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2. Kapitel.

Ein trauriger Zwischenfall. Hans und Werner dehnen ihren Wüstenritt wider Willen aus. Der kleine Said faßt einen Plan.

 

Es hatte zunächst den Anschein gehabt, als ob die Beduinen keinen Wert auf die Ergreifung des kleinen Flüchtlings legten, aber nach kurzem Bedenken mußten sie es sich doch anders überlegt haben. Sie waren schlau genug sich zu sagen, daß, wenn der Junge ohne seine Esel und ohne die Herren, die er begleitet, anlangen würde, man nach deren Verbleib fragen und alles aufbieten würde, sie aus den Händen, in die sie gefallen waren, schleunigst zu befreien. Der Junge konnte die Richtung angeben, und den Platz, wo der Überfall stattgefunden. Das durfte nicht sein, und einer der Kamelreiter wurde daher dem Davonlaufenden nachgesandt, während die vier Übrigen zur Bewachung der Gefangenen zurückblieben. Denn Gefangene waren Hans und Werner, das merkten sie, obgleich man sie nicht fesselte, recht wohl an der Art und Weise, wie sich die vier Beduinen um sie lagerten, und die Gewehre schußfertig, sie nicht einen Moment aus den Augen ließen. Der fünfte Beduine hatte sich wieder auf sein Kamel geschwungen und trabte oben auf dem Kamm des Gebirges hinter dem Flüchtling her, der jetzt beim Umblicken gewahrt hatte, daß man ihn verfolgte und daher mit wenn möglich verdoppelter Eile vorwärts jagte. Aber es war ein zu ungleicher Wettlauf. Wenn der junge Bursche auch tüchtig laufen konnte und eine gute Lunge besaß, so mußte das Kamel doch schließlich länger ausdauern als er und die Entfernung von menschlichen Wohnungen war eine beträchtliche. Außerdem schnürte die Angst Ebrahim die Kehle zusammen, so daß der Atem bei der raschen Flucht bald nur keuchend und kurz hervordrang, und ein paarmal schon hatte er Halt machen müssen um Luft zu schöpfen, wobei sich der Abstand zwischen dem Beduinen und ihm merklich verringerte. Endlich schien ihm der Gedanke gekommen den glatten Weg im Thal aufzugeben und sein Heil in der Flucht über die nahen Höhen zu suchen, er bog scharf rechts ab und klomm geschwind wie ein Wiesel, auf Händen und Füßen kriechend, einen kleinen steinigen Abhang heran. Doch das war sein Verderben. Im Nu war der Beduine abgesessen, ließ sein Kamel, das es sich friedlich lagernd bequem machte, zurück und nahm die Verfolgung zu Fuß auf. Ebrahim aber war abgehetzt und der andere bei frischer Kraft, zudem war Ebrahim ein etwa fünfzehnjähriger Junge, noch nicht völlig ausgewachsen, und der andere ein großer, schlanker Mann, mit der Gewandtheit und Biegsamkeit des Körpers, wie sie den Beduinen eigen ist. Lief Ebrahim wie ein Wiesel, so flog jener dahin wie ein Pfeil, Steine und Felsblöcke überspringend als sei es nichts. Deutlich konnten unsere Freunde die aufregende Jagd von ihrem erhöhten Platz mit ansehen. Aber es war ein trauriger Anblick; bald verschwand der Fliehende in kleinen Einsenkungen, bald tauchte sein blaues Kleid auf einer Sandhöhe auf, und immer dichter hinter dem blauen flatterte das weiße Gewand des Beduinen. Jetzt war der Verfolger ganz nah, riß die Flinte an die Backe, – und da knallte auch schon der Schuß, einen Moment beide Gestalten in Pulverdampf einhüllend. Dann sah man wieder den weißen Beduinenmantel, sein Träger hatte sich umgewandt und mit raschen Schritten schickte er sich zur Rückkehr an. Aber von dem blauen Gewand war nichts mehr zu erblicken, das war wie von der Erde weggewischt. Deutlich hatte sich Ebrahims Gestalt vor dem verhängnisvollen Schuß auf einem vorspringenden Felsblock gegen den blauen Himmel abgezeichnet, jetzt war der Platz leer. Auf dem freistehenden Fleck, wo er sich so deutlich gegen die Luft abgehoben, mußte ihn der Schuß um so sicherer erreicht haben.

