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Der Gott seiner Väter

Nach allen Seiten erstreckte sich der Urwald – die Stätte lärmender Lustspiele und stummer Tragödien. Hier wurde der Kampf ums Dasein immer noch mit der ganzen Brutalität einer entschwundenen Zeit geführt. Brite und Russe hatten noch nicht um die Macht zu kämpfen begonnen in dem Lande, wo der Regenbogen endete – und das war mitten in seinem Herzen –, und auch das Gold des Yankees hatte noch nicht seine unermeßlichen Gebiete gekauft. Das Wolfsrudel hing sich noch an die Flanken der Renntierherde, wählte sich die Schwachen und Trächtigen aus und riß sie nieder, ebenso schonungslos, wie es vor tausend und aber tausend Generationen geschehen sein mochte. Die spärliche eingeborene Bevölkerung anerkannte noch die Herrschaft ihrer Häuptlinge und Medizinmänner, vertrieb böse Geister, verbrannte ihre Hexen, stritt sich mit ihren Nachbarn und fraß ihre Feinde mit einem Wohlbehagen, das von einer ausgezeichneten Verdauung zeugte. Aber die Steinzeit begann sich ihrem Abschluß zu nähern. Auf unbekannten Pfaden und durch unerforschte Wüsten kamen die Vorläufer des Stahls schon gezogen – blauäugige, unbezwingliche Bleichgesichter, die Verkörperung der ewigen Rastlosigkeit ihrer Rasse. Zufällig oder mit Überlegung, einzeln oder zu zweien und dreien kamen sie – niemand wußte woher –, kämpften, starben oder zogen weiter – niemand wußte wohin. Die Priester wüteten gegen sie, die Häuptlinge riefen ihre Mannen zusammen, und Steine klirrten gegen Stahl, aber das alles half nichts. Wie Wasser, das aus einem mächtigen Behälter sickert, kamen sie ganz langsam durch die dunklen Wälder und über die Gebirgspässe, fuhren die großen Straßen des Landes in Rindenkanus hinab oder traten mit ihren mokassinbekleideten Füßen den Weg für die Wolfshunde. Sie gehörten einem mächtigen Geschlecht an, und ihrer Mütter waren viele, aber das sollten die pelzgekleideten Bewohner des Nordlands erst später erfahren. Manch unbesungener Wanderer kämpfte seinen letzten Kampf und erlitt den Tod unter der kalten Flammenglut des Nordlichts, wie seine Brüder in brennendem Sand und in dampfenden Urwäldern den Tod erlitten hatten, und wie sie ihn ferner erleiden werden, wenn die Zeit gekommen ist und das Schicksal ihrer Rasse sich erfüllt.

Es war kurz vor Mitternacht. Am nördlichen Horizont zeigte sich eine rosige Glut, die nach Westen blässer und nach Osten röter wurde – die Mitternachtssonne, die sich hinter den Horizont zurückgezogen hatte. Dämmerung und Morgengrauen gingen ineinander über, so daß es keine Nacht gab – ein Tag vermählte sich einfach dem andern, ein kaum sichtbarer Übergang zwischen zwei Sonnenkreisungen. Ein Schneesperling zwitscherte ein furchtsames Gute Nacht, ein Rotkehlchen begrüßte das Kommen des Morgens mit vollen, klaren Tönen. Von einer Insel im Yukon sandte eine Kolonie von Wildenten ihre Klage über das unendliche Unrecht aus, das sie erlitten, während ein Eistaucher auf der andern Seite des stillen Flusses sein Spottgelächter anstimmte.

Im Vordergrund, am Ufer eines träge rinnenden Wirbels lagen Birkenrindenkanus zu je zweien und dreien. Elfenbeinspeere, Pfeile mit Widerhaken aus Knochen, Bogen mit Sehnen aus Wildleder und einfache geflochtene Fallen zeugten davon, daß der Lachsfang in der trüben Flut des Flusses schon begonnen hatte. Im Hintergrunde des ganzen Labyrinths von Zelten und Rahmen zum Dörren der Fische erklangen die Stimmen der Fänger. Junge Männer lärmten mit andern jungen Männern oder schäkerten mit den jungen Mädchen, während die älteren Frauen, die von allem ausgeschlossen waren, weil sie ihre Bestimmung im Leben bereits mit der Fortpflanzung des Geschlechts erfüllt hatten, schwatzend Stricke aus den grünen Wurzeln der Weinranke flochten. Zu ihren Füßen spielte ihre nackte Nachkommenschaft, zankte sich oder wälzte sich mit den gelbbraunen Wolfshunden im Schmutz. Auf der einen Seite des Lagers und deutlich von ihm getrennt, befand sich ein anderes, aus zwei Zelten bestehendes. Aber es war das Lager eines weißen Mannes. Wenn sonst nichts, so war die Wahl der Lage ein schlagender Beweis hierfür. Im Falle eines Angriffs konnte man von hier aus das hundert Schritt entfernte Indianerlager beschießen, zur Verteidigung machten den Platz die Hebung des Bodens und der freie Raum zwischen den beiden Lagern geeignet; und für den Fall einer Niederlage waren es schließlich nur zwanzig Schritt den kurzen Hang hinab bis zu den Kanus am Flusse.

