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Am Freitage reisen bringt Unglück.

Humoristische Erzählung.

Frau Martin war eine ehrsame und rechtschaffene Baderswittwe in einer kleinen Provinzialstadt Sachsens, aber sie war sehr abergläubisch. Wenn sie am Morgen nicht mit dem rechten Fuße zuerst aus dem Bette gestiegen war, so fürchtete sie den ganzen Tag Verdruß und Unannehmlichkeiten; fegte ihre Pflegetochter Lorchen zu einer Zeit das Zimmer aus, wo Frau Martin gerade genöthigt war, den Rubicon der Kehrichtlinie zu überschreiten, so stand denselben Tag ein Zank bevor, der auch sicherlich schon dadurch entstand, daß Lorchen, ohne Wissen und Willen freilich, zur unrechten Zeit gefegt hatte. Ein wahres Grausen aber überfiel Frau Martin schon bei dem Gedanken an eine Reise am Freitage. »Reisen am Freitage bringt Unglück!« Dieser Satz stand bei ihr so fest, als der: Gott hat die Welt geschaffen. Am Freitage ging Frau Martin nicht bis aufs nächste Dorf, um bei ihrer Gevatterin Frau Rundel, einer reichen Bäuerin, Kaffee zu trinken oder Eier und Butter zu holen. Die Begriffe von Reise und Spaziergang waren bei ihr so innig verschwistert, daß sie den letztern an einem Freitage nicht unternahm, ohne zu fürchten, er könne in die erstere ausarten. Vergebens bemühte sich ihr Vetter, der Professor Martin, ein Anverwandter ihres verstorbenen Gatten, sie von ihren abergläubischen Schrullen zu befreien. Alles war umsonst! Dieser ebenfalls sehr ehrbare und etwas steife Professor theologiae et philologiae kam nämlich in allen Ferien, deren sich die Universität, wo er als außerordentlicher Professor lebte, erfreute, in die kleine Provinzialstadt, um seine werthe Muhme Martin zu besuchen. Es war ihm dies eine liebe Angewohnheit von der Zeit her, wo der Bader und Vetter Martin noch Zähne ausriß, die Ader schlug, schröpfte und sich mit der Gelehrsamkeit des Vetters Professor gern wichtig machte. Frau Martin, obgleich eher arm als reich, litt seine fortgesetzten Besuche aus Respect vor ihrem »Seligen« und ärgerte sich an ihm über nicht mehr als sechserlei: der Professor war erstens ganz und gar nicht abergläubisch, er war ferner ein schlechter Wirth, kam nie aus den Schulden heraus und führte doch ein kärgliches Leben; er war drittens nahe daran, Hagestolz zu werden und noch dazu aus Grundsatz, er haßte die Ehe; viertens war er so sanft, ruhig und verträglich, daß kein vernünftiger tüchtiger Zank mit ihm zu Stande zu bringen war; fünftens liebte er die Katzen nicht und endlich sechstens nahm er den Zucker beim Kaffeetrinken nicht in den Mund, sondern that ihn in die Tasse. Es ist begreiflich, daß ein Mann mit so vielen und ausgebildeten Untugenden ein beschwerlicher Gast sein mußte; demohngeachtet wob Gewohnheit immer von Neuem an dem lockern Bande, welches beide Extreme verknüpfte. Der Professor freute sich der Mußestunden, die er in einer anmuthigen Gegend verbringen konnte und der größeren Behaglichkeit im Häuslichen, welche einen enormen Contrast mit seinem unwohnlichen Junggesellenstübchen in der großen Stadt bildete. Zwischen beiden verwandtschaftlichen Gegensätzen stand Frau Martins Pflegetochter Lorchen, ein hübsches, munteres, schelmisches Ding von achtzehn Jahren. Der Bader Martin, ein menschenfreundlicher, wohlthätiger Mann, der aber nichtsdestoweniger Lorchens beide Eltern, die sehr arme Leute gewesen waren, ins Grab kurirt hatte, nahm die Waise (vielleicht aus einem dunkeln Gefühle der Schuld, welches ihm sagte, daß ohne seine ärztlichen Bemühungen Lorchen noch Eltern haben könnte) einst zu sich ins Haus und Frau Martin war es zufrieden, weil ihr Gatte für sie die größte Autorität auf Erden bildete und weil sie selbst keine Kinder hatte. Lorchen zählte damals nicht mehr als acht Jahre, zeigte sich aber anfangs so schüchtern, tölpisch und unanstellig, daß man sie im ganzen Orte »die Martinsgans« nannte. Nach und nach jedoch thaute das kleine Ding auf, wurde endlich ein wahres Quecksilber, lernte fleißig und witzelte über der »Muhme Martin« abergläubische Schrullen. Diese Veränderung hatte Niemand anders in dem Mädchen hervorgebracht, als der Vetter Professor. An ihm blickte Lorchen empor, wie an der Gottheit der Gelehrsamkeit, seine Sanftmuth und Milde machten sie zutraulich, und da sie bald sah, daß sie ihm durch Lernbegierde Interesse einflößte, bat sie den freundlichen Mann, ihr einigen Unterricht geben zu wollen. Er that es gern und mit endloser Geduld. Alsbald konnte Lorchen die Zeit der Universitätsferien im Jahre nicht mehr erwarten und repetirte vorher fleißig, was sie während der letzten Ferien beim Professor gelernt hatte.

