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Der Hellweg

Da hinten in der Heide, wo Has und Fuchs sich Gutenacht sagen, zieht sich ein Fahrweg hin, der weder Anfang noch Ende hat.

Die alte Poststraße heißt er auf den Meßtischblättern, denn ehe daß der Bonaparte die feste Straße durch das tiefe Bruch legte, ging der Verkehr über die hohe Heide.

In der Nähe der Ortschaften ist die alte Straße teils ganz verschwunden und unter den Pflug gekommen, teils in das Landwegenetz aufgenommen und mit Birkenreihen begrenzt; da hinten in der Heide ist sie aber noch wie ehedem.

Wo der Boden eben ist, läuft sie flach dahin, durch hohe Heide hin, wo es feucht ist; auf den trockenen Stellen aber ist die Heide niedrig, weil die Schnucken sie dort kurz halten. Wo das Gelände bewegt ist, da schneidet die Straße tief in den Sand ein, stellenweise so tief, daß sie zum Hohlwege wird.

An manchen Orten ist sie nicht breiter als eine gewöhnliche Landstraße; wo der Boden anmoorig ist, da ist sie drei- bis viermal so breit, denn in nassen Jahren mußten die schweren Planwagen und Postkutschen zur Halbe fahren, wollten sie nicht im Moraste stecken bleiben. Auch in den Heidbergen ist sie manches Mal von doppelter Breite, denn wenn sommertags der Ostwind lange wehte, mülmten die Wagentrahen oft so tief zu, daß die Fuhrwerke sich neue Bahnen suchen mußten, und bei hohem Schnee war es nicht anders.

Rechts und links von der Poststraße dehnt sich weit und breit die blanke Heide aus, nur hier oder da von einem Machangel oder einer Krüppelfuhre unterbrochen oder von einer Sandwehe, die aus der braunen Heide hellicht hervorschimmert. Der Sand ist fein wie Mehl; nicht ein einziges Steinchen ist ihm beigemengt, und deswegen kann der Post hier auch nicht wachsen, kommt die Kreuzotter hier nicht fort, während auf der anderen Seite der Aller, wo der Boden nahrhafter ist, da er aus grobem Geschiebe besteht, der bittere Strauch und der böse Wurm gut gedeihen.

Wenn hier aber einmal ein Stein gefunden wird, dann hat es damit eine eigene Bewandtnis. Da, wo die Heide ansteigt, haben die Bauern Fuhren angepflanzt, die zum Teil schlank, zum Teil kraus gewachsen sind und stellenweise ganz ansehnliche Bestände bilden, während sie an anderen Orten nur kümmerlich blieben, so daß sie den tiefen Graben und die Wälle, die oft zu zweien und dreien nebeneinander die Straße begleiten, manchmal ganz verdecken und dann wieder freigeben. Hier stehen auch einzelne Birken, manche lustig gewachsen, andere schief und krumm, und auch Machangeln finden sich dort, alte breite Büsche, innen hohl wie Lauben, und junge, noch dicht und spitz.

An einer Stelle des gedoppelten Walles bilden alte Machangeln einen Kreis von über fünfzig Fuß im Durchmesser, und in dem Kreise wächst ein Eichbaum, der so aussieht, als wäre er knappe fünfzig Jahre alt, der aber wohl schon doppelt so lange hier steht, weil er in dem hageren Boden nicht so viele Säfte findet, wie die Eichen jenseits des Flusses in der grünen Marsch. Rund um die Eichen standen fünf andere Eichen, wie der Eichenfarn verrät, der um die fünf breiten hohlen Machangeln wächst. Die Eiche, die hier noch steht, kommt nicht aus dem blanken Boden, sondern wurzelt in dem vermorschten, von einem dichten hellgrünen Kranze von Farnwedeln bekleideten riesigen Stumpfe einer anderen Eiche, zwischen deren olmigem Wurzelwerk sich die Fahrten eines alten Mutterbaues öffnen.