Aus einem der Zelte erklangen das Wimmern eines kranken Kindes und das leise Summen der Mutter. Draußen saßen zwei Männer bei der schwelenden Glut eines Lagerfeuers und sprachen miteinander. »Was! Ich liebe die Kirche als ein guter Sohn! Bien! So groß ist meine Liebe, daß ich mein ganzes Leben damit verbracht habe, vor ihr zu fliehen, und daß ich alle meine Nächte von einem Strafgericht träume. Sieh!« Die Stimme des Mischlings hob sich zu einem gereizten Knurren. »Ich bin am Red River geboren. Mein Vater war weiß – ebenso weiß wie du. Aber du bist Yankee, und er war von britischer Herkunft und der Sohn eines vornehmen Mannes, und meine Mutter war die Tochter eines Häuptlings, und ich war ein Mann. Ja, und man brauchte mich nur einmal anzusehen, um zu wissen, was für Blut in meinen Adern rann; denn ich wohnte mit den weißen Männern zusammen und war einer von ihnen, und das Herz meines Vaters pochte in meiner Brust. Es geschah, daß ein junges Mädchen – sie war weiß – mich mit milden Augen ansah. Ihr Vater hatte viel Land und viele Pferde; er war auch ein großer Mann unter den Seinen, und in seinen Adern rann französisches Blut. Er sagte zu dem jungen Mädchen, daß sie ihr eigenes Herz nicht kenne, und er sprach lange, lange mit ihr und war ergrimmt, daß so etwas geschehen konnte.

Aber sie kannte ihr Herz, und wir standen bald vor dem Pfaffen. Aber ihr Vater war uns zuvorgekommen, mit Lügen oder falschen Versprechungen, was weiß ich. Der Pfaffe machte sich hart und wollte uns nicht zu Mann und Frau machen, so daß wir miteinander leben konnten. Wie die Kirche zuerst meine Geburt nicht hatte segnen wollen, so verweigerte die Kirche mir jetzt die Heirat und befleckte meine Hände mit Männerblut. Bien! Also habe ich allen Grund, die Kirche zu lieben. Und so schlug ich denn den Pfaffen auf seinen weibischen Mund, und wir nahmen schnelle Pferde, das Mädchen und ich, und ritten nach Fort Pierre. Dann schlugen wir den Weg nach Osten ein, das Mädchen und ich, nach den Bergen und Wäldern, und wir lebten zusammen und waren nicht verheiratet –und an alledem war die gute Kirche schuld – sie, die ich wie ein Sohn liebe.

Aber beachte es wohl, denn so seltsam ist das Weib, dessen Wege kein Mann verstehen kann. Einer der Sättel, die ich leerte, war der ihres Vaters, und die Hufe derer, die nach ihm kamen, traten ihn in den Boden. Das sahen wir, das Mädchen und ich, doch das würde ich vergessen haben, hätte sie mich nicht daran erinnert. Und in der Stille des Abends, als die Jagd beendet war, trat es zwischen uns, und in der Stille der Nacht, wenn wir unter den Sternen lagen und eins hätten sein sollen. Immer war es da. Sie sprach nie davon, aber es saß an unserm Feuer und war immer zwischen uns. Sie versuchte, es beiseitezuschieben, aber in solchen Stunden konnte es sich zwischen uns erheben, bis ich es in dem Ausdruck ihrer Augen, ja, in ihrem Atem las.

Zuletzt gebar sie mir ein Kind, ein Mädchen, und starb. Da zog ich zum Volke meiner Mutter, um Nahrung und Leben für das Kind an einer warmen Brust zu finden. Aber meine Hände waren mit dem Blut von Männern befleckt, ja, und das alles war die Schuld der Kirche. Und die berittene Polizei des Nordens kam, mich zu fangen, aber der Bruder meiner Mutter, der damals Häuptling über alles Volk war, versteckte mich und gab mir Pferde und Essen. Und dann zogen wir fort, meine Tochter und ich. Bis in das Land an der Hudson-Bucht, wo es wenig weiße Männer gab und wenig Fragen gestellt wurden. Und ich arbeitete als Jäger, als Führer, als Schlittenführer für die Company, bis meine Tochter Weib geworden war, hochgewachsen, schlank und schön anzuschauen.

Du kennst den Winter, den langen, einsamen, der böse Gedanken und böse Taten gebiert. Der erste Faktor war ein harter, kühner Mann. Aber er war keiner von denen, an denen das Auge eines Weibes Wohlgefallen findet. Meine Tochter, die jetzt ein Weib war, fand Gnade vor seinen Augen. Heilige Mutter Gottes! Er schickte mich auf eine lange Reise mit den Hunden, um – du verstehst – er war ein harter, herzloser Mann. Sie war beinahe ganz weiß, und ihre Seele war weiß, und sie war ein gutes Weib, und – nun ja, sie starb. Es war bitterkalt in der Nacht, als ich zurückkehrte, und ich war viele Monate unterwegs gewesen, so daß die Hunde jämmerlich hinkten, als ich das Fort erreichte. Indianer und Mischlinge sahen mich schweigend an, und ich fühlte eine Angst vor – ich wußte nicht was, aber ich sagte nichts, ehe die Hunde gefüttert waren und ich gegessen hatte, wie ein Mann stets tun soll, wenn eine Arbeit seiner wartet. Dann ergriff ich das Wort und fragte, was geschehen wäre, und sie zitterten vor mir, ängstlich vor meinem Zorn und vor dem, was mir einfallen könnte; aber sie kam heraus die traurige Geschichte, Wort für Wort und Tat für Tat, und sie wunderten sich über meine Ruhe.