Aber unvermerkt schlich sich in des unbefangenen Mädchens Herz eine Neigung für den, wenn auch nicht mehr jungen, so doch keineswegs unhübschen Mann ein, deren Macht ihr selbst erst klar wurde, als Frau Martin ihr eines Tages die Eröffnung machte, sie und die Gevatterin Rundel seien entschlossen, Lorchen mit dem einzigen Sohne der letzteren, mit dem Bauer Jacob Rundel, zu verheirathen. Lorchen sagte kein Wort, aber sie ging in ihr Kämmerlein und weinte bitterlich.

Welch ein Unterschied zwischen dem tölpischen, rohen, groben Jacob Rundel, der sie nicht sehen konnte, ohne sie unverschämtermaßen in die Backen oder in die Arme zu kneipen – und dem feinen, sanften, milden und hochgelehrten Herrn Professor, der freilich – Lorchen gestand es sich selbst mit Betrübniß – keine Neigung für das unbedeutende junge Mädchen zu empfinden schien, der ihre Wangen nie berührte, kaum zu wissen schien, daß sie hübsche runde Arme habe und ihre aufblühende Schönheit von einem zum andern Male, wo er die Muhme besuchte, gar nicht bemerkte.

Die Heirath zwischen Jacob und Lorchen war, trotz allem Sträuben der Braut, endlich festgesetzt worden, als eines Freitags – man denke das Unglück! der Professor bei Frau Martin eintrat. Er wollte die Muhme herzlich begrüßen, aber sie stieß ihn von sich.

»Unglücklicher«, rief sie, »wie konnten Sie sich an einem Freitage auf den Weg machen? Am Freitage zu reisen! Es ist weltbekannt, das bringt Unheil!«

»Ich wußte nicht, welcher Tag heute ist«, versetzte der Professor trocken und legte seinen Reisesack ab. »Uebrigens komme ich auch nicht, um hier mein Glück zu machen«, fügte er lächelnd hinzu.

Die Muhme konnte sich noch nicht beruhigen, aber der Gelehrte schnitt allen ihren Vorwürfen den Faden ab, indem er sagte:

»Sie sind unverbesserlich! Der heilige Georg überwand den Drachen, aber ich muß abstehen von dem Kampfe mit dem Drachen, dem Basilisk ihres Aberglaubens, denn dieser ist unverwundbar.«

Kaum war der Professor eingezogen, so war Lorchen die Geschäftigkeit, die Liebenswürdigkeit selbst, aber sie mäßigte sich vor der Muhme so viel als möglich, um das Geheimniß ihres Herzens nicht zu verrathen. Die Hauptperson, der stille, sanfte Gelehrte, errieth sie ja doch nicht! gegen ihn konnte sie so herzlich und freundlich sein, wie sie wollte, sein Ton blieb ein väterlicher, sein Gesicht behielt den Ausdruck allgemeiner Menschenliebe, wenn sie ihm auch noch so lieblich zulächelte.

Frau Martin achtete diesmal weniger denn je auf ihre Pflegetochter, sie hatte gar zu viel am Vetter zu tadeln, der so kühn gewesen war, mit einem Tadel ihres Aberglaubens über ihre Schwelle zu schreiten.

»Was lesen Sie denn da!« rief sie ihm am nächsten Morgen sehr verstimmt zu, als der Professor eben fertig geworden war, sich mit Lorchens Hilfe eine Art Schreibtisch herzurichten und Frau Martin gerade das Gesangbuch schloß, aus welchem sie ihre Morgenandacht schöpfte. »Nun, was Sie da lesen? frage ich« – setzte sie schärfer hinzu – »wohl kein gutes deutsches Buch! He?«

»Das nun eben nicht!«

»Wohl wieder so ein altes lateinisches Buch von Heiden und Götzen? Wenn Sie lieber einmal einen Blick in das Traumbuch werfen wollten, welches ich mir am letzten Jahrmarkte kaufte. Ein herrliches Buch! Wissen Sie, Herr Vetter, daß Sie nach und nach auch in das Alter kommen, wo man an derlei Dingen – wissen Sie, wie alt Sie sind?'

