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Teufelswerk

Hinter dem hohen Heidberg, der schwarz und schwer wie ein Hünenhaus gegen den hellen Himmel steht, geht rund und rot die Sonne unter, genau hinter dem dicken Stein zwischen den beiden dünnen Birken.

Auf dem Steine sitzt der Teufel und rekelt den Rücken gegen die Sonne; denn er ist von Hause aus viel Wärme gewöhnt und der Maiabend ist frische Von der tiefen Heide her sieht es aus, als liefe ein dicker schwarzer Strich mitten über die Sonne. In der langen dünnen Birke rechts von dem dicken Steine sitzt das Ohreulenmännchen und stöhnt in langsamen Pausen tief und schauerlich; in der langen dünnen Birke links von dem dicken Steine sitzt das Ohreulenweibchen und stöhnt in langsamen Pausen hoch und jämmerlich; in der Heide plärren die Frösche, meckert die Himmelsziege, spinnt und pfeift und klatscht die Nachtschwalbe.

Der Teufel hört es gern. Aber was er nicht gern hört, das ist das lustige Lachen, das aus der Heide heraufklingt, und das fröhliche Singen; und auch das Klappern des Wagens und das Klatschen der Peitsche hört er nicht gern, und, so gern er Feuer sieht, das helle Licht, das von da unten herkommt, kann er nicht leiden, und der ganze Hof dort unten ist ihm verhaßt.

Ihn fröstelt; denn die Sonne ist schon so tief hinter den Berg gegangen, daß sein Kopf mit dem großen Schlapphute, auf dem eine lange Feder steif in die Luft steht, über sie hinausragt. Und ärgerlich ist er auch, ärgerlich auf sich selber, auf den Heidhof da unten, auf alles, was Heide ist.

Er stützt den Kopf in die langen, dünnen, spitzkralligen Hände und dreht an seinem langen, dünnen, spitzzipfligen roten Bart herum. Dann legt er seinen Zeigefinger an seine lange, dünne, spitze Nase, daß sie ganz schief wird. Von der schmalen, flachen Stirn läuft eine Falte, so scharf, wie mit einem Messer geschnitten, bis an sein kleines, grünes Auge, das unter den roten, ineinanderlaufenden Augenbrauen über der Nasenwurzel sitzt, und das zusammen mit den beiden roten Augen giftig funkelt.

Eine ganze Stunde sitzt er da, denkt angestrengt nach und schnauft dabei, daß unten in der Heide der Nebel sich teilt und die Rehe, die auf der Wiese stehen, sich vor Frost schütteln. Seine drei Augen, das grünspangrüne und die beiden bernsteingelben, sehen unverwandt nach dem Hofe in der Heide, hinter dessen Fenstern längst das Licht ausgegangen ist. Dann schrumpft er zusammen, wird immer kleiner, so klein wie eine Fledermaus. Aber noch immer sitzt er auf dem dicken Steine, bis das Ohreulenmännchen lautlos heranschwebt und seine acht Krallen nach ihm reckt, aber entsetzt zurückstiebt, wie es in den Bereich der Eiseskälte kommt, die von ihm ausströmt.

Höhnisch lacht er, daß es klingt, als kratze ein Nagel auf einer Glasscheibe, und fliegt in die Heide hinunter, nicht schwankenden Fluges nach Art der Fledermäuse, sondern geradeaus, wie eine Büchsenkugel und ebenso schnell. Siebenmal umfliegt er den Heidhof; beim siebenten Male setzt sich der Hofhund hin und heult ein einziges Mal laut auf; dann sträubt er das Rückenhaar, winselt und kriecht durch das Hundeloch auf die Diele.

Der Teufel fliegt durch das Eulenloch auf den Kornboden und von da über die Diele und von ihr in das Flett und von da in die Dönze. Der Bauer, die Bäuerin und die Kinder schlafen fest und still; fest und still schlafen der Großvater und die Großmutter, fest und still Knecht und Magd in ihren Kammern. Wütend fliegt der Teufel wieder über die Diele über den Kornboden zum Eulenloch hinaus.