Und als sie fertig waren, ging ich in das Haus des Faktors, ruhiger, als ich jetzt bin, während ich es erzähle. Er hatte Furcht gehabt und die Mischlinge um Hilfe gebeten, aber ihnen gefiel nicht, was er getan hatte, und sie ließen ihn liegen, wie er sich sein Bett bereitet hatte. Und daher floh er in das Haus des Pfaffen. Ich folgte ihm, als ich aber hinkam, stellte sich, der Pfaffe mir in den Weg und sagte, daß ein zorniger Mann weder rechts noch links gehen sollte, sondern geradeswegs zu Gott. Ich verlangte, daß er mich vorließe, kraft des Rechtes eines erbitterten Vaters, aber er sagte, nur über seine Leiche, und flehte mich an, zu Gott zu beten. Siehst du, es war die Kirche – immer die Kirche, denn ich ging über seine Leiche und sandte den Faktor meiner Tochter nach, daß er sie vor Gott treffe, der ein schlechter Gott und der Gott der weißen Männer ist.

Es gab großen Lärm, denn es wurde nach der Station flußabwärts geschickt, und ich floh. Durch das Land um den großen Sklavensee, das Mackenzie-Tal hinab bis zu dem Eis, das nie schwindet, über die weißen Berge, an der großen Biegung des Yukon vorbei, ganz bis hierher. Und bis heute bist du der Erste vom Volke meines Vaters, den meine Augen gesehen haben. Und ich wünschte, du wärst der Letzte! Dieses Volk, mein eigenes Volk, ist einfältig, und ich habe große Ehre unter ihnen genossen. Mein Wort ist ihnen Gesetz, und ihre Priester handeln nach meinem Gebot – anders würde ich es mir nicht gefallen lassen. Wenn ich in ihrem Namen spreche, spreche ich auch in meinem eigenen. Wir bitten, daß ihr uns in Frieden laßt. Wir brauchen die Menschen eurer Rasse nicht. Wenn wir euch erlaubten, an unsern Feuern zu sitzen, so würden eure Kirche, eure Pfaffen und eure Götter euch folgen. Und ihr sollt wissen, daß ich von jedem Manne, der in mein Dorf kommt, verlangen werde, daß er seinen Gott verleugnet. Ihr seid die ersten, und ich gebe euch eine Frist. Dann tut ihr am besten zu gehen, und zwar bald.«

»Ich bin nicht für meine Brüder verantwortlich«, sagte der andere und stopfte sich nachdenklich die Pfeife. Hay Stockard war zeitweise ebenso beherrscht in seiner Rede wie unbeherrscht in seinem Tun, aber auch nur zeitweise.

»Aber ich kenne eure Rasse«, antwortete der Mischling. »Eurer Brüder sind viele, und ihr und die Euren seid es, die die Bahn treten, daß sie euch folgen. Sie werden einmal das ganze Land besitzen, aber nicht zu meiner Zeit. Ich habe schon gehört, daß sie an der Quelle des großen Flusses sind, und viel weiter abwärts befinden sich die Russen.«

Hay Stockard hob hastig den Kopf. Das war ein höchst erstaunlicher geographischer Aufschluß. In der Hudson-Bucht-Station beim Fort Yukon hatte man andere Begriffe vom Lauf des Flusses und glaubte, daß er sich in das nördliche Eismeer ergieße.

»Dann mündet der Yukon also in die Beringsee?« fragte er.

»Ich weiß es nicht, aber am unteren Laufe sind viele Russen. Doch – das hat nichts damit zu tun. Ihr könnt weiterziehen und es mit eigenen Augen sehen. Ihr könnt wieder zu euren Brüdern gehen, aber den Koyokuk dürft ihr nicht befahren, solange Priester und Krieger mir gehorchen. Das ist mein Gebot, und ich bin Baptiste der Rote, dessen Wort Gesetz ist, und ich herrsche über dieses Volk.«

»Und wenn ich nicht zu den Russen oder zurück zu meinen Brüdern ziehe?«

»Dann werdet ihr, ehe viele Stunden vergangen sind, vor eurem Gott stehen, der ein schlechter Gott und der Gott der weißen Männer ist.«

Die Sonne hob sich im Norden über den Horizont, blutrot und triefend. Baptiste der Rote erhob sich, nickte hastig und begab sich in sein Lager, wo in rötlicher Dämmerung das Rotkehlchen sang.

Hay Stockard blieb vor dem Feuer sitzen, und durch den Rauch der Holzkohlen sah er den oberen Lauf des Koyokuks, dieses merkwürdigen Flusses, der hier seinen arktischen Lauf beschloß und sein Wasser mit dem trüben des Yukons mischte. Wenn man den letzten Worten eines schiffbrüchigen Seemanns – der die furchtbare Reise über Land gemacht – glauben konnte, und wenn die Flasche mit Goldstaub, die er in seinem Tabaksbeutel gehabt hatte, irgend etwas bewies, so befand sich die Schatzkammer des Nordens irgendwo dort oben in der Heimat des Winters. Aber ihre Tür wurde von Baptiste dem Roten, einem Mischling und Abgefallenen, bewacht, und der versperrte den Weg.

»Ach was!« Er zertrat die Glut und erhob sich in seiner vollen Höhe, reckte die Arme und wandte sich sorglos dem errötenden Himmel im Norden zu.

