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Am Ende des Regenbogens

Es hatte zwei Gründe, daß Montana Kid sich von seinem Sattel und seinen mexikanischen Sporen trennte und den Staub der Idahoranch von seinen Füßen schüttelte. Erstens hatte eine ruhige, ernste und streng moralische Zivilisation die Verhältnisse verdorben, die seit Urzeiten auf den Viehranchen des Westens geherrscht hatten, und eine verfeinerte Gesellschaft sah ihn und seinesgleichen mit offener Mißbilligung an. Zweitens hatte sich die Rasse in einem ihrer zyklopischen Augenblicke erhoben und ihre Grenzen ein paar tausend Meilen weiter gesteckt. So machte die reifgewordene Gesellschaft mit unbewußtem Vorausschauen ihren heranwachsenden Mitgliedern Platz. Es ist richtig, daß das neue Territorium im großen ganzen unfruchtbar war; aber seine Hunderttausende hartgefrorener Quadratmeilen schenkten jedenfalls denen, die sonst aus Luftmangel in der Heimat erstickt wären, Ellbogenfreiheit.

Montana Kid war einer von ihnen. Er war an die Küste geeilt mit einer Hast, deren Erklärung möglicherweise war, daß mehrere Gerichtsvollzieher hinter ihm her waren, und er war mit mehr Mut als Geld ausgestattet. Es glückte ihm, mit einem Schiff einen Hafen am Puget Sound zu verlassen, und all das Elend zu überstehen, das eine notwendige Folge von Zwischendeckseekrankheit und Zwischendeckproviant war. Er war ziemlich gelb und mitgenommen, als er an einem Frühlingstage am Ufer von Dyea an Land gesetzt wurde. Die Preise von Hunden, Proviant und Ausrüstung, so wie die Zölle, die zwei kollidierende Regierungen verlangten, brachten ihm schnell das Verständnis bei, daß das Nordland alles andere eher als ein Mekka des armen Mannes war. Deshalb begann er sich denn auch nach schneller Ernte umzusehen. Zwischen dem Ufer und den Pässen verstreut gab es viele Tausende begeisterter Pilger, und an die Pilger machte Montana Kid sich heran.

Zuerst errichtete er in einem Schuppen aus Kieferbrettern eine Pharaobank, aber die Notwendigkeit zwang ihn, dem Dasein eines Mannes ein Ende zu machen, und gleichzeitig die Schlittenbahn weiter hinabzuziehen. Dann machte er einen Corner in Hufnägeln, die bald ebensogut wie bares Geld waren, da sie zu einem Kurse von vier Stück für einen Dollar umgesetzt wurden, aber ganz unerwartet erschienen hundert Tonnen Nägel auf dem Markte und zwangen ihn, seinen Vorrat mit Verlust abzusetzen. Hierauf ließ er sich in Sheep Camp nieder, organisierte die berufsmäßigen Lastträger und schraubte an einem einzigen Tage die Fracht um zehn Cent in die Höhe. Als Ausdruck ihrer Dankbarkeit erschienen die Lastträger getreulich an seinen Pharao- und Roulettetischen, wo er ihnen ihren Verdienst in aller Gemütlichkeit wieder abnahm. Aber sein Geschäftstalent war allzu bösartig, als daß man es sich lange gefallen ließ, und so überfielen sie ihn eines Nachts, brannten seine Bude nieder, teilten die Bank unter sich und schickten ihn mit leeren Taschen wieder die Schlittenbahn hinauf.

