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Die Zeit kam, da ich Direktor Atherton demütigte und sein Ultimatum »Dynamit oder Zwangsjacke« zu einer leeren Drohung machte. Er mußte mich aufgeben, denn er konnte mich nicht in der Zwangsjacke umbringen. Er hatte Männer durch einige wenige Stunden Zwangsjacke umgebracht, wenn sie auch unweigerlich losgebunden und ins Hospital gebracht wurden, ehe sie ihren letzten Seufzer ausstießen, worauf ein auf Lungenentzündung, Brightsche Nierenkrankheit oder Herzschlag lautender Totenschein ausgestellt wurde.

Aber mich konnte Direktor Atherton nicht umbringen. Er sollte nie meinen mißhandelten, sterbenden Kadaver ins Hospital schaffen. Das war jedoch nicht seine Schuld. Er tat sein Bestes, wie zum Beispiel damals, als er mir die doppelte Zwangsjacke gab. Es ist ein so interessantes Ereignis, daß ich es erzählen muß.

Es geschah, daß eine San Franziskoer Zeitung (die, wie jede Zeitung, jedes Handelsunternehmen, einen Markt suchte, der ihr neuen Verdienst bringen sollte) den radikalen Teil der Arbeiterklasse für Gefängnisreform zu interessieren versuchte. Da die Gewerkschaften starken politischen Einfluß hatten, war das Resultat, daß ein Senatskomitee aus Politikern in Sacramento ernannt wurde, das die Verhältnisse in den Staatsgefängnissen untersuchen sollte.

Dieses Komitee untersuchte (verzeiht meinen Spott, den ich durch Herausheben dieses Wortes ausdrücke!) San Quentin. Nie hatte es ein musterhafteres Gefängnis gegeben. Die Gefangenen bezeugten es selber. Daraus kann ihnen niemand einen Vorwurf machen, denn sie hatten mit früheren derartigen Untersuchungen ihre Erfahrungen gemacht. Sie wußten, daß all ihre Rippen es schnell zu fühlen bekamen, wenn sie Aussagen machten, die dem Gefängnisdirektor nicht angenehm waren. Wie gesagt bezeugte jeder der Gefangenen die humane Verwaltung Direktor Athertons. So rührend waren ihre Aussagen über den Direktor selbst, über die gute, abwechslungsreiche Kost, über die Menschlichkeit der Wärter und die vorzüglichen Verhältnisse im Gefängnis überhaupt, daß die Oppositionspresse in San Franzisko ein indigniertes Geheul ausstieß und größere Strenge in den Gefängnissen forderte, da man andernfalls Gefahr liefe, daß ehrliche Bürger in die Versuchung gerieten, sich als Gefängnisgäste aufnehmen zu lassen. Selbst in die Einzelzelle kam das Senatskomitee. Aber wir drei hatten nur wenig zu verlieren und nichts zu gewinnen. Jake Oppenheimer spie ihnen ins Gesicht und bat sie, sich zum Teufel zu scheren. Ed Morrell erzählte ihnen, was für eine Hölle es war, und beleidigte den Direktor, so daß das Komitee dem Direktor befahl, ihn einmal die nie angewandten, veralteten Strafmittel schmecken zu lassen, die doch wohl schließlich von früheren weniger humanen Direktoren für den Fall erfunden waren, daß es sich um verhärtete Verbrecher wie diese handelte.

Ich hütete mich wohl, den Direktor zu beleidigen. Ich war sehr vorsichtig mit meiner Aussage – begann ganz zahm, stieg dann von Stufe zu Stufe und wickelte meine Zuhörer so in meine schönen Worte vom Gefängnis ein, daß sie ganz erpicht darauf waren, die Fortsetzung zu hören. So gut machte ich meine Sache, daß ich ihnen, ehe sie auch nur ein Wort davon wußten, alles gesagt hatte, was ich wollte – alles.

Ach, keine Silbe von dem, was ich enthüllte, kam je vor die Tore des Gefängnisses. Das Senatskomitee erteilte dem Direktor das beste Zeugnis – er war eben verleumdet worden. Die Zeitungen versicherten ihren Lesern, daß San Quentin weißer als der Schnee und daß die Zwangsjacke allerdings immer noch als gesetzliches Strafmittel für die Unverbesserlichen anerkannt war, aber dennoch von dem jetzigen humanen, rechtsinnigen Direktor unter keinen Umständen je benutzt wurde.

Und während die Arbeiter dieses lasen und glaubten, während das Senatskomitee mit dem Direktor auf Kosten des Staates und der Steuerzahler praßte, lagen wir drei in der Zwangsjacke, um ein weniges fester und boshafter eingeschnürt als sonst.

»Es ist zum Lachen«, klopfte Ed Morrell mir zu.

»Das finde ich nicht«, klopfte Jake.

Und ich klopfte auch meine grimmige Verachtung und mein Hohngelächter, lächelte bei mir in einem mächtigen, weltumfassenden Lächeln und entglitt in die Größe des Traumtodes, der mich zum Erbe aller Zeiten und zum Alleinherrscher allen Lebens machte.

Ja, lieber Bruder in der Welt draußen, während die Maschinen die Zeitungen ausspien, welche das Gefängnis reinwuschen, während die erhabenen Senatoren tranken, schwitzten wir drei lebenden Leichname, im einsamen Gefängnis begraben, vor Qualen in der Tortur der Zwangsjacke.

Und nach dem Mittagessen, noch mit heißem Kopf vom Wein, kam Direktor Atherton selbst herunter, um zu sehen, wie es uns ginge. Mich fanden sie wie gewöhnlich bewußtlos. Doktor Jackson muß zum ersten Male erschrocken gewesen sein. Ich wurde zum Leben, zum Bewußtsein zurückgebracht, indem sie mir beißendes Ammoniak unter die Nase hielten. Ich lächelte in die Gesichter, die sich über mich beugten.

»Er simuliert«, knurrte der Direktor, und an seinem flammenden Gesicht und seiner dicken Zunge erkannte ich, daß er getrunken hatte.

Ich leckte mir die Lippen zum Zeichen, daß ich Wasser wünschte, um sprechen zu können.

»Sie sind ein Esel«, glückte es mir endlich mit kalter Deutlichkeit zu sagen. »Ein Feigling, ein Köter, so verächtlich, daß es schade wäre, Speie auf Ihre Fratze zu verwenden. Jake Oppenheimer war in dieser Beziehung zu großherzig. Wenn ich Sie nicht anspeie, so ist es nur, weil ich meine Speie nicht auf einen Menschen wie Sie opfern will.«

»Jetzt habe ich die Grenze meiner Geduld erreicht, Standing«, brüllte er, »jetzt sollst du sterben.«

»Sie sind besoffen«, erwiderte ich, »und ich rate Ihnen, wenn Sie schon so etwas sagen wollen, nicht so viele von Ihren Henkersknechten mitzubringen. Die schwatzen eines Tages aus der Schule, und dann verlieren Sie Ihre angenehme Stellung.«

Aber in diesem Augenblick beherrschte ihn der Wein.

»Legt ihm noch eine Zwangsjacke an«, befahl er.

»Du bist ein toter Mann, Standing. Aber du wirst nicht in der Zwangsjacke sterben. Wir werden deinen Kadaver vom Hospital aus begraben.«

Die zweite Zwangsjacke legten sie mir von hinten an, so daß sie vorn verschnürt wurde.

