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Das Könekenmeer

Wenn man von Lopau, das dahinten in der Heide zwischen Ülzen und Munster liegt, den Hützeler Weg entlang geht, so kommt man nach einer guten halben Stunde an eine Stelle, an der sich die Fahrwege von Munster und Bockum treffen; schlägt man dann den Weg zur linken Hand, der nach Munster führt, ein, so steht man bald vor dem Könekenmeer.

Das ist ein runder, schwarzer Moorpump, der zwischen den Heidbergen in einem weiten und tiefen Grund unterhalb jenes Forstortes der Raubkammer liegt, der den Namen der Fangbeutel führt, weil dort zu hannöverschen Zeiten stets die stärksten Hirsche standen. Auch heutigen Tages stehen zur Brunst dort immer noch gute Hirsche, denn das Könekenmeer dient ihnen als Suhle für ihr heißes Geblüt, und darum ist der Schlamm um den Pump im Vorherbst auch immer ganz zertreten, und schwarze Schleppen zeigen an, wo ein Hirsch gewechselt ist.

Bevor der Dampfpflug hier das Land um und um wühlte und den Boden für die Fuhren zurechtmachte, die dort jetzt so frisch wachsen, wie ringsumher nicht, war da alles weit und breit kahle Schnuckenheide, höchstens daß hier und da ein Horst krüppliger Eichen stand, die sich mühselig durchgehungert hatten. Zu jener Zeit kamen die Schnuckenschäfer von allen Höfen in der Runde dort zusammen, weil das Könekenmeer das einzige größere Wasser war, in dem sich die Schnucken tränken konnten.

So ganz gern tränkten die Schäfer dort ihre Herden aber nicht, denn es ging von diesem Orte die Sage, daß es dort nicht geheuer sei. Der alte Gehegereuter, der einst in einer hellen Mondnacht im Herbstmond um Mitternacht dort vorbeiritt, und der gewiß kein Mann war, der leicht bange wurde, hatte unter dem Brinke zwischen dem Munsterschen Wege und dem Meere eine weißverschleierte Gestalt stehen sehen, die ganz vernehmlich seufzte und bitterlich die Hände rang, und als er am andern Morgen wieder dort vorbeiritt, stieg er ab und band seinen Rotschimmel an eine Eiche, um zu sehen, ob sich dort nicht vielleicht der Achtzehnenderhirsch vom Behrensloh spüre, und da verjagte er sich ganz gefährlich, denn in dem sandigen Ufer war deutlich die Spur von Mädchenfüßen zu sehen, das lange, spitze Schuhe angehabt hatte, wie man sie zu jener Zeit nicht trug, und an dem toten Machangelbusch, der nicht weit davon stand, hing ein Stück Schleiertuch feinster Art, und das war voller Blut.

Als er das in Wolfsrode erzählte, wurde er ausgelacht, denn es war bekannt, daß er die Bauern gern ein bißchen zum Narren hielt. Kurze Zeit darauf kam aber einmal eine Hochzeitsgesellschaft zwischen einem und dem anderen Tage zu Wagen dort vorbei, und da wollten die Pferde mit Gewalt nicht voran, denn vor ihnen auf dem Wege stand eine blaue Flamme, die meist ganz so wie ein Mensch gebildet war, und die erst wich, als eins von den Mädchen von dem Kümmelbrot, das es mitgenommen hatte, den Kümmel abstreifte und nach dem toten Feuer hinwarf. Da wurde die Flamme ganz klein und sprang mit einem Satze über das Meer, und eine Stimme, von der keiner wußte, ob sie nun aus der Höhe oder aus der Tiefe kam, und die nicht laut und nicht leise war, schrie: »Fahr' hille, fahr' hille und kiek dich nicht um!« Da fuhr der junge Bauer, der das Sattelpferd ritt, unbesonnen los. Seine Schwester aber, darauf vertrauend, daß sie noch einige Kümmelkörner in der Hand behalten hatte, konnte ihren Fürwitz nicht bergen und mußte sich umsehen. Da sah sie eine weiße Jungfrau, die eine goldene Krone aufhatte, in dem Meere verschwinden, und in demselben Augenblicke bekam sie einen Stoß gegen die Brust, daß ihr die Luft wegblieb. Sie lag ein volles Jahr krank und starb in derselben Nacht um dieselbe Stunde, in der sie ein Jahr vorher von der unsichtbaren Faust unter das Herz gestoßen war.

