Jack London
Jerry der Insulaner
Jack London

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Bei Tagesanbruch hatte die Arangi die Anker gelichtet. Ihre Segel hingen schwer in der toten Luft, und die Besatzung saß im Walboot und arbeitete mit den Riemen, um das Schiff durch die enge Einfahrt hinauszubugsieren. Als die Jacht einmal durch eine unberechenbare Strömung aus dem Kurs gebracht wurde und sich stark der Brandung an der Küste näherte, scharten sich die Schwarzen an Deck in großer Angst zusammen wie furchtsame Schafe im Pferch, wenn der wilde Räuber der Wälder draußen heult. Und es war auch nicht nötig, daß Van Horn dem Walboot zurief: »Washee-washee, ihr verdammten Kerle!« Die Bootsbesatzung hob sich gleichsam auf die Zehenspitzen und legte alle Kraft in jeden Ruderschlag. Sie wußten genau, welch schreckliches Schicksal ihrer wartete, wenn das von den Wellen überspülte Korallenriff den Kiel der Arangi packte. Und sie fürchteten sich, fürchteten sich genau wie das furchtsame Mädchen im Vorratsraum. Es war mehr als einmal geschehen, daß die Leute von Langa-Langa und Somo denen auf Su'u einen Festtag bereitet hatten, wie denn auch die Su'u-Leute gelegentlich dieselbe Rolle bei Festmählern in Langa-Langa und Somo gespielt hatten.

»Mein Wort,« wandte sich Tambi, der am Ruder stand, an Van Horn, als die Gefahr überstanden und die Arangi klargekommen war, »Bruder gehören mein Vater, lang Zeit vor, er kommen Schiffsbesatzung dieser Ort. Groß fella Schoner Bruder gehören mein Vater, er kommen hierher. Alles fertig dieser Ort Su'u. Bruder gehören mein Vater Su'u-Jungen kai-kai alle zusammen.«

Van Horn erinnerte sich der Fair Hathaway, die vor fünfzehn Jahren von den Eingeborenen auf Su'u geplündert und verbrannt wurde, nachdem die ganze Besatzung erschlagen worden war. Wirklich: zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts waren die Salomons ein wildes Land, und von allen Salomons war die große Insel Malaita die wildeste.

Er ließ einen nachdenklichen Blick über die hohen Ufer der Insel nach dem Seemannszeichen, dem Koloratberge, schweifen, der sich, grünbewaldet, viertausend Fuß hoch bis in die Wolken erhob. Als er hinschaute, sah er dünne Rauchwölkchen in immer wachsender Zahl von den Hängen und den niederen Höhen aufsteigen.

»Mein Wort,« grinste Tambi, »viel Jungen bleiben in Busch, gucken nach dir, Auge gehören ihnen.«

Van Horn lächelte verständnisinnig. Er wußte, daß die uralte Telegraphie mittels Rauchsignalen von Dorf zu Dorf, von Stamm zu Stamm die Botschaft trug, daß ein Arbeiterwerber an der Leeküste lag. Bei Sonnenaufgang war ein frischer Seitenwind aufgesprungen, und den ganzen Vormittag flog die Arangi nordwärts. Beständig wurde ihr Kurs von den immer dichter aufsteigenden Rauchwolken über die grünen Wipfel hinweg gemeldet. Gegen Mittag stand Van Horn, stets in Begleitung Jerrys, vorn und lotete, während die Arangi in den Wind ging, um zwischen zwei palmenbewachsenen Inselchen hindurchzufahren. Das Loten war nötig. Überall hoben sich Korallenriffe aus der türkisblauen Tiefe, durchliefen die ganze Farbenskala vom tiefsten Nephrit bis zum bleichsten Turmalin, und über sie hinweg spülten die wechselnden Farben des Meeres, schäumten die Wellen träge oder brachen sich in weißen, schaumsprühenden Spritzern.