»Es ist kalt hier«, höhnte ich, »es ist nett, daß Sie mir zwei Jacken anziehen, das wird helfen.«

»Fester, fester«, sagte er zu Hutchins, der mich einschnürte. »Stemm den Fuß dagegen, drück ihm die Rippen ein!«

Ich muß zugeben, daß Hutchins tat, was er konnte.

»Du willst hier Lügen über mich erzählen«, wütete der Direktor, und sein vom Wein erhitztes Gesicht flammte noch röter. »Jetzt wirst du sehen, was du dafür kriegst, diesmal bist du erledigt. Verstanden? Erledigt!«

»Tun Sie mir nur einen Gefallen, Direktor«, flüsterte ich schwach, denn schwach war ich. Ich war fast bewußtlos durch das furchtbare Zusammenschnüren. »Legen Sie mir noch die dritte Jacke an«, glückte es mir, fortzufahren, während die Wände der Zelle um mich tanzten und ich mit aller Willenskraft kämpfte, um mir mein Bewußtsein zu bewahren, das durch die zwei Zwangsjacken aus mir herausgepreßt wurde. »Noch eine Jacke ... Direktor ... es ... wird ... besser ... wärmen.«

Und mein Flüstern erstarb, und mein Flüstern verhauchte, »das kleine Sterben« kam über mich. Ich wurde nie wieder der Alte nach der doppelten Zwangsjacke. Nie erholte ich mich wieder – einerlei, welche Nahrung ich erhielt. Ich erlitt innerliche Beschädigungen in einer Ausdehnung, die untersuchen zu lassen, mich nicht interessierte. Der alte Schmerz in meinen Rippen und meinem Unterleib ist auch jetzt, während ich diese Zeilen schreibe, da. Aber die arme mißhandelte Maschinerie hat geleistet, was sie konnte. Sie hat mich instand gesetzt, bis jetzt zu leben, und wird mich instand setzen, noch eine kurze Weile zu leben, bis zu dem Tage, da sie mich im kragenlosen Hemd hinausführen und den gutgereckten Strick um meinen Hals legen. Aber die doppelte Zwangsjacke war der letzte Strohhalm, nach dem der Direktor greifen konnte. Sie zerbrach ihn, sie benahm ihm den Atem – er war es, der erledigt wurde – denn das bewies ihm, daß er nicht der Mann war, mich umzubringen. Wie ich ihm eines Tages sagte:

»Die einzige Art, mich loszuwerden, ist, daß Sie sich eines Nachts mit einer Axt hereinschleichen.«

Jake Oppenheimer machte übrigens eine gute Bemerkung zum Direktor:

»Wissen Sie, Direktor, es muß Ihnen verflucht schwer ankommen, jeden Morgen mit Ihnen selbst auf dem Kopfkissen aufzuwachen!«

Und Ed Morrell sagte zum Direktor:

»Ihre Mutter muß fabelhaft kinderlieb gewesen sein, daß sie Sie bei sich ertragen konnte.«

Es war in Wirklichkeit ein Schlag für mich, daß ich die Zwangsjacke entbehren mußte. Mir fehlte meine Traumwelt unendlich. Aber nicht lange. Ich entdeckte, daß ich meine Lebensfunktionen durch meinen bloßen Willen aufheben konnte, wenn ich mir mechanisch Brust und Leib mit der Decke zusammenpreßte. Auf diese Weise erzeugte ich dieselben psychologischen und physiologischen Zustände wie die Zwangsjacke und war ohne die alte Tortur imstande, sobald ich es wollte, in Zeit und Raum hinauszuschwärmen.

Ed Morrell glaubte an all meine Erlebnisse. Oppenheimer aber blieb bis zum letzten Augenblick skeptisch. In meinem dritten Jahr in der Einzelzelle stattete ich Jake Oppenheimer einen Besuch ab. Nur ein einziges Mal war ich dazu imstande, und dieses eine Mal kam ganz unvorhergesehen und unbeabsichtigt.

Unmittelbar, nachdem die Bewußtlosigkeit über mich gesunken war, befand ich mich in seiner Zelle. Mein Körper lag, wie ich wußte, in der Zwangsjacke in meiner eigenen Zelle. Obwohl ich ihn noch nie gesehen hatte, wußte ich, daß es Jake Oppenheimer war. Es war Sommerwetter, und er lag unbekleidet auf seiner Decke. Ich war entsetzt über sein leichenhaftes Gesicht und seinen skelettartigen Körper. Er war nicht einmal mehr die Schale eines Mannes. Nur der Knochenbau, das Skelett, das durch die pergamentartige Haut zusammengehalten wurde. Fleisch war nicht vorhanden.

Sein Körper war wie der eines Mannes, der längst gestorben und im Sonnenbrand der Wüste eingeschrumpft war. Die Haut, die ihn bedeckte, hatte die Farbe trockenen Lehmes. Seine scharfen, graugelben Augen waren das einzige Lebendige an ihm. Sie kamen nie zur Ruhe. Er lag auf dem Rücken, und der Blick flog hin und her und folgte einigen Fliegen auf ihrem Fluge durch die schwere Luft. Ich bemerkte auch eine Narbe an seinem rechten Ellenbogen und eine andere an seinem rechten Fußgelenk.

Nach einer Stunde gähnte er, rollte sich auf die Seite und untersuchte eine häßliche Wunde dicht über der Hüfte. Die reinigte er, so gut ein Mann in einer Einzelzelle es vermag. Dann rollte er sich wieder auf den Rücken, faßte mit Daumen und Zeigefinger einen Vorderzahn im Oberkiefer – es war ein Eckzahn – und rüttelte ihn ein ganzes Stück hin und her. Wieder gähnte er, reckte die Arme, drehte sich dann um und klopfte Ed Morrell etwas zu.

Als ich wieder zum Bewußtsein kam, erzählte ich Jake Oppenheimer meinen Besuch zum Beweis, daß mein Geist meinen Körper verließ. Aber sein Unglaube war nicht zu erschüttern.

»Das hast du geraten, nur geraten«, antwortete er, als ich gesprochen hatte. »Das denkst du dir, du hißt jetzt selbst beinahe drei Jahre hier unten. Und da ist es kein Wunder, sich zu denken, was ein anderer tut, um sich die Zeit zu vertreiben.«

Ed Morrell stand mir bei, aber zwecklos.

»Nimm es dir nicht nahe, Professor«, klopfte Jake, »ich sage ja nicht, daß du lügst. Ich sage nur, daß du in der Jacke träumst und denkst, ohne es selbst zu wissen. Ich weiß, daß du selber glaubst, was du sagst, aber das genügt mir nicht. Du denkst es, aber du weißt nicht, daß du es denkst. Du weißt es die ganze Zeit, wenn du dir auch dessen erst in deinem Schlafzustand bewußt wirst.«

»Warte mal, Jake«, klopfte ich, »du weißt doch, daß ich dich noch nie gesehen habe?«

»Ich weiß nicht, du kannst mich ja gesehen haben, ohne zu wissen, daß ich es war.«

»Die Sache ist«, antwortete ich, »daß ich, obwohl ich dich noch nie ohne Kleidung gesehen habe, doch imstande bin, dir zu sagen, daß du eine Narbe über dem rechten Ellenbogen und eine am rechten Fußgelenk hast.«

»Und wenn schon«, antwortete er. »Schlag im Gefängnisprotokoll nach und such mich im Album. Es gibt Tausende von Polizisten, die mich beschreiben können.«

»Davon habe ich nie etwas gehört«, versicherte ich.