Das Unglück verfolgte ihn, wo er ging und stand. Er schloß ein Abkommen mit verantwortlichen Persönlichkeiten über den Transport von Whisky auf gefährlichen und unbekannten Pfaden über die Grenze und verlor seine indianischen Führer, während ihm sein erster Vorrat von der reitenden Polizei konfisziert wurde. Zahlreiche andere Unglücksfälle trugen dazu bei, ihn bitter und rücksichtslos zu machen, und so feierte er seine Ankunft am Bennett-See, indem er ganze zwanzig Stunden lang ein wahres Schreckensregiment über das Lager ausübte. Dann beschäftigte sich eine Goldgräberversammlung mit ihm und befahl ihm zu verduften. Er hegte einen heiligen Schrecken vor derartigen Versammlungen und gehorchte in solcher Eile, daß er, am Gespann eines anderen Mannes hängend, verschwand. Das entsprach Pferdediebstahl unter milderen Himmelstrichen, und deshalb berührte er auf seiner eiligen Flucht über Bennett und den Tagish hinab nur die höchsten Punkte und schlug erst sein Zelt auf, als er gut hundert Meilen nordwärts gelangt war. Nun traf es sich so, daß der Frühling vor der Tür stand und viele von den vornehmsten Bürgern Dawsons südwärts reisten, ehe das Eis brach. Er traf diese Männer und sprach mit ihnen, merkte sich ihre Namen und Besitzungen und reiste weiter. Er hatte ein gutes Gedächtnis und eine lebhafte Phantasie, und schließlich gehörte Wahrheitsliebe nicht gerade zu seinen Tugenden.

 

Dawson, das immer auf Neuigkeiten versessen ist, sah den Schlitten Montana Kids den Yukon herunterkommen und begab sich aufs Eis hinaus, um ihn zu empfangen. Nein, er hatte keine Zeitungen, er wußte nicht, ob Durrant gehängt war, und wer das letzte Derby gewonnen hatte, er hatte nichts vom Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und Spanien gehört, er wußte nicht, wer Dreyfus war, aber O'Brien? Hatten sie das nicht gehört? – Ja, O'Brien war beim Weißen Pferd ertrunken, Sitka Charley war der einzige von der Gesellschaft, der entkommen war. Joe Ladue? Beide Beine erfroren, so daß sie bei Fünf Finger amputiert worden waren. Und Jack Dalton? Mit dem »Seelöwen« in die Luft geflogen, ja, und die ganze Besatzung mit ihm. Und Bettles? Mit der »Carthagena« in der Seymourstraße gestrandet – zwanzig Mann von dreihundert gerettet. Und Swiftwater Bill? Durch das morsche Eis auf dem Le-Barge-See mit sechs weiblichen Mitgliedern von der Operntruppe, die er eskortierte, eingebrochen. Gouverneur Walsh? Mit allen Mann und acht Schlitten bei Thirty Mile ertrunken. Devereaux? Wer war Devereaux? Ach, der Kurier! Von den Indianern auf dem Marsh-See erschossen.

Und so ging es – das Gerücht gelangte in die Stadt, und die Leute drängten sich herbei, um nach Freunden und Kameraden zu fragen, und dann wurden sie wieder hinausgedrängt, zu betäubt, um sich auf Fluchen einzulassen. Ehe Montana Kid den Uferhang erreichte, war er von mehreren hundert pelzbekleideten Goldgräbern umringt. Als er an den Baracken vorbeikam, war er der Mittelpunkt einer ganzen Prozession. Beim Opernhaus umgab ihn ein aufgeregter Volkshaufen, und alle kämpften, um an ihn heranzukommen und nach abwesenden Kameraden zu fragen. Von allen Seiten regneten Angebote von Getränken auf ihn herab. Noch nie war ein Unbekannter derart mit offenen Armen empfangen worden. Ganz Dawson war auf den Beinen. Eine solche Reihe von Katastrophen war noch nie in der Geschichte der Stadt vorgekommen. Jeder Mann von Ansehen, der im Laufe des Frühlings nach Süden gezogen war, war ausgelöscht. Aus allen Hütten kamen die Bewohner herbeigeströmt. Männer mit wilden, verstörten Blicken kamen von den Bächen und Flüssen, um diesen Mann zu sehen, der von soviel Unglück erzählte. Bettles russische Mischlingsfrau zog sich, völlig untröstlich, an ihren Herd zurück und streute weiße Asche auf ihr rabenschwarzes Haar. Die Flagge auf der Kaserne hing melancholisch auf Halbmast. – Dawson beweinte seine Toten.