Die Rauchsäulen über den Höhen schwatzten weiter, und längst, ehe die Arangi die Einfahrt passiert hatte, wußte die ganze Leeküste, von den Salzwasserleuten am Strande bis zu den fernsten Buschdörfern, daß der Arbeiterwerber auf dem Wege nach Langa-Langa war. Als die Lagune, die von einem Gürtel kleiner Inselchen vor der Küste gebildet wurde, immer mehr in Sicht kam, begann Jerry die Riffdörfer zu riechen. Viele Kanus bewegten sich über die glatte Fläche der Lagune, von Paddeln getrieben oder vorm Südostpassat segelnd, der frisch durch die breiten Kronen der Kokospalmen wehte. Jerry bellte gereizt die am nächsten herankommenden an, die Haare sträubten sich ihm, und er stellte sich furchtbar grimmig, um zu zeigen, daß er dem weißen Gotte neben ihm ein hinreichender Beschützer war. Und nach jeder solchen Warnung rieb er seine kühle, feuchte Schnauze gegen die sonnenhelle Haut von Schiffers Schenkel.

Als die Arangi erst in der Lagune war, fiel sie mit Querwind ab. Nach einer schnellen Fahrt von einer halben Meile drehte sie mit losen Vorschooten und flatterndem Großsegel und Besan bei. Dann fiel der Anker in fünfzig Fuß Tiefe. Das Wasser war so klar, daß jede der mächtigen geriffelten Muschelschalen auf dem Korallengrunde sichtbar war. Man brauchte nicht das Walboot, um die Langa-Langa-Retournierten zu landen. Hunderte von Kanus lagen in zwanzig Reihen zu beiden Seiten der Arangi, und jeder Schwarze wurde mit seiner Kiste und seiner Glocke von Dutzenden von Verwandten und Freunden für sich in Anspruch genommen.

Es herrschte eine solche Erregung, daß Van Horn niemand erlaubte, an Bord zu kommen. Im Gegensatz zu Hornvieh sind Melanesier bei Ausbruch einer Panik ebensosehr zum Angriff wie zur Flucht geneigt. Zwei Mann von der Besatzung standen neben den auf dem Skylight befindlichen Lee-Enfield-Gewehren. Borckman besorgte mit der halben Besatzung den Schiffsdienst. Van Horn überwachte in Begleitung Jerrys das Ausschiffen der Langa-Langa-Retournierten, achtete sorgfältig darauf, daß ihm niemand in den Rücken kam, und beobachtete scharf den Rest der Besatzung, der den Stacheldrahtzaun an der Reling bewachte. Und jeder Somo-Neger saß auf seiner Kiste, um zu verhüten, daß sie irrtümlich von einem Langa-Langa-Neger in das wartende Kanu geworfen wurde.

Nach einer halben Stunde zog die ganze lärmende Schar ab. Nur einige wenige Kanus blieben zurück, und in einem von ihnen saß Nau-hau, der mächtigste Häuptling von der Feste Langa-Langa. Van Horn machte ihm ein Zeichen, daß er an Bord kommen könne. Im Gegensatz zu den meisten großen Häuptlingen war Nau-hau jung, und im Gegensatz zu den meisten Melanesiern war er stattlich, ja beinahe schön zu nennen.

»Hallo, König von Babylon«, begrüßte ihn Van Horn, denn so nannte er ihn wegen seines semitischen Gepräges und wegen der rohen Kraft, die sein Gesicht und seine Haltung kennzeichnete.

Nackt geboren und zur Nacktheit erzogen, betrat Nau-hau das Deck dreist und unbeschämt. Sein einziges Kleidungsstück war ein Kofferriemen, den er sich um den Leib geschnallt hatte. Zwischen diesem und seinem bloßen Körper stak die ungeschützte Klinge eines zehnzölligen Schlächtermessers. Sein einziger Schmuck war ein weißer Porzellan-Suppenteller, der durchbohrt war und ihm an einer aus Kokosfasern geflochtenen Schnur um den Hals hing, so daß der Teller ihm auf der Brust hing und die schwellenden Muskeln halb bedeckte. Das war der größte aller Schätze. Von keinem Mann auf Malaita hatte er je gehört, daß er einen ganzen Suppenteller besessen hätte.

