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Die Heidbrennerin

Die Heide röstet in der Mittagshitze; zundertrocken ist sie; kommt eine leichte Brise, dann mülmt der Sand auf dem Weg; wo die Schnucken hintreten, knastert alles; die Schlange, die auf der Eidechsenjagd ist, läßt das brechdürre Renntiermoos knistern.

Seit Wochen ist es schon so; alle Gräben stehen leer, die Torfstiche sind trocken, durch das Moor kann man in Schuhen gehen, der Bach kann nicht mehr weiter, das Torfmoos hat rote und blaue Hungerfarben, auf den Bruchwiesen kümmert das Gras, und die Heide kann nicht recht blühen.

Der alte Hinrich Uhlboom macht ein ernstes Gesicht; er kommt von seinem Immenzaun in der Brandheide. Da sieht es schlimm aus; viele tote Immen liegen vor den Stöcken, und er hatte doch immer gefüttert; aber die zu Stock flogen, hatten enge Hosen an; voriges Jahr kamen sie immer in Pumphosen. Das gibt schlechte Beute diesmal.

Der Alte seufzt; er bleibt stehen, wischt sich die Stirn mit der braunen, rissigen Hand, und sucht in der Seitentasche der weißlich schimmernden, oft geflickten Beiderwandjacke nach einem Schwefelholze, streicht es an der Lende an, läßt es ausqualmen und versenkt es in den alten zerborstenen Pfeifenkopf, den Eidigs, des Wildschützen Bildnis schmückt; fünfmal zieht er kräftig an, dann raucht er sparsam, kleine blaue Wölkchen fortflattern lassend. Er ist nur ein kleiner Mann und raucht so; die großen Bauern können qualmen, daß der Dampf wie ein Pferdeschwanz dick ist.

Aber die Hitze! er dreht sich um; er will sehen, ob nicht in der Wetterecke hinter dem Torfmoor Wettertürme stehen. Er prallt zurück; hinter ihm in die Machangeln sprang oder flog oder lief etwas hinein, lautlos, wie ein Schatten; es sah aus, wie eine junge Frau; er hat deutlich den blauen Rock und das blonde Haar unter dem geblümten Flutthut gesehen.

Er faßt seinen Schlehbuschstock fest und geht auf die Machangeln zu; aber da ist nichts. Auch im Sande ist keine Spur, und auf Abspüren versteht er sich; früher, als das Wietzebruch noch so voll von Hirschen steckte, wie ein Taternhund voller Flöhe, da hat er manchen Happbock, dem alten Förster Lohmann zum Ärger, gewildert; aber auf der Sandblöße um die Machangeln spürt er nichts, als eine Eidechse.

Er schüttelt den weißen Kopf; er wird alt, sieht Gespenster am hellichten Tage. Dummes Zeug. Aber die Hitze mag daran auch schuld sein; ihm ist ganz schlecht, und erschrocken hat er sich auch; sogar die Pfeife ist ihm ausgegangen; und das Streichholz, wo ist das? Das hatte er ja noch in der Hand, als er sich so verjagen mußte.

Er steckt seine Pfeife von neuem an und geht weiter durch die zunderdürre Heide, über deren magere Blüten die blauen Falter tanzen und die blanken Wasserjungfern flirren, und rechnet nach, was ihn dieser schlechte Sommer wohl kostet. Die Erscheinung hat er beinah schon vergessen.

*

Hinrich Uhlbooms Augen sind aber noch nicht altersschwach. Es war wirklich etwas in die Machangeln gesprungen oder gelaufen oder geflogen, und es war auch eine junge Frau gewesen in einem blauen Rock und einem geblümten Flutthut; ehe er aber an die Machangeln kam, war sie schon über den Brink, und da saß sie und hatte etwas zwischen den hohlen Händen und blies es an.

Diese Hände waren groß und kräftig, aber sie hatten so gar nichts Festes, sie sahen aus, als wenn sie aus Luft beständen; die beiden Trauringe darauf schienen zwei helle Flecke zu sein, wie die Sonne sie auf die Fuhrenstämme malt; und das Gesicht war auch so, wenn man genau hinsah, und hatte keine Festigkeit in sich; und obzwar es sehr schön war, kein Junggeselle hätte es gern leiden mögen, und den Mund der Frau, der so rot war, wie die Beeren am Hülsenbusch, den hätte keiner zu küssen gewünscht. Die Frau war so ganz anders als alle anderen.