In dem gelben Sande, den die Füchse zutage förderten, findet sich ab und an ein Stein, aber kein runder Kiesel, auch kein buntes Geschiebe, wie es jenseits der Aller massenhaft umherliegt, sondern zierliche, sauber gearbeitete Pfeilspitzen aus blaßgrauem Flintstein, glatt geschliffene Steinhämmer mit einem kreisrunden Loche in der Mitte, faustdicke, durchbohrte Netzbeschwerer aus Stein und dergleichen mehr, auch wohl ein Stück eines von Menschenhänden bearbeiteten Hirschgeweihes, ein Bröckchen grüner Bronze, das vom Rost zerfressene Endstück einer breiten Lanzenspitze, eine alte Münze, ein Knopf mit einem verschollenen Wappen, eine Bleikugel von klobiger Gestalt, eine Schuhschnalle, mit blitzenden Steinen besetzt, ein Hufeisen mit ausgebuchtetem Rande, eine Scherbe von einer tönernen Totenurne oder einem buntfarbigen Kristallglase, lauter Dinge, die von gestern und ehegestern und von noch viel früher reden.

Denn die Eiche, auf deren Stumpfe die krause Eiche steht, war ehedem die Raststelle für die Planwagen und Reisekutschen, für die Kriegsfähnlein, die hier durch die Heide zogen, und für die Marodebrüder und das Tatternvolk, das den Kriegsvölkern folgte, und bevor die Eiche, von der heute nur noch ein morscher Stumpf steht, erwuchs, reckte eine andere über dieser Stelle ihr knorriges Astwerk; unter ihr lagerten sich die langen blonden Männer nach der Jagd und brieten am geschälten Weidenstocke das Wildbret über der Flamme, die sie mit einem harten Stabe aus olmigem Holze herausgelockt hatten. Lange vor jener Zeit grünte noch eine andere Eiche dort: das war damals, als das Bruch noch ein See war, an dessen sandigen Ufern schlitzäugiges, schwarzhaariges Volk wohnte und den Lachs und den Stör fing, der sich aus dem Flusse in den See verirrte, bis die blonden Weidebauern von Norden herniederstiegen und die gelben Leute vor sich hertrieben wie der Wind den Flugsand.

Ganz wenige Eichen wuchsen damals hier, denn die Höhen hielt die Fuhre besetzt, und in der Niederung zankte sich die Fichte mit den Birken und den Ellern um den besten Platz. Die blonden Leute aber wollten Eichen um sich sehen, denn diese gaben ihnen Mast für ihre Schweine; so ringelten sie die Fuhren und Fichten tot und pflanzten überall Eichen an, und mit der Zeit wurde aus dem ganzen Lande ein einziger hellichter Eichenhain, unter dem süße Gräser und nahrhafte Kräuter wuchsen, und nur auf den dürrsten Sandhöhen blieb die Fuhre am Leben, bloß in den nassen Tiefen durfte die Fichte weiter bestehen. Die alte Eiche galt den blonden Männern als heiliger Baum; deswegen schlugen sie rund um sie her die Fuhren nieder, pflanzten fünf Eichen in regelmäßigen Abständen um sie her und verbanden die gegenüberstehenden so durch schmale, mit weithergeholten Steinen gepflasterte Wege, daß das Zeichen der ewigen Wiedergeburt, die beiden, übereinander liegenden Dreiecke, der Stern mit den fünf Zacken, der heilige Kreis entstand. Hier lobten sie an den hohen Tagen Wode und Frigga, feierten sie die Siegesmahle, wenn es ihnen gelungen war, die Südlandsleute in die Irre zu locken und zu vernichten, tranken sie Minne den großen Toten ihres Volkes, deren Brüste das Pilum der Römer zerrissen oder deren Schädel die fränkischen Pfeile durchbohrt hatten.