»Ja!«

»Na, ich will damit nicht sagen, daß Sie über die besten Jahre hinaus sind. Sie können noch immer heirathen, sind noch kein –«

»Methusalem!«

»Lassen Sie mich reden!«

»Lassen Sie mich lesen!«

»Nein, nein! Ich muß es Ihnen endlich einmal sagen, daß es sich für einen aufgeklärten Mann durchaus nicht, schickt, sich mehr mit dem Heidenthume als mit dem Christenthume zu beschäftigen. Ich weiß doch auch, was Bildung ist. Potztausend! Bildung! Mein seliger Mann war Bader, Doctor – er hatte auch das Seinige gelernt!«

»Kinnladen ausbrechen!«

»Was murmeln Sie da? Seien Sie stille, Sie hatten großen Respect vor ihm.«

»Ja, besonders wenn er mir Zähne ausreißen wollte.«

»Oho! er riß sehr gut aus!«

»Und ich auch – per pedes nämlich.«

Der Professor, ermüdet durch dieses Gespräch, nahm ein Blatt Papier zur Hand und begann zu schreiben. Aber die Muhme hatte heute ihren unausstehlichen Tag. Wieder begann sie von ihrem Platze aus hinter dem Ofen hervor, ihn mit Fragen zu molestiren.

»Was Sie auch immer zu schreiben haben!« rief sie. »Und es kommt doch nichts dabei heraus. Sie bleiben so arm wie eine Kirchenmaus. Hätten Sie wenigstens geheirathet, eine Frau würde Sie zur Raison gebracht und Ihnen Ihre sieben Sachen zusammengehalten haben, die Sie aus purer Gutmüthigkeit oft an schlechte Subjecte verschleudern. Was haben Sie nicht schon Alles über den alten heidnischen Gott, den Plato, geschrieben. Und hilft er Ihnen denn? Nein, er kann nicht, denn er ist ein Götze. Was schreiben Sie denn da wieder?«

»Ueber den Aberglauben.«

Frau Martin erhob sich halb im Stuhle und schielte über ihre Brille hinweg nach dem schreibenden Vetter.

»Das soll wohl auf mich gehen?« rief sie mit schnarrender Stimme.

Der Professor merkte, daß er ein Donnerwetter heraufzubeschwören im Begriffe sei, welches seiner Vorliebe für Ruhe und Frieden nachtheilig werden könnte. Schnell lenkte er ein und sagte:

»Sie sind diesmal entsetzlich schlecht gelaunt, Frau Muhme, und strafen damit Ihre eigenen Zaubersprüche Lügen. Wie übel wurde ich gestern von Ihnen aufgenommen, und dennoch waren mir am Eingange der Stadt Schafe begegnet.«

Frau Martin war etwas verdutzt und erging sich in einer länglichen Rede über den Umstand, daß das Begegnen von Schafen ihr jederzeit Glück, das von Schweinen ihr hingegen Unglück gebracht habe.

»Man sagt ja auch: Der Dumme hat's Glück!« warf der Professor leicht hin, »und da das Schaf das Sinnbild der Dummheit ist –«

Aber Frau Martin nahm die achtlose Rede anders auf, als sie gemeint war.

»Wollen Sie spotten?« kreischte sie hinter dem Ofen hervor. »Herr Vetter, zehn Jahre lang haben wir uns nothdürftig vertragen, wenn Sie in den Universitätsferien zu uns kamen, weil Sie kein Logis hatten –«

»Entschuldigen Sie, Frau Muhme, meine Wirthsleute vermiethen es indessen an Meßfremde und lassen es mir deshalb billiger.«

»Ist das Dankbarkeit? Zehn Jahre lang kommen Sie zu allen Meßzeiten zu mir, um frische Luft zu schnappen –«

»Nun, ich kann auch wieder gehn!«

»Die Schafe vergeß ich Ihnen nicht!«

»Ich wollte ja nur sagen, daß Bildung und Aufklärung vor Aberglauben bewahren müsse –«

»Sie haben nicht von Bildung, Sie haben von Dummheit gesprochen.«

»Von der Dummheit der Schafe! Was geht das Sie an?«

»Gleichviel, ich lasse auf die Schafe eben so wenig, als auf mich selbst kommen.«

Jetzt trat Lorchen rasch und unerwartet in's Zimmer. Sie konnte es nicht mehr mit anhören, wie der arme Professor mit solchen offenbaren Nichtigkeiten gequält wurde. Die Schelmin hatte ein Plänchen ersonnen, wie die Muhme zu entfernen sei, ohne daß sie das Absichtliche des Verfahrens merken sollte. Auch sehnte sich ihr Herz schon lange, endlich einmal mit dem lieben Professor allein zu plaudern.

»Ach, Muhme, Muhme«, rief sie hastig und eilfertig, »die Katze hat sich dreimal geputzt und die Scheere blieb mir beim Fallenlassen zweimal im Fußboden stecken. Das bedeutet –«

»Es kommt Besuch!« schrie Frau Martin dazwischen und sprang hinter dem Ofen hervor. »Es kommt Besuch und zwar die Gevatterin Rundel und Dein Bräutigam.«

Sie rannte nach ihrem Pulte, schloß es auf und nahm den Kalender heraus, um das Datum zu lesen.

