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Landregen

Der Schwarzspecht hatte neulich nicht umsonst soviel seinen Schlechtwetterruf getrillert; nun regnet es schon fast zwei Wochen.

In der ersten Zeit gab es bloß ab und zu ein Schauer und es wehte ein strammer Wind, der den Hafer, den Buchweizen und das Heu schnell wieder durchtrocknete; jetzt aber hilft auch der Wind nichts mehr.

Erst lachten die Bauern, wenn sich eine dicke Wolke vor die Sonne stellte, es hinter dem Moore an zu donnern fing und der Regen ihnen das Heuwenden und Einfahren verdarb; sie kamen in die Wirtschaft gelaufen, schüttelten sich, lachten, sagten: »Binnen is't beeter as buten«, tranken ein Glas Bier oder zwei und steckten einen Groschen in das Orchestrion.

Mit der Zeit ließen sie aber das Lachen sein und schimpften, und mancher fluchte sogar, obzwar das sonst hier nicht üblich ist, tranken einen kleinen Schnaps zu ihrem Biere oder zwei, steckten aber keinen Groschen mehr in das Spielwerk, lasen mit ernster Miene die Wettervoraussagen in dem Kreisblatte und kauten verdrossen an ihren Zigarren.

Jetzt kommen sie nur noch in die Wirtschaft, wenn sie müssen. Das Lachen haben sie schon längst verlernt, und auch das Schimpfen und Fluchen; sie sagen gar nichts mehr, trinken kein Bier, sondern Schnaps, und wenn ein Reisender einen Groschen in die Musikmaschine steckt, so bekommen sie nur noch engere Lippen und dunklere Augen, denn ein flotter Walzer oder eine frische Polka kommt ihnen bei dem Wetter wie Hohn vor.

Der Wirt, der sonst für jeden Gast ein lustiges Wort oder einen ulkigen Schnack hat, läßt die Ohren hängen und macht keine Witze mehr; ihm reißt es in der rechten Seite, wo er das Zipperlein hat, und wenn er abends Kassensturz macht, sieht sein Gesicht aus wie ein Pott voller Mäuse, denn tagsüber ist die Gaststube leer und abends sind so wenig Gäste da, daß es sich kaum lohnt, die Lampe anzustecken.

Auch mir wird es allmählich zu dumm; drei Paar Stiefel, zwei Anzüge und einen Mantel habe ich zum Trocknen in den Heidschuppen hängen lassen und muß darum das Zimmer hüten. Es ist außerdem auf die Dauer langweilig, in dem Matsch herumzulaufen, sich naßregnen zu lassen und zu sehen, wie das Heu in den Wiesen fault und der Hafer und der Buchweizen auf den Feldern verrotten. Mit der Arbeit will es auch nicht gehen; bei der feuchten Luft rosten nicht nur die Stahlfedern im Halter, sondern auch die Gedanken im Gehirn ein. Die Zigarre schmeckt nicht, entweder weil ich einen Schnupfen bekomme oder weil sie Wasser gezogen hat, im Zimmer ist es zu kalt, wenn ich nicht heize, und gleich zu warm, stecke ich den Ofen an; kurz um: ich komme mir unbegabt vor.

Ich trete an das Fenster, aber was ich zu sehen bekomme, das ist nicht erfreulich. Die Georginen im Garten sind zur Hälfte schon verfault, die Sonnenblumen und Astern lassen die Köpfe hängen und die Feuerbohnen kommen nicht zum Weiterblühen. Die Gurken zeigen braune Stellen, unter den Bäumen liegen die halbreifen Äpfel und Birnen zu Hunderten und die Pflaumen sehen noch eben so halbgar aus, wie vor zwei Wochen. Dazu laufen die Hühner im strömenden Regen herum; das ist ein sicheres Zeichen, daß das Wetter so beibleibt.

Die Landstraße, sonst so blank, ist voller Schmutz, in dem die Enten herumschnattern. Um die verregneten Glockenblumen, Sandnelken und den Rainfarn fliegen die Schwalben und nehmen stumm die Fliegen davon ab, oder sitzen traurig und laurig auf den Leitungsdrähten. Hält der Regen noch länger an, so müssen sie verhungern. Ein Teil von ihnen scheint schon fortgezogen zu sein; einige aber haben noch unbeflogene Junge und müssen deshalb hier bleiben. Die Störche, über die ich mich jeden Tag freute, wenn sie in der Wiese herumstelzten, habe ich seit acht Tagen nicht mehr gesehen.

Ich gehe in die Gaststube, denn da höre ich Stimmen. Der Vollmeier Marwede ist da; er hat am Fernsprecher zu tun. Sonst unterhält er sich gern mit mir; heute sagt er lange nichts und blickt nur mit kalten Augen über die Wiesen, auf denen sein Heu verfault, nach der Aller, von der man heute schon dreimal so viel sehen kann als sonst. Er verzieht keine Miene, aber ganz hinten in seinen Augen ist etwas, das wie Haß aussieht. Der Schuster Lemke, der ein paar Stiefel abgeliefert hat und sich dafür einen großen Bittern gönnt, lauert vergebens auf die Auflage, die Marwede stets ausgibt, wenn er in die Wirtschaft kommt. »Gottes Schickung«, meint er und sieht Marwede an. Der sagt nichts und verzieht nur ganz wenig die schmalen Lippen. Dann trinkt er sein Bier aus und geht ohne Gruß.

