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Wo die Wege sich trennen

Motto:
»Muß i denn, muß i denn zum Städtle 'naus,
Und du, mein Schatz, bleibst hier.«

Schwäbisches Volkslied.

 

Der Singende, ein Mann mit scharf geschnittenen Zügen und heiteren Augen beugte sich vor und goß Wasser in einen Topf mit kochenden Bohnen. Dann stand er auf und verjagte mit einem Stock die Hunde von Proviantkiste und Kochgeschirr. Seine Augen waren blau, sein langes Haar schimmerte wie Gold, er war so frisch und behäbig, daß es eine Freude war, ihn anzusehen.

Der Neumond stand als undeutlicher Halbkreis über der weißen Reihe dichter, schneebedeckter Kiefern, die das Lager einrahmten und von der Umwelt trennten. Über ihnen in der kalten, klaren Luft tanzten die Sterne wie unter hastigen, zitternden Pulsschlägen. Im Südosten verkündete ein schwacher grünlicher Schimmer, daß die prunkenden Feste des Nordlichts ihren Anfang nehmen wollten. Im Vordergrund lagen zwei Männer auf dem Bärenfell, das ihr Bett bildete. Zwischen dem Bärenfell und dem Schnee befand sich eine sechs Zoll dicke Schicht von Kiefernzweigen. Die Decken waren zurückgeschlagen. Hinter ihnen hing ein Schutzsegel, das sie gegen den Wind schirmte – ein Stück Sackleinen, das zwischen zwei Bäumen ausgespannt war und einen Winkel von fünfundvierzig Grad bildete. Es fing auch die ausgestrahlte Wärme vom Feuer auf und warf sie auf das Fell. Ein anderer Mann saß auf einem Schlitten, der dicht an das Feuer gezogen war, und besserte Mokassins aus. Rechts lag ein Haufen gefrorene Erde, und daneben stand eine primitive Winde, die die Stelle angab, wo sie Tag für Tag ihren trübseligen Kampf kämpften, um die goldführende Schicht zu erreichen. Links standen hochkant vier Paar Schneeschuhe, die zeigten, wie die Leute sich außerhalb des festgetretenen Schnees im Lager bewegten.

Das schwäbische Volkslied klang so merkwürdig rührend unter den kalten Sternen des nördlichen Himmels, und es erfreute nicht die Männer, die nach der Mühe des Tages um das Feuer saßen. Im Gegenteil, es erfüllte ihre Herzen mit einem dumpfen Schmerz und einem Gefühl von Sehnsucht, das an physischen Hunger erinnerte und ihre Seelen nach dem fernen Süden über die Wasserscheiden nach den Sonnenländern schickte.

»Um Gottes willen, Sigmund, hör' doch auf!« rief einer der Männer. Seine Hände waren wie im Schmerz geballt, aber er hielt sie unter den Falten des Bärenfelles, auf dem er lag, verborgen.

»Aber warum denn, David Wertz?« fragte Sigmund. »Warum darf ich nicht singen, wenn mein Herz voller Freude ist?«

»Weil du gar keinen Grund zur Freude hast! Sieh dich um, Mann, denk' an den Proviant, mit dem wir unsere Leiber im letzten Jahre beschmutzt; und daran, daß wir wie Tiere gelebt und geschuftet haben!«

Sigmund, der Goldhaarige, an den diese Worte gerichtet waren, sah alles an, auch die Wolfsfelle, die vom Reif und dem dampfenden Atem der Männer bedeckt waren. »Und warum darf das Herz nicht von Freude erfüllt sein?« fragte er lachend. »Es ist gut, alles ist gut. Und was das Essen betrifft –« Er beugte seinen Arm und streichelte die schwellenden Muskeln. »Und wenn wir wie die Tiere gelebt und geschuftet haben, sind wir nicht wie Könige bezahlt worden? Zwanzig Dollar die Pfanne holen wir aus der Erde, und wir wissen, daß die goldführende Schicht ihre acht Fuß dick ist. Dies ist ein neues Klondike – und wir wissen es – Jim Hawes, der neben mir sitzt, weiß es, und er klagt nicht. Und Hitchcock! Er näht seine Mokassins wie eine alte Frau und wartet, bis die Zeit kommt. Nur du kannst nicht warten und arbeiten, bis der Frühling kommt und wir mit dem Goldwaschen anfangen können. Dann werden wir alle reich sein, so reich wie Könige. Nur du kannst nicht warten. Du willst nach den Staaten zurück. Das will ich auch, ich bin dort geboren, aber ich kann warten, bis das Gold jeden Tag in der Pfanne liegt wie Butter im Butterfaß. Aber du willst deine guten Tage haben – und wie ein kleines Kind weinst du, weil du sie gleich haben willst. Warum darf ich nicht singen:

»Übers Jahr, übers Jahr, wenn mer Träubele schneid't,
Stell' i hier mi wiedrum ein;
Bin i dann, bin i dann dein Schätzele noch,
So soll die Hochzeit sein.

Übers Jahr, übers Jahr, do ist mei Zeit vorbei,
Do g'hör' i mein und dein;
Bin i dann, bin i dann dein Schätzele noch,
So soll die Hochzeit sein.«

Die Hunde drängten sich dichter um das Feuer zusammen, sie knurrten, und die Haare sträubten sich ihnen. Ein eintöniges Knirschen erklang, erzeugt durch die Berührung von Schneeschuhen mit dem gefrorenen Schnee, und zwischen jedem Knirschen konnte man hören, wie der Absatz des Schuhes mit einem Geräusch wie Zucker, der durch einen Streulöffel träufelt, hochgezogen wurde. Sigmund unterbrach sein Lied, um zu fluchen und Brennscheite nach den Tieren zu werfen. Dann trat eine pelzbekleidete Gestalt ins Licht, und ein junges Indianermädchen warf die Schneeschuhe ab und ließ die Kapuze ihrer Parka aus Eichhörnchenfell zurückgleiten. Sigmund und die Männer auf dem Bärenfell begrüßten sie als Sipsu mit dem gewöhnlichen »Hallo!«, und Hitchcock machte neben sich auf dem Schlitten Platz.

»Nun, wie geht es, Sipsu?« fragte er. Er fragte sie in einer Mischung von gebrochenem Englisch und Chinook. »Ist der Hunger immer noch groß im Lager? Und hat der Hexendoktor jetzt herausgefunden, was schuld daran ist, daß es so wenig Wild und gar keine Renntiere im Land gibt?«

»Ja, gewiß! Es gibt nur wenig Wild, und wir werden bald die Hunde essen. Und der Hexendoktor hat auch herausgefunden, was der Grund all dieses Unglücks ist, und morgen will er ein Opfer bringen und das Lager reinigen.«

»Und was wird das Opfer sein? – ein neugeborenes Kind oder ein altes, armes und schwaches Indianerweib, das dem Stamm zur Last fällt und für das es das beste wäre, zu sterben?«

»Nein, so ging es nicht, denn die Not ist groß und erfordert große Opfer – er wählte keine geringere als die Tochter des Häuptlings, keine geringere als mich, Sipsu.«

»Donnerwetter!« Das Wort kam ganz langsam über Hitchcocks Lippen, aber mit einer Fülle und Tiefe, die zeigte, wie erstaunt und bekümmert er war.

»Und deshalb stehen wir jetzt, wo die Wege sich trennen, du und ich,« fuhr sie mit großer Ruhe fort, »und ich bin gekommen, daß wir uns noch einmal sehen können – zum letztenmal!«

Sie war der Schößling eines primitiven Stammes. Ihre Traditionen und das Leben, das sie gelebt hatte, waren so primitiv, daß sie das ganze Dasein mit Stoizismus und Menschenopfer als etwas ganz Natürliches betrachtete. Die Mächte, die hinter Licht und Dunkelheit, hinter Regen und Frost, hinter dem Aufbrechen der Knospen und dem Welken der Blätter standen, waren beleidigt und mußten versöhnt werden. Und das Sühnopfer forderten sie auf vielerlei Weise – durch Tod in siedendem Wasser, durch die verräterische Eiskruste, durch die schweren Tatzen des Grizzlybären oder durch eine zehrende Krankheit, die einen Mann in seinem eigenen Zelt packte, bis er hustete und das Leben in seinen Lungen trocken durch Mund und Nase schwand. Und die Mächte nahmen die Sühnopfer an – das war alles ganz in der Ordnung. Und der Hexendoktor war mit den Gedanken der Mächte vertraut und traf seine Wahl mit unbeirrbarer Sicherheit. Es war ganz natürlich. Der Tod kam auf vielen Wegen, und doch war schließlich alles eins – eine Offenbarung des Allmächtigen und Unergründlichen.