Nun wußte man damals schon, daß dort, wo sich zwischen einem und dem anderen Tag eine Flamme zu zeigen pflegt, ein Schatz begraben liegt, und so versuchten mehrere Leute, die sich klug genug dünkten, ihn zu heben, unter anderen auch der Zigeuner Peterspaul, der mit seinen sieben Frauen damals viel in der Heide auf und ab zog. Er verstand sich auf allerlei geheime Künste, konnte das Vieh besprechen, Häuser blitzfest machen und Diebe bannen, und so dachte er, es würde ihm leicht sein, den Schatz zu bören. Deshalb ging er in einer Nacht los, nachdem er seine Frauen und Kinder auf der Heide in einer Hütte gelassen hatte. Splitterfasernackigt ging er los, nur die Schuhe behielt er an, auf die er mit Kreide je ein Kreuz geschrieben hatte, und er nahm einen geweihten Spaten, ein gesegnetes Licht und einen Erbschlüssel mit einem Kreuzgriff mit. Was sich dort nun begeben hat, weiß man nicht. Aber gerade in der Mitte zwischen der zwölften und der ersten Stunde hörten seine Frauen, die in der Plaggenhütte knieten und die Gebete sprachen, die er ihnen anbefohlen hatte, ein schreckliches Lachen vom Könekenmeere herkommen und sie sahen etwas durch die Luft fliegen, das wie ein feuriger Schillebold aussah, aber so groß wie ein Langbaum war, und eine gräßliche Stimme schrie: »Bet' hin und bet' her, es hilft doch nichts mehr.« Als es hellichter Tag war, gingen die sieben Weiber nach dem Könekenmeer, fanden aber bloß die Schuhe, den Spaten, die Kerze und den Erbschlüssel, und mitten auf dem Meere schwamm eine Ente, die war so rot wie Blut. Von Peterspaul wurde aber niemals wieder etwas gehört noch gesehen.

Viele Jahre nachdem sich dies begeben hatte, vertrieben sich die Hirten einmal auf Lopeßettel die Zeit mit Geschichtenerzählen, und der älteste von ihnen erzählte auch, wie es dem Zigeuner Peterspaul am Könekenmeer gegangen sei, und er fügte hinzu, daß der Schatz noch immer dort in der Erde schlafe, denn der Lopauer Förster habe mehr als einmal, wenn er vor dem Fangbeutel die Hirsche verhörte, die blaue Flamme zu Gesicht bekommen. Nun war der jüngste von den Schäfern ein hübscher, langer Mensch, den die anderen immer zum Narren hielten, weil er bei seinen fünfundzwanzig Jahren noch wie ein Kind war, alles glaubte was man ihm erzählte und den Frauensleuten um so mehr aus dem Wege ging, je mehr sie hinter ihm her waren. Das kam aber daher, weil er zu einem Mädchen hielt, das gerade so hübsch, aber gerade so arm wie er war, und genau so einfältig von Herzen. Dem ging die Geschichte von dem Schatze mächtig im Kopfe herum, denn er dachte, daß es ihm vielleicht glücken könne, ihn zu heben, und wenn es hundert Taler wären, die dort vergraben wären, und bekäme er die, so könnte er sein Mädchen freien. Wo er ging und stand, mußte er daran denken, und sogar nachts, wenn er schlief, sah er das Könekenmeer vor sich, wenn es sich nur irgend machen ließ, hütete er nach dem Meere hin, und wenn er dort war, suchte er nach Anzeichen, wo der Schatz liege. Aber da war nichts als Heide und Krüppelfuhren und Sand und Steine. Da wurde er ganz schwermütig und so hintersinnig, daß er nicht aufpaßte, so daß ihm die Wölfe ein Schaf nach dem anderen rissen, bis das dem Bauern zu viel wurde und der ihm aufsagte.