»Ebrahim«, schrie der kleine Said auf, der dem Vorgange in atemloser Spannung voll Angst und Schrecken gefolgt war, »Ebrahim«, und schluchzend warf er sich im Sande nieder und vergrub das Gesicht in den Händen.

Die beiden Freunde waren sehr ernst geworden und ihre frischen Mannesgesichter erschienen um einen Schatten blasser als sonst. Keiner von ihnen sprach ein Wort, das jähe Ende des jungen Burschen, der noch eben so lebensfroh und lebenskräftig neben ihnen hergetrabt, erschütterte sie bis ins tiefinnerste. Nie hätten sie geglaubt, daß der Beduine den armen Jungen wie ein Stück Vieh niederschießen würde, nein, sie hatten von Anfang an nur gemeint, daß es sich darum handle ihn zu ergreifen, damit er nicht zum Überbringer der Kunde des Überfalls wurde. Das schien ja auch verständlich, aber ihn so mörderisch hinzustrecken, das war der Gipfel der Schändlichkeit.

»O die Schufte, die elenden Lumpe«, murmelte Werner endlich die Fäuste ballend, »und«, fügte er nach einer Weile hinzu, »noch dazu lassen sie ihn liegen wie einen toten Hund.«

Wirklich hatte der Beduine sein Opfer keines weiteren Blickes gewürdigt, kein Gedanke daran mußte ihm gekommen sein, dem armen Burschen eine Art Grab zu bereiten, ihn wenigstens doch im Sande notdürftig einzuscharren. Gelassen, wie er fortgetrabt, kam er jetzt auf seinem Kamel zu den übrigen zurück und in den Zügen seines Gesichts lag solch roher widerlicher Ausdruck, daß sich unsre Freunde von ihm wenig für ihre Zukunft versprechen konnten. Der Tod Ebrahims erschien ihnen um so überflüssiger als es sich doch eigentlich nur um ihre Geldbörsen handeln konnte. Waren die ihnen abgenommen, so glaubten sie sicher, daß die Beduinen sie wurden laufen lassen und Hans überschlug schon bei sich wie teuer ihm das Abenteuer zu stehen kommen könnte. Seine Brieftasche enthielt nur eine mäßige Summe, aber besorgt betrachtete er einen wertvollen Ring an seiner linken Hand, der ein Erbstück seines seligen Vaters und ihm daher sehr lieb und teuer war. Trotzdem, das war ihm klar, mußte er ihn ruhig hergeben, wenn sie ihn forderten, und er glaubte schon die Blicke zweier habgieriger Beduinen auf seinen Ringfinger gerichtet zu sehen, so daß er unwillkürlich die andere Hand schützend darüber deckte. Aber die Beduinen mußten es weder auf seine Brieftasche noch seinen Ring abgesehen haben, denn ohne auch nur einen Versuch zu machen ihre Taschen zu durchwühlen, bedeuteten sie die beiden Freunde nur ihre Taschenmesser sowie den Stock von Hans auszuhändigen und nahmen befriedigt diese einzigen, sehr unzureichenden Waffen an sich.

Hans und Werner tauschten einen überraschten Blick und Hans schien die Sache jetzt beinah komisch vorzukommen.

»Was können sie nur mit uns vorhaben?« fragte er mit einem halben Lächeln. »Daß sie unser Leben schonen, war schon gnädig genug, aber eine Schonung unserer Geldbörse ist doch wahrlich der Großmut zu viel.«

Werner aber fand an der Sache durchaus nichts belustigendes. Im Gegenteil, seine Sorge wuchs von Minute zu Minute und er verfärbte sich sichtlich mehr und mehr. Es hatte ihn ebenso wie Hans im höchsten Grade in Erstaunen gesetzt, daß die Beduinen nicht sogleich die Geldbörsen ihrer Gefangenen forderten. Doch schien ihm gerade dieser Punkt sehr beunruhigend, und er grübelte darüber nach, was wohl der Zweck der Leute sein konnte und was sie mit ihnen anzufangen gedächten.