Hitchcock aber gehörte einem andern Geschlecht an, bezeichnete eine andere Stufe in der Entwicklung der Welt. Seine Traditionen waren weniger konkret und ohne Ehrfurcht, und er sagte: »Nein, das darf nicht geschehen, Sipsu. Du bist jung, und das Leben hat dir noch so viel Freude zu bieten. Der Hexendoktor ist ein Tor, und seine Wahl ist schlecht. Das darf nicht geschehen.«

Sie lächelte: »Das Leben ist uns nicht gnädig aus vielen Gründen. Erstens hat es uns zwei, den einen weiß und den andern rot erschaffen, und das ist schlimm. Dann ließ es unsere Wege sich kreuzen, und jetzt trennt es sie wieder, und wir können nichts tun. Früher einmal, als die Götter zornig waren, kamen deine Brüder ins Lager. Es waren ihrer drei, große weiße Männer, und sie sagten – es darf nicht geschehen. Aber kurz darauf waren sie tot, und es geschah doch.«

Hitchcock gab durch ein Nicken zu erkennen, daß er hörte, und er wandte sich halb um und erhob die Stimme. »Hört nun her, Leute! Sie wollen drüben im Lager Dummheiten machen und Sipsu ermorden. Was sagt ihr dazu?«

Wertz sah Hawes an, und Hawes beantwortete den Blick, aber keiner von ihnen sagte etwas. Sigmund beugte den Kopf und streichelte den Schäferhund, der zwischen seinen Knien stand. Er hatte Shep mitgebracht, als er kam, und legte großen Wert auf das Tier. In Wirklichkeit war es ein junges Weib, an das er immer dachte, und dessen Bild er in dem kleinen Medaillon auf der Brust trug. Sie hatte ihm den Hund und ihren Segen mitgegeben, als sie sich zum Abschied küßten, ehe er auf seine Nordlandsfahrt zog.

»Was sagt ihr dazu?« wiederholte Hitchcock.

»Vielleicht ist es nicht so ernst«, antwortete Hawes besonnen. »Es ist vermutlich nur eine Geschichte, die das Mädel uns erzählt.«

»Darum handelt es sich nicht!« Hitchcock fühlte, wie eine heiße Zorneswoge in ihm aufstieg, als er ihren offenbaren Unwillen sah. Die Frage ist, ob wir es uns, wenn es stimmt, gefallen lassen wollen? Was wollen wir tun?«

»Ich kann keinen Anlaß für uns sehen, einzugreifen«, sagte Wertz. »Wenn es so ist, so ist es eben so, und damit ist die Geschichte aus. Das ist nun mal die Art dieser Menschen, es ist ihre Religion, und nicht unsere Sache. – Unsere Sache ist es, Goldstaub zu finden und dann aus diesem gottverlassenen Land herauszukommen. Hier können nur Tiere leben. Was sind die schwarzen Teufel anderes als Tiere? Und außerdem ist es eine verflucht schlechte Politik, sich in etwas zu mischen, das uns nichts angeht.«

»Das ist es ja gerade, was ich sage«, fiel Hawes ihm ins Wort. »Wir sitzen hier vier Mann hoch, dreihundert Meilen vom Yukon oder von einem einzigen weißen Gesicht entfernt. Was können wir gegen fünfzig Indianer ausrichten? Wenn wir Streit mit ihnen anfangen, müssen wir uns verziehen, wenn wir uns schlagen, werden wir aus der Zahl der Lebenden ausgelöscht. Und schließlich haben wir Gold gefunden, und meiner Treu – ich jedenfalls gehe nicht weg.«

»Richtig«, bemerkte Wertz.