»Heute der sechzehnte, es kann nicht fehlen«, setzte sie eifrig hinzu. Heute ist der große Termin auf dem Gerichte in der Angelegenheit der Gevatterin gegen den streitsüchtigen Windmüller – aber, was ist denn das? Großer Gott!«

Frau Martin unterbrach sich plötzlich durch einen gellen Schrei und sank in einen Stuhl. Hoch in der rechten Hand hielt sie einen versiegelten Brief, den sie im Kalender gefunden hatte. Lorchen errieth sogleich Alles. Die Gevatterin hatte schon vor längerer Zeit in Gesellschaft einiger madiger Kuhkäse einen Brief an ihren Advocaten in der Stadt mit geschickt, den die Muhme um des duftigen Geleits willen, in welchem er erschienen war, unverzüglich an seine Adresse befördern sollte. Sie hatte es auch gewollt, allein siehe da, als sie mit dem Briefe in der Hand vor die Hausthüre tritt, springt ihr eine Katze, Nachbars liebes, schwarzes Peterchen, über den Weg und zwingt die abergläubische Botin zur Umkehr.

»Das bedeutet Unglück!« rief sie auch jetzt wieder; »die Gevatterin hätte den ganzen Proceß verloren, wenn ich den Brief in jenem Augenblicke fortgetragen hätte. Wenn einem eine Katze über den Weg läuft, darf man nichts Wichtiges unternehmen.«

»Aber jetzt kann noch mehr verdorben sein«, schaltete der Professor ein.

»Ich hatte ja den Brief rein vergessen, total vergessen«, rief Frau Martin trostlos und schickte Lorchen in die Kammer nach ihren Kleidungsstücken zum Ausgehen.

»Auch Einkäufe muß ich machen zum Mittagsessen«, eiferte die Geängstigte. »Denn wenn die Rundel und ihr hungriger Sohn kommen, reicht eine ganze besetzte Tafel kaum hin, sie zu sättigen. Die Menschen haben einen wahren Dorfhunger.«

Lorchen kam zurück und brachte die Neuigkeit mit, daß sich die Katze schon wieder geputzt habe.

»Das gute Thier!« seufzte Frau Martin, »sie läßt nicht ab, mir den Besuch anzuzeigen. Das gute Thier!«

Und mit diesen wiederholt ausgesprochenen Worten trippelte die sorgenvolle Muhme zur Thüre hinaus.

Lorchen und der Professor waren allein. Letzterer seufzte und sagte halb für sich:

»Gott sei Dank, daß der Sturm sich gelegt hat!«

Darauf wollte er sich wieder an seine Arbeit begeben, aber Lorchen näherte sich ihm schüchtern und bat ihn um ein Viertelstündchen Gehör. Mit etwas Ueberwindung legte der Gelehrte die angefangene Schrift abermals bei Seite und stand resignirt von seinem Schreibtische auf, um zu hören.

Zuerst gestand ihm Lorchen mit Andacht und Beschämung, daß das Putzen der Katze und Steckenbleiben der Scheere ihre Erfindung gewesen sei, um den Herrn Professor von der quälerischen Muhme zu befreien und um sich selbst das Labsal einer Unterredung allein mit ihm zu verschaffen. Geduldig nahm sie den verdienten Tadel wegen ihres kleinen Betrugs hin, welchen ihr der milde Beichtiger nicht ersparen konnte. Nach dieser Einleitung begann sie heftig zu weinen und redete doch dabei von der innigen Freude, die sie über des Herrn Vetters Ankunft empfunden habe. Dieser wußte sich gar nicht zu finden und fragte nach der Ursache ihres großen Kummers, indem er lebhaft versicherte, daß, wenn es in seine Macht gegeben sein sollte, sie glücklich zu machen, er keinen Augenblick zögern werde, ihr Glück zu fördern. Da wurde Lorchen's Antlitz mit einem Male heiterer Sonnenschein, und während noch Thränen auf ihren blühenden Wangen standen, flüsterte sie lächelnd:

»Ja, ja, Sie können mein Glück begründen.«

»Aber wie? wie?« rief der Professor dringend.

Da ertönte eine Stimme auf der Treppe, die sofort alle Gemüthlichkeit aus der Unterhaltung verbannte.

»Lorchen, Lorchen!« rief Frau Martin und näherte sich mit geräuschvollen Schritten der Stubenthür von außen. Der Professor eilte zu seinem Schreibtische und setzte sich nieder, als habe er nicht daran gedacht, aufzustehen.

Kaum hatte er die Feder wieder zur Hand genommen, als die Thüre aufgerissen wurde und Frau Martin, dunkle Röthe im Gesicht, an der Schwelle stand.