Sie saß da und blies und blies; sie blies mit dicken Backen, aber keiner hätte etwas gehört; und als sie sich umdrehte und in die Runde sah und dabei an den trockenen Machangel stieß, da knisterte der nicht ein bißchen; und er knisterte doch, als sich die rote Wasserjungfer an ihn hing.

Die Frau blies und blies, daß ihr rotes Leibchen auf und ab ging vor der Brust; und je mehr sie blies, um so mehr knisterte es in ihrer Hand, und dann piepte es, und ein rotes Ding, wie ein Küken, sprang ihr in den Schoß, und dem streute sie Bilsensamen und Stechapfelkörner, und es wuchs und wuchs und kriegte schwarze und goldene und gelbe und rote Federn und einen langen Kamm, und wenn es mit den Flügeln schlug, dann stieg blauer Rauch auf, und wo es scharrte, da wurde die Heide schwarz.

Dann reckte es den Hals, das bunte Ding, und krähte; als es zum erstenmal krähte, hörten die Bienen auf zu summen und die blauen Schmetterlinge versteckten sich in der Heide; als es zum zweitenmal krähte, brach die Baumlerche mitten im Singen ab und fiel wie ein Stein zu Boden; als es zum drittenmal krähte, stoben die Kuhtauben von dem halbtrockenen Bache hoch und flogen zum Walde, als zöge ein Wetter herauf, und Wasser, des Schäfers Hund, setzte sich und heulte so schrecklich, als ginge der Tod über das Land.

Da stand die Frau auf und ging rückwärts den Brink hinunter; mit der linken Hand hielt sie ihr Fürtuch zusammen, und mit der Rechten langte sie immer hinein und streute dem bunten Vogel sein Giftfutter vor, und der lief ihr nach und pickte und schluckte und schlug mit den Flügeln und krähte und wuchs bei jedem Tritt.

Wo die Frau ging, da knisterte nicht das graue Moos, da knackte kein Heidestengel, da brach kein Fuhrenbraken, da zeigte der Sand keine Spur; wo aber der rote Vogel lief, da knisterte das graue Moos und das blaue Schafgras, da knackten alle Stengel und sprangen alle Braken, gelbe Flämmchen züngelten hoch, und weiße Wölkchen flogen auf.

Rückwärts ging die Frau dem Moore zu. Der Schäfer, der vor dem Moore hütete, lachte laut auf, als er die Frau sah, und rief ihr ein derbes Scherzwort zu. Auf einmal aber war das Lachen aus seinem verwitterten Gesicht fort, er warf das Knüttelzeug aus den Händen und lief, was er nur konnte, nach der Fuhrenbesamung; dort zog er den Rock aus und schlug damit auf die Erde, hierhin, dahin, und dann fluchte er, rannte zurück, trieb seine Schafe ein Ende abseits und raste nach Mahrdorf zu.

Die Frau aber war schon hinten im Moor, und der rote Hahn, der schon so groß war wie ein Storch, lief ihr immer nach; wo er hintrat, gab es eine schwarze Spur, und aus ihr stieg weißer Rauch auf; der schwarze Fleck wurde immer größer, und wenn er an die Heide kam oder an das trockene Ried, schlugen Flammen aus seinem schwarzen Rande und hellblauer Rauch stieg auf. Wenn der Hahn auf eine Krüppelfuhre flog und krähte, fing der Busch an zu knacken, seine Nadeln wurden gelb, seine Zweige wurden krumm, und auf einmal brannte er lichterloh.

Kreuz und quer ging die Frau durch das Moor und lockte den Hahn hinter sich her.

*

In Mahrdorf machten alle Leute runde Augen, als der Schäfer angelaufen kam; denn noch nie hatte ihn ein Mensch laufen sehen. Aber kaum hatte er drei Worte gesagt, da liefen sie alle, die Männer und die Frauen, die Jungen und die Mädchen, und holten Schuten und Barten und spannten an, und dann ging es, was die Pferde laufen und die Räder rollen konnten, dem toten Moore zu.

Die von Mecklenhorst kamen auch und die von Thümanns Hof und die Rodekampschen und die Stadorfer; die Männer fluchten, und die Frauen jammerten; denn weit und breit war alles ein Rauch und ein Qualm.

Erst ließen sie die Hände sinken; denn das Moor war verloren. Der Briefträger, der die Stadorfsche Straße herunter kam, sagte, es brenne auch im Königlichen; im Franzosenholz stehe schon das hohe Holz in Flammen. Da taten sie sich alle zusammen und warfen sich mit Äxten und Schuten an den Busch; denn der Wind drehte sich, und es konnte leicht sein, daß das Feuer nach Süden sprang, und daß dann das ganze Dorf mit aufbrannte.

