst unterhaltend. Auf eleganten Pferden im Tiergarten herumzureiten, das kannst Du zu Haus alle Tage haben, lieber Junge. Aber auf Eseln durch die libysche Wüste zu traben, das ist doch mal was anderes.«

Der Kleinste aus der Schar der schwarzen Eseltreiber, der die beiden Freunde während des kurzen Zwiegesprächs verlangend betrachtet hatte, war jetzt schüchtern herangekommen, sein Reittier am Zaum führend:

»O Herr, guter Herr – Esel –!« ließ er flehentlich seine weiche, melodische Kinderstimme vernehmen, »o guter Herr, guter Herr!«

»Der preist den Herrn, statt des Esels«, lachte der mit Hans angeredete der beiden Freunde. »Wie heißt denn Dein Esel, Junge?« fragte er den Kleinen.

»Dandraschy.«

Aber jetzt drängte die Schar der größeren Eseljungen herbei. Sie hatten anfänglich die abseits bleibenden beiden Herren in Ruhe gelassen und den Teil der Reisenden umringt, die sogleich die Absicht kund gegeben hatten einen Eselritt zu unternehmen. Diese waren nach vielem Handeln und Feilschen mittlerweile aufgesessen, und eine ganz stattliche Abteilung der Vierfüßler setzte sich mit ihren Treibern in Bewegung, während der Rest mit verdoppeltem Geschrei sich auf unsre beiden Freunde stürzte.

»Hans, ich mache mich davon und verzichte auf den Ritt«, erklärte der jüngere der beiden Herren.

Aber der andere, den das Treiben sichtlich ergötzte, lies das nicht zu.

»Nein, nein, Werner, das wird nichts, hier, steige nur auf diesen köstlichen, weißen, Bismarck geheißenen, Esel«, drängte er.

»Bismarck ist wohl Sammelname hier«, brummte der andere, ließ sich aber doch herbei sich in den Sattel zu schwingen.

»Und ich nehme Dandraschy«, entschied Hans und machte sich mit seinem Spazierstock durch die Reihe der Eseljungen Bahn zu jenem kleinsten, der längst von den anderen größeren und stärkeren wieder bei Seite geschoben war.

Ein glückseliger Blick aus zwei kohlschwarzen Augen belohnte ihn für seinen Entschluß, und der Kleine erhob mit stolzer Freude seinen Stock und schwang ihn durch die Luft um den Esel, sobald sich der Fremde im Sattel befand, durch einen tüchtigen Schlag anzutreiben.

Aber Hans verwehrte ihm das.

»Nicht schlagen«, sagte er kurz und streng, worauf der kleine Bursche gehorsam, obgleich im höchsten Grade erstaunt, den Stock sinken ließ.

Dandraschy setzte sich auch ohnedies, kaum daß er die Last auf seinem Rücken verspürte, aus alter Gewohnheit in Bewegung, und es war ein ganz gutes Tempo, das er anschlug.

Der gute Dandraschy wurde so häufig mit seinem kleinen Treiber bei Seite geschoben wenn es galt Reisende zu bedienen, daß er lange nicht so abgejagt war wie die andern Tiere um diese Jahreszeit, und obgleich unansehnlich von Farbe und Gestalt konnte der brave Grauschimmel es doch mit jedem, andern aufnehmen.

Hans Bienegg merkte bald, daß er zufrieden sein durfte mit seiner Wahl, denn sein Freund war bereits ein gut Stück hinter ihm zurückgeblieben.

»Wo wollen wir denn eigentlich hinreiten, Werner?« rief er über die Schulter fort fröhlich dem andern zu.

Und dieser entgegnete: »Wenn möglich nur nicht der ganzen Gesellschaft da vor uns nach. Die wirbeln einen fürchterlichen Staub auf und reiten natürlich nach den Königsgräbern. Ich aber gebe was drum, wenn ich keine Gräber mehr zu sehen brauche, ich habe in Egypten die Grabstätten sovieler alter Könige und Königinnen gesehen, daß mir das ganze Land wie ein Kirchhof vorkommt.«

Hans hatte seinen Esel angehalten.

»Also Jungens, wohin reiten wir?« wandte er sich an die Eseljungen.

»Gräber«, sagten diese einstimmig und wiesen mit der Hand vorwärts auf die dichte Staubwolke, die die Voranreitenden fast ganz einhüllte.