Die Beduinen hießen jetzt ihre Gefangenen mit barschen Worten, die diese zwar nicht verstanden, aber deren Sinn ihnen durch die begleitenden Gebärden jener hinlänglich verständlich gemacht wurde, wieder aufzusitzen und kaum, daß unsre beiden Freunde sich dem Befehl gefügt, bestiegen auch jene ihre Kamele. Sie nahmen nun Hans und Werner in ihre Mitte und befestigten am Sattelknopf Dandraschys, sowie des Bismarck-Esels noch eine feste Schnur, deren Enden zwei der Leute auf den Kamelen sich um das Handgelenk wanden. Es war dies indessen nicht nur eine Vorsichtsmaßregel wie unsre Freunde, meinten, sondern die Esel wurden an dem Strick vorwärts gezogen, wenn sie ja die Gangart zu verlangsamen oder zurückzubleiben versuchten. Ohne jede Unterbrechung ging es in schnellstem Tempo immer weiter ins Gebirge. Den kleinen Said hatte einer der Beduinen vor sich auf den Sattel genommen, von welchem erhöhten Sitz der junge Bursche aufmerksam um sich spähte, während Werner und Hans wenig Teilnahme mehr für ihre Umgebung zeigten. Ein Höhenzug glich dem andern, ein Thal dem andern auf das Haar. Die Sonne stand jetzt im Zenith und sandte erbarmungslos ihre sengenden Strahlen vom ehern blauen Firmament. Dabei kein Baum, kein Strauch, keine Spur von Schatten weit und breit, nur die kahlen Geröllhügel und dazwischen die Mulden von Sand. Tief sanken die Beine der, Esel in den heißen Wüstensand ein, während die breiten Kamelsfüße leichter darüber hinkamen. Man sah jetzt recht wie gut jene ihre weichen fleischigen Füße gebrauchen konnten, die Werner und Hans manchmal im Scherz mit Schwämmen verglichen hatten. Diese Füße traten nie so tief in den Sand hinein wie die schweren Hufe der anderen Tiere, darum waren auch die Kamele so unermüdlich und so wohl verwendbar in der Wüste. Sie führten mit Recht den Namen Schiffe der Wüste; mit ihrem schaukelnden Gang konnten sie wohl an Schiffe erinnern und so sicher wie ein Segelboot auf hoher See drangen sie in dem Sandmeer vorwärts. Auch die Hitze schienen sie nicht zu fühlen, denn während die Esel völlig mit Schweiß bedeckt waren von dem ununterbrochenen Laufen, zeigte sich an den Kamelen kein feuchtes Haar. Und merkwürdig, auch ihren Herren schien die Sonne wenig auszumachen, unter der Werner und Hans mehr und mehr litten und die sich bis zur wahren Tropenglut steigerte.

Es war als dörrten ihnen die Sonnenstrahlen das Gehirn aus und mußten sie nächstens einem Hitzschlag erliegen. Dazu gesellte sich allmählich ein brennender Durst, der von Minute zu Minute empfindlicher wurde und jeden andern Gedanken verdrängte. Werner zog seine Uhr, es war gerade Essenszeit und er dachte sehnsüchtig des sauber gedeckten Tisches in ihrem Gasthaus unten am Nil und der köstlichen, gekühlten Getränke. Wie gern hatte er sonst das kleine Hotel, in dem sie seit wenigen Tagen weilten, schlecht gemacht, Bedienung, Kost, Logis, alles miserabel gefunden. Aber jetzt erschien es ihm als ein wahres Himmelreich im Vergleich zu der Hölle, in der sie sich befanden.

»Hans, ich bin nahe am verdursten«, erklärte er ganz verzweifelt, und auch Hans mußte zugeben, daß er von qualvollem Durst geplagt würde.

»Said, giebt es denn nirgends in dieser schrecklichen Gegend einen Tropfen Wasser?« wandte er sich an seinen kleinen Eseltreiber.

Dieser blickte verständnislos auf den Sprecher herab.

»Wasser, – zu trinken«, wiederholte Hans und machte die Bewegung des Trinkens.

Jetzt hatte ihn Said verstanden und wechselte einige Worte mit dem Beduinen, bei dem er saß.