»Du erinnerst dich nur nicht daran«, verbesserte er mich, »aber du kannst es doch gesehen haben. Wenn du es auch vergessen hast, so liegt die Meldung doch gebrauchsfertig in deinem Gehirn, du weißt nur nicht, wo sie hingepackt ist. Um dich zu erinnern, mußt du selbst bewußtlos werden. Hast du je den Namen eines Mannes vergessen, den du ehedem so gut kanntest wie deinen eigenen Bruder? Das habe ich. Er war Mitglied der Jury in Oakland, die mich zu den fünfzig Jahren Gefängnis verurteilte, und eines schönen Tages merkte ich, daß ich seinen Namen vergessen hatte. Wochenlang zerbrach ich mir den Kopf, um ihn zu finden, aber weil es mir nicht gelang, ihn aus meinem Gedächtnis auszugraben, konnte ich doch nicht sagen, daß er nicht da war. Er war nur verlegt. Und als ich eines Tages an etwas ganz anderes dachte, schwupp, da. hatte ich ihn auf der Zunge. Stacy, sagte ich ganz laut. Joseph Stacy, so hieß er. Verstehst du, was ich meine? Du hast mir von diesen Narben erzählt, die Tausende von Menschen kennen. Ich meine, daß du es selbst zwar nicht weißt. Aber wenn du mir etwas erzählst, was viele Menschen wissen, so kann mich das nicht überzeugen. Dazu gehört mehr!«

Aber Jake Oppenheimer war ehrlich. Als ich an diesem Abend gerade einschlafen wollte, rief er mich mit dem üblichen Zeichen:

»Weißt du, Professor, du sagtest, daß du gesehen hättest, wie ich mit meinem losen Zahn wackelte. Das ist mir unerklärlich. Das ist das einzige, was ich nicht verstehen kann. Er ist erst seit drei Tagen lose, und ich habe keinem etwas davon gesagt.«

 

Pascal sagt einmal: »Bei Betrachtung des Ganges menschlicher Entwicklung sollte der philosophische Geist die Menschheit als ein einzelnes Individuum betrachten und nicht als eine Aufhäufung von Individuen.«

Ich sitze hier im Mördergang in Folsom mit dem einschläfernden Summen der Fliegen in meinen Ohren, während ich über diesen Gedanken Pascals grüble. Er ist richtig. Wie der menschliche Embryo in seinen kurzen zehn Mondmonaten mit verblüffender Schnelligkeit in Myriaden von Formen und Gleichheiten myriadenfach multipliziert die ganze Geschichte des organischen Lebens von der Pflanze bis zum Menschen wiederholt, wie der Knabe in den kurzen Jahren seiner Kindheit die Geschichte des primitiven Menschen in grausamen und wilden Taten, von seiner unnützen Lust, kleinere Geschöpfe zu quälen, bis zum Stammesbewußtsein, das sich in dem Wunsche ausdrückt, scharenweise aufzutreten, wiederholt – so habe ich, Darrell Standing, alles wieder aufgenommen und wieder erlebt, was der primitive Mensch war, tat und wurde, bis er wie du und ich und wir alle in unserer Zivilisation des zwanzigsten Jahrhunderts wurden. Wahrlich, jeder von uns trägt in sich die unverfälschte Geschichte des Lebens von Beginn des Lebens an. Diese Geschichte ist in unsern Organen, unsern Gehirnzellen, in unserm Geist und in all dem Vielerlei physiologischer und psychologischer atavistischer Notwendigkeiten und Zwänge niedergeschrieben. Einst waren wir wie Fische, du, mein Leser, und ich, und wir krochen aus dem Meere empor, um uns auf das große, endlose Festland zu begeben, wo wir jetzt leben. Das Zeichen des Meeres ist uns noch aufgeprägt, wie auch das Zeichen der Schlange, ehe die Schlange Schlange wurde, und wie wir wurden, als die Vorfahren der Schlange und unsere Vorfahren noch dieselben waren. Einst flogen wir in der Luft, und einst ruhten wir auf Bäumen und fürchteten das Dunkel. Die Spuren bleiben, sie haften fest an dir und mir und an der Saat, die uns folgt, bis unsere Zeit auf Erden vorbei ist.

Was Pascal mit den Augen eines Sehers erblickte, habe ich durchlebt. Ich habe mich selbst als den einen Mann gesehen, den die philosophischen Augen Pascals betrachteten. Oh – ich weiß eine Erzählung – wahr ist sie, wunderbar, und. für mich ist sie wirklich, obwohl ich zweifle, daß ich gut genug schreibe, um sie zu erzählen, und daß du, mein Leser, Geist genug hast, sie zu verstehen, wenn ich sie erzähle. Ich sage, daß ich mich selbst als den einen Mann gesehen habe, auf den Pascal hindeutete. Ich habe lange Zeit in der Trance in der Zwangsjacke gelegen und mich als tausend lebende Menschen, lebendige Tausend von Leben gesehen, die an sich die Geschichte der Menschheit, des Menschen waren, wie er im Laufe der Zeit emporklomm.

Königliche Erinnerungen habe ich, wie ich durch Äonen von fernen Zeiten schwebe. Hin und wieder habe ich in der Zwangsjackentrance die vielen Leben gelebt, die in den jahrtausendelangen Odysseen der primitiven Völkerwanderungen einbefaßt sind. Ihr Götter! Ehe ich einer der flachshaarigen Asen war, die in Asgard wohnten, und ehe ich einer der rotwangigen Vanen war, die in Vanaheim lebten, ja, lange vor diesen Zeiten habe ich Erinnerungen – lebendige Erinnerungen – an frühere Wanderungen zu der Zeit, als wir wie Distelflocken vor dem Winde nach Süden zogen, fort von der Eishaube des Nordpols, die sich gegen uns ausbreitete.

Ich bin vor Kälte und Hunger, Kampf und Springflut gestorben. Ich habe Beeren auf dem unfruchtbaren Rückgrat der Welt gepflückt und habe Wurzeln auf den fetten Wiesen ausgegraben, um meinen Hunger zu stillen. Ich habe Zeichnungen, die Renntiere und das haarige Mammut darstellen sollten, auf den langen Elfenbeinzähnen, die wir auf der Jagd erbeuteten, und auf Felswänden in unseren Höhlen eingeritzt, wenn die Winterstürme draußen heulten. Ich habe Markknochen an Stätten zerbrochen, wo Königsstädte standen und Jahrhunderte vor meiner Zeit versanken, oder an Stätten, wo Königsstädte Jahrhunderte nach mir erbaut werden sollten. Und ich habe die gebleichten Knochen meines vergänglichen Körpers auf dem Grunde von Teichen und Flüssen, in vereisten Schluchten und in Seen aus Asphalt hinterlassen. Ich habe die Periode durchlebt, die man jetzt die paläolithische und neolithische und die Bronzezeit nennt. Ich erinnere mich, wie wir mit unsern gezähmten Wölfen unsere Renntierherden auf die Weide an der Nordküste des Mittelmeeres führten. Das war, ehe die Eisschicht nach dem Pol zurückschmolz.

Ich bin ein Sohn des Pfluges, ein Sohn des Fisches, ein Sohn des Baumes gewesen. Alle Religionen vom ersten Glauben des Menschen an wohnen in mir, und wenn der Priester in der Kapelle hier in Folsom am Sonntag Gott preist, dann weiß ich, daß in ihm, diesem modernen Priester, noch der Kult des Pfluges, des Fisches und des Baumes – ja und aller Kult Astartes und der Nacht lebt.