 

Hay Stockard fluchte ärgerlich, und sein Weib sah von ihren Töpfen und Pfannen auf, ihr Blick folgte scharf dem seinen, der sich auf den Fluß richtete. Sie stammte aus dem Teslin-Lande und wußte genau Bescheid mit den Flüchen ihres Mannes, wenn er erst richtig anfing. Von einem Schneeschuhriemen, der sich lockerte, bis zu der drohenden Aussicht auf einen plötzlichen Tod konnte sie jede Situation aus dem Klang und der Reichhaltigkeit seiner Gotteslästerungen erkennen, und sie verstand, daß es sich hier um etwas sehr Ernstes handelte. Ein langes Kanu durchschnitt den Strom mit Paddeln, die in den Strahlen der Abendsonne schimmerten, arbeitete sich durch den Wirbel. Hay Stockard betrachtete es aufmerksam. Die drei Männer hoben die Paddeln in genauem Rhythmus; aber ein rotes Taschentuch, daß der eine sich um den Kopf gewickelt hatte, fesselte seinen Blick.

»Bill!« rief er. »Hör' mal, Bill!«

Ein schlottriger, gelenkiger Riese kam gähnend und sich den Schlaf aus den Augen reibend aus einem der Zelte herausgetrollt. Dann erblickte er das fremde Kanu und war im selben Augenblick vollkommen wach.

»Verflucht noch mal! Der verdammte Himmelslotse!«

Hay Stockard nickte ärgerlich, machte eine Handbewegung, als wollte er seine Büchse nehmen und zuckte dann die Achseln.

»Paff auf ihn los,« meinte Bill, »und mach' der Geschichte gleich ein Ende. Wenn wir das nicht tun, bringt er uns ganz bestimmt den Untergang.«

Aber der andere lehnte diese drastische Maßregel ab und drehte sich um, während er gleichzeitig die Frau wieder an ihre Arbeit gehen hieß und Bill vom Ufer zurückrief.

Die beiden Indianer vertäuten das Boot am Rande des Wirbels, während der Weiße, der darinnen saß und durch seinen prachtvollen Kopfschmuck besonders in die Augen fiel, den Hang am Flusse heraufkletterte.

»Wie Paulus von Tarsus grüße ich euch. Friede sei mit euch; möget ihr Gnade vor dem Herrn finden.«

Verdrossen und wortlos hörten sie seinen frommen Gruß an.

»Dich, Hay Stockard, Gotteslästerer und Philister, grüße ich. In deinem Herzen wohnt die Gier nach dem Mammon, in deiner Seele hausen listige Teufel, in deinem Zelt ist das Weib, mit dem du Hurerei treibst, und doch, hier mitten in der Wüste, bitte ich, Sturges Owen, der Apostel des Herrn, dich, deine Sünden zu bereuen und abzulassen von deinem schändlichen Wandel.«

»Erspar' dir deine leeren Phrasen! Erspar' dir deine leeren Phrasen«, fiel Hay Stockard ihm gereizt ins Wort. »Alles das kannst du besser beim Roten Baptiste drüben brauchen.«

Er machte eine Handbewegung nach dem Indianerlager hinüber, wo der Mischling stand, offenbar bemüht, die soeben Eingetroffenen zu erkennen. Sturges Owen, Verbreiter des Lichts und Apostel des Herrn, trat an den Rand des steilen Hanges und gab seinen Leuten Befehle, das Zelt und die übrige Ausrüstung heraufzuschaffen. Hay Stockard folgte ihm.

»Sag' mal!« fragte er, indem er den Missionar an der Schulter packte und umdrehte. »Hast du dein Leben lieb?«

»Mein Leben steht in der Hand des Herrn, und ich arbeite nur in seinem Weinberg,« antwortete er feierlich.

»Hör' bloß auf damit! Bist du besonders darauf versessen, den Märtyrertod zu erleiden?«

»Wenn es sein Wille ist.«

»Na ja, hier ist etwas in der Branche zu machen, aber vorher will ich dir doch einen guten Rat geben – du kannst dich danach richten oder es sein lassen. Wenn du hier bleibst, so wirst du mitten in deiner Arbeit dahingerafft. Und nicht allein, sondern deine Leute, Bill, meine Frau –«

»Die eine Tochter Belials ist und nicht auf das wahre Evangelium schwört.«

»Und ich selber. Du stürzt dich nicht allein ins Unglück, sondern uns auch. Du erinnerst dich vielleicht, daß wir letzten Winter zusammen eingefroren waren, und ich weiß, daß du ein guter Kerl und ein Tor bist. Wenn du es für deine Pflicht hältst, mit den Heiden zu kämpfen, schön und gut, aber dann tue es so, daß man sehen kann, daß du ein bißchen Grips hast. Dieser Mann, der Rote Baptiste, ist kein Indianer. Er ist vom selben Stamm wie du und ich, und er ist ebenso eigensinnig wie ich je gewesen, ja, und ein ebenso wütender Fanatiker nach der einen Seite wie du nach der andern. Wenn ihr beide aneinander geratet, dann ist die Hölle los, und ich habe keine Lust, mit dabei zu sein, verstehst du? Und deshalb folge lieber meinem Rat und zieh weiter. Wenn du den Fluß hinunterziehst, kommst du zu den Russen. Bei ihnen müssen orthodoxe Pfaffen sein, und die werden dafür sorgen, daß du gut nach der Beringsee kommst – dahinein mündet der Yukon –, und von dort wird es dir nicht schwer werden, wieder in die Zivilisation zu gelangen. Glaub' mir auf mein Wort und sorg' dafür, daß du wegkommst, so schnell, wie Gott dich von hier entwischen läßt.«