»Muß ich wahrhaftig wegen dem abscheulichen Regenschirme umkehren. Es regnet – geh, Lorchen, hol' mir den Regenschirm aus der Kammer. Umkehren, umkehren! Es thut nicht gut, es thut nicht gut! Lorchen, auch mein Taschentuch gieb mir her, dort liegt es auf dem Stuhle. Aber über die Schwelle gehe ich nicht, da würde die ganze Sache schlimmer. Und dennoch ist es besser, ich setze mich einen Augenblick nieder. Das soll ein altes bewährtes Mittel sein, wodurch das Umkehren unschädlich zu machen ist.«

Frau Martin trat richtig in die Stube ein, setzte sich ungefähr eine und eine halbe Minute lang auf einen nahestehenden Stuhl und wollte sich eben mit Taschentuch und Regenschirm versehen wieder entfernen, als abermals eine Stimme auf dem Flure ertönte, die nach ihr fragte. Diese Stimme hatte einen merkwürdigen Einfluß auf die gegenwärtigen Personen. Frau Martin rief mit freudestrahlendem Gesichte:

»Die Gevatterin, die liebe Gevatterin!«

Lorchen erschrak, daß sie todtenbleich wurde, der Professor stand flinker von seinem Schreibtische auf, als er sonst zu thun pflegte und war mit zwei riesigen Schritten im Nu an der Kammerthür angelangt, in welcher er sofort verschwand.

Die Freundinnen umarmten sich herzlich und küßten sich zärtlich, obgleich es aus dem Kober der Landwirthin und um sie herum schon wieder nach altem Kuhkäse roch. Madame Rundel, die den Namen in der That führte, setzte sich auf des Professors Stuhl breit nieder, nahm einige Quarkspitzen aus ihrem Kober, griff nach einem Papiere, welches auf dem Tische lag (es war des Gelehrten Manuscript), wickelte die Spitzen hinein, übergab sie ihrer theuern Freundin als wohlfeiles Geschenk und leckte sich die klebengebliebene Käsesauce harmlos und unappetitlich von den Fingern. Jetzt fing man von der projektirten Heirath an zu sprechen, d. h. Frau Martin begann dieses Thema beherzt in Angriff zu nehmen, aber o Wunder, Frau Rundel ging nicht mehr so beherzt darauf ein.

Lorchen war schon längst in die Küche geschickt worden und die beiden Freundinnen saßen sich also allein gegenüber und studirten ihre Mienen sowohl, als ihre Reden.

Was war mit der Rundel vorgegangen? Sie spendete Kuhkäse und schien doch keine so freundschaftlichen Gesinnungen mehr zu hegen? Und was war das mit der Martin? Stellte sie sich nur so dumm oder hatte sie noch nichts von dem gehört, was unterdessen vorgefallen war?

Verwunderungsvoll sahen beide Frauen sich an, aber keine wagte das erste entscheidende Wort. Frau Rundel hatte die Hände über ihrem dicken Leibe gefaltet, die vorgebundenen seidenen Locken hingen ihr schief um das Gesicht herum, sie schüttelte sie bedenklich und sagte endlich aufstehend:

»Nun, was auch vorgehen mag, was sich auch in unsern Verhältnissen ändern mag, so viel steht fest: wenn mein Sohn von der Heirath zurücktreten müßte, so würde Lorchen eine reiche Entschädigung erhalten und Sie auch, meine liebe Martin. Wenn er zurücktritt, so werdet Ihr beide von uns schadlos gehalten. Darauf hin meine Hand und mein Wort!«

Frau Martin war über diese unerwartete Wendung des Gesprächs so verblüfft, daß sie kein Wort hervorbringen konnte und die Gevatterin mit großen Augen und offenem Munde anstarrte.

»Wenn er, wenn Jacob –« stotterte sie endlich und die Rundel fiel ein:

»Wenn Jacob zurücktreten sollte, so werdet Ihr auf jeden Fall entschädigt.«

»Wie denn –?« stammelte die Andere von neuem.

»Ihr kriegt einige Hundert Thaler und Lorchen bekommt eine hübsche Aussteuer, und nun adieu. Tröstet Euch mit dem Versprechen. Die Rundels hielten stets, was sie versprochen.«

Die Freundinnen trennten sich ohne Umarmung und Küsse. Frau Rundel trat beim nächsten Kuchenbäcker ein und erwartete dort essend ihren Sohn. Frau Martin stürzte zum Advocaten der Gevatterin mit dem vergessenen Briefe in der Hand und mit verzweiflungsvoller Neugier im Herzen. Er konnte ihr leider keinen Aufschluß geben und aufgeregt und unruhig trat sie den Nachhauseweg an.

»Es muß Alles gut gehn«, sagte sie endlich zu sich selbst; »begegnete mir nicht auf dem Heimwege, dicht vor der Thür des Advocaten, eine ganze Heerde Schaafe? Und noch dazu zur Linken? Schaafe zur Linken, wird Freude dir winken!«

Aber das Zurücktretenwollen des Jacob Rundel, welches die Mutter angedeutet hatte, ging ihr trotz aller Schaafe der Welt doch recht empfindlich im Kopfe herum. Sie muthmaßte her und hin und hin und her und konnte den gordischen Knoten doch nicht lösen.