Wenn ich nur deutlich genug mit Worten das alles malen könnte, was ich in meinem Bewußtsein von den mächtigen Wanderungen der Rassen in der Zeit, ehe unsere Geschichte beginnt, sehe, weiß und in meinem Bewußtsein habe! Ja, wir hatten auch eine Geschichte damals. Unsere Alten, unsere Priester, unsere Weisen berichteten unsere Geschichte in Erzählungen und schrieben sie in die Sterne, damit unsere Nachkommen sie nicht vergessen sollten. Vom Himmel kamen der lebenspendende Regen und das Licht der Sonne, und wir studierten den Himmel, lernten nach den Sternen die Zeit zu berechnen und uns nach den Jahreszeiten zu richten, und wir nannten die Sterne nach unseren Helden, nach unserer Nahrung und unsern Mitteln, sie uns zu verschaffen, nach unsern Belehrungen, unsern Abenteuern, unsern rasenden Trieben und Begierden.

Und, ach! Wir glaubten, daß die Himmelszeichen nicht wechselten, die Himmelszeichen, auf die wir all unsere demütigen Wünsche und alles schrieben, was wir ausführten, oder von dessen Ausführung wir träumten. Als ich ein Sohn des Stieres war, verbrachte ich, wie ich mich entsinne, ein ganzes Leben damit, die Sterne anzustarren. Und vorher wie nachher gab es andere Existenzen, da ich mit Priestern und Barden zusammen Tabugesänge von den Sternen sang, in denen, wie wir meinten, unsere unvergänglichen Taten verzeichnet standen. Und hier in Folsom grüble ich jetzt über astronomische Werke aus der Gefängnisbibliothek und ersehe aus ihnen, daß der Himmel selbst nur ein fortschreitender Strom ist, den die wandernden Sterne plagen, wie die Menschen die Erde plagen.

Mit diesen modernen Kenntnissen ausgerüstet, bin ich, wenn ich durch »das kleine Sterben« aus meinen früheren Existenzen zurückkehrte, imstande gewesen, den jetzigen Himmel mit dem damaligen zu vergleichen. Ich habe ganze Reihen von Polarsternen, Dynastien von Polarsternen gesehen. Heute befindet er sich im Kleinen Bären. In meinen fernen Tagen jedoch habe ich den Polarstern im Drachen, im Herkules, in der Leier, im Schwan und im Cepheus gesehen. Nein, selbst die Sterne sind nichts Bleibendes, und doch bleibt die Erinnerung an sie und die Kenntnis von ihnen in mir, in meinem Geist, welche Erinnerung und ewig ist. Nur Geist bleibt, alles andere ist eitel Materie; es vergeht und muß vergehen.

Ich sehe mich selbst als den einen Mann, der in der älteren Welt erstand, hell, wild, Mörder und Liebender, Fleischfresser und Wurzelgräber, Vagabund und Räuber, der mit der Keule in der Hand Jahrtausende hindurch die Welt durchwanderte, um sich Fleisch zum Fressen und ein sicheres Nest für seine Kinder zu suchen.

Ich bin der Mann, seine Summe, er ganz und gar, das unbehaarte Zweibein, das sich aus dem Schlamm emporkämpfte und Liebe und Gesetz von der Anarchie des fruchtbaren Lebens schuf, das in der Dschungel heulte und schrie. Ich bin alles, was der Mann war und wurde. Ich sehe mich selbst in den mühseligen Leben von Generationen Fallen stellen, Wild und Fische töten, die ersten Felder im Walde ausroden, rohes Steinwerkzeug und Knochengerät verfertigen, Blockhütten bauen, die Dächer mit Blättern und Stroh dichten, die wilden Gräser und Kräuter anbauen und sie veredeln, daß sie zu den Vorfahren des Reises, des Weizens, der Gerste und der anderen Getreidearten werden; ich sehe mich lernen, die Erde aufzukratzen, zu säen und zu ernten, Vorräte einzusammeln, die Fasern aus Pflanzen zu klopfen, und sie zu Fäden zu spinnen und zu Stoff zu weben, Berieselungssysteme zu erfinden, in Metallen arbeiten, Märkte und Handelsrouten zu schaffen, Schiffe zu bauen, Seefahrt zu treiben, ja, Dörfer zu organisieren, Dorf zu Dorf zu legen, bis sie zu Stämmen werden, die Stämme zu sammeln, bis sie zu Völkern werden, immer nach dem Gesetz der Dinge suchend, immer den Menschen Gesetze gebend, daß Menschen in Eintracht miteinander leben und durch gemeinsames Werk alles Kriechende, Krabbelnde, Brüllende, das sonst das Leben vernichten würde, niederschlagen. Ich war dieser Mann in allen seinen Geburten und Schicksalen. Ich bin dieser Mann heute und warte auf meinen Tod, dessen Ursache das Gesetz ist, das ich selbst vor vielen Jahrtausenden geben half und durch das ich viele Male vor diesem gestorben bin. Und wie ich auf diese ungeheure Vergangenheit, die die meine ist, zurückblicke, finde ich mehrere große, prachtvolle Mächte, und als erste unter ihnen die Liebe zum Weibe seiner Rasse. Ich sehe mich selbst, den einen Mann, den Liebenden, immer Liebenden. Ja, ich war auch der große Kämpfer, aber wie ich jetzt hier alles abwäge, was ich war: vor allem der große Liebende. Der große Kämpfer wurde ich erst, weil ich so heiß liebte.

Zuweilen denke ich, daß die Geschichte des Mannes die Geschichte der Liebe sei. Diese Erinnerung an alle meine Vergangenheit, die ich jetzt schreibe, ist die Erinnerung an meine Liebe zum Weibe. In den zehntausend Existenzen und Verkleidungen habe ich sie immer geliebt. Ich liebe sie jetzt. Mein Schlaf ist voll von ihr; meine Wachträume führen mich stets zu ihr, wo sie auch beginnen mögen. Es ist mir nicht möglich, von ihr, der ewig prachtvollen, immer strahlenden Frauengestalt zu lassen.

Oh, irrt euch nicht. Ich bin kein unerfahrener, heißblütiger Jüngling. Ich bin ein älterer, an Körper und Gesundheit gebrochener Mann, der bald sterben muß. Ich bin Wissenschaftler und Philosoph. Ich erkenne, wie die Philosophen aller Generationen vor mir, das Weib als das, was sie ist. Ich kenne ihre Schwächen und Kleinigkeiten und ihren Mangel an Würde, ihre Erdgebundenheit, ihre Augen, die nie die Sterne gesehen haben. Aber – und diese ewige unumstößliche Tatsache bleibt bestehen – ihre Füße sind schön, ihre Augen sind schön, ihre Brüste und Schultern sind das Paradies, ihre Anmut ist über aller anderen Anmut, die je Männer geblendet hat. Und wie die Magnetnadel willenlos nach dem Pol hingezogen wird, wird der Mann willenlos zu ihr hingezogen.

Die Frau ist Ursache, daß ich Tod und Entfernung verlache, Schlaf und Müdigkeit verspotte. Ich habe andere Männer, viele Männer aus Liebe zu einem Weibe getötet und im heißen Blut unsere Hochzeitsfahrt getauft oder mit Blut den Flecken abgewaschen, den ihre Gunst auf meinen Schild setzte, als sie sie einem andern schenkte. Ich habe Tod und Schande getrotzt, habe meine Genossen um meiner selbst willen verraten, so hungerte mich nach ihr, und ich habe im Gras verborgen, krank vor Sehnsucht nach ihr gelegen, nur um sie vorbeigehen zu sehen und mein Auge an ihr und an dem Wunder ihres Haares zu erfreuen, mochte es nun schwarz wie die Nacht, oder braun oder aschblond oder schimmernd wie Goldfäden in der Sonne sein.