Hitchcock wandte sich ungeduldig zu Sigmund, der vor sich hinträllerte:

»Übers Jahr, übers Jahr, wenn mer Träubele schneid't,
Stell' i hier mi wiedrum ein.«

»Nun ja, wie es nun mal steht, Hitchcock,« sagte er schließlich, »bin ich ganz einig mit den andern. Wenn vier Dutzend Indianer beschlossen haben, das Mädel totzuschlagen, ja, dann können wir es nicht hindern. Ein Augenblick, und wir sind aus der Zahl der Lebenden ausgelöscht. Und was könnte es helfen? Das Mädel behielten sie doch. Es hat keinen Zweck, sich gegen die Gebräuche eines Volkes aufzulehnen, wenn man nicht stark genug ist.«

»Aber wir sind doch stark!« fiel Hitchcock ihm ins Wort. »Vier Weiße können wohl noch mit hundertmal so viel Roten fertig werden! Und denk' an das Mädel.«

Sigmund streichelte sinnend den Hund. »Aber ich denke ja eben an das Mädel. Und ihre Augen sind blau wie ein Sommerhimmel und lachen wie ein Sommermeer, und ihr Haar ist golden wie meines und hängt in Zöpfen so schwer wie starke Mannesarme herab. Sie wartet drunten in einem bessern Lande auf mich. Und sie hat lange gewartet, und jetzt, da ich im Begriff stehe, ihr ein Vermögen zu schaffen, will ich es nicht fortwerfen.«

»Und ich würde mich schämen, wenn ich in die blauen Augen des Mädchens sähe und mich der schwarzen des Mädchens erinnerte, dessen Blut über mein Haupt gekommen ist«, höhnte Hitchcock, denn er war geboren, andere zu ehren und für sie zu kämpfen und die Sache um der Sache selbst willen zu tun, ohne das Für und Wider zu erwägen.

Sigmund schüttelte den Kopf. »Du kannst mich nicht toll machen, Hitchcock, oder dazu bringen, etwas Verrücktes zu tun, weil du selber toll bist. Es ist eine einfache Geschäftsfrage, und es sind Tatsachen, mit denen wir zu tun haben. Ich bin nicht meiner Gesundheit wegen hergekommen, und es ist uns zudem unmöglich, eine Hand zu rühren. Wenn es so steht, ist es verflucht traurig für das Mädel – – ja, das ist alles. So sind nun mal die Gebräuche ihres Volkes, und dieses eine Mal geht es uns ein bißchen näher als sonst. Sie haben dasselbe Tausende und aber Tausende von Jahren getan, und sie tun es jetzt und werden es in alle Ewigkeit weiter tun. Und im übrigen sind sie ja nicht von unserer Rasse, das Mädel auch nicht. Nein, ich halte mit Wertz und Hawes, und – –«

Die Hunde knurrten und drängten sich um sie zusammen, und er schwieg und lauschte auf das knirschende Geräusch vieler Schneeschuhe. Indianer auf Indianer erschien im Schein des Feuers, hochgewachsen und barsch, pelzbekleidet und schweigend, während ihre Schatten sich in einem grotesken Tanz auf dem Schnee abzeichneten. Einer von ihnen, der Hexendoktor, sagte mit vielen Kehllauten etwas zu Sipsu. Sein Gesicht war ganz bemalt und sah wild aus, und um die Schultern hatte er ein Wolfsfell geworfen, dessen weiße Zähne und boshafte Schnauze über seinen Kopf ragten. Sonst wurde nicht ein Wort gesprochen. Die Goldgräber verhielten sich ganz ruhig. Sipsu stand auf und steckte die Füße in die Schneeschuhe.

»Leb' wohl, oh, mein Mann«, sagte sie zu Hitchcock.

Aber der Mann, der neben ihr auf dem Schlitten gesessen hatte, gab kein Lebenszeichen von sich, und er hob auch nicht den Kopf, als sie in einer langen Reihe nach dem weißen Walde aufbrachen.