»Was ist geschehn? Was könnte noch vorfallen? Was könnte den Jacob bestimmen, Lorchen zu verlassen, die er so sehr liebt?« murmelte Frau Martin zwischen den Zähnen und blieb endlich sinnend vor ihrem kleinen Hause stehen. Hätte sie eine Ahnung davon gehabt, was da drinnen so eben vorging, sie wäre nicht so gedankenvoll vor der Thüre stehen geblieben.

Da drinnen klagte ein junges hübsches Mädchen einem theilnehmenden freundlichen Manne von ungefähr einigen vierzig Jahren ihre Noth und ihren Kummer, daß sie einen Menschen heirathen sollte, den sie nicht liebte.

»Die alte, alte Geschichte!« sagte der wohlwollende Zuhörer mit trübem Blicke auf das blühende Opfer. Zum ersten Male näherte er sich dem Mädchen, erfaßte sie zärtlich bei beiden Händen und küßte sie auf die Stirn.

»Armes Kind«, setzte er milde hinzu, »Du dauerst mich, wahrhaftig Du dauerst mich sehr. Ich kannte einst einen jungen Menschen, es war ein guter treuherziger Kauz, einfältig von Sitten und Gemüth, hatte aber das Seinige gelernt und machte seinem Vater Freude. Doch der Alte war damit nicht zufrieden, der Sohn sollte auch reich werden und darum wurde für den schüchternen Burschen eine ältliche Dame ausgesucht, die an seiner Jugend Gefallen fand und ein hübsches Vermögen besaß. Aber der junge Mensch war in seinem Herzen schon nicht mehr frei, er liebte still und feurig die liebliche Tochter des Castellans auf der Hochschule, Margarethe. Gedrängt durch seinen Vater, der auf die Heirath mit der reichen Schönen drang, machte er in einer verzweiflungsvollen Stunde seiner Angebeteten eine Liebeserklärung, vielleicht um der Aufregung willen, in der er sich befand, recht ungeschickt und lächerlich. Er wurde abgewiesen, verhöhnt, das Mädchen hatte sich nur einen Spaß daraus gemacht, ihn zu ermuthigen, und den Tod im Herzen ging der gute tölpische Bursch davon und wußte nicht was beginnen. Aber das eben erfahrene Schmerzliche machte ihn stark, dem Willen des Vaters zu widerstreben, er band sich nicht an das ungeliebte Wesen und lebte einsam, ganz einsam seine Tage hin und wird so einsam leben, bis ihn der Tod in die große Gemeinschaft der Geister einführen wird, wo keine Einsamkeit und kein Zwang mehr ist. Lebe auch Du so, mein Kind, aber binde Dich nicht an den ungeliebten Mann.«

Lorchen stand erstaunt und gerührt da. So viel hatte der Professor noch nie mit ihr gesprochen, so offen, so zutraulich war er noch nie gewesen. Es wurde ihr warm, wonnig warm um's Herz und sie wußte selbst nicht, wie es zuging, daß sie urplötzlich auf den in Erinnerungen versenkten ernsten Mann zueilte, ihn herzlich umarmte und rief:

»Nein, nein, nicht einsam soll er seine Tage hinleben bis zum Grabe; Lorchen will mit ihm gehn, wenn er es zuläßt, wenn er das arme kindische Mädchen nicht verachtet! O, Herr Professor«, rief sie und hing an seinem Halse, »nehmen Sie mich mit, ich will Ihnen dienen wie eine Magd, ich will Ihnen Ihre Wünsche an den Augen ablesen, will Sie erheitern, wenn Sie sich einsam und traurig fühlen –«

Sie konnte nicht weiter sprechen, die Muhme stand in der Thüre und stampfte mit dem Regenschirme wüthend auf den Boden.

»O, Sie Mädchenfeind, Sie Weiberhasser, Sie Hagestolz«, – schrie sie empört – »und Du böse hinterlistige Dirne, die sich davon schleichen möchte – bleib! – Ja, nun begreif' ich der Gevatterin geheimnißvolle Reden, nun wird mir Alles klar. Wenn das Stückchen freilich schon oft aufgeführt worden ist, und die redliche Rundel und ihr noch ehrenhafterer Sohn haben Lunte davon bekommen, so mögen sie natürlich nichts mehr von der Heirath wissen, an die sie früher mit Vergnügen dachten. Nun ist mir Alles klar – o Gott, das ist mein Tod – ich bin verloren –«

Frau Martin drohte zu sinken, der Professor geleitete sie nach einem Stuhle. Er war in Verlegenheit, wie er den Vorfall entschuldigen sollte, aber die Muhme ließ ihn, als sie sich erholt hatte, nicht zu Worte kommen und überhäufte ihn mit immer ärgeren Vorwürfen.