Einen Augenblick später steht er in seiner wahren Gestalt vor dem weißglühenden Höllentor. Seinem Leibdiener, dem ersten Napoleon, streckt er die Füße hin, daß er ihm die Stiefel ausziehe, und dann gibt er ihm einen Tritt, daß er gegen die Wand fliegt. Ohne seiner Großmutter die Nachtzeit zu bieten, setzt er sich neben das Feuer und sieht finster vor sich hin.

Mitleidig sieht ihn die alte Frau von der Seite an, sagt aber nichts. Sie weiß, daß ihm ein Unternehmen fehlgeschlagen ist, und daß es dann besser ist, ihn vor dem Essen nicht zu behelligen. So läßt sie Katrinchen von Medici, die erste Küchenjungfer, auftragen, und erst, wie er dreimal oben aufstößt, daß auf der Erde eine ganze Stadt umfällt, fragt sie ihn, wie es ihm gegangen sei, während Zar Iwan der Scheußliche ihm kniend die lange pfeife anzündet.

Im ganzen wäre das Geschäft leidlich gewesen; die Engländer hätten endlich mit den Bauern in Südafrika Ernst gemacht, in Ostasien fange es auch an, sich zu heben; im allgemeinen wären gute Aussichten auf ein flottes Geschäft. Nur in der Lüneburger Heide sähe es traurig aus. Kein Fortschritt in den Menschen, kein Zug in den Dingen. Seit zehn Jahren arbeite er gegen den Heidhofbauern, wie es seine Pflicht und Schuldigkeit sei, aber er hätte große Lust, die Sache aufzugeben; es lohne sich nicht. Er könne machen, was er wolle; aber was solle er mit Leuten anfangen, die nicht in das Wirtshaus gingen und jeden Tag vom Hahnenschrei bis zur Ulenflucht arbeiteten.

Die Alte hinkt nach ihrer Hausapotheke, holt ein dickes Buch, in dem sie allerlei Hausmittelchen aufgeschrieben hat, hervor, setzt ihre dreigläserige Brille auf die lange, dünne, spitze Nase und blättert. Die Abschnitte über Spiel, Trunk und Wollust überfliegt sie, und erst, wie sie an die Seite kommt, auf der die Ratschläge für Mammongewinnung stehen, da liest sie langsam.

Endlich wirft sie das Buch auf den Tisch, daß es so dröhnt, daß alle Seismographen Europas aus der Ruhe kommen, rückt das Buch ihrem Enkel hin und weist mit dem Daumen mitten auf die Seite, in deren rotem Gekritzel zwei Worte grün unterstrichen sind, die Worte: Öl und Salz. Verjagt prallt der Teufel zurück, Öl und Salz sind ihm verhaßte Dinge, und wenn er sie berührt, schmerzen sie ihn sehr. Aber als seine Ahne ihm sagt, was sie meine, da lacht er in den Kamin hinein, daß aus dessen Ofenrohr, dem Vesuv, die hellen Flammen schlagen, und geht zufrieden in sein warmes Flammenbett.

Am anderen Morgen ist er in Berlin, fein angezogen, wie ein Mann von Bildung und Besitz. Er gibt in einer großen Bank seine Karte ab, und sitzt bald darauf in dem Zimmer des Bankiers, der ihm höflich zuhört. Eine ganze Stunde reden die beiden, dann telephoniert der Bankier nach seinem Anwalt, der kommt, ein Schriftstück wird aufgesetzt und unterzeichnet, der Teufel empfiehlt sich, und der Bankier und der Anwalt sehen sich erst eine ganze Weile an, dann schlagen sie sich auf die Dickbeine, lachen laut los, sagen: »So ein dummer Teufel!«, haken sich unter und gehen vergnügt zum Frühstück.

Ein Jahr später sitzt der Teufel wieder auf dem dicken Stein, der auf dem hohen Heidberg zwischen den beiden dünnen Birken liegt, rekelt sich an der warmen Scheibe der roten Abendsonne und sieht nach dem Heidhofe hinunter. Er macht ein sehr zufriedenes Gesicht und zwirbelt seine Schnurrbartspitzen in die Länge, daß sie zwei schwarze Striche auf der roten Sonnenscheibe bilden. Behaglich hört er dem tiefen und hohen Gestöhne des Ohreulenpaares zu, aber noch lieber ist ihm das Zischen, Klirren, Klappern und Dröhnen, das aus der tiefen Heide zu ihm heraufschallt, und das von dem hohen schwarzen, glühäugigen Dinge herkommt, das sich hinter dem Hofe erhebt.