Denn die Frau ist schön ... für den Mann. Sie ist Süße für seinen Gaumen, Duft für seine Nase, sie ist Feuer in seinem Blut und eine Fanfare von Trompeten. Ihre Stimme ist über aller Musik in seinen Ohren, und sie kann seine Seele erschüttern, die vor den Titanen des Lichtes und der Dunkelheit fest wie ein Felsen steht. Und jenseits von seinem Sternenschauen, in seinen gedachten Paradiesen hat der Mann ihr, Walküre oder Huri, Platz gemacht, denn er kann sich einen Himmel nicht ohne sie denken. Selbst das Schwert, das in dem klingenden Kampfe singt, singt nicht so schön, wie das Weib nur durch sein Lachen im Mondschein oder durch seine Liebesseufzer im Dunkel oder durch seinen wiegenden Gang im Sonnenschein singt, wenn er schwindelnd vor Sehnsucht im Grase liegt.

Ich bin vor Liebe gestorben, ich bin um der Liebe willen gestorben, wie ihr sehen werdet. Bald führen sie mich, Darrell Standing, hinaus und lassen mich sterben, und dieser Tod soll um der Liebe willen sein. Ach – nicht in plötzlicher Aufwallung tötete ich Professor Haskell im Laboratorium der Universität Kaliforniens. Er war ein Mann, ich war ein Mann, und es gab eine schöne Frau. Versteht ihr nun? Sie war ein Weib und ich war Mann und Liebender, und alles Erbteil der Liebe war mein, von der schwarzen finsteren Dschungel an, ehe Liebe Liebe und Mann Mann war.

O nein, das ist nichts Neues. Oft, oft habe ich in jener fernen Vergangenheit Leben, Ehre, Stellung und Macht für Liebe hingegeben. Der Mann ist anders als das Weib. Er lebt für den Augenblick und kennt nur den Drang nach den gegenwärtigen Dingen. Wir kennen eine Ehre über ihrer Ehre und einen Stolz, der ihre wildeste Ahnung von Stolz himmelhoch überragt. Unser Ausblick ist weit von dem vielen Sternenschauen, aber ihre Augen sehen nicht weiter als bis zu dem festen Boden unter ihren Füßen, bis zur Brust des Liebenden, die an der ihren ruht, bis zu dem Kind, das in ihrem Arm liegt, und doch webt das Weib Zauber in unsere Träume und in unsere Adern hinein und wird uns dadurch mehr als Träume und ferne Gesichte und selbst das Blut des Lebens. Aber es ist recht so, denn sonst wäre ein Mann nicht ein Mann, Kämpfer und Eroberer, der den roten Pfad hin über andere, geringere Leben schreitet – dann wäre der Mann nicht der Liebende, der königliche Liebende, dann konnte er nie der königliche Kämpfer werden. Wir kämpfen am besten und sterben am besten für das, was wir lieben.

Ich bin nur ein Mann. Ich sehe die vielen Ichs, die mich gemeinsam gebildet haben, und beständig sehe ich all die vielen Frauen, die mich schufen und vernichteten, die mich liebten, und die ich liebte.

Ich erinnere mich – ach, es ist so lange her –, daß ich, als die Menschheit jung war, eine Falle verfertigte und eine Grube mit einem spitzen Pfahl darin anlegte, um Säbelzahn zu fangen. Säbelzahn war die schlimmste Gefahr, die uns in der Ansiedlung bedrohte, wo wir in der Nacht um unser Feuer zusammenkrochen und in der Nacht den wachsenden Abfallhaufen unter uns durch Schalen der Muscheln vermehrten, die wir aus den Schlammbänken vor uns ausgruben.

Wenn das furchtbare Gebrüll Säbelzahns uns an unseren verglimmenden Feuern weckte und mich der Gedanke packte, die Grube mit dem Pfahl an meinem, unserm Feinde zu versuchen, dann schlang das Weib die Arme um mich und versuchte mich davon abzuhalten, hinaus in die Finsternis zu gehen, wie ich wollte. Sie war in Felle von Tieren gekleidet, die ich getötet hatte. Sie war dunkelhaarig und geschwärzt vom Rauch des Lagerfeuers, ungewaschen seit dem Frühlingsregen, mit abgebrochenen und geknickten Nägeln und Händen, die eher Krallen glichen. Aber ihre Augen waren blau wie der Sommerwind, tief wie das Meer, und es war etwas in den Augen und den Armen, die sich um mich schlangen. Und in ihrem Herzen, das gegen das meine pochte, etwas, das mich zurückhielt ... obwohl ich in der Dunkelheit, während Säbelzahn heulend seinen Todeskampf kämpfte, meine Genossen mit ihren Weibern schwatzen hörte, daß ich doch wohl kein Vertrauen zu meiner Erfindung hätte, jedenfalls aber nicht zur Nachtzeit nach der Grube zu gehen wagte, wie ich geprahlt. Aber mein Weib, meine wilde Genossin, hielt mich fest, so wild ich auch war, und ihre Augen lockten mich, und ihre Arme fesselten mich. Ihr Herz, das gegen das meine pochte, führte mich fort von meinen wilden Träumen, von Taten, Mannestaten, von der größten Tat: Säbelzahn in der Stachelgrube zu töten.

Einst war ich Uschu, der Bogenschütze. Ich erinnere mich wohl, denn ich hatte mein eigenes Volk in den großen Wäldern verloren, und als ich wieder ins Freie, auf die Grassteppen kam, fand ich ein fremdes Volk, doch von meiner Rasse, denn ihre Haut war so weiß wie die meine, ihr Haar gelb und ihre Sprache nicht viel anders als die meine. Und sie hieß Igar, und ich gewann sie, während ich in der Dämmerung sang. Sie war groß und schwer, so recht eine Mutter für einen Stamm, und sie fühlte sich hingezogen zu einem Mann mit breiter Brust und schweren Muskeln, der von seiner Kraft, Männer zu töten und Fleisch zu verschaffen, sang und so den Eindruck machte, ihr in ihrer Schwäche Nahrung und Schutz geben zu können, während sie die Saat pflegte, die nach ihr und ihm jagen und leben sollte.

Dieses Volk war nicht so klug wie mein Volk, denn es kannte nicht den schnellen Flug eines Pfeiles vom Bogenstrang. Sie benutzten nur Keulen und warfen Speere aus Steinen. Während ich sang, lachten die Fremden über mich in der Dämmerung. Nur Igar glaubte an mich. Ich nahm sie allein mit auf die Jagd, dorthin, wo der Hirsch das Wasser aufsucht. Mein Bogen sang, und der Hirsch fiel. Das warme Fleisch war süß zu essen, und sie wurde mein an der Wasserstelle.

Und Igars wegen blieb ich bei den fremden Menschen, und ich lehrte sie verschiedenartige Pfeile für die verschiedenartige Jagd verfertigen, mit stumpfer Spitze für kleineres Wild, mit gespitzten Knochen für die Fische in dem klaren Wasser. Ich lehrte sie Pfeilspitzen aus Obsidian für den Hirsch und das wilde Pferd, den Elch und den alten Säbelzahn spalten. Sie lachten über dieses Steinspalten, bis ich einen Elch durchschoß, daß die gespaltene Pfeilspitze auf der andern Seite herauskam, während der gefiederte Schaft sich im Innern des Tieres befand. Da huldigte mir der ganze Stamm.