Um drei Uhr morgens hörten sie auf; keiner konnte mehr. Der Wind hatte sich gedreht, und mit knapper Not hatten die Leute das Dorf gerettet; wenn die Kanoniere aus der Stadt nicht gekommen wären, fünfzig Mann hoch, dann wäre es nicht gegangen. Jetzt lagen sie alle todmüde auf der Erde, schwarz von Qualm und Kohlenstaub, und verschliefen ihre Sorgen.

Eines ganzen Frühjahrs schwere Arbeit war dahin und langer Jahre Mühe; verkohlt war der fertige Torf, verbrannt die Anpflanzungen. Der Oberförster ließ auch den Kopf hängen; eine Geviertmeile Forst, Busch und Heide war verdorben, der Wildstand vernichtet; aber er mußte doch lächeln, so ernst ihm auch zu Sinne war, als ihm die Leute erzählten, der Mahrdorfer Schäfer habe die Heidbrennersche gesehen.

*

In der weiten Heide aber geht so manches nicht mit rechten Dingen zu; in Thümanns Busch läuft in der Johannisnacht das feurige Rad über die Brücke und macht die Pferde scheu; in der Mordheide geht der Mann ohne Kopf um; am dicken Stein bei Stadorf sitzt die Zwergenfrau und wiegt ihr Kind in der goldenen Wiege; in der kalten Flage spukt der grüne Jäger und pirscht auf den weißen Hirsch mit dem goldenen Geweih, und zwischen Rodekamp und Diekhoff sieht man in den zwölf Nächten den sechsbeinigen Rappen, der mit Menschenstimme ruft; in der Brandheide aber wohnt die Heidbrennersche.

Des Wesselbauers Großvater, der hundert Jahre weniger einen Tag alt wurde, hat sie noch bei Lebzeiten gekannt, die schöne Detta, des Vollmeiers Butendorp einziges Kind und Hoferbin, das glattste Mädchen, so weit der Himmel blau und die Heide braun war. Da war kein Bauernsohn im ganzen Go, der nicht gern Butendorps Detta über die Schwelle getragen hätte; sie aber nahm den stillen Hennke Grönhagen, der nie einen Schnaps trank und keine Karte anrührte; denn damals war das Schnapsen und Kartjen in der Heide noch viel im Gange, und die Bauern kamen manchmal erst Donnerstags aus der Kirche.

Es war eine große Hochzeit. Daß es der schönen Detta in die Brautkrone hagelte, legten die alten Frauen aber böse aus und meinten, die Ehe würde nicht glücklich werden. Sie wurde es aber doch, nur daß keine Kinder kamen, obgleich in der Brautkrone die Roggenähren nicht fehlten. Der Bauer und die Frau schafften vom Lerchenstieg bis zur Ulenflucht, Not und Sorge hatten sie nicht noch Arger mit dem Gesinde, und ohne viele Worte zu machen, tat der eine, was dem andern lieb war.

Drei Jahre ging alles seinen guten Gang, bis der dritte Winter der jungen Ehe kam; da brachten die Knechte den Bauern im Schritt auf den Hof gefahren, blutig, bewußtlos, mit gebrochenem Kreuz; sie hatten eine Eiche gerodet, die war falsch gefallen und hatte dem Bauern den Rückenstrang zerschlagen.

Detta schrie nicht und weinte nicht; aber in den sieben Tagen, die der Bauer sich noch hinquälte, verlor sie alles Blut aus dem Gesicht, und in ihr kornblondes Haar kamen weiße Streifen. Sie schrie und weinte auch nicht, als der Tote vom Hof gefahren wurde, sie war ganz still; aber wenn sie allein war, dann lachte sie bitter und redete vor sich hin; und ging sie durch den Hausbusch, dann trat sie nach den Eichen mit dem Fuß und verschwor sich, sie wolle nicht still im Grabe liegen, ehe nicht die Heide weit und breit so blank und glatt sei wie ihre Hand. Die Leute schüttelten mitleidig den Kopf über sie und sagten, sie wäre hintersinnig, aber es war ihr ernst bei ihrer Rede.