Vor drei Tagen sind die beiden Angler abgereist, die in der Aller Hechte schotteten; bei diesem Wetter frißt kein Fisch; also was sollen sie noch hier. Heute folgt ihnen der Jagdpächter; er hatte vor Schnupfen feuerrote Augenränder und eine Stimme wie eine Kraftwagentrompete, so erkältet ist er von dem Herumlaufen und Passen. »Keinen Schwanz kriegt man zu sehen,« schimpft er, geht in der Gaststube auf und ab, daß es dröhnt, und bestellt sich den dritten Grog. Der Wirt tröstet ihn: »Wir kriegen Vollmond, dann gibt es anderes Wetter.« Ganz falsch sieht ihn der dicke Herr an: »Ja, als Ihr Vorplatzestrich vor acht Tagen schwitzte, sagten Sie das auch schon, Bartels, und anders wurde es auch, bloß noch schlimmer. Und so wird es mit dem Vollmond hierzulande auch sein. Ich habe genug. Der Mensch ist kein Aal.«

Der Schäfer treibt vorbei; mehr als eins von den Schafen hustet erbärmlich. Und der hünenhafte Mann schleppt das linke Bein; er spürt bei dem Wetter die Stellen, wo ihn Sechsundsechzig und Siebenzig die Kugeln faßten. Ein Dutzend Forstarbeiter radeln vorüber; sonst kehren sie immer bei Bartels ein; heute sind sie froh, wenn sie ihr klatschnasses Zeug ausziehen können. Auch der Förster fährt vorbei, ohne vorzusprechen. Der Wagen fährt vor; der Jäger reist ab. Der Schuster ist schon gegangen. Ich bin allein mit dem Wirt. Der steht am Fenster und schlägt die Fliegen tot. Sonst hat er keine Zeit dazu.

Es dämmert früh. Der Regen klatscht an die Scheiben. Es ist so still, daß man den Wurm im Holze hören kann. Ein Wiesenbauarbeiter kommt und trinkt einen Schnaps. Lange schweigt er, dann fängt er an: »Wenn das noch einen Tag so dauert, dann schwimmt das Futter alle weg. Pagels Wiesen stehen schon halb unter Wasser.« Ein Bauernsohn tritt ein, trinkt einen kleinen Schnaps und kauft eine Postkarte. »Unser Torf ist so schwer als wie Blei,« brummt er und nippt an seinem Glase; »und unser Vater liegt all' wieder. Du kannst mal nach dem Doktor hinsprechen, Bartels, daß er nach ihm sieht.« Dann wendet er sich nach dem Arbeiter: »Du hast deine Bienen verkauft, hab' ich gehört?« Der andere nickt. »Ja,« meint der Bauer, »es lohnt sich nicht mehr. Voriges Jahr die Hitze, vorvoriges der Regen; zwei Jahre keine Heidblüte. Und nun, wo die Heide so schön blüht, muß sie verregnen. Mein Bruder will das Imkern auch aufstecken.«

Es ist sieben Uhr, aber schon so dunkel, daß der Wirt das Licht ansteckt. Hart geht die alte Kastenuhr, die Fliegen summen. Lange schweigen die Männer, dann fängt der Bauer an: »Bist du Sonntag bei Meineke gewesen?« Der andere nickt: »Ja, auf eine Stunde; ich mußte mich da doch mal zeigen; aber schön war es nicht. Getanzt wurde so gut wie gar nicht, und am hellen Nachmittage gab es schon Krach, weil von vornherein Schluck getrunken wurde, so kalt war es in dem Zelt. Und es waren nur halb so viel da, als sonst, wenn so was los ist. Meineke kann froh sein, wenn er auf seine Kosten gekommen ist. Schade! Weißt du noch vor zwei Jahren in Boitzen? Junge, war das ein feines Kriegerfest. Aber bei dem Regen heute!«

Einer nach dem andern geht. Ich bin wieder mit dem Wirt allein. Der Regen prasselt nur so gegen die Scheiben. Nach dem Abendessen kommt der Vorsteher vorgefahren; er hat Kartoffeln nach der Kreisstadt gebracht. »Ich habe schon eine ganze Menge faule zwischen,« sagt er, während er langsam an seiner Zigarre raucht; »das ist ein bißchen früh. Wenn das weiter so geht, wird es schlimm. Und die Leute können einen dauern; liegen in dem Dreck und holen sich was an den Leib. Scheußlich!« Er sieht ernsthaft vor sich hin. »Mein halber Hafer steht auch noch, und mit dem Buchweizen ist es nicht anders. Von dem Futter will ich gar nicht erst reden. Das werde ich wohl nicht erst lange holen brauchen; das kommt mir von selber auf den Hof geschwommen, wie vorvoriges Jahr.« Er legt seinen Groschen hin und geht.

Ich trete vor die Tür. Über den Mond laufen schwarze Wolken hin; die hohen Lindenbäume an der Straße rauschen im Winde. Von der Aller her ertönt das schrille Getriller der Uferläufer; aus hoher Luft kommt das Flöten der Regenpfeifer.

Der Mond ist verschwunden und wiederum platscht der Regen hernieder.


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