»So, dorthin geht es nach den Gräbern«, meinte Hans, »dann reiten wir also nach der entgegengesetzten Richtung, da soll, wie mein Reisehandbuch besagt, ein hübscher Weg durch ein Felsthal des libyschen Gebirges zu einem sehr malerischen Fellachen-Dorf führen. Also los! Ich möchte gern mal einige echte Fellachen, diese Bauern Oberegyptens in ihren Behausungen sehen.«

Und nun ging es in veränderter Richtung durch den lockeren, gelben Wüstensand auf die fernen blauen Berge des libyschen Gebirges zu. Es war ein glühend heißer Tag und unsre beiden Freunde entledigten sich alsbald ihrer Jacken ohne sich indessen dadurch wesentliche Erleichterung zu verschaffen.

»Auch in Hemdsärmeln wird man hier gebacken«, meinte Werner.

Und Hans äußerte: »Ich begreife blos nicht, wie diese Schwarzen es aushalten, stundenlang in der Sonnenglut hinter den Eseln herzutraben und noch dazu barfuß durch den brennenden Wüstensand.«

»Das wird wohl die Gewohnheit machen«, sagte Werner gelassen; daß die Eingeborenen unter der Hitze litten, schien ihn nicht zu beunruhigen. Weit unangenehmer war ihm die Wirkung der Sonne bei sich selbst. Er hatte sich sein Taschentuch unter dem Hut über den Kopf gelegt und ließ es über den Nacken herunterfallen, um keinen Sonnenstich zu bekommen. Dabei dachte er sehnsüchtig des schönen kühlen Gasthauszimmers, das er aufgegeben für diesen thörichten Ritt, und er schwor sich insgeheim zu, Freund Hans in Zukunft seine Ausflüge allein machen zu lassen. Es dauerte ihn schon beinah, die Reise auf Zureden seines Freundes mit unternommen zu haben. Werner Dorn war sehr für die Bequemlichkeit und nur die vielen begeisterten Reiseschilderungen Hans Bieneggs hatten ihn vermocht jenen auf die weite Fahrt in das Land der Pyramiden, Egypten, zu begleiten. Ganz anders Hans Bienegg; er war schon viel gereist und nur zu gern verließ er alljährlich die Großstadt, um andre Länder und Leute kennen zu lernen. Ihn focht Ermüdung, Hitze und Kälte durchaus nicht an, wenn es galt die Welt zu sehen, und so vermochte auch heut der sengend heiße Wüstenritt seiner guten Stimmung durchaus nichts anzuhaben. Da die Unterhaltung mit Werner nicht recht in Fluß kommen wollte, hatte er sich wieder seinem kleinen Eseljungen zugewandt.

»Junge, wo habt Ihr eigentlich Euer Deutsch gelernt?« fragte er den Kleinen.

»Ebrahim Hassan«, sagte dieser und deutete auf seinen Genossen.

»Ebrahim Hassan, wo hat es denn der her?«

»Ebrahim Hassan, Deutschland!« lautete die Antwort.

»Der ist in Deutschland gewesen, wieso denn das?« fragte Hans belustigt und er rief Ebrahim heran. »Wo und wie warst Du in Deutschland, Bursche?«

»Vor eins, zwei, drei Jahr«, jener zählte die Zahl der Jahre, die sein Besuch in Deutschland zurücklag an den Fingern her, »in Zoologisches Garten, Berlin, Hamburg mit Nubier.«

Hans Bienegg lachte: »Mit den Nubiern bist Du im Zoologischen Garten gewesen«, sagte er, »ei, dann sind wir ja alte Bekannte. Da habe ich Dich natürlich auch gesehen. Also Ihr seid Nubier?«

»Ich Nubier, Said Sudanese.« Damit deutete er wegwerfend auf den Kleinen. Nubier zu sein mußte ihm als etwas besonders stolzes erscheinen, vielleicht deshalb, weil die Nubier in den zoologischen Gärten der fremden Länder gezeigt wurden.

»Und Du hast Said das deutsch sprechen beigebracht?« fragte Hans von neuem das Gespräch fortführend.

»Ja«, entgegnete der andere selbstbewußt, »aber Said nix viel lernen, Said schwach hier«, er deutete auf den Kopf. »Ebrahim klug sein.«

»Na, Bescheidenheit scheint Dein Fehler gerade nicht«, bemerkte Hans, »haben denn die andern besser gelernt als Said?«

»Wohl manche«, lautete die Antwort. »Mansur-Bruder schön spricht, Mansur-Bruder Portier in Hotel.«

»Ah, unser schwarzer Portier im Hotel ist Dein Bruder. Sieh, sieh, und dem hast Du auch Deutsch beigebracht?«

»Ja«, Ebrahim Hassan warf sich stolz in die Brust, im nächsten Moment aber sprang er auf den Bismarck-Esel zu, den er nicht aus den Augen gelassen hatte, um dem Tier, das eben aus einem nicht ersichtlichen Grunde scheute, einen kräftigen Schlag zu versetzen.