Und der Suppenteller machte ihn ebensowenig lächerlich wie seine Nacktheit. Er war König, wie sein Vater es vor ihm gewesen, aber er war größer als sein Vater. Leben und Tod hielt er in seiner Hand. Oft hatte er seine Macht ausgeübt, hatte seinen Untertanen in der Sprache von Langa-Langa zugezwitschert: »Erschlagt hier« und »Erschlagt dort«; »Du sollst sterben« und »Du sollst leben«. Und weil sein Vater, der vor einem Jahre abgedankt hatte, so töricht gewesen war, sich in die Regierung seines Sohnes einzumischen, hatte der ihm durch zwei Leute den Hals mit einem Strick aus Kokosfasern zuschnüren lassen, daß er hernach nie wieder atmete. Und weil seine Lieblingsfrau, die Mutter seines Erstgeborenen, in ihrer törichten Liebe gewagt hatte, eines seiner königlichen Tambos zu verletzen, hatte er sie töten lassen und sie höchst selbstsüchtig und gewissenhaft bis auf das letzte Knöchelchen, ja bis auf das Mark ihrer Knochen aufgefressen, ohne selbst seinen allernächsten Genossen auch nur einen einzigen Bissen von ihr zu gönnen.

Königlich war er von Natur, durch Erziehung und Wesen. Er benahm sich mit königlichem Selbstbewußtsein. Er sah königlich aus – wie ein prachtvoller Hengst, wie ein Löwe in einer goldbraunen Wüste königlich aussehen mag. Er war ein herrliches Tier – ein erster Entwurf zu den strahlenden menschlichen Eroberern und Herrschern auf höheren Stufen der Entwicklung, wie sie zu andern Zeiten und Orten aufgetaucht sind. Königlich war Haltung von Körper, Brust, Schultern und Kopf. Königlich war sein Blick: hochmütig unter schweren Lidern.

Königlich war auch sein Mut, als er in diesem Augenblick die Arangi betrat, trotzdem er wußte, daß er auf Dynamit trat. Wie er längst aus bitterer Erfahrung wußte, waren weiße Männer, mochten sie sonst sein, wie sie wollten, selbst der reine Sprengstoff, gerade wie die geheimnisvollen, todbringenden Waffen, die sie zuweilen benutzten. Als kleiner Knabe war er einmal mit in einem Kanu gewesen, das einen Sandelholzkutter, noch kleiner als die Arangi, angegriffen hatte. Nie hatte er das Mysterium vergessen. Er hatte gesehen, wie zwei der weißen Männer getötet und ihre Köpfe an Deck abgehauen wurden. Der dritte war, immer kämpfend, eine Minute zuvor nach unten geflohen. Und da war der Schoner mit seinem ganzen Reichtum an Bandeisen, Tabak, Messern und Kattun in die Luft geflogen und in einem zersplitterten, zerfetzten Nichts wieder ins Meer gefallen. Das war Dynamit gewesen – das Mysterium. Und er, der durch ein glückliches Wunder unbeschädigt durch die Luft gewirbelt war, er hatte erraten, daß weiße Männer selbst Dynamit waren, zusammengesetzt aus demselben geheimnisvollen Stoff wie der, mit dem sie die schnellen Fischzüge, oder in der äußersten Not sich selbst und ihre Schiffe in die Luft sprengten – diese Schiffe, mit denen sie von weither übers Meer gezogen kamen. Und dennoch betrat er diesen unsicheren, entsetzlichen, todbringenden Stoff, aus dem, wie er sehr wohl wußte, auch Van Horn bestand, betrat ihn fest und schwer, wagte es, seinen Hochmut dagegen einzusetzen, obwohl jeden Augenblick die Explosion erfolgen konnte.

»Mein Wort,« begann er, »was Name du machen Jungen gehören mir bleiben zu lange bei dir?« Was eine wahre und wohlbegründete Anklage war, da die Leute, die Van Horn zurückbrachte, dreiundeinhalb Jahre statt drei fortgeblieben waren.