»Gleich Halt, Herr, dann«, er ahmte die Bewegung des Trinkens nach.

»Gott sei Dank«, stieß Werner erleichtert hervor, fügte indessen sofort etwas mismutiger hinzu: »ich kann mir blos nicht denken, wo wir hier Wasser herbekommen sollen. In diesem unseligen Land giebt es ja nirgends eine Quelle, nirgends einen Bach, See oder Fluß außer dem Nilstrom, und von dem entfernen wir uns weiter und weiter.«

Auch in Hans stiegen einige Zweifel in Betreff des Trinkens auf, aber bald sollte er zu seiner Freude sehen, daß diese wenigstens unberechtigt gewesen waren.

Es war kaum eine weitere halbe Stunde vergangen als die Beduinen sich wirklich anschickten, auf einer Anhöhe, über die ein leichter Luftzug fortstrich, Rast zu machen. Sie stiegen ab und schnallten vom Rücken des einen Kamels eine Art Sack los, der den Freunden bisher nicht aufgefallen war. Es war ein zusammengenähtes Ziegenfell, das so aufgebläht war, als sei es mit Luft gefüllt. Indessen es enthielt nicht etwa Luft, sondern – o Freude – es war voll Wasser. Mit wahrer Glückseligkeit betrachteten die Verdursteten, wie die Beduinen mit der kostbaren Flüssigkeit vorsichtig eine braune Holzschale füllten und ihnen diese reichten. Das schale, lauwarme und nicht mal sehr reine Nilwasser mundete ihnen heute als sei es der schönste Wein. Wieder und wieder ließen sie sich die Schale füllen und tranken abwechselnd in gierigen Zügen.

»Sonst erschien mir das gelbbraune Wasser des Nils zu schmutzig zum Waschen, und heut schlürfen wir es herunter als sei es der einladendste Trunk«, bemerkte Werner mit etwas wehmütigem Spott.

»Ja«, sagte Hans nachdenklich, »man sollte sich das eine gute Lehre sein lassen für später.«

»Wenn wir überhaupt noch Gelegenheit haben werden gute Lehren für später zu brauchen, will ich sie mir gern merken«, entgegnete Werner, »aber mir scheint unsere Zukunft zum mindesten recht ungewiß.«

»Ach, Werner, Du mußt nicht gleich so schwarz sehen«, verwies ihn Hans freundschaftlich, »bis jetzt ist uns noch kein Haar gekrümmt.«

»Denke nur an Ebrahim«, warf Werner ein.

»Der arme Bursche«, sagte Hans mitleidig, »aber wenn er nicht so feige davongelaufen wäre, hätten sie auch ihm sicher nichts gethan. Uns totzuschießen scheint durchaus nicht die Absicht der schwarzen Gesellen, sonst hätten sie ja das gleich thun können. Ebensowenig scheinen sie uns verdursten lassen zu wollen, und sieh nur, Werner, jetzt giebt es auch noch was zu essen.«

Wirklich näherte sich ein Beduine mit zwei fadenartigen Broden in der Hand, die er den Beiden zur Mittagsmahlzeit reichte. Es war nicht gerade ein Genuß, das harte Durrhabrod, das die Eingeborenen Egyptens aus einer Art Hirse – Durrhakorn genannt – herzustellen wissen, aber es war entschieden besser als nichts, und unsere Freunde fühlten, während sie es mit Behagen verzehrten, wie leer ihr Magen gewesen sein mußte. Der Durst war so heftig gewesen, daß sie darüber den Hunger ganz vergessen hatten. Frisch gestärkt, konnten sie ihre Esel jetzt wieder besteigen, und beide waren weit besseren Mutes als vorher.

»Kannst Du Dir eigentlich vorstellen, was das Ziel unserer Reise ist?« Mit dieser Frage wandte sich Hans an den Freund, als der Ritt mit ungeminderter Geschwindigkeit jetzt wieder vorwärtsging.

»Es scheint mir nur die eine Möglichkeit, daß sie uns irgendwohin in ihr Lager schleppen«, sagte Werner.