»Pfui doch mit Eurem ewigen Schlagen«, sagte Hans, »sieh doch erst zu was das Tier hat.«

Doch ehe er ausgesprochen, hatte der schwarze Bursche einen lauten Schrei ausgestoßen und wich erschrocken vor einer Schlange zurück, die unter einer Sanddistel hervorgeschnellt war.

Schon aber war der kleine Said bei der Hand. Den Stock, den er zum Antreiben des Esels hatte, hoch in der Luft schwingend, stand er im Nu neben Ebrahim und kräftig ausholend, hieb er der giftigen Natter gerade auf den Kopf. Noch einen Schlag und noch einen und das Tier rührte sich nicht mehr.

»Bravo, Said«, rief Hans, der vom Esel gesprungen war, die Schlange aus der Nähe zu betrachten, und auch Werner beugte sich über den Hals seines Esels herab, das schön gezeichnete Exemplar einer libyschen Wüstenschlange sich genau anzuschauen.

»Ist sie giftig?« fragte er.

»O Herr, ein Biß, gleich ganz tot«, beeilte sich Ebrahim zu erwidern. Man konnte ihm ansehen, daß er sich von seinem Schrecken noch immer nicht ganz erholt hatte, während der kleine tapfere Said sich ruhig anschickte seinen Esel weiter anzutreiben.

»Halliup, Dandraschy«, das war der Ruf, den er schon zahllose Male wiederholt hatte und auch jetzt wieder gebrauchte. »Halliup Dandraschy!«

Gehorsam wollte sich der Esel in Bewegung setzen, Hans aber hielt ihn noch einen Moment zurück.

»Die Schlange wollen wir nicht liegen lassen, Said, willst Du sie mir schenken?«

Der Kleine verstand ihn zunächst nicht, als ihn aber Hans bedeutete die tote Schlange an seinem Sattel festzubinden, war er gern dazu bereit.

»Daraus lasse ich mir eine Zigarettentasche machen«, schmunzelte Hans, »die Schlangenhaut ist großartig. Es gäbe auch einen hübschen Gürtel für Schwesterchen Emma«, setzte er gutmütig hinzu.

Werner äußerte zwar seine Bedenken wie das Reptil bis Deutschland zu befördern sein möchte, Hans aber erklärte, die Haut würde abgezogen, dann nehme sie gar keinen Platz ein und zu Hause würde ihn jeder darum beneiden.

Sie waren mittlerweile bis an den Rand des Gebirges gekommen und die Esel hatten jetzt zu klettern. Ohne Weg und Steg ging es durch das Steingeröll zur Höhe empor. Über ein Hochplateau sollte man zu dem Dörfchen Benisar gelangen, das zwischen Palmen in einer kleinen Einbuchtung des Gebirges lag. Aber das Hochplateau war erreicht und nichts war zu blicken. Kein Haus, kein Mensch weit und breit.

Hans wandte sich an die Eseljungen.

»Ebrahim, Said, wo geht der Weg nach Benisar?«

»Dorthin« zeigte Ebrahim und »Da« zeigte Said, die Arme nach entgegengesetzten Richtungen ausgestreckt.

»Hier giebt es zwei Benisars oder die Jungen haben keine Ahnung«, sagte Hans belustigt.

»Wahrscheinlich ist das letztere der Fall«, bemerkte Werner trocken. »Ich schlage vor wir reiten zurück und lassen Benisar Benisar sein.«

»Das wäre zu schade«, meinte Hans, »ich bin viel mehr dafür, daß wir unserm wackren kleinen Said, dem Schlangentöter, folgen.«

Aber Werner äußerte: »Dann scheint mir Ebrahim als der ältere immerhin vertrauenswürdiger.«

»Auch gut«, erklärte Hans, der mit allem zufrieden war. »Also Ebrahim führe!«

Ebrahim schien seiner Sache wirklich sehr sicher, denn mit großer Bestimmtheit trieb er seinen Bismarck-Esel bald rechts bald links, bald kleine Anhöhen hinan, bald in einer Sandmulde geradeaus vorwärts, und Hans auf seinem Dandraschy, von Said gefolgt, trottete gemächlich hinterher.