Ganz betrübt schnürte er sein Bündel, nahm Abschied von seinem Mädchen und ging den Hützeler Weg entlang, denn er hatte gehört, daß in Bockum ein Schäfer nötig sei. Als er an dem Kreuzweg war, war ihm so, als müsse er das Meer noch einmal sehen, und so ging er darauf zu. Aber da sah es aus, wie allezeit, bloß daß ein starker Hirsch dort stand, der sich dort getränkt hatte, ihn groß ansah und nach dem Fangbeutel hinzog. Der Schäfer hatte vor Herzeleid und Kummer den ganzen Tag noch nicht ordentlich gegessen, und da es ihn hungerte, setzte er sich unter den Eichenbaum auf den Brink, knotete sein Bündel auf und begann zu vespern. Als er gegessen hatte, war ihm ganz schläfrig zumute, und darum machte er sich lang, um ein Augenblickchen zu schlummern und dann den Weg wieder zwischen die Füße zu nehmen. Wie er nun so schlief, träumte ihm, daß dicht vor ihm eine weiße Jungfrau stände, sieben Schritte gerade aus und fünf zur Seite machte, auf den Erdboden wiese und spräche: »Siebene lang, fünfe breit, und des Nachts um dieselbige Zeit«, und damit war sie verschwunden. »Das ist ja ein dummerhaftiger Traum,« dachte er, als er aufwachte, nahm sein Bündel auf und ging fort. Als er aber wieder an dem Kreuzwege war und nach Bockum zu ging, war es ihm, als lege ihm jemand die Hand auf die Schulter und flüstere ihm zu: »Siebene hin, fünfe her, heute nacht oder nimmermehr.« Er verjagte sich kein bißchen, als er das hörte, denn da er noch nie einem lebenden Wesen ein Leid angetan hatte, so hatte auch er vor nichts auf der Welt Angst. Er wußte aber nicht, was er anfangen sollte, und darum fing er an, an den Haken seines Kittels abzuzählen, und als er daraus entnahm, daß er nach Lopau zurückgehen und sich einen Spaten holen solle, tat er das.

Es war schon meist elf Uhr, als er wieder auf dem Brinke über dem Könekenmeere war. Es war eine helle Nacht und alle Sterne schienen; doch je mehr die Zeit voranging, um so dunkler wurde es, und als es hart auf Mitternacht ging, konnte er die Hand vor Augen nicht mehr sehen. Mit einem Male wurde es wieder ganz hell, und da sah er, daß aus dem Könekenmeer ein Fräulein herausstieg, das war wunderschön anzusehen, aber es war nackigt, wie ein Fisch, jedoch hatte es eine silberne Krone auf und silberne Schuh an. Es ging stracks auf ihn zu, stellte sich vor ihn hin, lächelte ihn an und hielt ihm ihre roten Lippen so dicht vor seinen Mund, daß es klar war, sie wollte von ihm geküßt sein. Aber er dachte an seine Liebste und schüttelte den Kopf, und das nackte Fräulein wurde zu Nebel und verschwand in der Luft. Nach einer Weile kam wieder ein nacktes Fräulein aus dem Wasser, das aber eine goldene Krone und goldene Schuhe hatte, und auch dieses bot sich ihm an; als er aber abermals abwehrte, verschwand es ebenso wie das erste, und auch ein drittes, das eine Krone aus Rubin trug und ebensolche Schuhe anhatte, ließ er nicht an sich herankommen. Dann standen auf einmal drei große schwarze Hunde, die aber jeder nur ein Auge hatten, das so groß wie ein Teller war, vor ihm: die rasselten mit ihren Ketten, fletschten die Zähne und kamen ihm so nahe, daß ihre langen roten Zungen ihm fast in das Gesicht langten. Ihm kam das aber nur spaßig vor, denn er sah, daß jeder bloß drei Beine hatte und daß es gar keine rechten Hunde waren, denn die Zweige von dem trockenen Machangelbusche, der vor ihm stand, gingen mitten durch sie durch. Darum lachte er über sie und sofort wurden alle drei zu Nebel.

