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3. Kapitel.

Erneute Qualen. Said schützt Werner und Hans von nächtlichen Peinigern. Fieberhafte Erwartung. Im Kreuzfeuer von Freund und Feind. Wünschen Sie ein Glas Selterwasser mit Kognak?

 

Trotz der großen Ermüdung wollte in die Augen unserer Freunde diese Nacht kein Schlaf kommen. Unruhig warfen sie sich hin und her und spähten in die Finsternis hinaus, bald nach der Richtung, in der Said verschwunden war, bald dahinüber, wo die fünf Beduinen friedlich schlummernd nebeneinander lagen. Dabei strichen die Stunden und Minuten langsam dahin, und immer wollte es noch nicht Morgen werden, immer noch nicht der kleine Said zurückkehren, dessen Wiedererscheinen sie fast sehnsüchtig erharrten. War es doch möglich, daß er ihnen gute Kunde bringen konnte, war es doch eine Aussicht, eine Hoffnung auf Befreiung aus ihrer mislichen Lage.

Ein paarmal hatten sie leise miteinander ein paar Worte gewechselt, aber erschrocken inne gehalten, sobald einer der Beduinen im Schlaf eine Bewegung machte.

»Ich glaube fast nicht mehr daran, daß Said wiederkommt«, murmelte Werner endlich und Hans mußte betrübt einräumen, daß die Nacht weit vorgeschritten und die Sterne im Erbleichen seien.

Im Grunde war es nicht allzu verwunderlich, daß der kleine Eseltreiber gleich seinem Kameraden sein Heil in der Flucht gesucht hatte. Es war kein beneidenswertes Los, von den Beduinen gefangen und in die endlose Wüste hinaus geschleppt zu werden, ja es war erstaunlich genug, daß Said überhaupt je die Absicht gehabt hatte, wiederzukommen. Wahrscheinlich hatte er sie, einmal unterwegs, gar bald aufgegeben. Hans dachte mit Betrübnis an den anbrechenden Tag, mit einem wahrscheinlich erneuten, endlosen Ritt durch Sand und Hitze, und unwillkürlich schloß er die Augen als wolle er die unerfreulichen Bilder nicht vor sich sehen. Er mochte ein wenig eingeschlummert sein, denn als er die müden Lider wieder öffnete, graute bereits der Morgen. Der Körper hatte sein Recht verlangt und Hans bemerkte, wie auch Werner an seiner Seite eingeschlafen war. Eben wollte er die Augen nochmals schließen, als sein Blick zur Seite streifte und da – war es möglich – da lag, zusammengerollt wie ein Murmeltier, der kleine Said in tiefem festem Schlummer. Das war eine freudige Überraschung. So war der gute kleine Kerl also doch zurückgekommen und hatte vielleicht wirklich ihnen einen großen Dienst erwiesen. Leise rief Hans ihn an: »Said, Said«, aber die ruhigen, regelmäßigen Atemzüge des Schläfers zeigten deutlich, daß kein Ruf der Außenwelt zur Zeit an sein Ohr drang. Er mochte auch müde genug sein, der arme Bursche, nach seinem nächtlichen Lauf. Wäre Hans nicht so begierig gewesen, das Ergebnis seines Unternehmens zu erfahren, so hätte er ihn sicher schlafen lassen, so aber gab er sich alle erdenkliche Mühe ihn zu wecken. Doch auch den vereinten Anstrengungen von ihm und von Werner, der sich alsbald ermuntert hatte, wollte das nicht gelingen, und bereits begann sich der eine und der andere der Beduinen zu recken und zu strecken. Gähnend richtete sich jetzt einer auf und schickte sich an, die Kamele reisefertig zu machen und noch war die Sonne nicht am Horizont heraufgetaucht, als alle fünf schon Schlaf und Müdigkeit abgeschüttelt hatten und abermals in eifriger Beratung bei einander standen. Leider konnte der kleine Said diesmal nicht zuhören was sie sagten, er schlief wie ein Toter und mußte schließlich von zwei derben Beduinenfäusten unsanft wach gerüttelt werden.