Im Gegensatz zu vielen andern Männern hatte seine Anpassungsfähigkeit, obwohl sie sehr groß war, ihm nie das Zweckmäßige einer Verbindung mit Frauen des Nordlandes vorgegaukelt. Seine breite kosmopolitische Lebensanschauung hatte ihn nie angetrieben, einen Ehepakt mit den Töchtern des Landes zu schließen. Hätte sie es getan, so würde seine Lebensphilosophie nicht im Wege gestanden haben. Aber sie hatte es ganz einfach nicht getan. Sipsu? Es hatte ihn ergötzt, am Lagerfeuer mit ihr zu plaudern, nicht als ein Mann, der wußte, daß er selbst ein Mann und sie ein Weib war, sondern wie ein Mann mit einem Kinde tun mag; und wie ein Mann seines Typs gewiß aus keinem andern Grunde tat, als um ein wenig Abwechslung in ein trauriges Dasein zu bringen. Das war alles. Aber trotz seinen Yankeevorfahren und trotz dem Umstand, daß er in Neuengland aufgewachsen war, besaß er ein ganz Teil romantische Ritterlichkeit und Warmblütigkeit, und sein Temperament war von der Art, daß die geschäftsmäßige Seite des Lebens ihm oft sinnlos erschien und im Widerspruch mit seinem tieferen Fühlen stand. Und deshalb saß er schweigend mit gebeugtem Haupte da, und eine organische Kraft, größer als sein Ich und ebenso groß wie seine Rasse, kämpfte in ihm. Wertz und Hawes warfen von Zeit zu Zeit Blicke auf ihn, mit einer schwachen, aber ganz unverkennbaren Furchtsamkeit in ihrer Haltung ihm gegenüber. Hitchcock war stark, er hatte ihnen in ihrem gefährlichen Dasein oft bewiesen, wie stark er war. Und deshalb erwarteten sie mit entschiedener Furcht und Neugier, was er tun würde, wenn er sich berufen fühlte, einzuschreiten. Aber das Schweigen wurde lang, und das Feuer wollte ausgehen, als Wertz sich reckte, gähnte und sagte, daß er zu Bett zu gehen gedenke. Da erhob sich Hitchcock in seiner vollen Größe.

»Möge Gott eure Seelen in die tiefste Hölle verdammen, ihr kleinherzigen Feiglinge! Ich bin fertig mit euch!« Er sagte es sehr ruhig, aber seine Stärke sprach aus jeder Silbe, und jede Betonung verkündete sein Zielbewußtsein. »Kommt her,« fuhr er fort, »laßt uns teilen – wie es euch am besten paßt. Mir gehört ein Viertel der Claims; das zeigen unsere Kontrakte. Es sind fünfundzwanzig oder dreißig Unzen aus den Probepfannen im Sack. Holt die Wage. Das wollen wir gleich teilen. Und du, Sigmund, wieg mein Viertel vom Proviant ab und leg es beiseite. Vier von den Hunden gehören mir, und ich will noch vier dazu haben. Für die Hunde überlasse ich euch meinen Teil der Ausrüstung und der Goldgräber Werkzeuge. Und obendrein will ich euch meine sechs oder sieben Unzen und meinen Reserverevolver mit aller Munition lassen, was sagt ihr dazu?«

Die drei Männer traten beiseite und besprachen sich. Als sie wiederkamen, trat Sigmund als ihr Wortführer auf. »Wir wollen redlich mit dir teilen, Hitchcock. Du sollst dein Viertel von allem haben, weder mehr noch weniger, und du kannst es nehmen oder lassen. Aber wir brauchen die Hunde ebensogut wie du, und du kannst vier haben und keinen mehr. Wenn du deinen Teil von den Werkzeugen nicht mitnehmen willst, so ist es deine eigene Sache. Wenn du sie haben willst, kannst du sie nehmen, wenn nicht, so laß es bleiben.«

»Nach dem Buchstaben des Gesetzes«, spottete Hitchcock. »Aber nur los. Mir ist es recht. Und beeilt euch. Ich kann nicht schnell genug von diesem Lager und dem Gewürm, das darin lebt, wegkommen.«

Die Teilung wurde ohne weitere Bemerkungen vorgenommen. Er band seinen spärlichen Besitz auf einen der Schlitten, nahm seine vier Hunde und schirrte sie an. Von dem Werkzeug rührte er nichts an, dagegen warf er ein Dutzend Hundegeschirre auf den Schlitten, wobei er seine Kameraden herausfordernd ansah, wie um zu sagen, daß sie ja Einwände erheben könnten, wenn sie es wagten. Aber sie zuckten die Achseln, und bald sahen sie ihn im Walde verschwinden.

 

Ein Mann kroch bäuchlings durch den Schnee. Zu allen Seiten erhoben sich die Elchhautzelte im Lager. Hin und wieder heulte ein elender Hund oder knurrte boshaft seinen Nachbarn an. Einmal näherte sich einer von ihnen dem kriechenden Mann, aber der Mann blieb unbeweglich liegen. Der Hund kam näher und schnüffelte, er kam noch näher und schnüffelte wieder und dann noch etwas näher, bis seine Schnauze den seltsamen Gegenstand berührte, der nicht dagewesen war, als es dunkel wurde. Da erhob sich Hitchcock – denn es war Hitchcock – plötzlich und griff mit seiner unbehandschuhten Hand nach der zottigen Kehle des Hundes. Und dieser Griff war der Tod für den Hund, und als der Mann weiterging, lag er mit gebrochenem Genick unter den Sternen.