»Wer den Herrn in seinem Herzen und das Evangelium in seiner Hand führt, hegt keine Furcht vor den Künsten von Menschen oder Teufeln«, antwortete der Missionar mutig. »Ich will diesen Mann sehen und mit ihm ringen. Ein verirrtes Lamm, das in seinen Pferch zurückgeführt wird, ist ein größerer Sieg als tausend Heiden. Wer stark im Bösen ist, kann auch mächtig im Guten sein – wie Saulus, als er nach Damaskus reiste, um christliche Gefangene nach Jerusalem zu bringen. Und die Stimme des Erlösers tönte in seinen Ohren: ›Saulus, Saulus, warum verfolgst du Mich?‹ Und sofort stellte Paulus sich auf die Seite des Herrn, und von dem Tage an hatte er große Macht in der Errettung von Seelen. Und genau wie Du, Paulus von Tarsus, genau wie Du arbeite ich im Weinberg des Herrn und finde mich in Prüfungen und Entbehrungen, in Verachtung und Hohn, in Schläge und Strafe, um Seinet- – des Geliebten willen!«

»Bringt mir den kleinen Beutel mit Tee und einen Kessel Wasser«, rief er im nächsten Augenblick seinen Bootsführern zu. »Und vergeßt nicht den Renntierschinken und die Bratpfanne.«

Und als seine Leute, die er selbst zum christlichen Glauben bekehrt hatte, das Ufer erreicht hatten, fielen alle drei mit ihrer Last in den Händen und auf dem Rücken in die Knie und dankten Gott, weil sie unversehrt durch die Wüste gekommen waren und das Ende ihres Weges erreicht hatten. Hay Stockard sah spöttisch und mißbilligend dem ganzen Auftritt zu, das Romantische und Feierliche machte keinen Eindruck auf seine nüchterne Seele. Baptiste der Rote, der immer noch zu ihnen herüberstarrte, erkannte aus alter Zeit die feierliche Handlung, und er gedachte des jungen Weibes, das sein Lager unter den Sternen im Walde geteilt hatte, und der Tochter, die irgendwo an der öden Küste der Hudson-Bucht lag.

 

»Zum Teufel, Baptiste, das kann ich mir nicht vorstellen! Nein, nicht einen Augenblick! Ich will gern einräumen, daß der Mann ein Dummkopf und bedeutungslos für die Welt ist, aber deshalb kann ich ihn doch nicht verraten!«

Hay Stockard hielt inne, während er sich bemühte, die richtigen Worte zu finden, um seine primitive Sittenlehre auszudrücken.

»Er hat mich gequält, Baptiste, früher und jetzt. Und er hat mir auf alle mögliche Weise zu schaffen gemacht, aber kannst du nicht sehen, daß er meiner eigenen Rasse angehört – ein weißer Mann –, ja, und ich könnte mein Leben nicht für das seine erkaufen, und wenn er nur ein Nigger wäre.«

»Wie du willst«, antwortete Baptiste der Rote. »Ich habe dir eine Frist gewährt, und ich habe dir die Wahl gelassen. Gleich werde ich mit meinen Priestern und Kriegern kommen, und wenn du deinen Gott nicht verleugnest, werde ich dich töten. Gib mir den Pfaffen in die Hand, und du sollst in Frieden ziehen dürfen. Sonst ist es aus mit dir. Mein ganzes Volk bis hinab zu den Säuglingen ist gegen dich. Ja, in eben diesem Augenblick haben die Kinder deine Kanus gestohlen.«

Er wies auf den Fluß. Nackte Knaben hatten sich von der Landzunge ins Wasser gleiten lassen, die Kanus losgebunden und sie in den Strom hinausgeschafft. Als sie außer Reichweite der Büchsen getrieben waren, kletterten sie hinein und paddelten die Boote an Land.

»Gib mir den Pfaffen, und du sollst sie wieder haben, hörst du! Sag' mir, was du beschlossen hast, aber bedenke dich wohl!«

Hay Stockard schüttelte den Kopf. Sein Blick suchte die Frau aus dem Teslin-Lande, die mit seinem Knaben an der Brust dasaß, und er würde geschwankt haben, wäre sein Blick nicht auf die beiden Männer gefallen, die vor ihm standen.

»Ich fürchte mich nicht«, erklärte Sturges Owen. »Der Herr hält mich in seiner Rechten, und ich bin bereit, allein in das Lager der Ungläubigen zu gehen. Es ist nicht zu spät. Der Glaube kann Berge versetzen. Selbst in der elften Stunde kann ich noch seine Seele für die wahre Gerechtigkeit gewinnen.«

»Stell' dem Schuft ein Bein und binde ihn!« flüsterte Bill seinem Anführer heiser ins Ohr, während der Missionar als Herr der Lage auftrat und mit den Heiden rang. »Behalt ihn als Geisel und schieß ihm eine Kugel in den Leib, wenn sie Schwierigkeiten machen.«

»Nein,« antwortete Stockard, »ich gab ihm mein Wort, daß er unangetastet sprechen könnte. Kriegsregeln, Bill; Kriegsregeln. Er hat ehrliches Spiel gespielt und uns gewarnt, und – ja, Donnerwetter, Mann, ich kann mein Wort nicht brechen.«

»Er wird seins auch halten – da brauchst du keine Angst zu haben.«

»Das bezweifle ich nicht, aber ich will mich nicht von einem Mischling übertreffen lassen, wenn es ehrliches Spiel gilt. Warum nicht tun, was er wünscht, und ihm den Missionar geben; dann ist die Geschichte erledigt.«

»N-nein«, meinte Bill zögernd und zweifelnd.