Ich war Uschu, der Bogenschütze, und Igar war mein Weib und meine Genossin. Wir lachten unter der Sonne des Morgens, wenn unser Knabe und unser Mädchen sich, gelb wie Honigbienen, im Moose wälzten. Nachts lag sie eng an mich geschmiegt, in meinen Armen, liebte mich und flehte mich an, im Lager zu bleiben und mir von den andern Männern Fleisch bringen zu lassen. Ich war ja tüchtiger im Zubereiten des Holzes und im Verfertigen der Pfeilspitzen, und ich hörte auf sie und wurde dick und kurzatmig. In den langen Nächten ärgerte ich mich, daß die fremden Männer mir Fleisch für meine Weisheit brachten, mich aber wegen meines Fettes und meines Mangels an Jagdeifer und Kampfeslust verlachten.

Und in meinen alten Tagen, als unsere Söhne Männer und unsere Töchter Mütter waren, kamen von Süden dunkle Männer mit flachen Stirnen und wolligem Haar wie Wogen über das Land, und wir flohen vor ihnen in die Berge. Da kämpfte Igar wieder, wie meine Frauen früher und später, um mich vom Kampfe zurückzuhalten.

Und dick und kurzatmig, wie ich war, riß ich mich los, während sie weinte, daß ich sie nicht mehr liebte, und bei Nacht und Grauen zog ich in den Kampf, wo wir durch das Singen der Bogenstränge und das Pfeifen der Pfeile den Wollköpfen zeigten, wie man kämpfen und töten mußte.

Und als ich am Ende des Kampfes starb, ertönten rings um mich her Totenlieder, und diese Lieder klingen mir noch in den Ohren seit der Zeit, da ich Uschu, der Bogenschütze, war und Igar, meine Gattin und Genossin, mich vom Kampf zurückhalten wollte.

Einst, der Himmel mag wissen wann – jedenfalls war der Mensch damals noch jung –, lebten wir dicht bei den großen Mooren, wo die Berge fast bis zu dem breiten, langsamen Fluß hinabfielen, wo unsere Frauen Beeren und Kräuter sammelten, und wo es Herden von wilden Pferden, Antilopen und Elchen gab, die wir Männer mit Pfeilen töteten und in Wolfsgruben fingen. Im Fluße fingen wir Fische mit Netzen, die die Frauen aus der Rinde junger Bäume flochten.

Ich war ein Mann, rasch und wißbegierig, wie die Antilope, wenn wir Grasbüschel schwenkten, um sie dorthin zu locken, wo wir im dichten Gras verborgen lagen. Der wilde Reis wuchs in den Sümpfen, er hob sich aus dem Wasser an den Ufern. Jeden Morgen weckten uns die Drosseln mit ihrem Flöten, wenn sie ihren Brutplatz verließen, um ins Moor zu fliegen. Und wenn sie in der langen Dämmerung wiederkehrten, hallte die Luft wider von ihrem Lärm. Es war die Zeit, da der Reis reifte. Und es gab auch Enten, die ihn wie die Drosseln schmausten, daß sie fett wurden, herrlich zu essen, fett von dem Reis, den die Sonne halb abgeschält hatte.

Da ich ein Mann, immer ruhelos, war, immer suchte und dachte, was wohl hinter den Bergen, hinter den Mooren und dem Schlamm auf dem Grunde des Flußes läge, betrachtete ich die wilden Enten und Drosseln und dachte nach, bis meine Gedanken die Fragen lösten, die sie sich gestellt hatten. Und das war das Ergebnis:

Fleisch war gut zu essen. Aber Fleisch kam vom Gras. Das Fleisch der Enten und Drosseln wurde vom Reis geschaffen. Eine Ente mit einem Pfeil zu töten, war kaum der großen Mühe und des langen Wartens wert. Die Drosseln waren zu klein, um Pfeile auf sie zu verschwenden. Das war nur etwas für Knaben, die sich mit dem Bogen üben sollten. Und doch waren Drosseln und Enten in der Reiszeit saftig und fett. Ihr Fett kam vom Reis. Warum sollte ich und die Meinen nicht auch vom Reis fett werden können?

Das dachte ich im Lager, schweigend, finster, während die Kinder unbeachtet um mich her lachten und schrien und Arunga, mein Weib, mich vergebens höhnte und mich plagte, daß ich gehen und jagen sollte, um Fleisch für die vielen Münder zu verschaffen.

Arunga war die Frau, die ich den Bergstämmen geraubt hatte. Sie und ich hatten, nachdem ich sie eingefangen, zehn Monate damit verbracht, eine gemeinsame Sprache zu lernen. Oh, ich erinnere mich des Tages, als ich sie mir nahm, indem ich von dem langen Ast hinabsprang, auf dem ich saß, während sie am Fluße ging. Sie wehrte sich und biß mich. Sie fauchte wie eine Katze, und ihre Nägel waren wie die Krallen einer Katze, als sie mich rissen. Aber ich bewältigte sie, prügelte sie zwei Tage lang und zwang sie, mit mir die Schlucht des Bergvolkes zu verlassen und nach den Weiden zu wandern, wo der Fluß durch die Reissümpfe floß.

Als der Reis reif war, hatte ich herausgefunden, was ich wollte. Ich setzte Arunga in das Vorderende des mit Feuer ausgehöhlten Baumstammes, der mein Kanu war. Sie paddelte. Im Achterende breitete ich ein Tierfell aus, das sie gegerbt hatte. Mit zwei Stöcken bog ich die langen Halme über das Fell und klopfte, drosch sie aus, daß die Körner herausfielen, die sonst von wilden Enten gefressen wurden, und als ich Arunga gezeigt hatte, wie man es machen mußte, gab ich ihr die Stöcke und setzte mich dann selbst nach vorn, um zu rudern und zu steuern.

Früher hatten wir hin und wieder etwas von dem rohen Reis gegessen, wenn wir vorbeiruderten, aber er hatte uns nicht gemundet. Jetzt rösteten wir ihn über dem Feuer, so daß die Körner weiß aus den Schalen sprangen, und der ganze Stamm kam gelaufen, um zu schmecken.

Von jetzt an wurden wir die Reisfresser oder die Söhne des Reises genannt. Und lange, lange nachher, als wir von Söhnen des Flusses aus den Mooren vertrieben wurden, nahmen wir die Reiskörner mit und säten sie. Wir lernten die größten Körner auszuwählen und in die Erde zu legen, so daß der Reis, den wir ernteten, immer großkörniger und besser wurde.

Aber Arunga. Ich habe gesagt, daß sie wie eine Katze fauchte und kratzte, als ich sie raubte. Ich erinnere mich jedoch der Zeit, da ihr eigenes Geschlecht, das Bergvolk, mich fing und mit sich nahm. Es waren ihr Vater und ihre eigenen Brüder. Aber sie war mein und hatte mit mir zusammen gelebt. Und nachts, als ich dalag, gebunden wie ein wildes Schwein, ehe es geschlachtet wird, und als sie am Feuer lagen und schliefen, schlich Arunga sich zu ihnen und zerschmetterte ihnen die Köpfe mit der Streitkeule, die ich selbst mit meinen Händen verfertigt hatte. Und sie weinte über mich und band mich los und floh mit mir zurück nach dem Flusse, wo Drosseln und wilde Enten sich in den Reissümpfen mästeten, denn es war vor der Zeit, da die Söhne des Flusses kamen.

