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Am Murmeltierbau

Das war ein heißer Tag. Frühmorgens war ich, von Berchtesgaden kommend, über den Königssee gefahren und dann in sengender Sonnenglut die Saugasse hinaufgestiegen. Wo die ersten Alpenrosen blühten, hatte ich Rast gemacht und gefrühstückt. An der steilen Wand über mir ästen sich drei Gemsen auf einem schmalen Grasbande. Das war mir schon Erquickung genug bei dem stundenlangen Aufstieg in der Sonne über die Schottertreppen der Saugasse.

Aber es kam noch allerlei Schönes. Schneeraben sah ich um unzugängliche, graugelbe Wände schweben mit schwalbenähnlichem Fluge, sah ein paar rosenflüglige Mauerläufer an den Klippen auf der Suche nach Spinnen und Käfern emporflattern, beobachtete Wacholderdrosseln und Kreuzschnäbel und trat schließlich, als ich Kühlung suchte an einem winzigen Gletscher, einem Duodezgletscher, einen Alpenhasen aus dem Lager.

Als ich mir an Schneewasser Hals und Handgelenke gekühlt hatte, suchte ich unter der steilen Felswand einen schattigen Platz zur Mittagsrast, und nachdem mein Mahl, Speck, Brot, Käse und ein Schluck Enzian, beendet war, da machte ich es mir bei einer Pfeife bequem.

Es war ein reizendes Fleckchen Erde. Hüben und drüben die steilen Wände, dazwischen der Schneefleck, im Abschmelzen begriffen, gemustert von den Spuren des Schneehasen und den Fährten der Gemsen. Aus dem schwarzen, nassen Boden leuchteten weiße Röschen, gelbe Veilchen, umflattert von dunklen Faltern, umschwirrt von Bienen und Fliegen. Unten in den Krummkiefern schmetterte ein Zaunkönig sein keckes Lied, oben von den Wänden klang der heisere Schrei der Alpendohlen, Heuschreckengeschwirre erscholl aus dem blumigen Schotterabhang.

Da ertönte unter mir ein Pfiff, so schneidend, so gellend, daß ich jäh aufschreckte, ein Pfiff, so laut, daß er von den Wänden widerhallte wie ein Peitschenschlag. Vorsichtig richtete ich mich auf, da fuhr da unten ein graubraunes Ding durch das Geröll und verschwand.

Ich saß und wartete, aber der Pfiff ertönte nicht wieder, und so stieg ich wieder bergan durch die bunte Herrlichkeit von Almenrausch und Kugelranunkel, Waldrebe und Glockenblume, Enzian und Narzissenanemone, bis der Weg ebener wurde und ich bei der Unterkunftshütte auf der Funtenseealm anlangte.

Da war alles voll und für mich kein Bett zu haben zum Nachmittagsschläfchen. So stieg ich denn nach dem Kaffee zum Funtensee hinab, freute mich an den tiefrosenroten Mehlprimeln, beobachtete die Saiblingsbrut und wollte mir gerade unter einem Busch zwischen rotblühendem Almenrausch ein Lager machen, als jenseits des kleinen Sees der gellende Pfiff ertönte, wohl zwanzigmal.

Da saß, steilaufgerichtet, ein braunes Ding wie ein Pfahl und pfiff wie ein Fuhrmann. Dann verschwand es, tauchte wieder auf, erst halb, dann ganz, und pfiff wieder, daß es von allen Felswänden widerhallte.

Ein Trupp Bergfahrer zog an mir vorbei, den rotbezeichneten Weg entlang. Ich ging ihnen nach. Als sie sich dem sonnigen Grasabhang näherten, von dem das alte Murmeltier eben so laut gepfiffen hatte, da fuhr es zu Bau.

Unweit des Baues, kaum fünfzig Schritte davon, liegt am See eine zerklüftete Felsgruppe, herabgestürzt von der steilen Wand. Da suchte ich mir einen Platz und wartete in Ruhe der Murmeltiere, die da kommen sollten.

Ich mußte lange warten und hatte Zeit genug, unter mir im Wasser die Saiblinge beim Fliegenfang zu beobachten und den Bienen, Hummeln und Dukatenfaltern zuzusehen, die über die hellrot getüpfelten Rasen der Zwergprimeln, über die goldenen Ziströschen, den tiefblauen, winzigen Enzian und die veilchenblauen und weißen Blüten des Fettkrauts tanzten, und den Bergbachstelzen, die am Ufer umherwippten und Mücken fingen.

Endlich erschien in dem einen der vier schwarzen Löcher des grünen Abhanges ein graubrauner Punkt, eben sichtbar. Wohl zehn Minuten lang blieb er so, dann vergrößerte er sich um das Doppelte, blieb wieder fünf Minuten so, vergrößerte sich wieder, verharrte wieder so, und endlich, endlich schob sich ein altes Murmeltier heraus. Lange sicherte es, machte ab und zu ein Männchen und rutschte dann langsam und träge um den Baum herum, äsend und immer wieder sichernd, bis es sich's schließlich in der Sonne behaglich machte, regungslos, als wäre es ein graubrauner Stein.

In der Nachbarröhre erschien auch ein graubrauner Fleck, sicherte nur ein kleines bißchen und schob sich dann ganz heraus. Ein halbwüchsiges Murmel war es, das unbekümmert weit vom Bau sich entfernte, hier an einer Pflanze knabberte, dort an einer anderen nagte, sich putzte, sich kratzte und dann zu dem alten Weibchen rutschte und sich die Sonne ebenfalls auf den Balg brennen ließ.

Endlich erschien auch in der dritten Röhre ein grauer Fleck, aber über zehn Minuten dauerte es, ehe der alte Herr die Luft rein fand. Nach allen vier Windrichtungen sicherte und windete er, der mißtrauische Bursche, dessen lange, dunkelgelbe Nagezähne weithin blitzten. Und dann machte er ein Männchen, auch wohl zehn Minuten lang, und sicherte und windete noch eine Zeit, und dann endlich entschloß er sich ebenfalls, sich zu äsen.

Noch ein viertes Stück erschien und äste sich, und auch die beiden anderen rutschten langsam und bedächtig von einer Viehtreppe zur anderen, drollig anzusehen in ihrer langweiligen Bedächtigkeit. Nur das alte Männchen vergaß nicht eine Minute die Vorsicht; alle Augenblicke machte es einen Kegel und sicherte.

Eine Stunde lang besah ich mir durch mein Glas die sonderbare Gesellschaft. Auf einmal machten sie alle Männchen; vier braune Pfähle, drei große und ein kleiner, standen da, und als das Knirschen der Nagelschuhe herankommender Bergfahrer auf dem Geröll näherkam und das Aufstoßen der Bergstöcke, da fielen die vier graubraunen Pfähle um und verschwanden in den Röhren.


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