»Der Schuh drückt, was?«

Bill errötete und drang nicht weiter in den andern. Baptiste der Rote wartete immer noch auf die Entscheidung. Stockard trat zu ihm.

»Die Sache ist die, Baptiste: ich kam in dein Dorf, in der Absicht, den Koyokuk hinaufzufahren. Ich wollte keinem Menschen etwas tun, und in meinem Herzen war kein böser Gedanke. Es ist auch jetzt noch kein böser Gedanke darin. Da kommt dieser Pfaffe, wie du ihn nennst. Ich habe ihn nicht hergebracht. Er würde gekommen sein, ob ich hiergewesen wäre oder nicht. Aber jetzt ist er einmal da. Er ist von meinem eigenen Volk, und ich muß mit ihm durch dick und dünn gehen. Und das tue ich auch. Ja, und es wird kein Kinderspiel für dich. Ehe wir miteinander fertig sind, wird dein Dorf still und leer, und dein Volk wird wie nach einer Hungersnot hingeschwunden sein. Wir werden zwar fort sein, aber deine besten Kämpfer auch –«

»Aber die, die zurückbleiben, werden Frieden haben, und die Botschaft fremder Götter und die Sprache fremder Priester werden nicht mehr in ihren Ohren tönen.«

Die beiden Männer zuckten die Achseln und drehten sich um, und der Mischling ging in sein eigenes Lager zurück. Der Missionar rief seine beiden Leute zu sich, und sie begannen zu beten. Stockard und Bill machten sich daran, die wenigen Kiefern mit ihren Äxten zu fällen, so daß sie eine bequeme Brustwehr bildeten. Das Kind war eingeschlafen, und die Frau legte es auf einen Haufen Felle und half den Männern bei der Befestigung des Lagers. Auf diese Weise wurde es von drei Seiten beschützt, während der steile Hang in ihrem Rücken einen Angriff von dieser Seite verhinderte. Als das alles getan war, begaben sich die beiden Männer auf das offene Gelände und beseitigten das hier und dort stehende Buschwerk. Aus dem Lager vor ihnen ertönten der Lärm der Kriegstrommel und die Stimmen der Priester, die den Zorn des Volkes entfachten.

»Am schlimmsten wäre es, wenn sie alle auf einmal anstürmten«, klagte Bill, als sie, die Äxte auf den Schultern, zurückgingen.

»Und bis Mitternacht warteten, wenn das Licht zu schwach zum Zielen ist.«

»Wir können ebensogut jetzt anfangen als später.«

Bill vertauschte die Axt mit einer Büchse und zielte sorgfältig. Einer der Medizinmänner, der das übrige Volk hoch überragte, war besonders deutlich zu sehen. Auf ihn zielte Bill.

»Alles in Ordnung?« fragte er.

Stockard öffnete den Munitionskasten, brachte die Frau in Deckung, wo sie die Gewehre für die Männer laden konnte und kommandierte:

»Feuer!« Der Medizinmann fiel. Einen Augenblick war es ganz still. Dann aber ertönte ein wütendes Geheul, und ein Schwärm von Knochenpfeilen flog auf sie los, ohne sie jedoch zu treffen.

»Ich möchte den Kerl wohl sehen«, meinte Bill und preßte eine neue Patrone in die Kammer. »Ich möchte darauf schwören, daß ich ihn genau zwischen die Augen getroffen habe.«

»Das hilft nichts!« Stockard schüttelte düster den Kopf. Baptiste hatte offenbar den Eifer der Kriegerischsten seines Gefolges gedämpft und statt einen Angriff in dem hellen Tageslicht zu bewirken, hatte der Schuß eine hastige Auswanderung zur Folge. Die Indianer zogen sich aus der Feuerlinie hinter das Dorf zurück.

In seinem Eifer, Proselyten zu machen, würde Sturges Owen sich, von Gottes Hand geleitet, in das Lager der Ungläubigen gewagt haben, ebenso vorbereitet auf ein Wunder wie auf einen Märtyrertod, aber in der jetzt eintretenden Pause schwand das Fieber der Überzeugung, je mehr der Mensch in ihm sich geltend machte. Physische Angst verdrängte die geistige Hoffnung; die Liebe zum Leben die Liebe zu Gott. Dies war ihm nichts Neues. Er konnte fühlen, wie die Schwäche ihn überkam, und er kannte sie aus alter Zeit. Er hatte sie früher schon oft bekämpft und war von ihr überwältigt worden. Er erinnerte sich, wie die andern einmal wie wütend ihre Paddeln auf der Flucht vor einem rauschenden Eisstrom geschwungen hatten und er selber, wahnsinnig vor Angst vor den Dingen dieser Welt, seine Paddel fortgeworfen und Gott verzweifelt um Gnade angefleht hatte. Es gab noch andere Zeiten, an die er sich nicht gern erinnerte. Es erfüllte ihn mit Scham, daß der Geist so schwach und das Fleisch so stark war. Aber die Liebe zum Leben! Die Liebe zum Leben! Er konnte sich nicht von ihr losmachen. Sie war es, kraft deren seine Vorfahren in dunkler Vergangenheit ihr Geschlecht fortgepflanzt hatten, kraft deren auch er bestimmt war, sein Geschlecht fortzupflanzen. Sein Gott, wenn man es Gott nennen konnte, hatte seine Wurzel im Fanatismus. Stockards und Bills Gott war erzeugt durch die Ideale in der Tiefe ihrer Seele. Nicht, daß die Liebe zum Leben in ihnen geringer gewesen wäre, aber ihre Liebe zu den Traditionen der Rasse war größer, nicht, daß sie sich nicht vor dem Tode gefürchtet hätten, aber sie waren tapfer genug, sich nicht das Leben erkaufen zu wollen, wenn sie nur mit Schande weiterleben konnten.

