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Am alten Mutterbau

Wenn man um zwölf vom Schreibtisch aufgestanden ist und um dreiviertel vier aus dem Bett muß, dann ist man etwas knurrig.

Aber lachen mußte ich doch, als ich mit meinem ebenfalls nur halbausgeschlafenen stichelhaarigen Teckel Muck über die Straße ging und in der Ferne zwei schwarze, aalglatte Teckel sah, die mit riesigem Eifer jeden Spatzen, der bei seinem ersten Frühstück saß, auf die Dächer jagten.

Hexe, die Mama, und Grete, ihr vielversprechendes Töchterchen, sträubten das Rückenhaar, hoben die Ruten hoch in die Luft und kamen mit steifen Beinen näher; aber als ich ihrem Herrn, der an der Straßenecke wartete, die Hand gab und dieser den Muck freundlich klopfte, da biederten sie sich schnell mit dem blondgelockten jungen Mann an und schwänzelten selbdritt hinter uns her.

Während wir im Wartesaal Kaffee tranken, schliefen sie. Die Eisenbahnfähre verschliefen sie auch, als wir aber um sechs Uhr durch des schlafenden Dorfes Straßen zogen, da waren sie kregel. Ein weißer Spitz wurde furchtbar schnell in seinen Hof gebracht, und wenn ein stolzer Hahn sein Heil nicht in der Flucht gesucht hätte, so hätte Gretchen ihm wahrscheinlich seine schönen Sicheln ausgeziept.

Der Hauptulk aber fing für die drei erst an, als wir in die Jagd kamen. Im Klee schnüffelte Hexe. Da sagte es »quieks«, und eine dicke Maus war erledigt. Gretchen sah derweil zu, ob im Roggen nichts Bemerkenswertes säße. Gar nicht lange dauerte es, da ertönte ihr heller Hals und zwei Hasen fuhren heraus. Nachdem Gretchen sie ein bißchen auf den Trab gebracht hatte, kam sie stolz zurück.

In den Kiefern kurrte der Tauber, flötete die Misteldrossel, lachte der Specht und kicherte der Turmfalk. Und in einer Kultur saß ein Gabelbock und wiederkäute den Klee, den er im Felde geäst hatte. Den kriegte Muck in die Nase, und mit hellem Halse brachte er ihn auf den Schwung. Als ich pfiff, kam er zurück, die schönen braunen Augen halb voll Reue, halb voll Lust.

Ich aber sprach also zu ihm: »Höre zu, heute sollst du zeigen, ob du deiner Ahnen würdig bist, deren du viele hast, und deiner braven Eltern, Rüdemann Watzmann und Rüdemann Loni. Zwei Preise hast du dir trotz deiner Jugend schon errungen, aber wenn du nicht brav schliefst, vorliegst und würgst, dann sind wir geschiedene Leute. Merke dir, was ich dir sage: Schönheit vergeht, doch Schneid, der besteht. Zerfetzte Behänge und Narben zieren den Dackel, Feigheit aber schändet ihn, die überlaß den Möpsen. Und nun komm und laß dich anleinen; denn sonst macht ihr drei Unsinn und jagt uns die Füchse fort.«

Hinter dem Moor, in einem lichten Kiefernstangenholz, liegt Malepartus. Unzählige Geschlechter derer Murrjahn von Grimbart und Rotvoß von Reineke haben hier schon gehaust. Oftmals ist hier der Hals scharfer Teckel und giftiger Terrier ertönt und das Knirschen der Schaufel, oftmals ist es den Räubern an den Hals gegangen, aber immer wieder wurde die Burg bezogen. Denn fest ist sie und geräumig. Viele Tore und Pforten hat sie, enge und weite Röhren, tiefe Kessel und versteckte Verließe, die Räuberburg, die über fünfzig Schritte weit sich unter den Wurzeln der Kiefern hinzieht.

Vor dem Stangenholze liegen große Bündel abgeschnittener Zweige. Schnell werden die Hunde abgelegt, schnell fassen wir, der Sohn des Pächters, die beiden Jagdaufseher und ihre zwei Gehilfen, zu, und in wenigen Minuten sind die zwanzig Röhren verlegt und über Malepartus ist der große Belagerungszustand verhängt.