Wie die Sonne nur noch mit einem kleinen Abschnitte über den Heidberg sieht und der Teufel sich nicht mehr an sie anlehnen kann, schrumpft er zusammen, wird so klein wie eine Fledermaus, und fliegt schnurgerade nach dem Hofe hinunter, fliegt durch das Eulenloch, über den Kornboden, durch die Diele in das Flett und von da an den Dönzen entlang, hängt sich einen Augenblick an den Kesselhaken, um zuzuhören, wie der Bauer und sein Vater sich streiten, freut sich über das verbitterte Gesicht der Bäuerin und lacht zwitschernd, wie er vernimmt, daß der Knecht in der Kammer sich stöhnend im Bett herumwirft und im Schlafe einen Fluch murmelt.

Dann fliegt er über das Flett, durch die Diele und den Kornboden zum Eulenloche hinaus nach dem großen, schwarzen, hohen, glühäugigen Ding hinter dem Hofe, das so laut zischt, klirrt, klappert und dröhnt, lacht wieder zwitschernd, wie ihm aus dem schwarzen Ding ein gemeines Lied entgegenschallt, schnuppert wohlgefällig den Fuselgeruch ein, der aus dem Schlafschuppen dringt, und taucht einen Funkenblitz später schweinsvergnügt in der Hölle auf.

Ein Jahr später sitzt er abermals auf dem dicken Steine auf dem hohen Heidberge, wärmt sich den Rücken an der Abendsonne und stiert zufrieden in die tiefe Heide hinein, aus der es zischt und dampft und knarrt und klappert und blitzt und leuchtet, glühendrot und bläulichweiß, wieder schrumpft er zu einer Fledermaus zusammen, fliegt schnurgerade nach dem Heidhofe und durch das Eulenloch und über die Diele nach dem Flett.

Da geht der Ahne mürrisch auf und ab, wirft bissige Worte hin, zerknüllt einen braunen Schein in der braunen Faust und wirft den braunen Klumpen zwischen die braunen Torfsoden. Die Bäuerin steht neben dem Herd und läßt die Augen überfließen, die Kinder sitzen in den Ecken, und der Knecht sieht die Magd, die schwerfällig ihrer Arbeit nachgeht, schiefen Blickes an. Der Teufel bleibt solange am Kesselhaken hängen, bis der Bauer hereinkommt. Das ist um Mitternacht. Der Bauer geht unsicher, hat die Stirn voller Falten und legt stumm einen großen Bogen Papier, den er aus der Tasche kriegt, in die Hand seines Vaters. Dann sagt er ein Wort und alle werden blaß.

Einen Peitschenschlag später sitzt der Teufel bei seiner Großmutter und erzählt ihr fröhlich, wie es auf dem Heidhofe aussähe; daß der Bauer zu unbesonnen den Bohrvertrag unterschrieben hätte, so daß er jetzt nicht, wie es im Vorvertrag hieß, für jeden angebrochenen, sondern für jeden vollen Morgen entschädigt werde, daß ihm durch den Schachtbau der Bach abgeleitet sei, daß er sich mit den Nachbarn, die höhere Entschädigungen erzielt hätten, überworfen habe, daß die Magd sich mit einem der Leute vom Schacht eingelassen habe und nun in der Schande sitze, daß der Knecht sich an das Trinken gegeben habe; kurz und gut, daß es schrecklich gemütlich sei.

Ein Jahr später sitzt der Teufel wieder auf dem dicken Stein zwischen den dünnen Birken auf dem hohen Heidberge, lehnt sich gegen die Abendsonne und sieht zu dem Heidhofe hinab. Aber er muß erst suchen, bis er ihn findet; denn der Hof verschwindet fast ganz gegen das riesige schwarze Bauwerk und die mächtigen schwarzen Türme, die sich hinter ihm erheben, und die die ganze Heide mit Lärm und Rauch und Stank und glühroten und blauweißen Lichtern erfüllen.