»Du reden das fella Gerede ich werden böse zu sehr auf dich«, antwortete Van Horn streitlustig und fügte dann diplomatisch hinzu, indem er die Hand in eine mittendurch gesägte Tabakkiste steckte und dem Häuptling eine Handvoll anbot: »Viel besser, du rauchen und reden gut fella Rede.«

Aber Nau-hau lehnte mit einer großartigen Handbewegung die Gabe ab, nach der ihn hungerte.

»Viel Tabak bleiben bei mir«, log er. »Was Name ein fella Junge gehen fort nicht kommen wieder?« fragte er.

Van Horn zog das lange dünne Abrechnungsbuch aus seinem Lendenschurz, und während er schnell die Seiten überblickte, empfing Nau-hau einen Eindruck von dem Dynamit in der überlegenen Macht des weißen Mannes, die ihn befähigte, sich in den beschriebenen Blättern eines Buches statt in seinem Kopfe genau zu erinnern.

»Sati«, las Van Horn, indem er seinen Finger auf die Stelle setzte und aufmerksam bald auf das beschriebene Blatt, bald auf den schwarzen Häuptling vor sich, sah, während der schwarze Häuptling selbst dachte und grübelte, welche Möglichkeit er hätte, hinter den andern zu gelangen und ihm mit einem einzigen Messerhieb – dem Hieb, den er so gut kannte – das Rückgrat eben unterhalb des Halses durchzuhauen.

»Sati«, las Van Horn. »Letzter Monsun beginnen diese Zeit, ihn fella Sati werden krank Magen gehören ihm zu sehr; dann ihn fella Sati ganz fertig.« So lautete auf Trepang die Eintragung: »Gestorben an Dysenterie 4. Juli 1901.«

»Viel Arbeit ihn fella Sati lange Zeit«, ging Nau-hau gerade auf die Sache los. »Was kommen Geld gehören ihm?« Van Horn rechnete.

»Zusammen ihn machen sechs zehn Pfund und zwei fella Pfund Gold«, lautete die Übersetzung von zweiundsechzig Pfund Lohn. »Ich bezahlen Vorschuß Vater gehören ihm ein zehn Pfund und fünf fella Pfund. Ihn fertig ganz für vier zehn Pfund und sieben fella Pfund.«

»Was Name bleiben vier zehn Pfund und sieben fella Pfund?« fragte Nau-hau, der wohl mit der Zunge, aber nicht mit dem Kopfe diese ungeheure Summe bewältigen konnte.

Van Horn hob die Hand.

»Zuviel Eile du fella Nau-hau. Ihn fella Sati kaufen Laden bei Plantage zwei zehn Pfund und ein fella Pfund. Sati fertig, ihm gehören zwei zehn Pfund und sechs fella Pfund.«

»Was Name bleiben zwei zehn Pfund und sechs fella Pfund?« beharrte Nau-hau unerbittlich.

»Bleiben bei mir«, antwortete der Kapitän kurz.

»Geben mir zwei zehn Pfund und sechs fella Pfund.«

»Geben dir Hölle«, sagte Van Horn abweisend, und in seinen blauen Augen spürte der schwarze Häuptling deutlich das Dynamit, aus dem der weiße Mann gemacht schien. Wieder sah er den blutigen Tag vor sich, da er zum erstenmal eine Dynamitexplosion erlebt hatte und durch die Luft gewirbelt war.

»Was Name das alt fella Junge bleiben in Kanu?« fragte Van Horn, indem er auf einen alten Mann in dem längsseit liegenden Kanu zeigte. »Ihn Vater gehören Sati?«

»Ihn Vater gehören Sati«, bestätigte Nau-hau.

Van Horn machte dem Alten ein Zeichen, daß er an Bord kommen solle, übergab Borckman die Aufsicht an Deck und ging mit Nau-hau nach unten, um das Geld aus seinem Geldschrank zu holen. Dann kehrte er zurück und wandte sich, ohne die geringste Notiz vom Häuptling zu nehmen, direkt an den Alten. »Was Name gehören dir?«

»Mich fella Nino«, lautete die bebende Antwort. »Ihn fella Sati gehören mir.«

Van Horn sah fragend auf Nau-hau, der bestätigend in der Art der Salomoninseln nickte, worauf Van Horn sechsundzwanzig Goldstücke in die Hand von Satis Vater zählte.