»Hm«, bemerkte Hans, »vielleicht ist es auf ein Lösegeld abgesehen.«

»Das ist auch mein Gedanke«, pflichtete Werner bei, »und ich möchte fast sagen, meine stille Hoffnung.«

Hans lächelte. »Wie teuer, mögen sie unser Leben einschätzen?« äußerte er.

»Ich hoffe, nicht zu hoch«, erwiderte Werner mit krauser Stirn.

»Nun, nun, alter Junge«, begütigte der andere, »wenn Deine Kasse nicht reicht, so weißt Du, daß ich gern für uns Beide aufkomme. Zum Glück erlauben mir meine Mittel unser Leben auch selbst für einen hohen Wert zu erkaufen.«

»Aber wenn sie nun erst das Geld und hernach doch noch das Leben nehmen«, grollte Werner. »Diese Menschen sind ja so roh und blutdürstig, man kann nie wissen was sie thun.«

Hans gab keine Antwort, er konnte die Befürchtungen seines Freundes nicht als unbegründet von der Hand weisen und mochte ihm doch nicht Recht geben. Schweigend ritten sie deshalb neben einander her und hingen jeder ihren eigenen Gedanken nach. Die armen Esel, die ihr möglichstes geleistet hatten, schienen allmählich recht ermüdet. Häufig blieben sie stehen und mußten immer von neuem gezerrt und angetrieben werden, besonders der Bismarck-Esel wollte gar nicht mehr vorwärts. Er stolperte häufig und ein paar Mal stürzte er beinah, doch hielt ihn Werner fest im Zügel. Aber endlich ging es nicht weiter. Das gute Tier brach zusammen. Mit Schimpfworten und Prügel brachten ihn die Beduinen noch einmal auf die Beine, gleich darauf aber knickte er in die Knie und schlug in den Sand nieder, alle vier von sich streckend. Es war keine Aussicht, das übermüdete Tier wieder hoch zu bringen, und die Beduinen hielten einen kurzen Kriegsrat was nun zu beginnen sei. Darauf stieg einer von ihnen von seinem Kamel ab und wies Werner an, es seinerseits zu besteigen, während er mit einem Kameraden den Rücken von dessen Reittier teilte. Der Bismarck-Esel blieb hilflos liegen, keiner der Beduinen wandte auch nur den Kopf nach ihm um, aber lange noch konnte der kleine Trupp das klägliche I–a hinter sich herschallen hören.

Werner fühlte sich mittlerweile auf seinem hohen Sitz höchst unbehaglich. Noch nie in seinem Leben war er auf einem Kamel geritten und die schaukelnde, schwankende Bewegung, in die sein Körper durch die Gangart des Tieres versetzt wurde, machte ihm übel und weh.

»Sollen wir denn nie und nimmer aus Ziel gelangen?« hatte er schon ein paarmal gestöhnt, denn die Sonne war bereits im Niedergehen und noch immer ging es in der unveränderten Landschaft vorwärts.

Allzubald sollte Werner noch nicht erlöst werden und überhaupt irrte er sich, wenn er dachte, daß er mit diesem Abend ans Ziel der unfreiwilligen Reise gelangte. Hätte er arabisch verstanden, so hätte er längst hören können, wie die Beduinen untereinander beratschlagten, wo und wie am besten für diese Nacht der Ruheplatz zu wählen sei, damit Tiere und Menschen frisch seien zu dem Ritt am morgenden Tage. Wenn aber die beiden Freunde auch keinen Laut in der fremden Zunge verstanden, so hörte der kleine Said doch aufmerksam zu und ihm entging keine Silbe. Bald hatte er heraus, daß die Beduinen vorhatten, eine längere Ruhepause während der Nacht zu machen, und mehrmals fiel dabei das Wort el-Arusi, das mußte also der Ort sein, den Said zwar nicht kannte, aber dem als Bestimmungsort die kleine Karawane zustrebte. Dort mochte sich ein Beduinenlager befinden oder auch es war der Name eines Häuptlings. Das konnte Said nicht entscheiden, auch konnte er sich nicht ganz erklären, warum die Leute so lange über den einzuschlagenden Weg stritten; aber das begriff er wieder, daß sie sich dahin einigten, man müsse sich in der Nähe des Nil halten, um frisches Trinkwasser zur Hand zu haben. Jetzt ward es Said auch verständlich, was ihn tags über in Erstaunen gesetzt hatte, daß die Reiter so oft die Richtung gewechselt und förmlich einen Bogen beschrieben hatten. Sie waren im großen Bogen um die bewohnten Ortschaften in der Gegend herumgeritten und näherten sich jetzt wieder dem Flußufer. Deshalb war Said die Gegend letzthin auch so bekannt vorgekommen, hier war er schon früher gewesen; deutlich hatte er im Sonnenschein ein paar Palmwedel aus einer nahen Thalsenkung hervorragen sehen, das mußte Benisar fein und man ritt jetzt in gerader Linie nach Osten auf den Nil zu. Said prägte sich Lage und Himmelsrichtung genau ein, er konnte oben von seinem Kamel herab so gut alles übersehen und als echtes Kind der Wüste verstand er aus den geringsten Anhaltspunkten Schlüsse über den Weg zu ziehen, der für jeden andern ein sinnloser Zickzack durch ewig einförmiges Einerlei sein mußte.

