Jack London
Jerry der Insulaner
Jack London

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Vorwort

Es ist das Unglück mancher Romanschriftsteller, daß Roman und Unwahrheit in den Augen des Durchschnittslesers ein und dasselbe ist. Vor mehreren Jahren gab ich einen Südseeroman heraus. Er spielte auf den Salomoninseln. Die Handlung wurde von Kritikern und Referenten als äußerst schätzenswertes Produkt der Einbildungskraft gelobt. Aber mit der Wahrheit – sagten sie – wäre es nichts. Natürlich gäbe es, wie jedermann wüßte, nirgends auf der Welt mehr kraushaarige Kannibalen, und noch weniger liefen sie unbekleidet herum und schnitten sich gegenseitig – und gelegentlich auch einem Weißen – die Köpfe ab.

Aber nun hört mal zu: Ich schreibe diese Zeilen in Honolulu, Hawai. Gestern sprach mich ein Fremder am Strand von Waikiki an. Er erwähnte einen gemeinsamen Freund, Kapitän Kellar. Als ich mit dem »Sklavenschiff« Minota bei den Salomoninseln Schiffbruch erlitt, war es Kapitän Kellar, der Führer des »Sklavenschiffes« Eugénie, der mich rettete. Jetzt hatten die Schwarzen sich Kapitän Kellars Kopf geholt, wie der Fremde mir erzählte. Er wußte es. Er hatte in der Nachlaßsache Kellars Mutter vertreten.

Hört: Neulich bekam ich einen Brief von Mr. C. M. Woodford, Regierungskommissar der britischen Salomoninseln. Er war nach einem langen Aufenthalt in England – er hatte seinen Sohn nach Oxford gebracht – auf seinen Posten zurückgekehrt. In den meisten öffentlichen Bibliotheken kann man ein Buch mit dem Titel »Ein Naturforscher unter den Kopfjägern« finden. Der Naturforscher ist Mr. C. M. Woodford. Er hat das Buch geschrieben. Um aber wieder auf den Brief zu kommen: Unter anderm erzählte er ganz kurz und beiläufig, daß er gerade eine merkwürdige Arbeit beendet hätte. Durch seine Reise nach England hätte sich die Sache verzögert. Es handelte sich um eine Strafexpedition nach einer Nachbarinsel, bei welcher Gelegenheit er, wenn möglich, auch die Köpfe einiger gemeinsamer Freunde hätte holen wollen – eines weißen Händlers, seiner weißen Frau und Kinder und seines weißen Buchhalters. Die Expedition hätte Erfolg gehabt, und Mr. Woodford schloß seinen Bericht mit folgender Bemerkung: »Was mir besonders auffiel, war der Umstand, daß die Gesichter weder Schmerz noch Schrecken, sondern eher Ernst und Ruhe ausdrückten« – dies schreibt er, man beachte es, von Männern und Frauen seiner eignen Rasse, die er gut gekannt hatte, und die oft in seinem Hause zu Gast gewesen waren.

Andre Freunde, mit denen ich in den schönen, ausgelassenen Tagen auf den Salomoninseln bei Tisch gesessen habe, sind seitdem heimgegangen – auf dieselbe Art und Weise. Du meine Güte! Ich machte einmal auf der Teakholzjacht Minota eine Werbefahrt nach Malaita und nahm meine Frau mit. An der Tür unsrer winzigen Kajüte waren noch die Beilhiebe zu sehen, die von einem vor einigen Monaten geschehenen Vorfall erzählten. Der Vorfall war, daß Kapitän Mackenzie der Kopf genommen wurde. Kapitän Mackenzie war damals Führer der Minota. Als wir in Langa-Langa ankamen, dampfte gerade der britische Kreuzer Cambrian nach Bombardement eines Dorfes ab.

Ich habe keinen Anlaß, dieses Vorwort zu meiner Erzählung mit weiteren Einzelheiten zu belasten, aber ich versichere, daß ich deren eine Menge besitze. Ich hoffe, den Leser einigermaßen überzeugt zu haben, daß die Abenteuer meines Hundes, des Helden dieses Buches, wirklich erlebte Abenteuer aus einer wirklichen Kannibalenwelt sind. Bei Gott! – als ich meine Frau mit auf die Fahrt mit der Minota nahm, fanden wir an Bord einen niggerjagenden, anbetungswürdigen kleinen irischen Terrier vor, der glatthaarig wie Jerry war und Peggy hieß. Wäre Peggy nicht gewesen, so wäre dieses Buch nie geschrieben worden. Die kleine Hündin war der größte Schatz des prächtigen Schiffers der Minota. So sehr verliebten meine Frau und ich uns in sie, daß Charmian sie nach dem Schiffbruch der Minota ihrem Schiffer mit voller Überlegung und ganz schamlos stahl. Ich gestehe ferner, daß ich den Diebstahl meiner Frau mit voller Überlegung und ganz schamlos billigte. Wir hatten Peggy ja so lieb! Lieber königlicher, herrlicher kleiner Hund, begraben zur See an der Ostküste von Australien! Ich muß hinzufügen, daß Peggy, ebenso wie Jerry, auf der Meringe-Plantage an der Meringe-Lagune geboren war. Seine Heimat war die Insel Isabel, die nördlich von der Floridainsel liegt, wo das Gouvernement seinen Sitz hat, und wo der Regierungskommissar Mr. C. M. Woodford wohnt. Ferner und endlich: Ich kenne Peggys Vater und Mutter gut, und oft hat mir das Herz geklopft, wenn ich das treue Paar nebeneinander den Strand entlanglaufen sah. Er hieß Terrence, sie Biddy.

Waikiki-Strand, Honolulu.

Oahu, T. H., 5. Juni 1915.

Jack London.


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