Denn sie war Arunga, das einzige Weib, das ewige Weib. Sie hat in allen Zeiten und an allen Orten gelebt. Sie wird immer leben. Sie ist unsterblich. Einst, in einem fernen Lande hieß sie Ruth, und ihr Name ist Isolde, Helena, Pocahontas und Unga gewesen. Und in keinem fremden Stamm ist der fremde Mann, der sie nicht überall unter allen Stämmen der Erde fände.

Mit uns auf der großen Wanderung durch Europa, auf der langsamen Wanderung vieler Generationen, als wir das Kurzhornvieh und die Gerste nach Indien brachten, ging ein Weib. Aber das Weib lebte lange, ehe wir Indien erreichten. Wir waren ungefähr auf der Mitte unserer jahrhundertelangen Reise.

Das Weib war Nuhila. Das Tal war eng und nur kurz, und die Hänge zu seinen Seiten waren in Terrassen angelegt, wo Reis und Hirse wuchsen – der erste Reis und die erste Hirse, die wir, die Söhne der Berge, sahen. Es war ein friedliches Volk in diesem Tal. Friedlich gemacht durch das fette Land, das noch fetter wurde durch das Wasser. Wir hatten nur wenig Gelegenheit, das Land mit seinen Kanälen und Deichen zu bewundern, denn wir, die Söhne der Berge, befanden uns auf der Flucht vor den »Nasenlosen«, wie wir sie nannten. Wir waren unser wenige, und sie waren viele, diese »Söhne der Stumpfnase«, oder, wie sie sich selber nannten, »Söhne des Adlers«. Wir mußten vor ihnen fliehen, und wir hatten unser Kurzhornvieh, unsere Ziegen, unsere Gerstensaat, unsere Frauen und Kinder bei uns.

Während die Nasenlosen unsere jungen Männer töteten, die unsere Flucht deckten, töteten wir vom Vortrupp alle friedlichen Bewohner des Tales, die sich uns in den Weg stellten. Ihre Stadt war aus Lehm erbaut und mit Stroh gedeckt; der Wall ringsum war aus Lehm, und als wir die, welche den Wall erbaut hatten, getötet und unsere Herden und unsere Frauen und Kinder hineingetrieben hatten, stiegen wir auf den Wall und verhöhnten die Stumpfnasen, denn wir hatten große Vorräte an Reis und Hirse in der Stadt gefunden. Unser Vieh konnte die Dächer fressen, und die Regenzeit war nahe, so daß wir Wasser genug hatten. Es war eine lange Belagerung. Krankheiten brachen unter uns aus, und viele starben an der Pest, die aus den Gräbern derer, welche wir begruben, geboren wurde. Der Vorrat schwand. Unsere Ziegen und unser Vieh fraß die Dächer der Häuser, und zuletzt fraßen wir alles Vieh.

Wo früher auf dem Wall fünf von uns gestanden, stand jetzt nur noch einer. Wo tausend Kinder gewesen, war jetzt kein einziges mehr. Es war Nuhila, mein Weib, die den Einfall hatte, sich ihr langes Haar abzuschneiden und es zu einem Bogenstrang zu drehen. Die andern Frauen taten dasselbe, und als der Wall angegriffen wurde, standen sie Schulter an Schulter mit uns im Pfeilregen und warfen den Stumpfnasen Topfscherben und Steine an die Köpfe. Selbst die geduldigen Stumpfnasen verloren schließlich die Geduld. Es kam eine Zeit, da die Stumpfnasen bereit waren, zu verhandeln. Sie sagten uns, daß wir eine starke Rasse und daß unsere Frauen Mütter für Männer seien, und daß sie uns das Tal lassen wollten, wenn wir ihnen unsere Frauen ließen, wir könnten uns ja andere Frauen aus dem Tal im Süden holen.

Aber Nuhila sagte nein. Und die andern Frauen sagten nein, und wir verhöhnten die Stumpfnasen und fragten, ob sie des Kampfes müde wären. Und wir waren damals mehr tot als lebendig, aber wir verhöhnten unsere Feinde. Wir wußten, daß wir dem nächsten Angriff nicht widerstehen konnten. Das wußten unsere Frauen auch, und Nuhila sagte, wir könnten selbst ein Ende mit uns machen und die Stumpfnasen dadurch narren. Und die andern Frauen waren mit ihr einig. Und als die Stumpfnasen sich zum letzten Angriff anschickten, töteten wir selbst unsere Frauen auf dem Wall. Nuhila liebte mich, und sie beugte sich vor, um der Spitze meines Schwertes zu begegnen. Und dann töteten wir Männer uns gegenseitig, um der Ehre des Stammes willen, bis nur Horda und ich übrig waren. Horda war älter als ich, und daher stieß er mich nieder. Aber ich starb nicht gleich. Ich war der Letzte von den Söhnen der Berge, denn ich sah, wie Horda sich in sein eigenes Schwert stürzte und starb, und während ich starb und das Kampfgeheul der Stumpfnasen schwach in meinen Ohren tönte, freute ich mich, daß unsere Frauen den Stumpfnasen keine Söhne gebären sollten. Ich weiß nicht, wann es geschah, daß ich einer von den Söhnen der Berge war und wir in jenem Tal starben, wo wir die Söhne des Reises und der Hirse ausgerottet hatten. Ich weiß nur, daß es Jahrhunderte waren, ehe unsere weitverstreuten Scharen von Bergessöhnen Indien erreichten.

Gern würde ich mehr aus jenen fernen Tagen erzählen, aber meine Zeit ist ja kurz bemessen, bald soll ich fortgehen, aber es tut mir doch leid, daß ich nicht alles erzählen kann. Ich würde auch gern von den Mysterien erzählen, denn wir waren immer begierig, die Geheimnisse des Lebens und des Todes zu lösen. Im Gegensatz zu den andern Tieren war es stets die Lust des Menschen gewesen, nach den Sternen zu schauen. Viele Götter erschuf er in seinem Bilde und in dem der Phantasie. In diesen alten Zeiten hatte ich die Sonne und die Nacht angebetet und das Korn, das der Vater des Lebens ist. Ich habe zu Meeresgöttern und Flußgöttern und Fischgöttern gebetet.

Ja, und ich erinnere mich Ischtars, ehe sie uns von den Babyloniern geraubt wurde, und auch Ea war unser, die Erste in der Unterwelt, sie, mit deren Hilfe Ischtar den Tod überwand. Auch Mitra war ein alter arischer Gott, ehe er uns gestohlen wurde oder wir ihn selbst verwarfen. Und ich erinnere mich, wie ich – nach langer, langer Zeit – als Pferdehändler mit vielen Dienern und einer großen Karawane nach Indien kam, und damals verehrten sie Bodhisatwa.

Wahrlich, der Mysterienkult wanderte, wie wir Menschen wanderten, und infolge dieses Stehlens und Leihens führten die Götter ein mindestens ebenso unstetes Dasein wie wir selber. Wie die Sumerer Schamaschmapischtin von uns liehen, so liehen die Söhne Schems ihn von den Sumerern und nannten ihn Noah.