Die Sonne war unter den Horizont gesunken und nachdem sie noch einige Momente die öde Landschaft mit goldig violettem Wiederschein übergossen hatte, wurde es jetzt schnell Nacht. Die Beduinen saßen ab und schlugen kleine Pflöcke in den Sand ein woran die Kamele während der Nacht angelegt wurden. Wie das Mittagbrod, so bestand auch die Abendmahlzeit aus Wasser und Durrhabrod, an der die Gefangenen ebenso teil hatten wie bereits einmal heute. Werner und Hans ebensowohl wie der kleine Said erhielten ihr Brod, dann begab man sich allerseits zur Ruhe. Es bedurfte dazu keiner großen Veranstaltungen. Jeder streckte sich da aus, wo er einen Platz fand, die Beduinen hüllten sich fest in ihre Mäntel, während unsern Freunden dieser Schutz leider fehlte Zudem hatte man ihnen Hände und Füße zur Nacht mit ein paar derben Stricken geknebelt, um sie am Entfliehen zu hindern und die fest angezogenen Stricke machten sich bei jeder Bewegung empfindlich fühlbar. Sie konnten deshalb lange nicht einschlafen und halblaut sprechend lagen sie nebeneinander.

»Wenn wir nur den Ebrahim bei uns hätten«, klagte Werner, »dann könnte man sich allenfalls durch ihn mit den Barbaren verständigen, so sind und bleiben wir völlig im Unklaren darüber, was sie mit uns vorhaben.«

»Vielleicht gelingt es uns morgen durch Said, einiges in Erfahrung zu bringen«, tröstete Hans.

»Ach der Kindskopf«, meinte Werner wegwerfend, »dem werden weder wir noch die Beduinen irgend etwas begreiflich machen.«

»Ich habe gar nicht so wenig Zutrauen wie Du zu dem kleinen Burschen«, meinte Haus. »Er hat bereits einmal Umsicht und Klugheit gezeigt als er die Schlange so kurz entschlossen totschlug, warum sollte er sich anderweitig als ganz unbrauchbar erweisen?«

»Er versteht uns ja, doch nicht«, warf Werner ein, »was kann er uns helfen, wenn er selbst gern wollte, da wir ihm nicht mal unsre Wünsche begreiflich zu machen vermögen!«

»Er versteht immerhin etwas mehr deutsch als die Beduinen und auf Zeichen- und Gebärdensprache versteht er sich vortrefflich. Ein paarmal hat er mir heut Morgen meine Wünsche geradezu von den Augen abgelesen«, verteidigte Hans seinen jungen Schützling und bald genug sollte auch Werner einsehen, daß der kleine Said nicht gar so unbrauchbar sei wie er dachte.