Augenblicklich streckte Nau-hau die Hand aus und empfing die Summe. Zwanzig Goldstücke behielt der Häuptling selbst, die übrigen sechs gab er dem Alten wieder. Das ging Van Horn nichts an. Er hatte seine Pflicht getan und seine Schuld bezahlt. Daß ein Häuptling seinen Untertan tyrannisierte, hatte nichts mit seinem Geschäft zu tun.

Beide Herren, der weiße und der schwarze, waren sehr mit sich zufrieden. Van Horn hatte das Geld an den bezahlt, der es zu bekommen hatte; Nau-hau hatte kraft seiner Königswürde Satis Vater vor den Augen Van Horns der Frucht von Satis Fleiß beraubt. Aber Nau-hau war nicht darüber erhaben, sich zu brüsten. Er schlug den Tabak aus, der ihm zum Geschenk angeboten wurde, kaufte eine Kiste von Van Horn und bezahlte ihm fünf Pfund dafür. Dann verlangte er, daß die Kiste geöffnet würde, damit er sich sofort eine Pfeife stopfen konnte.

»Viel gute Jungen bleiben Langa-Langa?« fragte Van Horn mit unbeirrbarer Höflichkeit, um das Gespräch in Gang zu halten und seine völlige Gleichgültigkeit zu zeigen.

Der König von Babylon grinste, würdigte ihn aber keiner Antwort.

»Vielleicht ich gehen an Land und gehen umher«, sagte Van Horn herausfordernd und prüfend.

»Vielleicht zuviel Lärm für dich«, antwortete Nauhau ebenso herausfordernd. »Vielleicht viel schlechte fella Jungen kai-kai dich.«

Wenn Van Horn sich dessen auch nicht bewußt war, so hatte er doch bei dieser Herausforderung dasselbe stechende Gefühl in den Haarwurzeln wie Jerry, wenn sich ihm die Haare sträubten.

»He, Borckman«, rief er. »Bemannen Sie das Walboot!«

Als das Walboot längsseits lag, stieg er zuerst selbst gleichmütig ein und forderte dann Nau-hau auf, ihn zu begleiten.

»Mein Wort, König von Babylon«, flüsterte er dem Häuptling ins Ohr, als die Besatzung sich über die Riemen beugte. »Ein fella Junge machen Lärm, ich zuerst schießen Hölle aus dir heraus. Dann ich schießen Hölle aus Langa-Langa heraus. Ganze Zeit, du fella gehen herum, du gehen herum mit mir. Du nicht mögen gehen herum mit mir, du gleich ganz fertig.«

Und an Land ging Van Horn, ein weißer Mann, allein begleitet von einem kleinen irischen Terrier, dessen Herz vor Liebe überströmte, und einem schwarzen König, den widerwilliger Respekt vor dem Dynamit in dem weißen Manne erfüllte. Und der barbeinige Schwadroneur durchschritt eine von dreitausend Seelen bewohnte Feste, während sein weißer, dem Schnaps verfallener Steuermann das winzige Fahrzeug hielt, das vor der Küste verankert lag, und seine schwarze Bootsmannschaft, die Riemen in den Händen, das Walboot mit dem Heck gegen Land hielt und auf den Augenblick wartete, da er plötzlich hineinspringen würde – dieser Mann, dem sie dienten, den sie aber nicht liebten, und dessen Kopf sie mit größter Bereitwilligkeit genommen hätten, wenn sie es gefahrlos hätten tun können.

Van Horn hatte nicht die Absicht gehabt, an Land zu gehen, und wenn er es auf die hochmütige Herausforderung des schwarzen Häuptlings tat, so geschah es lediglich aus geschäftlichen Rücksichten. Eine Stunde lang schlenderte er umher, die Rechte immer am Kolben der automatischen Pistole an seiner Lende, und ohne die Augen von Nau-hau zu lassen, der neben ihm ging. Denn Nau-hau, der mit Mühe einen Vulkanausbruch unterdrückte, konnte beim geringsten Anlaß explodieren. Und wie Van Horn so dahinschlenderte, war ihm vergönnt zu sehen, was nur wenige Weiße gesehen, denn Langa-Langa und seine Schwesterinseln – schöne Perlen, die wie auf einer Schnur an der Küste von Malaita aufgereiht lagen – waren ebenso einzigartig wie unerforscht.