Da die alte Eiche auf der Strecke lag, die von Nordwesten zum Südosten ging und das Nordmeer mit dem Binnenlande verband, so führte die Völkerbahn an ihr vorbei; deshalb wurde sie mit der Zeit zu einer Straße, und weil sie an dem heiligen Baume vorüberlief, hieß sie der Hilweg, der heilige Weg, und auch der Hellweg, der Hehlweg ward sie genannt, denn manche tapfere Schar zog auf ihr gen Süden und kam nicht wieder, weil sie an den Gestaden des Südmeeres zugrunde ging, entweder unter den Schwertern der römischen Söldner oder in den Lüften des üppigen Lebens. Viel Volk ist diese Straße gefahren, unbekannte Stämme, deren Steingräber hier und da in der Heide stehen, phönizische, griechische und römische Händler, fränkische und angelländische Mönche, die Wode zum Satan und Frigga zur Hexe machten und den heiligen Fünfstern ein Höllenzeichen hießen.

Allerlei Blut ist zu beiden Seiten des Hellweges geflossen; die Kolkraben brauchten damals nicht so weit nach Atzung zu fliegen, wie das letzte Paar, das hier noch horstet als Erinnerung an die Zeiten, da die Heide ein Wald war, in dem der Adler wohnte und der Schwarzstorch, in dem der Bär das Elchkalb riß und der Grauhund den Hirsch zu Stande hetzte. Bunt ging es damals hier zu; überall kreischten die Blauracken, und wenn sie von Stamm zu Stamm flogen, dann war es, als ginge Frigga durch den Wald und die Sonne spielte auf ihrem Stirnschmucke; allerorts stelzte der Wiedehopf und erfüllte den Wald mit seinem Geläute, ohne sich um die halbnackten Blondköpfe zu kümmern, die das Vieh an ihm vorübertrieben.

Elch und Hirsch sind verschwunden, der Bär auch; wenn sich auch ein Grauhund nach dem Kriege gegen Frankreich noch einmal spürte oder sich ein reisender Adler blicken läßt, sie gehören nicht mehr hierher; statt des Hirsches weidwerkt der Jäger den Rehbock, und Reineke Rotvoß dünkt ihm ein gefährliches Untier. Auch der Schwarzstorch ist selten geworden, die Blauracke verschwand und ein einziges Paar Wiedehopfe lebt hier noch, ist aber scheu und heimlich; im Laufe der Jahrhunderte fraß die Saline zu Lüneburg die Eichen auf und die Vögel des Eichenwaldes zogen fort.

Heute ist es dort fast so, wie damals, als die schlitzäugigen, schwarzhaarigen Lachsfischer mit den breiten, gelben Gesichtern da hausten; blank sind die Höhen und leer die Tiefen. Einzig und allein die Fuhre vermag hier zu leben, einige Birken, die Machangeln und die eine Eiche, die auf dem Stumpfe ihrer Urahnen wächst. Aber doch ist es hier schön, wenn auch nur der Kriechginster hier und da etwas Gold zwischen das braune Heidkraut streut und die Murke Silber über das Moor wirft, wenn auch nur die Haubenmeise und der Fink hier singen, Kuckuck und Schwarzspecht hier rufen und die wilden Tauben; denn um die Unterstunde, wenn die Sonne auf der Heide liegt und kein Halm sich regt, summt Frau Sage den Sang von dem, was einst hier war, und es rauschen die Blätter der Eiche, in Sehnsucht nach der alten Zeit erschauernd.

In den hohen Nächten, in der ersten Maiennacht, der Nacht der Wodefreite und um die Sonnenwende, dann geht Er den Hellweg entlang, Er, der hier einst geehrt wurde mit Gesang und Brand; auf seinen Schultern sitzen die Raben der Weisheit und raunen ihm Runen zu, und vor ihm her traben die Grauhunde der Vorsicht, um zu wittern, was über dem Winde auf dem Wege ist.

In den heiligen zwölf Nächten aber jagt Wode hier, wie vordem; wer dann über die Heide muß, der hört durch den Sturm den Hall der Meute, das Anjuchen und das Klappen der Peitschen hellweg über die Heide schallen; und scheu drückt er sich hinter den Machangelbusch, bis sie vorüber ist, die wilde Jagd, die Meute und die Weidgesellen, und vornweg von den Raben umflattert, von den Grauhunden umheult, Wode, der Hellwegreiter.


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