Warum Montana Kid das tat, kann kein Mensch wissen, man kann keine andere Erklärung dafür geben, als daß es für ihn keine Wahrheit gab. Ganze fünf Tage lang stürzte er das Land in Trauer und Klage, und ganze fünf Tage lang war er der berühmteste Mann in ganz Klondike. Das Land gab ihm das Beste, was es an Wohnung und Essen zu bieten hatte. In den Wirtschaften hatte er gratis Zutritt zu den Bars. Und immer mehr Leute suchten ihn auf. Die hohen Beamten beugten sich vor ihm, um weitere Nachrichten zu erhalten, und Constantin und seine Kollegen gaben ihm Feste in der Kaserne. Eines Tages aber hielt Devereaux, der Regierungskurier, seine müden Hunde vor dem Bureau des Goldregistrators an. Tot? Wer das sage? Sie sollten ihm ein Elchschnitzel geben – dann wollte er ihnen schon zeigen, wie tot er war. So! Gouverneur Walsh läge im Lager bei Little Salmon, und O'Brien käme, sobald das Wasser offen sei. Tot? Sie sollten ihm nur ein Elchschnitzel geben, dann wollte er es ihnen zeigen.

Und gleich darauf war Dawson wieder auf den Beinen – die Kasernenflagge ging hoch, und Bettles' Frau wusch sich und zog sich reine Kleider an. Dann gab die Gemeinde Montana Kid auf eine feine Art zu verstehen, daß er am besten verduftete, was er wie gewöhnlich hinter dem Hundegespann eines anderen Mannes tat. Dawson freute sich, als er den Yukon hinabfuhr, und wünschte ihm glückliche Reise nach dem Ort, der das endgültige Ziel aller verhärteten Sünder ist. Hinterher griff der Besitzer der Hunde ein, klagte bei Constantin und lieh sich von ihm einen Polizisten.

 

Circle City in Sicht, fuhr Montana Kid drauflos, während das Eis ihm unter den Kufen schmolz. Er zweifelte kaum, daß die Besitzer der erwähnten Hunde ihm auf der Spur waren, und wünschte, amerikanisches Territorium zu erreichen, ehe der Fluß aufbrach. Aber am Nachmittag des dritten Tages wurde er sich klar darüber, daß er im Wettlauf mit dem Frühling den kürzeren zog. Der Yukon knurrte und zerrte an seinen Fesseln. Er mußte weite Umwege machen, denn die Schlittenbahn begann bis auf die reißende Strömung durchzuschmelzen, und in dem in ewiger Unruhe befindlichen Eise entstanden mit dumpfem Krachen große klaffende Risse. Durch diese Risse und zahllosen Luftlöcher begann das Wasser über das Eis zu spülen, und als er bei einer Holzhauerhütte auf der äußersten Spitze einer Insel vorfuhr, konnten die Hunde nicht mehr auf den Füßen stehen und schwammen mehr, als daß sie liefen. Die beiden Bewohner der Hütte empfingen ihn recht unfreundlich, aber er schirrte die Hunde ab und machte sich daran, sein Essen zu bereiten.

Donald und Davy waren typische Repräsentanten der untauglichen Grenzbevölkerung. Sie waren in Kanada geborene Schotten, die, in der Stadt erzogen, in der Dummheit eines Augenblicks ihre Kontorstühle verlassen, ihre Ersparnisse genommen hatten und nach Klondike gereist waren, um Gold zu graben. Sie hatten hinreichend zu fühlen bekommen, welch hartes, ungastliches Land es war. Als sie schließlich ohne Proviant, ohne Lebensmut und mit einer brennenden Sehnsucht nach der Heimat in ihrem Herzen dastanden, waren sie von der P. C. Company zum Holzhauen für ihre Dampfer engagiert worden, wogegen sie Proviant und das Versprechen freier Heimfahrt nach einer gewissen Zeit erhielten. Sie hatten ihre Untauglichkeit schlagend durch die Wahl der Insel bewiesen, auf der sie sich niedergelassen hatten, ohne sich darum zu kümmern, daß das Eis einmal brechen mußte. Obwohl Montana Kid nicht viel davon wußte, wie es zuging, wenn das Eis auf einem großen Flusse brach, sah er sich doch unschlüssig um und warf sehnsüchtige Blicke nach dem andern Ufer hinüber, wo die hohen Felshänge Sicherheit gegen alles Eis des Nordlandes versprachen.