Na, das sieht ja recht niedlich hier aus. Überall Junghasenreste, Knochen und Federn von Rebhuhn und Ente, Kiebitz und Birkhenne; hier verwesen sogar die Überreste eines alten Hasen, und im Graben liegt ein Rehlauf. Es ist die höchste Zeit, daß mit dem Raubrittertum aufgeräumt wird.

Es wird Kriegsrat gehalten. Die Hunde werden angeleint. Jämmerlich fiept Hexe, die alterfahrene Hundedame; denn sie weiß, um was es sich handelt. Ihre Tochter jault auch ein bißchen mit, aber Muck buddelt sich ein Lager und schläft. Der Hund ist mir überhaupt zu artig. Wenn er nur einschlägt!

Nun wird Hexe geschnallt. Wie der Blitz ist die Kleine an den Röhren, schnüffelt hier, schnüffelt da, und jetzt fängt sie an dem einen Hauptrohr an zu scharren. Ihr Herr nimmt die Zweige heraus, und ohne Besinnen schlieft die Hündin ein. Wir stehen und warten. Der Wind, der dumme Wind, wenn der nicht wäre. Der brummt zu sehr in den Bäumen und bringt noch dazu vom Dorfe das Gekläffe der Hunde an unsere Ohren. Dazu quarren die Frösche in der Tränkekuhle auf der Wiese, die Kuhtauben kurren, die Lerchen singen, der Pieper schmettert; wie kann man dabei hören, was unter Tage vor sich geht? Da, horch! Die Hündin gab Hals. Aber wo? Alle sieben Mann verteilen sich, werfen sich auf die Erde, kratzen den Bodenbelag fort und legen die Ohren auf den Boden.

»Hier ist sie,« schreit der alte Jagdaufseher und klopft fest mit der Hand auf den Boden, »ich höre sie ganz genau.« Und schnell öffnet er das nächste Rohr, legt sich platt davor und ruft hinein: »Hu faß faß, Hexe, hu faß, so recht, so brav, hu faß faß, hu faß!«

Alle stehen wir um ihn herum, muckmausestille, tief gebückt. Der Alte hat recht; das ist Hexe. Wie fern das klingt, als ob sie hinten im Dorfe laut wäre. Aufmunternd trampelt ihr Herr den Boden. Jetzt ist wieder alles still unter uns. Doch war das nicht eben da hinten? Natürlich! Doch nein, da oben war es. Oder dort, oder da, oder hier wieder? Die Jagd geht um. Die Hündin kriegt die Füchse nicht fest.

Wieder alles still. Eine Viertelstunde lang, noch eine, wir haben längst gefrühstückt, haben eine Flasche Dünnbier getrunken, haben schon eine Pfeife leer, und nichts haben wir gehört. Eine Viertelstunde liegen wir verteilt und horchen in die Erde hinein, aber nichts, nichts und wieder nichts. Am Ende sind die Füchse nicht da, oder sie haben sich verklüftet, oder die alte Füchsin hat die Hündin zu Tode geschlagen oder hat sie eingescharrt? So fragen wir bekümmert.

Da, war sie das nicht? Huk, huk, huk, klang es. Oben am Graben war es. Nein, hier unten. Und Standlaut! Sie hat ihn fest. Alle klopfen wir den Boden. Jawohl, Standlaut! Hier wird durchgeschlagen. Die Schaufel knirscht, die Schollen fliegen. Erst braune, anmoorige, dann aschgraue, Bleisand, dann gelbe. Da ist das Rohr. Vorsicht, nicht die Hündin treffen! Der alte Jagdaufseher kniet in dem Durchschlag und erweitert das Rohr mit der schwieligen Hand. Pfui Teufel! In eine schmierige Masse hat er gepackt. Ein verwestes Birkhuhn faßt er.

Da kommt etwas Gelbes aus dem Rohr: Hexe. Über und über voll Sand, hechelnd, jappend steht sie da, das kleine Ding. Sie schöpft frische Luft, schüttelt den Sand ab und schlieft wieder ein.

Aber was ist das? Jetzt ist es ja da unten laut. Die ganze Arbeit ist vergebens. Schnell ein paar Zweige in den Durchschlag und dort unten durchschlagen. Gerade stoßen wir auf das Rohr, da ist die Hündin wieder anderswo laut. Noch ein Durchschlag. Und kaum ist der halb fertig, da ist sie schon wieder anderswo, und so geht es sechs-, siebenmal. Und jetzt scharrt es hier, wir öffnen das Rohr, und ganz matt kommt Hexe zum Vorschein, legt sich auf die Seite und hechelt.