Zuletzt ging es zwischen Geröll und Steinen auf halsbrecherischem Pfade einen ziemlich hohen und sehr steilen Berg hinan. Werner fing bereits an ungeduldig zu werden, aber Ebrahim erklärte mit Sicherheit, es sei kaum eine Viertelstunde mehr bis Benisar. Sobald man die Spitze der Anhöhe erreicht habe, müsse man es dicht vor sich sehen. Benisar hatte eine neue Anziehungskraft für Werner bekommen seit ihm Hans aus seinem Reisehandbuch vorgelesen, das kleine malerische Fellachendorf besitze in seiner Nähe eine Rasthütte, in der ein berühmter englischer Gelehrter zur Zeit weile um Ausgrabungen zu machen. Dieser mache sich ein Vergnügen daraus, des Weges ziehende Reisende mit einer Tasse Kaffee zu erquicken. Ein Schluck Kaffee erschien als ein großes Labsal nach dem ermüdenden Ritt und Werner meinte nur:

»Schade, daß der Gelehrte nicht ein Faß Bier auf Lager hat.«

Mit mehrmaligen Pausen ging es bergan, und endlich war der Gipfel der Anhöhe erreicht, aber o – weh – welche Enttäuschung! Wieder dieselbe Einöde, ringsher Sand und Steine und Steine und Sand und keine Spur von einem Eingeborenen-Dorf. Spähend ließen die Freunde ihre Blicke rings umher schweifen, Ebrahim aber stand ratlos neben ihnen.

»Benisar fort, ganz fort, verschwunden«, stammelte er erschrocken, »sonst Benisar immer hier gewesen, hier ganz nah!«

Das war nun freilich keine sehr befriedigende Erklärung, es war klar, der Junge hatte sich in der Richtung getäuscht und man hatte sich verirrt.

»Dummer Bengel«, brummte Werner, und auch Hans konnte sein Mißfallen nicht ganz unterdrücken. Aber was war da zu machen.

»Wir müssen ohne das malerische Bauern-Dorf gesehen zu haben umkehren und auf den Kaffee bis auf weiteres verzichten«, sagte er enttäuscht und sah nach der Uhr, ob man wohl pünktlich zum Essen wieder im Hotel sein könnte. Es war noch zeitig am Tage, da man früh aufgebrochen war und die beiden Herren stiegen deshalb von den Eseln ab um sich ein bischen auszuruhen.

»Sieh mal auf dem Hügel da drüben kommt ein ganzer Zug Kamele«, bemerkte Hans und deutete auf einen nahen Höhenzug, wo in der That eben mehrere Kamele auftauchten.

»Wie schnell die Racker laufen können«, rief Werner, der verwundert war die Tiere in wirklich erstaunlicher Schnelligkeit herankommen zu sehen. »Mit denen möchte ich keinen Wettlauf auf meinem Esel aufnehmen.«

Auch die beiden Eseljungen hatten sich aus ihrer hockenden Stellung erhoben, als sie der Kamele ansichtig wurden und eine lebhafte Hin- und Widerrede in ihrer Heimatssprache fand zwischen ihnen statt.

»Beduins, Herr«, ließ sich jetzt Ebrahim in seinem gebrochenen deutsch vernehmen. »Beduins, schlechtes Mensch, fortreiten, Herr«, und er zerrte seinen Bismarck-Esel heftig am Zaum.

Der Esel ließ ein klägliches I – a vernehmen, in das Dandraschy sofort einstimmte, während Hans und Werner zögernd, abwechselnd auf die Jungen und die sich nähernden Beduinen blickten.

»O Herr, fort, fort«, mahnte jetzt auch Said, und obgleich die beiden Freunde zunächst die Furcht der Eseljungen für höchst unbegründet hielten, fanden sie sich doch bereit aufzusteigen. In etwas schnellerem Tempo als aufwärts, ging es den Berg herab und in der Thalmulde spornten die beiden kleinen Treiber ihre Esel sogleich zum schnellsten Galopp an.

»Wir sind eigentlich Hasenfüße, daß wir vor ein paar friedlichen Beduinen die Flucht ergreifen«, bemerkte Werner und Hans konnte nicht umhin ihm beizupflichten. Aber die beiden Jungen schienen noch immer in großer Angst und wandten häufig im Laufen den Kopf nach hinten und seitwärts ohne ihre Eile im geringsten zu vermindern. Jetzt bog man um einen Felsvorsprung in ein kleines, schmales, langgestrecktes Thal ein und da von den Beduinen rings auf den Höhen nichts mehr zu sehen war, schienen auch Said und Ebrahim sich etwas zu beruhigen. Wenn jene wirklich Böses im Schilde geführt haben mochten, so mußten sie doch von einer Verfolgung Abstand genommen haben. So ging es in etwas gemächlicherem Tempo in dem Thale vorwärts und dann wieder eine Anhöhe hinan. Ehe aber die Anhöhe erreicht war, sah man oben ein Kamel auftauchen und noch eins und noch eins. Fünf an der Zahl standen sie bald nebeneinander oben auf dem Kamm, ihre Reiter in den weißen flatternden Gewändern auf dem Rücken. Es waren wirklich Beduinen, das konnte man jetzt deutlich sehen, und deutlich konnte man auch sehen, daß sie bewaffnet waren, denn auf den langen Läufen der Flinten, die sie um die Schulter trugen, blitzte hell die Sonne.