Ja, ich lächele heute, ich, Darrell Standing, der ich am Mördergang sitze, weil ich von einer Jury von zwölf Männern zum Tode verurteilt bin. Zwölf ist immer eine Gedankenzahl im Mysterium gewesen. Sie hat nicht ihren Ursprung in den zwölf Stämmen Israels. Lange vor ihnen haben uns die Sterndeuter die zwölf Zeichen des Tierkreises an den Himmel gesetzt. Und ich erinnere mich, daß zu der Zeit, da ich einer der Asen und Vanen war, Odin im Hof der zwölf Götter über Männer zu Gericht saß, und die hießen: Thor, Baldur, Niord, Frey, Thyr, Bregi, Heimdal, Hoder, Vidar, Ull, Forseti und Loki.

Selbst unsere Walküren stahl man uns und machte sie zu Engeln, und die Flügel ihrer Pferde heftete man an die Schultern der Engel, und unser Helheim wurde die Hölle unserer Tage, die so heiß ist, daß das Blut einem in den Adern kocht, während es in Helheim so kalt war, daß das Mark in den Knochen gefror. Und der Himmel – der in unsern Träumen ewig, unveränderlich war – wanderte und wechselte, so daß wir heute das Zeichen des Skorpions dort finden, wo sich früher das des Bockes befand, und den Bogenschützen am Platz des Krebses.

Religionen über Religionen! Immer auf der Jagd nach dem Mysterium! Ich erinnere mich des hinkenden Schmiedes der Griechen. Vulkan war der Wieland der Germanen, der von Nidung, dem König der Nider, gelähmt wurde. Aber noch früher war er unser Meisterschmied, unser Hammergott, den wir Il-marinen nannten. Und sein Vater war der bärtige Sonnengott, und seine Amme waren die Sterne des Bären. Denn er, Vulkan oder Wieland oder Il-marinen, war aus Wolfshaar unter der Kiefer geboren und hieß auch Bärenvater, lange ehe Germanen und Griechen ihn anbeteten. Und damals nannten wir uns selbst Söhne des Bären und Söhne des Wolfes, und der Bär und der Wolf waren unsere Totems. Das war vor unserer Wanderung nach dem Süden, als wir uns mit den Söhnen des Waldes vereinigten und sie unsere Totems und unsere Sagen lehrten.

Und wer war Kaschyapa, wer war Pururavas anders als unser Meisterschmied, unser hinkender Hammergott, den wir auf unsern Wanderungen mit uns führten, und der von den Menschen im Süden und Osten, von den Söhnen des Pfahls und des Feuerbohrers und des Feuerlochs neue Namen erhielt und angebetet wurde. Aber die Geschichte ist zu lang, wenn ich auch gern von dem dreiblättrigen Lebenskraut erzählen würde, durch das Sigmund Sinfioti lebendig machte. Denn das ißt die Sumapflanze Indiens, der heilige Gral König Arthurs und – aber genug davon! Genug davon!

Und doch, wenn ich es ruhig betrachte: Das Größte im Leben, in allen Leben, in mir und in allen andern ist das Weib, ist das Weib gewesen und wird es sein, solange die Sterne über den Himmel wandern und die himmlischen Ströme wechseln. Größer als unsere Arbeit und Mühe, unsere Erfindungsgabe und all unsere Lust, unser Kampf, unser Sternenschauen und unser Mysterium – größer als alles ist das Weib.

Selbst wenn ihr Singen falsche Musik für mich war, selbst wenn sie meine Füße an die Erde fesselte, selbst wenn sie meine von den Sternen träumenden Augen zu sich herabzog, so hat sie, die Lebensspenderin, die Menschenmutter, mir doch große Zeit und große Jahre geschenkt, selbst das Mysterium habe ich in Gedanken nach ihrem Bilde geformt, und auf meiner Sternenkarte habe ich sie an meinen Himmel gesetzt.

All meine Arbeit, all meine Pläne führten zu ihr, all meine fernen Visionen sahen schließlich sie. Für sie erfand ich Feuerbohrer, Feuerloch, für sie – obwohl ich es selbst nicht wußte – setzte ich den Stachelpfahl in die Wolfsgrube, um meinen Feind, den alten Säbelzahn, zu fangen, zähmte das Pferd, tötete das Mammut und trieb meine Renntierherde vor dem Eise nach Süden. Für sie erntete ich den wilden Reis, Gerste, Weizen, Roggen. Für sie und die Saat, die in ihrem Bilde geboren werden sollte, starb ich in den Baumwipfeln und ertrug lange Belagerungen in Höhlen und auf Lehmwällen. Für sie setzte ich die zwölf Zeichen an den Himmel. Sie war es, die ich anbetete, als ich mich vor den zehn Nephritsteinen beugte und sie als die zehn Monate der Schwangerschaft anbetete.

Immer ist das Weib auf der Erde geblieben, wie ein Rebhuhn, das seine Kleinen hütet; immer hat meine Schwarmlust, mein Wandertrieb mich auf die strahlenden Wege geführt, und immer haben meine Sternenpfade mich zu ihr zurückgeführt, zu dem ewigen Weibe, nach dessen Armen ich so durstete, daß ich in ihnen die Sterne vergaß.

Für sie vollbrachte ich Odysseen, bestieg Bergesgipfel, wanderte durch Wüsten. Für sie war ich der erste im Kampf, und für sie und zu ihr sang ich Lieder über meine Taten. Alle Ekstasen des Lebens, alle Wonne und Herrlichkeit der Heldendichtung sind bei ihr mein gewesen. Und hier am Ende kann ich sagen, daß ich keine süßere und tiefere Tollheit im Leben gekannt habe, als mein Gesicht in dem duftenden Glanz und Vergessen ihres Haares zu ertränken.

Noch ein Wort. Ich erinnere mich Dorothys – es war erst ganz vor kurzem, als ich jungen Studenten der Landwirtschaft Vorlesungen hielt. Sie war elf Jahre alt, ihr Vater war Dekan der Universität. Sie war ein Kind und doch ein Weib. Sie hatte den Einfall, mich zu lieben. Und ich lächelte bei mir, denn mein Herz ward nicht gerührt – das lag anderswo.

Aber das Lächeln war zärtlich, denn in den Augen des Kindes sah ich das ewige Weib, das Weib aller Zeiten.

Sie war Kind und Weib, Tochter aller Frauen und Mutter aller Frauen, die nach ihr geboren werden sollen. Sie war Sar, die Göttin des Getreides, und Istar, die den Tod überwand. Sie war die Königin von Saba, und sie war Kleopatra, Esther und Herodias. Sie war Maria, die Jungfrau, und Maria Magdalena. Sie war Maria, die Schwester Marthas, und Martha selbst. Sie war Brünhilde und Guinevere, Isolde und Judith, Heloise und Nicolette. Ja, sie war Eva, sie war Lilith, sie war Astarte. Sie war elf Jahre alt, und sie war all die Frauen, die gelebt haben und leben werden.

Ich sitze jetzt in meiner Zelle, die Fliegen summen in dem schwülen Sommernachmittag, und ich weiß, daß meine Zeit kurz bemessen ist. Bald kommen sie und kleiden mich in das kragenlose Hemd ... aber schweig, mein Herz. Der Geist ist unsterblich. Nach der Finsternis soll ich wieder leben, und es werden Frauen in meinem Leben sein. Die Zukunft hat in ihrem Schoß die Frauen, die ich in den Existenzen kennen werde, die ich noch durchleben soll. Und obwohl, die Sterne wechseln und der Himmel sich verändert, bleibt doch das Weib strahlend, ewig – das einzige Weib –, wie ich wohl unter all meinen Verkleidungen und in all meinem Unglück der einzige Mann, ihr Genosse, bin.

 


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