Unsern beiden Freunden aber sollte es nicht sobald gelingen, ein Wort mit ihm zu wechseln, denn kaum reisefertig, ging es auch auf den Weg und zwar heute in immer gleicher Richtung verharrend weiter und weiter gen Süden, durch Sand und Steingeröll und bei sich steigernder Sonnenglut, immer weiter, weiter, weiter. Der Beduine, der Said vor sich auf dem Sattel hatte, schien die Führung übernommen zu haben, er ritt ein gut Stück voraus, und der übrige Trupp folgte etwas langsamer. Hans hatte den Esel Dandraschy heute seinem Freund überlassen, während er seinerseits dessen Kamel bestiegen hatte. Doch auch ihm wollte es auf dem Rücken des Kamels wenig behagen, zwar machte ihm die schaukelnde Bewegung weniger aus als Werner, aber der Stoß, den er bei jedem Schritt in seinen Gliedern spürte, war ihm empfindlich und verursachte ihm auf die Dauer starke Rückenschmerzen. Er wollte das zwar nicht wahr haben, aber Werner sah es ihm schließlich doch an und beschloß deshalb, nach Mittag wieder mit ihm zu tauschen. Sie wollten dann fernerhin immer abwechseln und sich die Reise auf diese Art so erträglich als möglich gestalten.

Gegen Mittag wurde der erste Halt gemacht, und nun war der ersehnte Moment gekommen, wo unsere Freunde Said nach seinen nächtlichen Erlebnissen ausfragen konnten. Der Heine Schwarze hatte sich sofort zu ihnen gesellt, wagte aber seine Mitteilungen auch heute nicht anders als im Flüsterton zu machen, obgleich wenig Gefahr vorhanden war, daß ihn die Beduinen verstanden.

Mit triumphierender Miene berichtete er in wirrem Kauderwelsch. »Said – Benisar – fremdes Mann – Nil, – fremdes Mann – Kamels – Nil – Beduins.« Vor Lebendigkeit bewegte sich sein ganzer Körper mit bei diesen Worten, die er in immer neuer Zusammenstellung immer wiederholte, die aber für Hans und Werner durchaus keinen Sinn ergeben wollten. Die aneinander gereihten Hauptwörter ohne jedes verbindende Zeitwort oder Eigenschaftswort waren in der Thal schwer in Zusammenhang zu bringen und ratlos sahen sich die beiden Freunde an.

»Du bist also in Benisar gewesen?« forschte Hans schließlich.

»Ja, ja«, nickte der Kleine.

»Und hast den fremden Mann dort gesprochen?«

Nun aber ging es wieder los: »Fremdes Mann – Nil – Beduins – hui – fort – Beduins gute Kamels – sonst Beduins.« Dasselbe Minenspiel, dieselben Gebärden, dieselbe Aufregung, und es war unmöglich, aus den Worten Saids einen Eindruck zu gewinnen, was er während der Nacht angestellt.

Auch wurden die Beduinen jetzt auf das lebhaft geführte Gespräch aufmerksam und näherten sich mistrauisch den Redenden, weshalb Said ängstlich verstummte.

Alle erhielten ihr Mittagbrod, das sich von den Mahlzeiten am Tage vorher nur dadurch unterschied, daß das Wasser etwas knapper zugemessen wurde. Der Vorrat in dem Ziegenfellbehälter ging auf die Neige und deshalb wurde auch heute nach dem Essen eine längere Rast gemacht. Einer der Beduinen ritt davon, um frisches Trinkwasser zu holen, und unsere Freunde waren recht froh, auf diese Weise ein paar Ruhestunden zu gewinnen. Es war ihnen im übrigen ein Rätsel, wo der schwarze Geselle das Trinkwasser herholte, aber Said erklärte, als dieser wiederkam, auf das gefüllte Ziegenfell deutend:

»Wasser – Nil – gut Wasser –«

»Vom Nil?« Werner und Hans schüttelten ungläubig die Köpfe, aber Said wiederholte, auf den Behälter tippend, absolut sicher: »Nil – Nil!« und auch der Beduine äußerte mit einem breiten Grinsen: – Nil – Das war ein Wort, das er verstand, ein Begriff, der ihm vertraut war. Doch zunächst gab es noch kein Wasser wieder, die Beduinen schienen mit dem neuen Vorrat etwas sparsamer umgehen zu wollen, da es verschiedene Stunden Zeit gekostet hatte, um es herbeizuschaffen. So fühlten Hans und Werner an diesem Nachmittag wieder die Qualen des Durstes in ausgiebigster Weise. Die Zunge klebte ihnen am Gaumen und der Hals schmerzte vor Trockenheit. Ja, der kalte Schweiß; trat ihnen schließlich auf die Stirn vor Pein. Sie dachten nicht mehr an ihre Gefangenschaft, an Zukunft oder Vergangenheit, nur auf die Gegenwart war ihr Denken gerichtet, auf einen Schluck Flüssigkeit stand all ihr Sinnen und Trachten.

Das Nilwasser, das sie endlich am Abend erhielten, war zwar noch trüber und schlammiger als am Tage vorher, aber Hans und Werner sahen das garnicht, sie fühlten nur, daß es feucht war, feucht und erquickend.

Es war aber auch zu arg, was sie hatten leiden müssen, und Werner machte seiner Erbitterung in heftigen Worten Luft, während er die Fünfte ingrimmig gegen die Beduinen ballte. Hans indessen mahnte zur Ruhe, da Auflehnung und Widerstand ja doch zu nichts helfen konnte.

Werner knirschte mit den Zähnen. Es kochte in ihm vor ohnmächtiger Will und es sah aus, als wollte er dem Beduinen an die Kehle springen, der sich eben nahte, um den Gefangenen für die Nacht wieder ihre Fesseln anzulegen.

»Werner, bitte um alles in der Welt, beherrsche Dich«, mahnte Haus eindringlich. »Jedes zur Wehr setzen ist ja so gänzlich nutzlos und kann verhängnisvoll werden.«

Die Mahnung war sehr nötig gewesen, denn eine Handbewegung von Werner, ein Schlag in das Gesicht seines Feindes, und er wäre ein Kind des Todes gewesen. Hans hatte wohl gesehen, wie einer der Beduinen im Hintergrund den Flintenlauf auf Werner gerichtet hielt und ihn aufmerksam und scharf beobachtete. Zu deutlich drückte sich das, was der junge Mann empfand, in dem zusammengekniffenen Mund und den geschwollenen Zornesadern auf seiner Stirn aus und konnte dem Beobachter nicht entgehen.

Hans selbst ließ geduldig und ohne eine Miene zu verziehen alles mit sich geschehen. So kam es, daß seine Fesselung lange nicht so fest ungezogen und schmerzhaft war, wie die des Freundes, der bei jeder unwillkürlichen Bewegung stöhnte, da die Stricke ihm die Haut von den Gelenken rissen.

»O Hans, Hans, es ist ja wirklich unerträglich«, stieß er seufzend hervor. »Ich wollte, diese schwarzen Buben hätten uns gleich niedergeschossen, statt uns so qualvoll langsam zu Tode zu foltern.«

»Armer Junge«, sprach Hans mitleidig. Er fühlte in diesem Moment nur die Leiden des Freundes, obgleich auch ihn die Stricke auf den Fußknöcheln drückten und seine eine Hand eingeschlafen war, da das Blut nur ungenügend hinzudrang. Zu allein kam heute noch eine neue Qual. Ein Schwarm Mosquitos begann bei sinkender Nacht wie aus dem Boden ringsum hervorzuschwirren. Srr, srr, so ging es durch die Luft und auf Hände und Gesicht der armen Gefesselten setzten sich die unliebsamen Insekten und gruben ihren feinen Stachel sogar in deren Lippen und Augenlider ein.

»Das wird eine recht geruhsame Nacht geben«, stöhnte Werner verzweifelt, und auch Hans schien nahe daran seinen Gleichmut zu verlieren. Wie toll schüttelte er mit dem Kopf und schwenkte die gebundenen Hände hin und her, um sich der lästigen Insektenschar zu erwehren. Aber die Tiere, obgleich noch kleiner als Mücken, waren blutdürstig wie Löwen. Dazu surrten und schwirrten sie unausgesetzt den beiden um die Ohren und ihr Surren war fast schlimmer als ihre Stiche.