Wir holen ihr Wasser, putzen ihr Augen und Nase vom Sand rein, geben ihr ihr Frühstück und leinen sie an. Sie muß erst ein Schläfchen machen. Und auch wir fühlen unsere Knochen. So frühstücken wir noch einmal und machen uns ein bißchen lang.

Dann kommt Gretchen an die Reihe. Erst weiß sie so recht nicht, was sie soll, die zweijährige kleine Dame, aber als sie erst die Fuchswitterung kriegt, da schlieft sie brav ein.

Aber Glück haben wir heute nicht. Durchschlag über Durchschlag, und immer noch nichts. Schon ist Mittag längst vorüber, schon kurrt der Tauber zum zweitenmal, schon ist der Junge zum zweiten Male nach Süßbier geschickt, und immer hängt noch kein Fuchs an der Kiefer. Schon lassen wir sieben unsere Ohren hängen.

Endlich Standlaut! Wieder knirscht die Schaufel und die Schollen fliegen. Und jetzt stimmt's. Die Hündin liegt fest vor. Etwas weiter links, da ist sie. Nein, mehr dahin! Doch nicht, links war richtig. Da ist das Rohr. »So recht, mein Gretchen, so brav. Hu faß faß, hu faß faß, so recht!«

Breite Hände räumen den Sand fort. Hell klingt der Hals der Hündin, aufmunternd schreit es herab: »So recht, Grete, so brav, mein Hund, hu faß faß, hu faß!«

Noch ein paar Handvoll Sand weg, da liegt sie, ein gelber, zuckender Klumpen. Zärtlich wird sie abgeliebelt von der Hand ihres Herrn, wütend geht sie vor und weicht vor den Schlägen des Fuchses zurück, deutlich hört man sein giftiges Keckern.

Eik! Sie ist geschlagen. Hu faß faß, hu faß! Noch einmal geht sie vor und weicht nicht zurück. Sie hat ihn gewürgt. Und gut gefaßt, gerade mit dem Todesgriff über den Nacken. Und wie fest sie ihn hält, als sie am Nackenfell ausgehoben wird! Wütend schlägt sie sich den toten Jungfuchs um die Behänge. Neugierig kommt mein Muck näher. Sofort hat sie ihm einen gestochen. »Fang dir selbst was, dann hast du was,« heißt das.

Eine kleine Pause für unsern Durst. Dann kommt Hexe wieder an die Reihe. Diesmal geht es schneller. In einer Viertelstunde liegt sie fest vor. Schnell wird durchgeschlagen, und sofort erscheint die Hündin, rückwärts herauskriechend, den toten Fuchs im Rachen. So recht, Hexe!

Weiter in der Arbeit! Den nächsten soll Muck würgen. Aber er zeigt wenig Schneid. Er fürchtet sich vor den engen, dunkeln Röhren, in denen es so streng füchselt. Aber wie Hexe, die den Fuchs wieder festmachte, abgehoben ist, da schlieft er, erst zaghaft, dann ganz brav und liegt gut vor. Was die andern können, kann ich auch, denkt der kleine Mann.

Eik! Da hat ihn der Fuchs geschlagen. Das ist ihm doch zu frech! Er geht vor, der Fuchs keckert giftig, aber zum letztenmal; denn der Blondlockige hat ihn übers Genick gepackt und wird mit dem toten Feind hervorgezogen.

Noch ein Jungfuchs wird von Grete gewürgt. Vier haben wir. Zwei stecken noch drin und vielleicht noch die Füchsin. Aber der Tag geht seinem Ende zu. Die Schlagschatten der Kiefern verlängern sich, schon lockt die Himmelsziege in der Wiese, und wir müssen weg.

Eine kurze Wagenfahrt, ein Stehschoppen im Bahnhof, dann ins Coupé. Die Hunde verschlafen wieder die Fahrt. Muck jagt im Schlaf. Schließlich wacht er auf, reckt sich und leckt meine Hand.

Ich lieble ihn ab. Für den Anfang war's schon ganz brav, kleiner Mann. Du wirst gut werden!


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