Auf diese Weise erreichte Hitchcock das Zelt des Häuptlings. Er lag lange draußen im Schnee, auf die Stimmen der Bewohner lauschend, und versuchte herauszubekommen, wo Sipsu war. Es befanden sich offenbar viele Menschen im Zelt, und nach ihren Stimmen zu urteilen, waren sie sehr erregt.

Schließlich hörte er die Stimme des jungen Mädchens, und er kroch dem Geräusch nach, bis nur noch die Elchhaut sich zwischen ihnen befand. Da grub er sich in den Schnee hinein und arbeitete sich langsam mit Kopf und Schultern ins Zelt. Als ihm die warme Luft drinnen entgegenschlug, wartete er, und so blieb er liegen, die Beine und den größten Teil des Körpers außerhalb des Zeltes. Auf seiner einen Seite lag ein Packen Felle. Er konnte es riechen, befühlte sie aber sorgfältig, um seiner Sache sicher zu sein. Auf seiner anderen Seite berührte sein Gesicht ein Pelzkleid, das, wie er wußte, einen menschlichen Körper umschloß. Das mußte Sipsu sein. Er hätte sie gern sprechen hören, entschloß sich aber doch, einen Versuch zu wagen. Er konnte den Häuptling und den Hexendoktor laut miteinander reden hören, und in einem Winkel des Zeltes weinte ein hungriges Kind sich in Schlaf. Er drehte sich auf die Seite und hob vorsichtig den Kopf, aber so, daß er immer noch gerade das Pelzkleid berührte. Er lauschte auf den Atem. Es war der Atem eines Weibes, er wollte es wagen.

Er drückte sich sanft, aber fest an sie und fühlte, wie sie bei der Berührung zusammenfuhr. Dann wartete er wieder, bis eine untersuchende Hand auf seinen Kopf glitt und auf seinen Locken ruhte. Im nächsten Augenblick wandte die Hand sein Gesicht sanft empor, und er sah in Sipsus Augen.

Sie war vollkommen ruhig. Sie wechselte wie zufällig die Stellung und legte den Ellenbogen auf den Fellpacken, stützte sich darauf und breitete ihre Parka aus. So war er vollkommen versteckt. Und dann, immer noch, als wäre es der reine Zufall, beugte sie sich zu ihm hinüber, daß er zwischen ihrem Arm und ihrer Brust atmen konnte, und wenn sie jetzt den Kopf beugte, lag ihr Ohr gerade an seinen Lippen.

»Wenn du kannst – so geh«, flüsterte er. »Geh weg vom Zelt und über den Schnee zu der Birkengruppe, die dort steht, wo der Bach eine Biegung macht. Dort wirst du meine Hunde und meinen Schlitten finden. Heute Nacht werden wir zum Yukon ziehen, und da wir schnell reisen müssen, sollst du alle Hunde, die dir in die Nähe kommen, am Nacken packen und zum Schlitten schleppen, dorthin, wo der Bach eine Biegung macht.«

Sipsu schüttelte abwehrend den Kopf, aber ihre Augen leuchteten vor Freude, sie war stolz, daß dieser Mann ihr so große Gunst erwies. Wie alle Frauen ihrer Rasse war sie dazu erzogen, dem Willen des Mannes zu gehorchen, und als Hitchcock sein »Geh!« wiederholte, tat er es gebieterisch, und, obwohl sie nicht antwortete, wußte er, daß sein Wille ihr Gesetz war.

»Und kümmere dich nicht um Geschirr für die Hunde«, fügte er hinzu, indem er sich zum Gehen anschickte. »Ich warte, aber verliere keine Zeit. Der Tag verjagt stets die Nacht, und er zögert nicht nach dem Gutdünken der Menschen.«

Eine halbe Stunde später, als er sich neben dem Schlitten die Füße vertrat und die Arme schwang, sah er sie kommen, einen widerstrebenden Hund an jeder Hand. Als sie sich näherte, wurden seine eigenen Hunde unruhig, aber er traktierte sie mit dem Peitschenstiel, bis sie ruhig wurden. Er hatte sich dem Lager gegen den Wind genähert, und fürchtete am meisten, daß das Geräusch seine Anwesenheit verraten würde.