Dabei war trotz der größten Ermüdung abermals an keine Nachtruhe zu denken, denn sicher hätten weder Werner noch Hans ein Auge zuthun können bei dieser neuen Plage. Aber der kleine Said kam ihnen zu Hilfe. Er hatte beobachtet, wie die Freunde unter dem Schwarm von Mosquitos, der sie umgab, litten und hockte jetzt neben ihnen nieder, indem er mit affenartiger Geschwindigkeit mit den kleinen Händen nach den Insekten haschte und sie zwischen den Fingern zerdrückte. Eine ganze Reihe der Quälgeister tötete er so und wehrte mit rührender Geduld immer wieder die anderen von den Gesichtern der beiden Gefangenen ab.

»Du bist ein braver Junge, Said«, lobte ihn Hans und auch Werner stimmte in das Lob ein und nannte den Kleinen »einen wahren Engel«. Über diese Bezeichnung mußte er zwar selbst gleich darauf lächeln, denn der kleine schwarze Bursche glich, wie er da in der Dämmerung kauerte, weit mehr einem Teufelchen oder, mindestens einem kleinen Affen als einer lichten Engelsgestalt. Doch was that das, er war den Freunden so willkommen wie ein Schutzengel.

»Said, lieber Junge, wenn Du uns doch nur verständest, welcher Segen könntest Du für uns sein«, murmelte Werner halblaut für sich, während der Kleine, der seinen Namen gehört, aufmerkend jein Gesicht ihm zuwandte.

»Paß mal auf Said, was ich Dich frage«, ließ sich jetzt auch Hans vernehmen, »wohin gehen die Beduinen mit uns? Beduinus – Du – wir – wohin?«

Der Kleine schien zu verstehen. Er deutete mit der Hand hinter sich in die Wüste.

»El Arusi – Herr.«

»Nach el Arusi, was ist denn das?« fiel Werner gespannt ein.

Said zuckte mit den Achseln. Was el Arusi war, wußte er ja selbst nicht.

»El Arusi, was, wo?« fragte Hans dringend, aber Said schüttelte beharrlich mit dem Kopf. Die Freunde seufzten, der Junge verstand sie nicht, oder er wußte selbst nichts genaueres, oder er wollte nicht mehr sagen, jedenfalls war alles in ihn dringen nutzlos. Stumm saß er neben ihnen, wehrte ihnen die Insekten ab, und seine kohlschwarzen Augen suchten die sinkende Dunkelheit zu durchdringen; sie waren fest und spähend nach den Höhenzügen im Nordosten gerichtet, die doch ebenso einsam, trostlos und kahl dalagen wie die ganze Gegend umher. Werner und Hans, von der Müdigkeit übermannt, hatten längst die Augen geschlossen, als Said noch immer in derselben Stellung dasaß, immer die Augen gen Nordosten gerichtet, wo jetzt mit hellem Schimmer; die Mondsichel am sternklaren Nachthimmel emporstieg. Bald war die ganze Landschaft mit dem silbernen Licht übergossen, ja in der klaren Wüstenluft war die Wirkung des matten Mondlichts so stark, daß man jeden Stein ringsher zu unterscheiden vermochte. Es ist ein seltsamer Zauber, den der Mond in südlichen Breiten der Landschaft giebt und selbst die bei Tage so öde Wüstenlandschaft gewinnt in der magischen Beleuchtung. Obwohl der kleine Said Verständnis für diese Naturschönheit besaß? Noch immer hatte er kein Auge zugethan, und es mochte auf Mitternacht zugehen. Mit, gespannter Aufmerksamkeit spähte er in die Nacht, während seine Hände nur noch mechanisch hin und hergingen, um den Insekten zu; wehren. Und jetzt legte er den Kopf aufhorchend zur Seite und ein triumphierendes Lächeln glitt über seine Züge.