Der Missionar erhob sich, plötzlich von dem Drange erfüllt, ein Opfer zu bringen. Er begann über die Barrikade zu kriechen, um sich in das andere Lager zu begeben, sank aber zitternd wieder zurück und klagte: »Wie der Geist führt! Wie der Geist führt! Wer bin ich, daß ich mich über Gottes Urteil hinwegsetzen sollte? Ehe die Grundfesten der Welt gelegt wurden, standen alle Dinge im Buch des Lebens geschrieben. Wurm, der ich bin, soll ich diese Seite des Buches oder einen Teil davon auslöschen? Wie Gott will, wird der Geist mich führen!«

Bill beugte sich über ihn, hob ihn auf und schüttelte ihn wütend, ohne ein Wort zu sagen. Dann ließ er das zitternde Nervenbündel los und wandte seine Aufmerksamkeit den beiden Bekehrten zu. Aber die schienen sich nicht zu fürchten und bereiteten sich zuversichtlich und willig auf den bevorstehenden Kampf vor.

Stockard, der leise mit der Frau aus Teslin gesprochen hatte, wandte sich jetzt zu dem Missionar.

»Bring ihn her«, befahl er Bill.

»Und jetzt,« befahl er, als Sturges Owen vor ihm stand, »jetzt mußt du uns zu Mann und Frau machen und das ein bißchen schnell.« Dann fügte er, sich entschuldigend, zu Bill gewandt hinzu:

»Man kann nie wissen, wie es ausgeht; da will ich lieber meine Angelegenheiten geordnet haben.«

Die Frau tat, wie ihr weißer Herr gebot. Für sie war die Zeremonie bedeutungslos. Ihrer Auffassung nach war sie seine Gattin seit dem Tage, als sie sich zusammengetan hatten. Die beiden Bekehrten dienten als Zeugen. Bill stand neben dem Missionar und half ihm, wenn er nicht weiter konnte. Stockard sprach der Frau die Antworten vor, und als es so weit war, umfaßte er in Ermangelung von etwas Besserem ihren Ringfinger mit seinem Daumen und Zeigefinger.

»Küss' die Braut!« donnerte Bill, und Sturges Owen war zu schwach, sich seinem Willen zu widersetzen.

»Und jetzt tauf das Kind.«

»Aber hübsch und ordentlich«, bemerkte Bill.

»Er muß doch gut für eine neue Reise ausgerüstet sein«, erklärte der Vater, indem er das Kind aus den Armen der Mutter nahm. »Ich war einmal bei den Stromschnellen, gut verproviantiert, hatte alles – nur kein Salz. Das vergesse ich nie. Und wenn die Frau und das Kind heute Nacht über die Wasserscheide wandern müssen, dann ist es am besten, sie sind auf alles vorbereitet. Es ist noch weit bis dahin, Bill, unter uns gesagt, aber selbst wenn es nicht dazu kommt, kann es ja nichts schaden.«

Ein Becher Wasser war alles, was nötig war, und das Kind wurde in einen sicheren Winkel der Barrikaden gelegt. Dann zündeten die Männer ein Feuer an, und das Abendessen wurde zubereitet.

Die Sonne eilte nordwärts und näherte sich dem Horizont, während der Himmel dort, wo sie stand, rot wie Blut wurde. Die Schatten wurden länger, das Licht wurde schwächer, und am Rande des dunklen Waldes erstarb langsam das Leben. Selbst die wilden Vögel auf dem Flusse stellten ihr heiseres Schnattern ein und spiegelten die Nacht vor, indem sie sich zur Ruhe begaben. Nur bei den Indianern wurde es immer lauter, die Kriegstrommeln lärmten, und ihre Stimmen erhoben sich zu wilden Gesängen. Als aber die Sonne hinter dem Horizont verschwand, hörte der Lärm auf. Stockard erhob sich auf die Knie und guckte über die Baumstämme hinweg. Einmal wimmerte das Kind und störte ihn. Die Mutter beugte sich über das Kleine, aber es schlief wieder. Die Stille war unendlich und tief. Da plötzlich brachen die Rotkehlchen in jubelnden Gesang aus. Die Nacht war vorüber.

Ein Schwarm dunkler Gestalten wogte über das offene Gelände. Die Pfeile zischten, die Bogensehnen sangen, und die Büchsen antworteten mit ihren schrillen Tönen. Ein mit heftiger Kraft geschwungener Speer durchbohrte die Frau aus Teslin, die sich über das Kind gebeugt hatte. Ein Pfeil, der, schon fast kraftlos, zwischen den Baumstämmen hindurchfuhr, traf den Missionar in den Arm.