Nachdem er sich und die Hunde versorgt hatte, steckte er sich seine Pfeife an und schlenderte hinaus, um sich über die Situation klarzuwerden. Die Insel war wie all ihre Schwestern im Flusse höher am oberen Ende, und dort hatten Donald und Davy ihre Hütte erbaut und viele Klafter Holz gesammelt. Der Fluß war ein paar Kilometer breit, und zwischen den Inseln und dem nächsten Ufer floß ein Seitenarm, der ungefähr hundert Meter von Ufer zu Ufer maß. Im ersten Augenblick wollte Montana Kid seine Hunde nehmen und einen Versuch machen, nach dem Festland hinüberzugelangen, bei näherer Untersuchung aber entdeckte er eine schnell fließende Strömung über dem Eise. Ein Stück weiter unten bog der Fluß scharf nach Westen ab, und bei dieser Biegung war er von einem völligen Labyrinth winzig kleiner Inseln übersät.

»Dort kommen Schraubungen«, sagte er bei sich.

Ein halbes Dutzend Schlitten, die sich offenbar auf dem Wege flußaufwärts nach Dawson befanden, kamen durch das kalte Wasser nach dem unteren Ende der Insel geplätschert. Die Fahrt auf dem Flusse war jetzt gefährlich und mußte bald unmöglich sein, und sie arbeiteten aus Leibeskräften, bis sie die Insel erreichten und den Pfad der Holzhauer zur Hütte heraufkamen. Einer von ihnen war schneeblind und an einen Schlitten gebunden, er taumelte hilflos hinter ihm her. Es waren kräftige junge Burschen mit grober Kleidung und mitgenommen von der langen Schlittenreise, aber Montana Kid hatte ihre Art schon früher getroffen und war sich gleich darüber klar, daß sie nicht seinesgleichen waren.

»Hallo! Wie steht es in Dawson?« fragten sie, während sie von Donald auf Davy und von diesem auf Kid sahen.

Eine erste Begegnung in der Wildnis zeichnet sich nicht durch viele Zeremonien aus. Die Unterhaltung wurde schnell allgemein, und sie erzählten der Reihe nach, welche Neuigkeiten es in den oberen beziehungsweise unteren Landesteilen gab. Aber das wenige, das die Neuankömmlinge wußten, war bald erzählt, denn sie hatten in Minook, tausend Meilen weiter abwärts am Flusse, überwintert, wo nichts geschah. Montana Kid hingegen kam direkt aus den Salzwasserländern, und während sie ihr Lager aufschlugen, belegten sie ihn mit Beschlag und bombardierten ihn mit Fragen nach der Außenwelt, von der sie ein ganzes Jahr lang abgeschnitten gewesen.

Ein schneidendes Kreischen rief plötzlich alle ans Ufer. Das Wasser auf der Eisoberfläche war tiefer geworden, und das Eis, das jetzt von oben wie von unten angegriffen wurde, kämpfte, um sich von dem harten Griff der Küste loszureißen. Spalten öffneten sich mit Lärm und Gepolter vor ihren Augen, und die Luft wurde von einem vielstimmigen kurzen und scharfen Knistern erfüllt.

Ein Stück weiter flußaufwärts kamen zwei Männer in einem Hundegespann auf einem Stück Eis angejagt, das noch nicht unter Wasser stand. Während sie aber noch hinsahen, kamen die beiden auf das Wasser hinaus und begannen sich herüberzuarbeiten. Hinter ihnen, wo ihre schnellen Füße vor einem Augenblick hingetreten hatten, ging das Eis in Stücke und stellte sich hochkant. Durch die Öffnung kam der Fluß geströmt, umspülte sie bis zum Leibe und begrub den Schlitten und die Hunde. Aber die Männer arbeiteten sich durch das rauschende Wasser und die scheuernden Eisstücke an das Ufer, wo Montana Kid ihnen als erster zu Hilfe kam.