Die Beduinen hatten es nicht für notwendig gehalten das junge Bürschlein während der Nacht zu fesseln. Er hatte das Schicksal seines Kameraden gesehen und würde nicht an Flucht denken, zum Überfluß hatten ihm die Männer nochmal einen Flintenlauf dicht vor das Gesicht gehalten als sich der Kleine schon Zur Nachtruhe in den Sand ausstreckte und hatten ihm deutlich gemacht, wie es ihm ergehen würde, wenn auch er Fluchtgedanken Hegte. Said hatte sich infolgedessen mäuschenstill verhalten und lag ohne sich zu regen da, während sich die Beduinen in kurzer Entfernung neben ihren Kamelen auf den Boden betteten. Hans und Werner konnten bald die regelmäßigen Atemzüge der Schlafenden hören, die allmählich in lautes Schnarchen übergingen und auch den kleinen Said, der in ihrer unmittelbaren Nähe lag, glaubten sie fest ein geschlafen, als plötzlich die kleine schwarze Gestalt auf allen Vieren zu ihnen heran kroch.

»Said, was willst Du denn?« rief ihn Werner an, aber der Kleine legte die Hand auf den Mund und lauschte ängstlich nach den schlafenden Beduinen hinüber, dann murmelte er so leise, daß es die beiden Freunde kaum zu hören vermochten: »Said Benisar laufen, Benisar nah.«

»So, Du willst fliehen«, gab Werner trübselig zurück, »hast ganz recht Junge, wenn wir –«

Aber der Kleine hub schon wieder zu flüstern an und so wichtig und aufgeregt klang es, daß die beiden Freunde aufmerksam lauschten.

»Benisar – Haus, – fremdes Mann – fremdes Mann sagen – rückkommen.«

»Was kann er meinen mit dem fremden Mann«, sagte Hans sinnend, indem er seine Stimme jetzt auch zum Flüsterton senkte, »und dann rückkommen, Du willst zurückkommen, Junge?«

Der Kleine nickte, froh, daß man ihn verstanden.

»Und den Fremden bringst Du auch mit?«

Jetzt aber schüttelte Said energisch den Kopf: »Fremdes Mann sagen – fremdes Mann –« er schien ratlos wie sich auszudrücken.

»Du wirst dem fremden Mann dort in Benisar von uns sagen«, Hans begleitete seine Worte mit möglichst ausdrucksvoller Zeichensprache.

»Ja, sagen, sagen –, deutsche Mann – Beduins hui fort –«

»Werner, was meinst Du, ich glaube der Junge will irgend jemand in Benisar von unsrer Gefangennahme benachrichtigen«, flüsterte Hans angelegentlich.

»Ob wir ihn nicht lieber versuchen lassen unsre Stricke zu lösen«, versetzte Werner und er hielt Said die gefesselten Handgelenke entgegen.

Dieser begriff sofort, was man von ihm wolle, schüttelte aber traurig den Kopf, die festen vielverschlungenen Knoten zu lösen, dazu reichten seine kleinen Kinderhände nicht aus und nach einem schwachen Versuch gab er es sogleich wieder auf. Hans und Werner gedachten jetzt mit Betrübnis der Thatsache, daß ihnen die Beduinen ihre Taschenmesser abgenommen, sonst wäre es doch vielleicht Saids schwachen Kräften gelungen die Stricke zu durchfeilen.

»Wir müssen doch aber weit von Benisar entfernt sein«, meinte Hans abermals, »wie denkst Du Dir das zu Fuß den ganzen Weg zurückzulaufen, den wir in sechs bis sieben Stunden geritten sind?«

»Benisar weit –« Said schüttelte den Kopf, »hier Benisar«, er hielt seinen Daumen in die Luft »hier Ritt« und er beschrieb mit dem freien Arm einen großen Kreis um den Daumen herum.

»Der Kuckuck soll mich holen, wenn ich eine Ahnung habe was er meint«, brummte Werner.

Auch Hans war ziemlich ratlos, indessen schien es ihm das gescheidteste, sich nicht mit langen Reden aufzuhalten. Jedenfalls war Said ihr Freund und wollte versuchen ihnen zu helfen. Nun galt es ihm zu vertrauen, da gute Ratschläge zu geben sehr schwierig war.

Said schien auch gar nicht geneigt, sich auf weitere Unterredungen einzulassen, er legte noch einmal nachdrücklich den Daumen auf den Mund zum Zeichen, daß es vor allem gälte leise ans Werk zu gehen, dann entfernte er sich lautlos, mehr kriechend als aufrecht gehend und vorsichtig um sich spähend, bis ihn das Dunkel der Nacht deckte.



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