Wieder macht sich der Teufel zu einer Fledermaus und fliegt zu dem Hofe. Durch das Eulenloch kann er nicht, das ist fort, und die Pferdeköpfe am Giebel sind auch verschwunden, und das Strohdach und das Fachwerk sind auch nicht mehr da; ein roter Backsteinbau erhebt sich dort, wo das uralte Haus stand. Auch der Ahne ist nicht zu sehen; der hat sich in das Grab geärgert, und in der Dönze sitzt die Ahne, die von der neuen Zeit kindisch geworden ist, und der Bauer und die Bäuerin sind in der Stadt; denn sie haben beim Bankier zu tun und wollen ihren Sohn besuchen, der bei den Soldaten ist und Unsinn gemacht hat, weil er glaubte, das Geld sei auch da Treffbube.

Einen Faustschlag später sitzt der Teufel wieder in der Hölle, steckt die Beine unter den Tisch und nickt seiner Großmutter vergnügt zu. Es geht alles nach Wunsch; die Magd ist ihm sicher, die hat er in Federhut und Seidenrock auf dem Asphalt Hannovers gesehen; der Knecht sitzt in Celle, weil er den Schachtmeister, der ihm grob kam, halb totgeschlagen hat; der Bauer spekuliert in Ölkuxen und der Hoferbe trinkt Champagner und hält ein Mädchen aus.

Zehn Jahre später sitzt der Teufel wieder auf dem dicken Stein auf dem Heidberge, hört dem hohen und tiefen Gestöhne der Ohreulen zu und rekelt sich gegen die Sonne, die rund und rot wie ein Kissen zwischen den beiden dünnen Birken hängt.

Er ist äußerst zufrieden. Hört er auch die Nachtschwalben nicht mehr spinnen und klatschen und die Frösche nicht mehr plärren da unten in der Heide, so hört er doch andere Laute, die ihm noch lieber sind. Das Dröhnen des Fallmeißels, das Zischen des Dampfes, das Klirren und Rasseln der Maschinen, das Pfeifen der Ventile, das Heulen der Sirenen; und es riecht zu ihm so lieblich nach Steinöl herauf, daß er, wenn er seine drei Augen zumacht, denkt, er wäre bei seiner lieben Frau Großmutter zu Hause.

Aus alter Gewohnheit schrumpft er wieder bis zu Fledermausgröße zusammen und fliegt in die Heide hinein, aber nach dem Heidhofe sucht er nicht mehr; denn der ist verschwunden vor den Bauwerken der Bohrgesellschaft, und ein zweistöckiges Haus steht da, und darin wohnt der Betriebsleiter der Bohrgesellschaft; der Bauer ist in Hildesheim; denn als er sein Geld im Kuxenspiel verloren hatte, setzte er sich etwas in den Kopf; sein Sohn ging nach Amerika und die anderen Kinder dienen bei fremden Leuten.

Wenn der Teufel zu Hause in seinem weißglühenden Lehnstuhle sitzt, dann spricht er gern lang und breit davon, wie sauer er es mit dem Heidhofe gehabt habe, und wie verdrießlich er an jenem Maiabende war, als er verzweifelnd auf dem dicken Steine zwischen den dünnen Birken auf dem hohen Heidberge saß; und freundlich nickt er dem Bankier und dem Anwalt zu, mit denen er damals den Vertrag abschloß, der nach ihrer Meinung so wenig günstig für ihn abgefaßt war. Und heiter lächelnd fragt er die beiden: »Meinen Sie immer noch, daß ich ein so dummer Teufel bin?« Wenn sie dann verlegene Gesichter machen, sieht er stolz um sich.

Großmutter aber läßt es sich weder mit Worten noch mit Blicken merken, daß sie es eigentlich war, die ihm den guten Gedanken eingab; sie ist eine kluge Frau und weiß die Männer zu nehmen; außerdem will sie ihm die Freude nicht verderben; denn er ist ihr Lieblingsenkel, weil er ihr einziger Enkel ist.

Und so läßt sie ihn die Geschichte erzählen, von dem Tage an, wo er zum ersten Male, gegen die Abendsonne gelehnt, auf dem dicken Steine zwischen den dünnen Birken auf dem hohen Heidberge saß.


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