Noch einige Momente zauderte er, dann beugte er sich zu dem fest schlafenden Hans hinab und flüsterte ihm ins Ohr:

»Herr, Herr, o Herr.«

Der warme Atem ein seiner Wange und das eindringliche Geflüster hatte Hans sofort geweckt, aber noch schlaftrunken fuhr er in die Höhe. »Was giebt es?«

Doch Said verschloß ihm sofort mit seiner kleinen schwarzen Faust den Mund und drückte ihn auf den Boden zurück. Dabei deutete er mit dem freien Arm in die Ferne und murmelte aufgeregt: »Da Herr, da«, während er aushorchend den Kopf hin und her wandte.

Hans lauschte gespannt nach der Richtung hin, die Said wies, aber es war ihm beim besten Willen nicht möglich, in der nächtlichen Todesstille ringsher auch nur einen Laut zu hören. Doch Said war seiner Sache ganz sicher, sonst Hütte er seinen Herrn nicht geweckt. Immer wieder streckte er den mageren, schwarzen Arm erregt gen Nordosten und stieß immer lebhafter hervor: »Da, Herr, da.«

Vergebens indessen bemühte sich Hans auch nur das leiseste Geräusch zu vernehmen, seine Sinne waren nicht so geschärft wie die des Kindes der Wüste und fast meinte er schon, Said habe ihn zum besten gehalten oder habe im Traum irgend etwas zu hören geglaubt. Da aber tauchte aus dem gegenüberliegenden Höhenzug etwas dunkles auf, das sich bewegte und größer und größer zu werben schien. In höchster Erregung hatte sich Hans aufgerichtet und suchte mit seinem klaren Blick die dunkle Masse zu erkennen. Doch noch war es ihm nicht möglich, aber jetzt sah er im Mondlicht einen Gewehrlauf aufblitzen, und jetzt noch einen und jetzt zeichneten sich deutlich gegen den Nachthimmel die Schattenrisse von Rossen und Reitern ab.

»Said, das sind ja Soldaten«, stieß Hans überwältigt hervor, und der kleine Said nickte bestätigend:

»Soldat – Herr – gutes Soldat.«

Der berittene Trupp begann jetzt langsam den diesseitigen Höhenzug hinabzusteigen, und der Schatten des Berges verschlang alles mit tiefer Finsternis. Aber hie und da hörte man einen Maultierhuf auf dem harten Gestein auftreten, hie und da tönte ein leises Waffenklirren herüber.

In fieberhafter Erwartung schlug Hans das Herz, – Soldaten – englisches Militär – das bedeutete Rettung, Erlösung, Befreiung!