Ursprünglich waren diese Inseln nur Sandbänke und Korallenriffe gewesen, die halb vom Meere überspült wurden. Nur ein gejagtes, verzweifeltes Geschöpf hatte sich hier mit unglaublicher Mühe den dürftigsten Lebensunterhalt schaffen können. Aber eben solche gejagte, verzweifelte Geschöpfe, deren Dörfer überfallen, oder die vor dem Zorn ihrer Häuptlinge und dem Schicksal geflohen waren, als Langschweine in den Kochtopf zu wandern, waren hierhergekommen und hatten ausgehalten. Und diese Menschen, die nur den Busch gekannt hatten, lernten jetzt das salzige Wasser kennen und entwickelten sich zu einer Salzwasserrasse. Sie lernten Fische und Schaltiere kennen, und sie erfanden Angelhaken und Schnüre, Netze und Reusen und all die sonstigen Methoden, um sich die Nahrung zu verschaffen, die in dem ewig wechselnden, unsicheren Meere schwimmt.

Diese Flüchtlinge stahlen sich Weiber vom Festlande und vermehrten sich. Mit wahrer Herkulesarbeit unter der brennenden Sonne besiegten sie das Meer. Sie umdeichten ihre Korallenriffe und Sandbänke mit Korallenblöcken, die sie in dunklen Nächten vom Festland stahlen. Prachtvolles Mauerwerk bauten sie ohne Mörtel und Meißel, um dem Anprall des Ozeans Widerstand zu leisten. Ebenso stahlen sie vom Festland – wie Mäuse aus menschlichen Wohnungen, wenn die Menschen schlafen – Kanuladungen fetter, reicher Erde.

Generationen und Jahrhunderte vergingen, und siehe: dort, wo einst halb überspülte nackte Sandbänke gewesen, erhoben sich jetzt Festungen mit Mauern und Wällen, unterbrochen von Anlegestellen für die langen Kanus. Den Schutz vor dem Festland bildeten die Lagunen, die ihr engeres Arbeitsgebiet darstellten. Kokospalmen, Bananenbäume und hohe Brotfruchtbäume gaben Nahrung und Schutz vor der Sonne. Ihre Gärten gediehen. Ihre langen, schmalen Kanus verheerten die Küsten und rächten das den Vätern angetane Unrecht an den Nachkommen derer, die sie verfolgt und zu fressen versucht hatten.

Wie die Flüchtlinge und Überläufer, die sich einst in die Salzsümpfe der Adria zurückgezogen und die Paläste des mächtigen Venedig auf tief in den Schlamm gesenkten Pfählen erbaut hatten, so errichteten diese elenden gejagten Schwarzen ein mächtiges Reich, bis sie Herren des Festlandes wurden, Handel und Handelswege beherrschten und den Buschmann zwangen, ewig im Busch zu bleiben und sich nie auf das salzige Meer zu wagen. Und hier, mitten in dem fetten Reichtum und Hochmut des Meervolkes, erging sich übermütig Van Horn, nahm die Gelegenheit wahr, ohne den Gedanken fassen zu können, daß der Tod bald über ihm sein konnte, in dem Bewußtsein, daß er den Grund zu guten Geschäften für die Zukunft legte, Geschäften, die darin bestanden, kühnen, ebenso wagemutigen weißen Männern auf fernen Inseln Arbeitskräfte zu verschaffen.

Und als Van Horn eine halbe Stunde später Jerry in das Achterdeck des Walbootes setzte und dann selbst einstieg, blieb am Strande ein verdutzter, verwunderter schwarzer König zurück, der mehr als je von Respekt vor dem mit Dynamit geladenen weißen Manne erfüllt war, welcher ihm Tabak, Kattun, Messer und Beile brachte und unerbittlich an diesem Handel verdiente.

 


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