»Seile sie an«, befahl er, als sie dem zweiten Hund das Geschirr angelegt hatte. »Ich will, daß meine Leithunde vorangehen.«

Als sie es aber getan hatte, warfen sich die verdrängten Tiere über die fremden. Obwohl Hitchcock sich mit seinem Büchsenkolben dazwischenstürzte, gab es doch einen furchtbaren Spektakel, der über das schlafende Lager hallte.

»Jetzt kriegen wir Hunde –, und zwar reichlich«, sagte er barsch, indem er eine Axt vom Schlitten nahm. »Schirr' an, was ich dir hinwerfe und schütze das Gespann.«

Er trat einen Schritt vor und wartete zwischen zwei Kiefern. Die Hunde im Lager zerstörten die Ruhe der Nacht mit Heulen und Lärmen, und er war auf ihren Empfang vorbereitet, wenn sie kamen. Ein dunkler Fleck, der schnell größer wurde, nahm feste Form an auf der weißen Schneedecke mit ihren undeutlichen Konturen. Es war der Vorläufer des Koppels, der mit langen Sprüngen angesetzt kam, während er nach Wolfsart seinen Brüdern Befehle erteilte. Hitchcock stand im Schatten. Als der Hund vorbeisprang, streckte er die Arme aus, packte ihn mitten im Sprunge an den Vorderbeinen und wirbelte ihn zu Boden. Dann versetzte er ihm einen wohlgezielten Schlag hinter das Ohr und warf ihn Sipsu zu. Und während sie dem Hunde schnell das Geschirr anlegte, bewachte er mit der Axt die Passage zwischen den Bäumen, bis ein zottiger Strom von weißen Zähnen und funkelnden Augen in Reichweite vorbeischoß. Sipsu arbeitete schnell. Als sie fertig war, sprang er vor, griff und betäubte noch einen und warf ihn ihr hinüber. Das wiederholte er noch dreimal, und als der Schlitten endlich mit einem Gespann von zehn knurrenden Hunden dastand, rief er: »Genug!«

Aber in diesem Augenblick durchwatete ein junger Indianer, ein schnellfüßiger Vorläufer des Stammes, die Hundeschar und versuchte, sich mit Schlägen nach rechts und links durchzudrängen. Hitchcocks Büchsenkolben zwang ihn ins Knie, und er taumelte seitwärts zu Boden. Der Hexendoktor, der sehr schnell lief, sah den Schlag fallen.

Hitchcock rief Sipsu zu, daß sie losfahren sollte. Bei ihrem schrillen »Tschuk!« schossen die rasenden Tiere vorwärts, und sie blieb mit Mühe und Not auf dem Schlitten sitzen, der schrecklich rumpelte. Die höheren Mächte waren offenbar zornig auf den Hexendoktor, denn gerade in diesem Augenblick schickten sie ihm den Schlitten in den Weg. Der Leithund kollidierte mit seinem Schneeschuh, er fiel, und die neun Hunde, die hinterherkamen, traten ihn unter die Füße, worauf der Schlitten über ihn hinwegrumpelte. Aber er kam schnell wieder auf die Beine, und die Nacht wäre vielleicht ganz anders verlaufen, hätte Sipsu sich nicht umgedreht und ihn mit der langen Hundepeitsche quer über die Augen geschlagen, daß er ganz geblendet war. Hitchcock, der sie einzuholen eilte, stieß mit ihm zusammen, wie er schwankend und schmerzverzerrt mitten auf der Schlittenbahn stand. So ging es zu, daß der primitive Theologe, als er das Zelt des Häuptlings wieder erreichte, viel klüger geworden war in bezug auf die Fäuste des weißen Mannes und die Kraft, die in ihnen wohnte. Und die Folge war, daß er, als er in der Ratsversammlung eine Rede hielt, auf alle weißen Männer sehr aufgebracht war.

 

»Auf mit euch, ihr Tagediebe! Auf mit euch! Das Essen ist fertig, ehe ihr in eure Schuhe kommt.« David Wertz warf das Bärenfell beiseite, setzte sich auf und gähnte.