Jetzt aber fuhr einer der Beduinen aus dem Schlaf empor, seinem hellhörigen Ohr war selbst im Schlaf nicht das Geräusch von Waffen und Pferdegetrappel entgangen. Ein schriller Pfiff und die ganze kleine Karawane war auf den Beinen. Auch Werner fuhr entsetzt empor, aber Hans hatte keine Zeit ihm zu erklären, was vorging, sondern hatte genug damit zu thun, den Verlauf der Dinge zu beobachten. Im Nu waren die Beduinen aufgesessen, hatten sofort die ihnen weit überlegene Stärke des Feindes erkannt und schienen ihr Heil in der Flucht suchen zu wollen. Da aber krachte schon ein Schuß hinter ihnen her und ein zweiter und dritter ließen nicht lange auf sich warten. Auf den fliehenden Kamelen sich umwendend, schossen die Beduinen zurück, doch schon sank einer der ihren aus dem Sattel und unter einem zweiten brach das Kamel blutend zusammen. Der Schwarze stieß einen wütenden Fluch aus und lief gegen das Gewehrfeuer zurück, um den Esel Dandraschy, der noch angepflöckt dalag, für sich los zu machen. Aber schon traf ihn eine Kugel in das linke Hüftgelenk und stöhnend sank er in die Knie. Werner und Hans konnten deutlich das Wut- und schmerzverzogene ihnen zugewandte Antlitz unterscheiden, da die Entfernung zwischen ihnen und dem Verwundeten nur wenige Meter betrug. Und jetzt fielen auch die Augen des Schwarzen auf sie, ein Ausdruck tierischer Rohheit glitt über seine Züge und mit letzter Kraftanstrengung riß er seine Waffe an die Backe. Mußte er sterben, so sollten auch die elenden Europäer nicht mit dem Leben davon kommen. Da ein Schuß und noch einer! Hans und Werner hatten sich der Länge lang in den Sand geworfen, Said war es gelungen, hinter einem nahen Stein Schutz zu finden. So gingen die Kugeln über sie fort, aber jetzt pfiff ein dritter wohlgezielter Schuß dicht über den Erdboden und ging, Werners Schulter streifend, in den Sand. Die verletzte Schulter begann sogleich heftig zu bluten, sonst hätte Werner zunächst die Verwundung garnicht gespürt, da die heftige Erregung, in der er sich befand, stärker war als der Schmerz. Said aber hatte erschrocken gesehen, daß der Schuß getroffen hatte und als der Beduine, jetzt von mehreren feindlichen Kugeln zugleich erreicht, röchelnd zusammensank, eilte er hinzu um zu sehen, in wie weit die Verwundung Werners gefährlich sein möchte. Aber das starke Bluten der Wunde machte es zunächst unmöglich, ihre Tiefe zu erkennen und der kleine Said versuchte nur vorsichtig den Arm zu bewegen, um zu sehen, ob das Gelenk verletzt sei, was indessen nicht der Fall war. In kurzer Entfernung von den Gefangenen sprengten jetzt die Soldaten vorbei, um erst der fliehenden Beduinen habhaft zu werden, was keine Kleinigkeit war. Die schwarzen Halunken ritten wie der Wind, und nur durch andauerndes Schießen hinter ihnen her wurde man ihrer Herr. Bald sank ein dritter sterbend zu. Boden, und die beiden andern schienen bereits schwer verwundet. Ihre Eile verminderte sich und jetzt konnte man ihnen die Kamele unter dem Körper niederschießen. Noch versuchte der eine auf flinken Füßen die Flucht zu ergreifen, aber der Verwundete war nicht mehr schnell genug gegenüber seinen Verfolgern, bald ward auch er von ein paar kräftigen Fäusten erfaßt und seine Waffe den sie umklammernden Händen entwunden. Der andere hatte sich ohne weiteren Widerstand ergeben und schien sein Geschick mit Gleichmut hinzunehmen, denn er machte keinerlei Versuch sich den Soldaten zu widersetzen, die nicht eben sanft mit ihm umgingen. Die Erbitterung der englischen Soldaten gegen die Beduinen mußte eine ungemein große sein, sie hatten in letzter Zeit zu viel Kämpfe mit den aufsässigen Gesellen gehabt und wären sehr wenig geneigt gewesen Milde ihnen gegenüber zu üben, wenn nicht der Offizier der kleinen Abteilung den strengsten Befehl gegeben hätte, die Verwundeten zu schonen. Es war nicht ohne Wichtigkeit, die gefangenen Beduinen lebend in das Militärlager am Nil hinabzuschaffen, vielleicht gelang es durch sie Aufschlüsse zu erhalten, wo sich der Häuptling ibn Koser befand, der der englischen Armee oft genug harte Nüsse zu knacken gegeben hatte. Wiederholt hatte er friedliche Eingeborenendörfer zum Aufstand angereizt und seine Überfälle auf Reisende selbst in der Nähe belebter Ortschaften, wie Wadi Halfa, erfreuten sich einer traurigen Berühmtheit. Sogar Segelschiffe, die Nahrungsmittel den Nil hinaufbrachten, waren des öfteren ausgeraubt und ihre Besatzung niedergemacht, ja unsre Freunde konnten von Glück sagen, daß sie dem berüchtigten ibn Koser nicht selbst in die Hände gefallen waren. Die Beduinen, deren Gefangene sie geworden, waren Leute von ibn Kosers Truppe und hatten sie nur deshalb geschont, weil ihr Häuptling einen hohen Preis darauf gesetzt hatte, wenn ihm Reisende lebendig und unverletzt eingeliefert wurden. Er verstand es ausgezeichnet, aus solchen Gefangenen ein hübsches Sümmchen herauszuschlagen, indem er durch Abgesandte ein hohes Lösegeld fordern ließ, das die egyptische Regierung natürlich bezahlen mußte. Hatte er aber erst das Geld, dann war es oft genug vorgekommen, daß er den Gefangenen, falls er kräftig und jung war, trotzdem zurückbehielt, kräftige jugendliche Arme konnte ibn Koser immer gebrauchen, und er scheute keine Mittel, seine Gefangenen sich zu Willen zu machen. Mit brutaler Behandlung, Schlägen und Hunger war auf die Dauer vieles zu erreichen.