Erst kam der Hausbusch an die Reihe; seine hundert und zwölf Eichen bekam der Sägemüller von Stadorf; die großen Fuhren verkaufte sie in die Stadt, die kleinen folgten hinterher als Grubenholz. Als vom Butendorpshofe alles Holz abgetrieben war, kam der Grönhagensche Hof an die Reihe, der in Pacht gegeben war; und als sich ein Käufer fand, schlug sie ihn los und kaufte durch Kiepenhinrich den Bahrbusch, der ihr nach Norden die Aussicht nahm, und schickte ihn in die Kohlengruben; und dann verkaufte sie ihres Vaters Hof und kaufte für das Geld hier einen Busch und da einen Wald und ließ alles kahl machen. Die Bauern runzelten die Stirne über dies Treiben; sie kamen überein, daß keiner an Detta mehr Holz verkaufen sollte. Da wurde sie ganz hintersinnig und sprach mit keinem Menschen mehr; Geld hatte sie genug zum Leben, und so saß sie still vor der Tür des Backhauses, das sie sich als Wohnung ausbedungen hatte, aß oft drei Tage nichts und sprach vor sich hin oder ging tagelang über die Heide.

Um die Zeit fing es an, in der Heide viel zu brennen; bald hier, bald da ging Feuer an, im Busch, im Moor, an Stellen, wo kaum ein Mensch hinkam; es war ganz schlimm damit, so schlimm, daß die Gegend bald die Brandheide hieß. Die Bauern wußten sich bald keinen Rat mehr.

In einer Julinacht kam der Wesselbauer durch die Heide; er wollte die Hirsche schießen, die auf seinem Land Nacht für Nacht zu Schaden gingen. Leise ging der Bauer durch die Feldmark; als er hinter dem Machangelhagen her zusehen wollte, ob kein Wild auf dem Felde stehe, hörte er plötzlich die Hirsche schrecken und wegpoltern. Das kam ihm sonderbar vor; denn er war auf Strümpfen gegangen und unter dem Winde gekommen. Er steckte den Zeigefinger in den Mund und prüfte den wind; der Wind kam ihm entgegen. Gerade wollte er umkehren, da sah er eine Gestalt den Weg entlang kommen; es war Detta Grönhagen.

Das war um zwei Uhr; um drei Uhr kam den Leuten, die zum Mähen wollten, Brandluft entgegen; der Hohmannsche Busch brannte. Wessel, der mit zum Löschen ging, spürte den Busch rundherum ab und fand eine Frauenspur, die vom Dorfe kam; die Rückspur führte wieder zum Dorfe.

Er sprach mit dem Vorsteher, und das Backhaus wurde Nacht für Nacht bewacht; jede Nacht verließ Detta das Haus und kam vor Tau und Tag wieder zurück, und jedesmal danach kam in der Heide Feuer aus. Beim drittenmal schlich Wessel ihr barfüßig nach bis zum Dannholz und traf sie dabei an, wie sie Feuer anlegte; da faßte er sie und nahm sie mit. Sie ging gutwillig und antwortete kein Wort auf seine Fragen; man schloß sie ein und hielt sie unter Aufsicht, weil man den Drosten fragen wollte, was zu tun sei. In der Nacht aber war sie fort, und kein Mensch hat sie wieder gesehen. Nach Jahren fand man im Holze ein Gerippe und Kleiderreste und glaubte, das wäre Detta gewesen.

*

Viele Jahre gingen in das Land, da wollte sie der Besenbinder aus Stadorf im Franzosenholz gesehen haben; sie habe ausgesehen, wie vor zwanzig Jahren; als er sie anrief, verschwand sie, und wo sie gestanden hatte, war das Gras nicht fortgetreten. Man lachte über den Alten, denn er trank gern, aber am Abend kam im Franzosenholz Feuer aus.

Auch Speckhahns Junge, der am Schwedenbrink das Vieh hütete, sah sie, und wieder kam danach Feuer aus, und so ging es immer, wenn sie sich sehen ließ. Die Klugen lachten über den Jungensschnack, aber es war doch etwas daran; wo in der Heide ein Feuer angemacht wurde, da schlich sie heran; die Forstarbeiter im Königlichen sahen sie, den Köhlern war sie begegnet, alle paar Jahre tauchte sie bei der Brandheide auf, die Heidbrennersche vom Butendorpshof, und immer brannte es hinterher.

Bis auf den heutigen Tag ist das so geblieben, und wer durch die Heide zwischen Mahrdorf und Stadorf geht, der kann noch sehen, wo im letzten Sommer die Heidbrennerin den roten Hahn gelockt hat, bis alles ein Rauch und eine Asche war.


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