»Ich will gehängt sein, wenn das nicht Montana Kid ist!« rief einer der Männer, die Kid soeben auf den Hang heraufgezogen hatte. Er trug das rote Hemd der reitenden Polizei und hob die rechte Hand zum Gruß.

»Ich hab' eine Vorladung für dich, Montana Kid,« fuhr er fort, indem er ein weißes Papier aus der Brusttasche zog, »und ich hoffe, du machst keine Schwierigkeiten und kommst mit.«

Montana Kid sah über den chaotischen Fluß hinaus und zuckte die Achseln, und der Polizist, der seinem Blick folgte, lächelte.

»Wo sind die Hunde?« fragte sein Begleiter.

»Meine Herren,« unterbrach ihn der Polizist, »mein Kamerad hier ist Jack Sutherland, Besitzer von Eldorado Nr. 20 –«

»Doch nicht der Sutherland von 1892?« fiel der Schneeblinde von Minook ihm ins Wort und tastete sich kraftlos zu ihm hin.

»Ja, eben.« Sutherland ergriff seine Hand.

»Und Sie?«

»Ach, ich bin ein späterer Jahrgang, aber ich entsinne mich Ihrer gut aus meiner Fuchsenzeit. Kameraden,« er wandte sich halb zu ihnen, »dies ist Sutherland, Jack Sutherland, früherer erster Torwart der Universität. Kommt her, ihr Goldgräber, und werft euch über ihn. Sutherland, hier ist Greenwich – war auch Torwart vor zwei Jahren.«

»Ja, ich hab' davon gelesen«, sagte Sutherland, ihm die Hand drückend. »Und ich erinnere mich Ihres prachtvollen Kampfes.«

Eine tiefe Röte stieg in Greenwichs Wangen unter der sonnenverbrannten Haut, und er machte einem andern Manne verlegen Platz.

»Und hier ist Matthews – aus Berkeley. Und wir haben auch ein paar feine Leute von den Universitäten im Osten. Kommt her, Leute! Hierher! Dies ist Sutherland, Jack Sutherland!«

Und sie stürzten sich über ihn und schleppten ihn in das Lager, wo sie ihm trockene Kleidung und zahllose Becher schwarzen Tees gaben.

Donald und Davy, von denen niemand Notiz nahm, hatten sich zu einem Spiel Karten zurückgezogen, an dem sie sich allabendlich ergötzten. Montana Kid folgte ihnen mit dem Polizisten.

»Seht nun zu, daß ihr etwas Trockenes auf den Leib kriegt«, sagte er, indem er einige von seinen eigenen spärlichen Kleidungsstücken hervorzog.

»Und du mußt wohl mit mir zusammen schlafen.«

»Na, das muß ich sagen – du bist wirklich ein anständiger Kerl!« meinte der Polizist, indem er die Socken des andern anzog. »Es tut mir leid, daß ich dich wieder mit nach Dawson nehmen muß, aber ich hoffe, sie werden nicht zu hart mit dir verfahren.«

»Nicht so schnell.« Montana Kid lächelte, aber es war ein seltsames Lächeln. »Wir sind noch nicht fortgekommen. Wenn ich von hier aufbreche, dann geht es flußabwärts, und aller Voraussicht nach begleitest du mich.«

»Nicht, wenn ich mich recht kenne –«

»Komm mit hinaus – dann will ich es dir zeigen. Die verfluchten Idioten da«, er zeigte mit dem Daumen auf die beiden Schotten, »haben sich ihr eigenes Grab gegraben, als sie sich hier niederließen. Stopf dir deine Pfeife, Kamerad – es ist anständiger Tabak – und genieße das Leben, solange du kannst. Viele Pfeifen hast du nicht mehr zu rauchen.«

Der Polizist ging verwundert mit ihm, und Donald und Davy hielten in ihrem Spiel inne und gingen mit. Die Männer aus Minook sahen Montana Kid bald flußauf, bald flußab zeigen und traten zu ihnen.