Unsre Freunde hörten mit Schrecken, was ihnen bevorgestanden, und sie konnten es nicht ändern, daß, obwohl sie keine Feiglinge waren, bei den Schilderungen des englischen Offiziers eine leichte Gänsehaut sie überlief. Nachdem jener seine Befehle betreffs der gefangenen Beduinen gegeben und auch angeordnet hatte, daß die Getöteten einzuscharren seien, hatte er sich Hans und Werner zugewandt. Ihre Fesseln entfernte er mit kräftigen Schnitten und drückte ihnen sein wärmstes Bedauern aus, sie in solch übler Lage zu sehen.

Mit großer Sorgsamkeit wurde sodann Werners Wunde mit etwas sauberer Leinwand umwunden. Es war nur ein Notverband, aber er stillte doch das Blut.

Und nun lag es Werner und Hans vor allem daran zu erfahren, wieso es gelungen war, ihre Rettung so glücklich ins Werk zu setzen.

»Da müssen Sie sich bei Ihrem kleinen schwarzen Freunde bedanken«, meinte der Offizier, indem er lächelnd auf Said zeigte. »Gestern Nacht ist der Junge in der Hütte unsres Landsmanns, des Professors Miller, der bei Benisar Ausgrabungen leitet, angelangt und hat dem braven Gelehrten die Hölle heiß gemacht, er müsse sofort die gesammte Garnison am Nil unten alarmieren, da zwei ganz ausgezeichnete, gute, deutsche Herren in die Hände der Beduinen gefallen seien. Miller, der arabisch spricht wie ein Eingeborener und wie ein Eingeborener Weg und Steg ringsher kennt, hat sich nun sofort eine eingehende Beschreibung geben lassen über Zeit und Ort und Richtung und sich dann sogleich mit seinem Esel auf den Weg gemacht, uns zu benachrichtigen. Bei Morgengrauen langte er an, aber ehe die Sonne am Himmel stand, war auch schon meine Schwadron aufgesessen, und wir sind geritten wie die Wilden. Es war ein Glück, daß während des glühendheißen vergangenen Tages sich kein Lüftchen rührte, so hatte der Wind die Kamelsspuren im Sand nicht verweht, und wir konnten Ihre Spur gut verfolgen.«

»Hätten wir das gewußt, wir würden nicht so sehnlich einen fühlenden Lufthauch erwünscht haben, nicht wahr, Werner?« fragte Hans, der seinen guten Humor bereits wiedergewonnen hatte, und Werner mußte das unbedingt zugeben.

»Vielleicht ist auch unser Durst ohne unser Wissen zu unserm Glück gewesen«, gab er mit süßsaurem Lächeln zurück.

»Wie konnte ich nur übersehen, daß Sie Durst haben müssen«, fiel jetzt der Offizier ein, »wir haben Wasser und Cognak für alle Fälle mitgebracht. Wünschen Sie ein Glas Selterwasser mit Cognak?« und er füllte Werner einen Feldbecher, der diesem in der That wie Nektar mundete. Auch Hans trank und erklärte, kein Champagner hätte ihm je besser geschmeckt.

»Leider müssen wir einige Stunden Ruhe machen, ehe wir umkehren«, entschied jetzt der Offizier, »die Pferde sowie die Leute müssen etwas Ruhe haben nach dem ausgiebigen Ritt, aber wenn es Ihnen angenehm ist, so lasse ich einige Körbe mit Mundvorrat bringen, und wir halten eine verspätete Nachtmahlzeit oder einen frühen Morgenimbiß, wie man es nehmen will.«

Das waren Hans und Werner natürlich zufrieden und verfolgten unwillkürlich mit begehrlichen Blicken die Bewegungen der Soldaten, die sich an den Sätteln der Pferde zu schaffen machten.