»Sie hatten ja, Herr Mädchenfeind,« sagte sie höhnisch, »den Mund schon gespitzt, um das schöne Lorchen zu küssen, das ganz gefährlich und zimperlich thut, wenn sie der Bräutigam nur in die Wange kneipen will! O, Vetter, Sie sind sehr herunter gekommen! Kommt dieser Mensch am Freitage hergereist, um Unglück und Schande unter mein ehrliches Dach zu bringen. Sagt' ich's nicht? Ich erschrak, als Sie gestern bei mir eintraten, und das Unheil ist schon da!«

»Halt!« rief der Professor hier plötzlich in so gebietendem Tone, als man ihn noch nie von ihm vernommen hatte. »Halt«, wiederholte er und hob die Hand empor, »das grenzt an Wahnsinn. Die ungegründeten Vorwürfe von Schande und Unheil, die Sie mir machen, Frau Muhme, vergebe ich Ihrer Aufregung, aber den Unsinn Ihres Aberglaubens muß ich bekämpfen.«

Lorchen flüsterte betrübt für sich:

»Nun will er ihren Aberglauben bekämpfen und ich dachte, er sollte gegen meine Heirath mit dem entsetzlichen Jacob reden.«

Der Professor aber fuhr in erhobenem Tone fort:

»Aberglaube bringt Sittenverderbniß. Lorchen lernt Ihre Schwächen benutzen, lernt Hinterlist und Verstellung üben. So wissen Sie denn, daß Ihr Besuch kam, ohne durch die Katze angezeigt worden zu sein, ohne daß die Scheere stecken geblieben war –«

Frau Martin sah empor und ihre Augen funkelten.

»So hat mich Lorchen belogen!« rief sie zornig.

»Sie hat es und wird es wohl schon öfter gethan haben«, entgegnete der Professor, Lorchens Thränen und Winke nicht beachtend.

»Fort mit der nichtsnutzigen Dirne!« schrie die Muhme und erhob den Regenschirm hoch in ihrer Rechten. »Fort, fort, hinaus auf die Straße, wo sie aufgelesen worden ist –«

»Hören Sie mich erst zu Ende«, rief der Professor dazwischen, »hören Sie erst, übereiltes Weib, warum das arme Kind sich mir in die Arme warf –«

»Um sich küssen zu lassen, das weiß ich schon!«

»Nein, um mich zu bitten, Ihnen die Heirath mit Jacob Rundel auszureden.«

»Deswegen braucht man Niemand zu umarmen und braucht sich Niemand umarmen zu lassen.«

»Das ist auch meine Meinung, aber da es einmal geschehen ist, so zeige ich Ihnen hiermit Folgendes an: Ich nehme dieses junge bewegliche Gemüth, welches hier bei Ihnen unter dem Einflusse Ihres unsinnigen Aberglaubens dem geistigen und sittlichen Verderben entgegen geht, zu mir –«

Frau Martin lachte laut auf, während Lorchen jubelte.

»Lächerlich«, rief die Muhme höhnisch, »ein lediger Mann, der während der Messe kein Logis hat, will ein junges Frauenzimmer zu sich nehmen. Das geb' ich denn doch nicht zu – so viel Ehrgefühl hat die alte Martin, daß sie sich lieber mit der abscheulichen Dirne hier plagt, als daß sie solchen Scandal, solche Ehrenrührigkeit zugibt.«

Es wurde martialisch an der Thüre geklopft und die Sprechenden sahen sich erschreckt um. Jacob Rundel steckte seinen viereckigen Kopf zur Oeffnung der Thüre herein und fragte furchtsam, ob man über ihn so sehr schimpfe?

Frau Martin stürzte auf den vierschrötigen Burschen zu, ihr Gesicht strahlte plötzlich vor Heiterkeit, alle Gewitterwolken des Zorns waren verschwunden und mit der süßesten Freundlichkeit nöthigte sie den griesgrämigen Gast, sich niederzulassen. Jacob Rundel strich sich die zottigen Haare noch mehr in die kurze Stirn herein, blinzte die gegenwärtigen Personen mit seinen grauen geschlitzten Augen mürrisch an, wischte sich mit dem Aermel die Nase und schlug sich endlich mit beiden Händen auf die Beine, als solle nun eine wichtige Verhandlung beginnen.

»Nun, mein Lieber, was wollen Sie?« rief Frau Martin »reden Sie, mein Lieber.«

»Hören Sie«, schrie Jacob mit Stentorstimme dazwischen, »es hat sich ausgeliebt. Warum haben Sie unsern Brief so lange zurückbehalten? He? Ich meine den Brief an den Advokaten! He?«

»Du lieber Gott«, stotterte Frau Martin verlegen, »weil mir eine Katze über den Weg sprang und Schweine gelaufen kamen, als ich vor der Hausthür stand und ihn forttragen wollte, und weil das ein Unglück bedeutet – später aber hatte ich ihn vergessen.«