Said und Ebrahim blieben wie vom Donner gerührt stehen und sahen entsetzt auf die Karawane vor sich. Es war ihnen bis dahin nicht in den Sinn gekommen, daß die Beduinen eine andre Richtung eingeschlagen haben könnten, um unsrem kleinen Trupp den Weg abzuschneiden. Und doch mußte das der Fall gewesen sein, denn hier war dieselbe Zahl der Kamele – fünf – und augenscheinlich wurden die Herannahenden von den Reitern dort oben erwartet. Auch die beiden Freunde, Hans und Werner, wenngleich man sie keine Feiglinge nennen konnte, waren leicht zusammengeschreckt als sie plötzlich das Häuflein der Beduinen in so drohender Haltung vor sich auftauchen sahen. Es war immerhin kein behagliches Gefühl zu zweit und unbewaffnet fünf wohl bewaffneten Männern gegenüberzustehen die doch leicht Böses im Schilde führen konnten. Möglich war ja immerhin, daß jene nichts arges beabsichtigten, aber sicher war es keineswegs. Die Beduinen indessen ließen den beiden nicht lange Zeit darüber nachzudenken, schon waren sie von ihren Kamelen abgesessen, und hurtig wie der Wind sprangen sie die wenigen Schritt, die sie von unsern beiden Freunden trennten, herab, die Flinte schußbereit in der Hand schwingend. Daß ihre Absichten, welcher Art sie auch sein mochten, keine friedlichen waren, stand jetzt außer Zweifel, aber ein zur Wehr setzender beiden Männer schien auch völlig zwecklos. Den Schußwaffen jener hatten sie höchstens Hans Bieneggs Spazierstock entgegenzusetzen, Werner hatte nicht einmal einen Stock bei sich, und die dünnen Stäbe der kleinen Eseltreiber waren erst recht keine Waffe.

Es blieb also nichts übrig als sich zu ergeben – oder Flucht, und zu diesem letzteren Ausweg nahmen die Freunde unwillkürlich beide einen kurzen Ansatz. Sie rissen die Esel am Zügel herum und versuchten, sie zu eiligster Gangart anfeuernd, das Weite zu suchen. Aber schon krachte ein Schuß hinter ihnen und noch einer in unmittelbarster Nähe. Die Esel stolperten auf dem bröckligen Boden und die Beduinen waren schneller. Wie die Affen sprangen sie über das lockere Geröll und warfen sich bereits den Eseln in die Zügel. Zwar war es Werner gelungen mit raschem Griff die Flinte des einen Beduinen an sich zu reißen, während dieser den Bismarck-Esel zum Stehen brachte, aber schon packten ihn vier kräftige Männerfäuste von hinten, zerrten ihn aus dem Sattel und entwanden ihm die Waffe. Wütend wollte er sich zur Wehr setzen, Hans jedoch rief ihm zu: »Ruhig Blut, Werner, gegen die Übermacht ist mit Gewalt nichts auszurichten«, so ließ er es denn zähneknirschend zu, daß man ihn aus dem Sattel zog, während auch Hans sich anschickte abzusteigen.

Als sie sich umschauten, fiel ihr erster Blick auf den kleinen Said, der, wie ein Häufchen Unglück, ein Stück weiter oben zwischen zwei Felsblöcken kauerte und dessen Augen mit einem rührend treuen Ausdruck, wie ein paar große, gute Hundeaugen auf sie gerichtet waren und angstvoll jeder Bewegung der Beduinen folgten. Von Ebrahim war im ersten Augenblick garnichts zu sehen. Er hatte sich, seinem feigen Naturell entsprechend, beim Herannahen der Gefahr aus dem Staube gemacht und Reißaus genommen. Wenn man aber das Thal herabblickte, konnte man ihn in stürmischer Hast weit unten davonlaufen sehen. Sein loses, blaues, hemdartiges Gewand flatterte im Winde, so daß es aussah, als habe er Flügel, und wie beflügelt jagte er dahin.



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