»Unser Said soll aber auch sein Teil haben«, sagte Hans, sich nach dem kleinen Burschen umwendend, »wir haben ihm überhaupt für viel zu danken; der wackere Junge ist unser Lebensretter geworden und fast hatten wir ihn über uns selber vergessen.

Suchend schweifte sein Blick umher, aber zunächst war keine Spur von dem Kleinen zu entdecke«.

»Er ist am Ende eingeschlafen«, meinte Werner, aber jetzt fiel Hans Bieneggs Blick auf den Esel Dandraschy, der unfern von ihnen, alle vier von sich gestreckt, im Sand lag. Darauf aber lag mit ausgebreiteten Armen der kleine Schwarze.

»Junge, was machst Du denn da?« sagte Hans, indem er näher hinzutrat und sich zu dem Knaben niederbeugte, der sein Antlitz im Fell des Esels vergraben hatte.

Der Junge regte sich nicht; leise nur zuckte er zusammen, als Hans ihn von neuem anredete und mit Gewalt mußte er ihn emporziehen. Da aber sah er im Licht des Mondscheins einen so verzweifelten Ausdruck tiefen Kummers in dem jungen Gesicht, daß er förmlich erschrak.

»Um Gotteswillen, Said, was ist denn geschehen?«

Statt jeder Antwort aber brach Said in einen Strom von Thränen aus und wies schluchzend mit den schwarzen Armen auf seinen Freund Dandraschy.

Das gute Tier war tot!

Eine Kugel mußte es von ungefähr ereilt haben, denn in starrer Leblosigkeit waren die Beine fortgestreckt und am Hals sickerten noch vereinzelte schwarzrote Blutstropfen aus der tötlichen Wunde hervor.

»Armer Dandraschy!« sagte Hans mitleidig. Said aber schluchzte laut und lauter.

»O Herr, Herr«, jammerte er, »Dandraschy, gutes Dandraschy – Said Schlagen, Schlagen –« und er machte mit seiner Gerte die Bewegung des Schlagens auf seinem eigenen Rücken.

»Nein, der Esel ist erschossen«, sagte Hans, der nicht gleich. begriff, was es mit dem Schlagen sollte, aber bald war es ihm klar, daß Said sich selbst mit dem Schlagen meinte, und daß er augenscheinlich in furchtbarster Angst schwebte Prügel zu bekommen, wenn er ohne Dandraschy heim kehrte.

»Achmed Malik – Schlagen – Said schlagen«, wiederholte er, »da – da«, und er hieb mit wütender Gewalt mit seiner Gerte, die er zum Treiben des Esels gebraucht, in den Sand.

»Achmed Malik wird Dich so sehr schlagen«, wiederholte Hans, »nein, nein, das soll er nicht, Achmed soll Said nicht schlagen, weil Dandraschy tot ist. Achmed Malik bekommt einen neuen Dandraschy von mir, hörst Du, einen anderen Esel für den toten und Said kriegt keine Schläge, ganz sicher nicht.«

Der Sinn der Worte war Said zwar nur ungefähr klar, ober er verstand, daß der Fremde es gut mit ihm meinte, und so flossen seinen Thränen allmählich langsamer, während Hans herzlich auf ihn ein sprach:

»Du bist ja mein kleiner Lebensretter, Said, ich werde Dich doch nicht im Stich lassen. Dir geschieht nichts zu leide, verlaß Dich darauf, ich gehe zu Achmed Malik und sage ihm, daß Du ein guter, braver Junge bist. Achmed Malik soll Dich nie wieder schlagen. Er ist wohl der Besitzer der Esel, nicht wahr? Ich sage ihm, es giebt keinen besseren kleinen Eseltreiber als Dich; nun, sei nur ruhig und weine nicht. Komm, Du sollst was zu essen bekommen.«

Er zog den Kleinen von dem toten Esel fort und schob ihm von den aufgepackten Eßwaren ein schönes Stück Brot in den Mund. Saids Züge klärten sich auf, als er herzhaft hineinbiß, aber während er mit vollen Backen kaute, rollte doch noch hie und da eine vereinzelte Thräne über das dunkle Antlitz hernieder.



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