»Was ist los?« fragte Sutherland.

»Nicht viel.« Montana Kid sprach ganz kaltblütig. »Es wird nur einen Höllenspektakel geben. Könnt ihr die Biegung dort sehen. Dort werden Millionen von Tonnen sich aufschrauben. Und auch dort oben wird das Eis sich aufstauen. Wenn die obere Schraubung birst, und die untere Schraubung hält noch – puff!« Er machte eine dramatische Handbewegung über die Insel. »Millionen von Tonnen«, fügte er nachdenklich hinzu.

»Und die Brennholzstapel?« fragte Davy.

Montana Kid machte dieselbe fortfegende Handbewegung über die Insel, und Davy sagte klagend:

»Die Arbeit von Monaten, das kann nicht wahr sein! Mensch, nein, das kann nicht wahr sein. Das muß doch Scherz sein! Ach, sag', daß es Scherz ist«, sagte er flehentlich.

Aber Montana Kid lachte hart und schneidend und drehte sich auf dem Absatz um, während Davy sich über die Brennholzstapel warf und wie ein Rasender begann, das Holz vom Hange wegzuwerfen.

»Hilf mir, Donald!« rief er. »Kannst du mir denn nicht helfen? Die Arbeit von Monaten – und die Heimreise!«

Donald packte ihn am Arm und schüttelte ihn, aber er riß sich los. »Hast du denn nicht gehört? Millionen Tonnen, und die Insel wird weggefegt.«

»Jetzt hör' aber auf, Mann«, sagte Donald. »Du bist ja ganz verrückt, jawohl!«

Aber Davy warf sich über das Brennholz. Donald watete zur Hütte zurück, schnallte sich seinen und Davys Geldgürtel um und ging nach der Landspitze, wo eine mächtige Kiefer die andern Bäume überragte.

Der Mann vor der Hütte hörte das Geräusch seiner Axt und lächelte. Greenwich kehrte von der andern Seite der Insel zurück mit dem Bescheid, daß sie eingesperrt wären. Es war unmöglich, über den Seitenkanal zu gelangen. Der schneeblinde Minook-Mann begann zu singen, und die übrigen stimmten ein:

»Sagt, ist es denn wahr?
Ist es euch denn klar?
Glaubt ihr nicht, er lügt?
Sagt, ist es denn wahr?«

»Es ist sündhaft«, klagte Davy, indem er den Kopf hob und sie in den schrägen Sonnenstrahlen herumtanzen sah. »Und all mein gutes Holz wird vernichtet!«

»Ach, ist es denn wahr?«

klang es spottend zurück.

Der Lärm vom Flusse hörte plötzlich auf, und eine seltsame Stille senkte sich auf sie herab. Das Eis hatte sich von den Ufern losgerissen und hob sich mit dem Wasserspiegel. Schnell und geräuschlos stieg es, ganze zwanzig Fuß, bis die mächtigen Schollen weiß gegen den Gipfel des Hanges stießen. Das untere Ende der Insel, das niedriger lag, war schon überflutet. Dann begann die weiße Flut ohne Anstrengung stromabwärts zu gleiten. Aber das Geräusch wuchs mit der Schnelligkeit, und bald zitterte und bebte die ganze Insel unter den gewaltigen Angriffen der scheuernden Eismassen. Unter gewaltsamem Druck wurden mächtige Schollen, die Hunderte von Tonnen wogen, wie Erbsen in die Luft geschleudert. Die Anarchie des Eises nahm an Wildheit zu, und die Männer mußten einander in die Ohren schreien, um sich Gehör zu verschaffen. Hin und wieder konnte man den Lärm aus dem Seitenkanal über das Getöse hören. Die Insel erbebte, als eine mächtige Scholle gerade gegen ihre äußerste Spitze stieß. Sie riß ein Dutzend Kiefern mit der Wurzel aus, dann drehte sie sich und kenterte, hob ihren erdigen Fuß vom Grunde des Flusses und steuerte geradeswegs auf die Hütte los, wobei sie wie ein riesiges Messer Hang und Bäume abrasierte. Es war, als striche sie kaum an einer Ecke der Hütte entlang, aber die Balken stürzten wie Streichhölzer, und das Gebäude wurde wie ein Spielzeughaus zertrümmert.