Hawes reckte sich, merkte, daß er sich eine Sehne im Arm gezerrt hatte, und rieb sie schläfrig. »Gott weiß, wo Hitchcock heute nacht geschlafen hat?« meinte er, indem er die Hand nach seinen Mokassins ausstreckte. Sie waren steif, und er ging vorsichtig auf Socken ans Feuer, um sie aufzutauen. »Es ist ein Segen, daß wir ihn los sind,« fügte er hinzu, »und das, obwohl er ein mächtiger Arbeiter war.«

»Ja, er war zu herrschsüchtig, das war es eben. Es war auch eine verfluchte Geschichte mit Sipsu. Glaubt ihr, daß er sich etwas aus ihr machte?«

»Das glaube ich nicht. Nur Prinzip – das war alles. Er fand es nicht richtig – und das war es selbstverständlich auch nicht – aber deshalb gab es doch keinen Grund, daß wir uns dazwischenlegen und vorzeitig über die Wasserscheide expediert werden sollten.«

»Prinzip ist Prinzip, alles was recht ist, aber wenn man nach Alaska reist, läßt man es am besten zu Hause. Nicht wahr?« Wertz war zu seinem Kameraden getreten, und beide mühten sich ab, ihre gefrorenen Mokassins geschmeidig zu machen. »Findet ihr, daß wir hätten eingreifen sollen?«

Sigmund schüttelte den Kopf. Er war eifrig beschäftigt. In der Kaffeekanne zeigte sich schokoladenfarbener Schaum, und der Speck mußte gewendet werden. Er dachte auch an das junge Mädchen mit den lachenden Augen so blau wie das Sommermeer, und er trällerte leise.

Seine Kameraden lachten sich an und schwiegen. Obwohl es nach sieben Uhr war, dämmerte es erst in drei Stunden. Das Nordlicht war vom Himmel verschwunden, und das Lager war eine Oase von Licht mitten in der tiefen Dunkelheit. Und in diesem Licht zeichneten sich die Gestalten der drei Männer scharf und deutlich ab. Um das Schweigen zu brechen, hob Sigmund seine Stimme und begann den letzten Vers des alten Liedes:

»Übers Jahr, übers Jahr, wenn mer Träubele
schneid't ...«

Da wurde die Stille der Nacht durch eine scharfe Büchsensalve durchbrochen. Hawes stieß einen Seufzer aus, machte eine gewaltsame Anstrengung, sich zu erheben, und sank zusammen. Wertz fiel auf den Ellenbogen, mit gebeugtem Haupt. Es gurgelte in seiner Kehle, und ein dunkler Strom bahnte sich den Weg über seine Lippen. Und Sigmund, der Goldhaarige, hob die Arme und fiel vorwärts in das Lagerfeuer, während das Lied noch in seiner Kehle zitterte.

 

Der Hexendoktor hatte sich ein blaues Auge zugezogen, und seine Laune war nicht die beste, denn er war mit dem Häuptling in Streit um Wertz' Büchse geraten. Er hatte mehr als seinen Anteil von dem gemeinsamen Sack Bohnen genommen, dazu annektierte er das Bärenfell, und der Stamm murrte. Schließlich versuchte er Sigmunds Hund totzuschlagen, den Hund, den das junge Mädchen ihm geschenkt hatte, aber der Hund lief fort, während der Hexendoktor in die Grube stürzte und sich die Schulter durch einen Schlag auf den Spaten ausrenkte. Als das Lager gründlich geplündert war, kehrten sie zu ihrem eigenen Zelt zurück, und es herrschte große Freude unter den Frauen. Dazu kam, daß sich ein Rudel Elche über die südliche Wasserscheide verirrte und von den Jägern erlegt wurde, so daß der Hexendoktor noch größere Ehre gewann und das Volk unter sich flüsterte, daß er sich mit den Göttern beriete.

Als aber alle fort waren, schlich sich der Schäferhund in das verlassene Lager zurück, und die ganze Nacht und noch einen Tag hindurch beweinte er seinen toten Herrn. Darauf verschwand er, aber es dauerte nur wenige Jahre, da bemerkten die indianischen Jäger eine Veränderung in der Wolfsrasse. Sie hatte eine besonders kräftige Farbe und eine ausgesprochene Zeichnung, wie man sie noch nie an einem Wolf gesehen hatte.


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