Als er noch über die weißen Fräulein und die schwarzen Kettenhunde nachdachte, fielen mit einem Male sieben Sterne vom Himmel und bildeten über dem Meere einen halben Kreis, ähnlich einem Regenbogen, und davon wurde das Wasser so hell und klar, daß er bis auf den Grund sehen konnte. Und da sah er, daß auf dem Grunde eine eisenbeschlagene Haferkiste stand, und vor der führte eine gläserne Treppe durch den Erdboden bis in den Brink, auf dem er saß; und gerade auf der Stelle, wo die Treppe aufhörte, stand plötzlich eine blaue Flamme und ging langsam auf und ab, ohne zu zittern und zu flackern, und das auf derselben Stelle, wo die weiße Jungfrau verschwunden war, von der er geträumt hatte. Dreimal ging sie auf und ab und dann verschwand sie, ohne daß er sah, wo sie geblieben war. Da wußte er, was er zu tun hatte. Er nahm seinen Spaten und schlug da ein, wo die Flamme gestanden hatte, und als er die siebente Plagge zur Halbe warf, sah er einen eisernen Ring im Sande, und als er daran zog, war eine Kellerklappe daran, die ganz leicht aufging, und unter ihr war die gläserne Treppe zu sehen. Ganz getrost stieg er die siebenundsiebzig Stufen hinab und wunderte sich nur, daß er dabei nicht naß wurde, denn er hatte doch gesehen, daß die Treppe bis auf den Grund des Meeres reichte. Aber rings um ihn und über ihm trat das Wasser zurück, wie eine Kuppel aus Glas, und unter ihm war der Boden aus Marmelstein und mit allerlei Zierat ausgelegt, und mitten darauf stand die eisenbeschlagene Haferkiste. In gutem Vertrauen ging er darauf los, klappte sie auf und nahm sich von dem Gelde, mit dem sie bis an den Rand gefüllt war, hundert Taler, machte die Kiste zu und stieg die Treppe wieder in die Höhe, schloß die Kellerklappe, schüttete den ausgegrabenen Sand darauf, legte auch die Plaggen wieder an ihre Stelle, trat sie fest und verließ fröhlichen Herzens den Ort, nicht ohne daß er erst den Hut abgenommen und sich dreimal zum Dank verbeugt hatte. Dann ging er nach einem leerstehenden Schafkoben und schlief dort, bis die Vögel ihn aufweckten. Als er sein Bündel aufnahm, kam es ihm schwerer vor, als in der Nacht, und da machte er es auf und sah, daß aus den Silberstücken lauter Gold und daß er nun ein reicher Mann geworden war.

Er blieb aber so einfach und schlicht, wie vordem, bloß daß er sich einen schönen Hof kaufte, den er wie ein rechter Bauer bewirtschaftete, wobei ihm seine Frau, ehedem eben jenes arme Mädchen, um dessenwillen er den Schatz gehoben hatte, fleißig half. Er sprach auch zu niemand darüber, wie er zu dem Gelde gekommen war, bis ihm nachgesagt wurde, er habe es irgendwie gestohlen, und da kam er mit der Wahrheit heraus. Nun lebte in jener Gegend ein Mann, der vor Geiz an zu stinken fing, und der quälte ihn so lange, bis er ihm haarklein alles erzählte. Da ging dann der Geizhals dieselbe Nacht hin und wollte die Truhe im Könekenmeer leer machen. Er nahm sich dazu einen Maltersack mit, und er kam auch eine Weile nach Mitternacht damit angefahren, prahlte gefährlich und als er auf den Sack schlug, klingelte und klapperte es, als wenn er bis oben hin voll Gold und Silber war. Als er ihn aber ausstürzte, kamen lauter Kieselsteine heraus, und in demselben Augenblicke flog ein brennender Langbaum, wie ein Schillebold anzusehen, durch die Luft und eine grobe Stimme schrie: »Kehr' her, kehr' hin; das ist dein Gewinn.« Da wurde der Geizhals vor Schrecken krank, und als er wieder hochkam, war er albern geworden und tat nichts mehr, als daß er am Könekenmeere Steine sammelte und sie auf seinen Hof schleppte und zählte.

Manches Jahr hat er das so getrieben, aber ehe er alle Steine dort aufgesammelt hatte, mußte er sterben, und wer jetzt um das Meer herumgeht, das aber längst nicht mehr so weit und so breit ist, wie zu jener Zeit, der kann noch eine Menge solcher bunten Steine dort liegen sehen, die der Geizhals da einst im Schweiße seines Angesichts gesammelt hat. Aber wenn er auch Nacht für Nacht aus der Mitte zweier Tage dort aushält, den Schatz wird er nicht heben, denn die blaue Flamme läßt sich dort schon lange nicht mehr sehen, weil die eisenbeschlagene Haferkiste siebentausendsiebenhundertsiebenzig Klafter tief in die Erde gerückt wurde, nachdem der Geizhals sie leer gemacht hatte.

Zu Geld und Gold bringt man es jetzt in dieser Gegend nur noch, wenn man den Acker baut.


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