»Die Mühe von Monaten! Die Mühe von Monaten und die Heimreise!« jammerte Davy, während Montana Kid und der Polizist ihn von den Brennholzstapeln zurückzogen.

»Warte nur, dir wird es nicht an Gelegenheit zur Heimreise fehlen«, brummte der Polizist, indem er ihm eine tüchtige Ohrfeige gab und ihn kopfüber an eine Stelle fliegen ließ, wo er in Sicherheit war.

Donald, der im Wipfel der Kiefer saß, sah die verheerende Eisscholle das Brennholz beiseitefegen und flußabwärts verschwinden. Und als sei der Eisstrom zufrieden mit dem Unheil, das er schon angerichtet hatte, sank er schnell zu seiner früheren Höhe und begann seine Schnelligkeit zu verringern. Der Lärm ließ nach, und die andern konnten Donald von seinem Aussichtsturm rufen hören, daß sie flußabwärts schauen sollten. Wie vorausgesagt, war die Schraubung zwischen den Inseln in Schwung gekommen, und das Eis häufte sich zu einer mächtigen Schranke auf, die sich von Küste zu Küste erstreckte. Die Flut hielt jetzt an, und das Wasser, das keinen Ausweg fand, begann zu steigen. Es stieg immer weiter, bis die Insel ganz unter Wasser stand, und die Männer bis zu den Knien darin herumwateten, während die Hunde zu den Ruinen der Hütte schwammen. Zu diesem Zeitpunkt machte das Wasser plötzlich Halt ohne spürbares Steigen oder Fallen.

Montana Kid schüttelte den Kopf. »Es ist oben zusammengeschraubt und kommt nicht mehr herunter.«

»Und jetzt gilt es, welche von den Schraubungen zuerst gesprengt wird«, fügte Sutherland hinzu.

»Eben«, bestätigte Montana Kid. »Wenn die oberste zuerst zum Teufel geht, haben wir nicht die geringste Chance. Dem kann nichts standhalten.«

Die Minook-Männer wandten sich ab, ohne noch etwas zu sagen, aber bald klangen ihre heiteren Studentenlieder wieder durch die stille Luft.

Man bildete einen Kreis um Montana Kid und den Polizisten, die schnell den Rhythmus der Kehrreime erfaßten.

»Ach, Donald, willst du mir nicht helfen?« schluchzte Davy am Fuße des Baumes, den sein Kamerad erklettert hatte. »Ach, Donald, Donald, willst du mir nicht helfen?« schluchzte er wieder, und seine Hände bluteten von dem fruchtlosen Bemühen, den Stamm zu erklimmen. Aber Donald starrte unverwandt den Fluß hinauf, und jetzt tönte seine Stimme, zitternd vor Angst, in den Raum hinaus:

»Allmächtiger Gott, da kommt es!«

Und knietief in dem eisigen Wasser stehend, faßten die Minook-Männer, Montana Kid und der Polizist einander an den Händen und stimmten den furchtbaren Schlachtgesang der Republik an. Aber die Worte ertranken in dem mächtigen Getöse, das auf sie losrückte.

Und so war es Donald vergönnt, etwas zu sehen, das kein Mensch sehen kann, ohne zu sterben. Eine mächtige weiße Mauer stürzte sich über die Insel. Bäume, Hunde, Männer, alles wurde vollständig ausgelöscht, als hätte Gott das Antlitz der Natur rein gewaschen. All dieses sah er, während er noch einen Augenblick auf seinem hohen Sitz hin- und herschwankte. Dann wurde er weit fort in die Eishölle gewirbelt.


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