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Der Morgenspaziergang

Meister Adebar, der Storch, hat ausgeschlafen. Er richtet sich auf, wirft den Nachttau von den Federn und ordnet mit dem Schnabel sein Gefieder.

Noch ist es halbe Nacht; der Nebel liegt in dem Grasgarten; auf dem Windbrette des Schafstalles sitzt das Käuzchen und macht Knickse, und in der Ecke murkst der Igel umher.

Aber jetzt wird es Tag. Eine Krähe quarrt vorbei, die Elster schilt aus der Pappel heraus, die Amsel singt, der Fink schlägt, und die Spatzen, die in dem Storchneste zur Miete wohnen, werden munter und fangen an zu schilpen.

Da erhebt der Storch sein Gefieder und fliegt über den Grasgarten und die Kartoffelfelder, das Heidland und die Wiese; da, wo der Bach sich durch das Erlengebüsch quält, braust der Storch hernieder.

Es ist ein Morgen ganz nach seinem Sinne. Das Gras ist naß vom Tau, aber nicht so sehr, daß es eiskalt wäre. Die Luft ist mild und weich, und kein Lüftchen rührt sich.

Der Storch weiß, daß er heute satt werden wird. Gestern blies der Ostwind; da hielt sich die Maus im Loche und der Frosch im Teiche, die Heuschrecken waren verschwunden und die Raupen nicht zu finden; viel Suchen kostete es Meister Langhals, bis er halb satt wurde.

Heute aber lohnt es sich. Langsam schreitet er am Bache entlang. Der rote Schnabel fährt hinab, ein grüner Frosch ist im Kropfe. Ihm folgt ein brauner und dem eine Feldmaus, ihr ein brauner Frosch und dem eine große Heuschrecke, und dann folgen zwei Mäuse und eine dicke, fette Wühlratte, die allzu unvorsichtig zwischen dem Uferschilfe hinhuschte.

Drüben, wo das braune Moor an die Wiese stößt, geht die Störchin; auch sie ist zufrieden. Kaum stand sie in der Wiese, da fuhr ihr Schnabel herunter und zog den Maulwurf aus seiner Fahrt. Dann fing sie einen Frosch, einen grünen, der fett und dick war, und ein halbes Dutzend kleine und eine Maus, nahm dann einige Graseulenraupen mit, und schließlich gab es einen Hauptspaß. Vor ihr bewegte sich das Gras. Behutsam, daß der Boden nicht erschüttert wurde, schlich Mutter Storchen näher, bis sie sah, was es da gab. Und dann stieß sie dreimal zu und strich nach dem Neste, eine lange, dicke, fette Kreuzotter im Schnabel, die sie ihren Jungen hintrug. Auch die übrige Beute spie und stopfte sie ihnen in die Schnäbel. Bald darauf kam auch Vater Storch und sorgte für die Kleinen.

Die Sonne steht schon über dem Walde und trocknet das Gras. Die Störche schreiten wieder durch die Wiese, langsam und bedächtig, wie es sich für Pirschjäger gehört. Was an Raupen, Käfern, Nachtfaltern, Heuschrecken und Schnecken sich findet, wird aufgenommen und verschwindet in dem Kropfe. Aber wenn irgendwo das Gras sich stärker rührt, wenn es lauter raschelt, dann machen die Störche lange Hälse und weite Schritte, und ehe die Maus das Loch, der Frosch den Graben und die Schlange das Heidkraut erreicht, fährt ein harter Schnabel nieder, und aus ist es mit Körnersuche, Fliegenjagd und Mauspirsche. Jetzt aber erschallt ein klagender Laut und ein großer schwarzweißer Lappen flattert in der Luft umher und noch einer. Ein Kiebitzpaar ist es, das hier seine Jungen führt. Es weiß, entdecken die Störche sie, so ist es um die Kleinen geschehen, und darum stoßen sie so lange auf die Langhälse, bis die geärgert ihr Gefieder erheben und über den Wald fliegen.

Dort ist das Bruch, in dem die Hütejungen mit dem Vieh sind. Unmassen von Mistkäfern gibt es dort und sehr viel Frösche und Eidechsen, drei Arten Schlangen und mancherlei Mäuse. In dem klaren Bache sind Schmerlen und Ellritzen, und die weiß der Storch gut zu fangen. Aber es ist schon jemand da, der sich auch auf die Schlangenjagd und den Fischfang versteht, auch ein Storch, aber ein anderer. Zwar leuchtet sein Schnabel auch so rot wie Siegellack, und feuerrot sind auch seine Stelzen; aber bis auf den weißen Bauch ist sein Gefieder schwarzgrün, mit Kupferglanz überhaucht, daß es in der Sonne blitzt und funkelt.

Ein einsamer, menschenscheuer Geselle ist's, der Schwarzstorch. Tief im Bruche, wo Fichten und Erlen, Kiefern und Birken auf moorigem Boden dichte Bestände bilden, hat er in einer alten Kiefer seinen Horst. An einsamen Stellen, wo er auf keinen Menschen stößt, jagt er. Auch er nimmt alles, was er bewältigen kann, von der Kreuzotter bis zum Regenwurm, von der Wühlratte bis zur Zwergmaus, und ganz ausgezeichnet versteht er es, die Neunaugen aus dem Bache zu fangen und die Karauschen im Kolke zu erbeuten.

Aber da kommen schreiend und singend die Jungen mit dem Vieh an, und da hüpft er, bis er Luft unter den Flügeln hat, und verschwindet im Walde. Das Storchenpaar aus dem Dorfe aber jagt weiter, und viele Frösche, manche Maus und einige Kreuzottern müssen ihr Leben lassen; mehrere Male fliegen die Störche mit vollen Kröpfen zum Dorfe und kommen mit leeren wieder; denn die Jungen können im Fressen Gehöriges leisten.

Endlich aber sind sie satt und lassen das Gieren sein. Mutter Storchen setzt sich über sie, um sie gegen die Sonnenglut zu schützen; der Vater aber fliegt noch einige Male ab und zu und holt nasses Torfmoos vom Moore und pflastert den Nestrand damit aus, damit die Jungen Kühlung haben.

Dann aber hat auch er Ruhe. Er biegt den Hals hintenüber, legt den Schnabel auf den Rücken und klappert, und dann schläft er; er ist müde von dem Morgenspaziergang.


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