Es war unmöglich, die vorstürmenden Feinde aufzuhalten. Der Boden zwischen ihnen war mit Leichen bedeckt, aber die andern kamen immer weiter und brachen wie eine wütende Woge über die Barrikade hinweg. Sturges Owen floh in das Zelt, während die Männer umgeworfen und unter dieser mächtigen Woge von menschlichen Körpern begraben wurden. Hay Stockard war der einzige, der wieder auftauchte, und er schleuderte die Indianer wie heulende Köter beiseite. Es war ihm geglückt, eine Axt zu ergreifen. Eine dunkle Hand ergriff das nackte Bein des Kindes und zog es unter der Mutter fort. Dann hielt er den kleinen, zarten Körper mit ausgestreckten Armen in die Luft und zerschmetterte ihn an den Baumstämmen. Stockard spaltete dem Mann den Kopf bis zum Kinn und begann um sich her Raum zu schaffen. Aber immer enger wurde der Kreis wilder Gesichter um ihn, und Speere und Pfeile mit knöchernen Widerhaken regneten auf ihn herab. Die Sonne ging auf, und sie wankten in den blutroten Schatten hin und zurück. Zweimal hieb er das Beil so tief hinein, daß er es nicht gleich wieder freibekommen konnte, und sie stürzten sich über ihn; aber beide Male schüttelte er sie ab. Er häufte sie um sich her auf, trat auf Tote und Sterbende, bis die Erde schlüpfrig von Blut wurde, und all das beschien die Sonne immer klarer, und die Rotkehlchen sangen dazu. Dann zogen sie sich vor ihm zurück, und er lehnte sich atemlos auf seine Axt.

»Beim Blut meiner Seele«, rief Baptiste der Rote. »Du bist wahrlich ein Mann. Schwöre deinen Gott ab, und du sollst leben dürfen.«

Stockard lehnte es fluchend ab, kraftlos, aber seiner selbst sicher.

»Seht! Ein Weib!« Sturges Owen war vor den Mischling geführt worden.

Außer einem Riß am rechten Arm hatte er keinen Schaden genommen, aber seine Augen rollten ihm, wahnsinnig vor Angst, im Kopfe. Die heroische Gestalt des Gotteslästerers, der, mit Wunden und Pfeilen bedeckt, trotzig, sorglos, unüberwindlich, groß, auf seine Axt gelehnt dastand, fing seinen flackernden Blick. Und er fühlte einen tiefen Neid auf den Mann, der mit solcher Ruhe nach den dunklen Toren des Todes wandern konnte. Wahrlich, Christus und nicht er, Sturges Owen, war für ein solches Schicksal geschaffen. Und weshalb nicht er? Er hatte ein unklares Gefühl von dem Fluche, den die verschwundenen Geschlechter über ihn gebracht hatten, von der Schwäche des Geistes, die er von den Vorfahren ererbt hatte, und er fühlte Zorn auf die Schöpfermacht, wie er sie sich nun auch vorstellen wollte, diese Schöpfermacht, die ihn, ihren Diener, so schwach gemacht. Selbst für einen Stärkeren hätten dieser Zorn und der Druck der Umstände genügt, um einen Abfall zu bewirken, und für Sturges Owen war er unvermeidlich. In der Furcht vor dem Zorn der Menschen setzte er sich lieber dem Zorn Gottes aus. Er war nur aufgespart worden, um dem Herrn zu dienen und später in den Staub geworfen zu werden. Ihm war Glaube ohne die Kraft des Glaubens, Geist ohne die Macht des Geistes gegeben. Das war ungerecht.

»Wo ist jetzt dein Gott?« fragte der Mischling.

»Ich weiß es nicht.« Er stand gerade und still da wie ein Kind, das seine Aufgabe aufsagen soll.

»Hast du einen Gott?«

»Ich habe einen gehabt.«

»Und jetzt?«

»Nein.«

Hay Stockard wischte sich das Blut aus den Augen und lachte. Der Missionar sah ihn neugierig an, wie in einem Traum. Das Gefühl eines unendlichen Abstandes, einer ungeheuren Ferne überkam ihn. An dem, was geschehen war und geschehen sollte, hatte er keinen Teil. Er war Zuschauer – aus der Ferne, ja, aus der Ferne. Die Worte Baptistes klangen so seltsam fern in seinen Ohren.

»Es ist gut! Sorgt dafür, daß dieser Mann frei von hinnen geht, und daß ihm nichts Böses widerfährt. Laßt ihn in Frieden ziehen. Gebt ihm ein Kanu und Proviant. Wendet sein Antlitz den Russen zu, daß er den Pfaffen von Baptiste dem Roten erzählen kann, in dessen Land kein Gott ist.«

Sie führten ihn an den Rand des steilen Hanges, wo sie stehenblieben, um den Abschluß des Trauerspiels zu sehen. Der Mischling wandte sich zu Hay Stockard.

»Es gibt keinen Gott«, sagte er.

Ein Lachen war die Antwort. Einer der jungen Männer hob seinen Speer, um ihn gegen ihn zu schleudern.

»Hast du einen Gott?«

»Ja, den Gott meiner Väter!«

Er faßte die Axt fester. Baptiste der Rote gab ein Zeichen, und der Speer flog gegen seine Brust. Sturges Owen sah, wie die Elfenbeinspitze zum Rücken hinausfuhr, sah den Mann lachend wanken und sah den Speer zerbrechen, als er vornüberfiel. Dann ging er zum Fluß hinunter, um den Russen von Baptiste dem Roten zu erzählen, in dessen Land kein Gott war.

 


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