»Der Teufel hole Ihren Aberglauben«, rief Jacob – »ich glaube nichts von dem Zeuge. Sie müssen den Brief aufgemacht und gelesen haben, was darin stand. Ja, ja! Sie haben gewußt, daß in dem Briefe das Anerbieten der Frau Mutter zu einem gütlichen Vergleiche mit dem Windmüller steht. Der gütliche Vergleich«, setzte er in kleinlautem Tone hinzu, »besteht nämlich darin, daß ich die Müllerstochter, die häßliche Eva, heirathen soll. Da aber der Brief nicht zur rechten Zeit an den Advocaten gekommen ist und der Mann also nur den vorletzten der Frau Mutter erhalten hatte, worin stand, sie wolle von Neuem klagen, so klagt er und der Müller schäumt vor Wuth, weil er uns für falsch hält und weil wir zu Hause von einem gütlichen Vergleiche und von Heirath gesprochen hätten und in der Stadt klagte unser Advocat von Neuem gegen ihn.«

Frau Martin sank vernichtet in einen Stuhl und stotterte unverständliche Worte. Jacob fuhr fort:

»Sie und Ihr dummer Aberglaube sind an Allem schuld. Nun ist der Windmüller rabiat geworden und will wieder Streit und Zank. Jetzt eben erst hat er beim Advocaten der Frau Mutter erklärt, nun habe er sich darauf capricirt, den Proceß zu gewinnen, um unsere Falschheit zu bestrafen.«

»Ich einen Brief erbrochen, der nicht an mich gerichtet ist«, stammelte Frau Martin und hielt sich den Kopf mit beiden Händen. »Entsetzlich! Diese Beleidigung mir anzuthun. Ich klage, das ist eine Injurie! – Und eine andre Heirath einzufädeln, ohne mir ein einziges Wörtchen zu sagen, das ist schlecht, das ist hinterlistig gehandelt. Aber was will ich denn? Die Gevatterin hat mir ja Entschädigung versprochen, wenn Ihr von der Heirath zurücktretet, und ich will meine Entschädigung, ich will sie partout.«

»Aber durch Sie ist ja die Heirath mit der Eve unmöglich geworden!« donnerte Jacob. »Sie haben ja den Proceß von Neuem heraufbeschworen, weil Sie den Brief nicht zur rechten Zeit zum Advocaten getragen haben. Sie haben keine Entschädigung zu fordern.«

Der Streit wurde hitzig. Frau Martin bestand auf der versprochenen Entschädigung, da die Heirath mit Windmüllers Eve schon früher eingefädelt worden sei, aber Jacob trumpfte sie mit den Worten ab:

»Haben Sie etwas Schriftliches?«

Frau Martin brach zusammen. Das war zu viel, sie konnte nicht mehr kämpfen gegen solche schlagende Gegengründe. Da trat der Professor hervor, der die ganze Sache mit ruhigem, klaren Blicke durchschaute. Ernst und würdevoll wie ein Schiedsrichter ging er auf Jacob zu und sagte in entschiedenem Tone:

»Mein Herr Jacob Rundel, mit der Streitsucht Eures Windmüllers wird es wohl nicht so schlimm sein; Ihr werdet Euch schon wieder vertragen und Euer zukünftiger Schwiegervater wird seine blanken Thaler lieber für die Aussteuer seiner Tochter sparen, als sie dem Advocaten an den Hals werfen. Ich durchschaue Euch. Ihr wollt die arme Frau hier ängstigen und ihr das listig und betrügerisch entziehen, was Ihr derselben versprochen habt, wenn Ihr von der Heirath mit Lorchen zurücktretet.«

Jacob Rundel wagte es nicht, dem Professor in's Gesicht zu sehen, er drehte verlegen die Mütze in seinen schmutzigen Händen herum und brummte endlich:

»Ich glaub's nicht, daß der Windmüller zu besänftigen ist.«

»Der Professor hat Recht!« schrie Frau Martin triumphirend, »Pack schlägt sich, Pack verträgt sich!«

»Aber Sie haben doch nichts Schriftliches und können also keine Entschädigung fordern«, versetzte Jacob höhnisch und wollte sich entfernen.

»Etwas Schriftliches hat die Muhme freilich nicht«, begann der Professor wieder und hielt ihn auf, »aber einen Zeugen hat sie«, setzte er in erhobenem Tone hinzu. »Ich war zugegen, als Ihre Mutter, Herr Jacob, meiner Muhme das feierliche Versprechen gab, sie solle entschädigt werden, wenn Ihr von der Heirath zurücktreten solltet. Ihr thut es, folglich zahlt Ihr der Muhme die »einigen Hundert Thaler« aus, die Eure Mutter derselben versprochen hat. Frau Muhme, Sie haben mich dort in der Kammer sitzen sehen, Lorchen, Sie wissen, ich schlüpfte in die Kammer hinein, als Frau Rundel hier eintrat und ich selbst will es vor Gericht beschwören, was Herrn Jacobs Mutter hier versprochen hat.«

Jacob war ganz verblüfft, er glotzte den Professor an und bewegte die Lippen, ohne sprechen zu können.

»Zahlt fünfhundert Thaler an Frau Martin aus, ich sehe, Ihr tragt eine gefüllte Geldkatze um den Leib. Fünfhundert Thaler, wir wollen bescheiden sein«, rief der Professor in gebieterischem Tone. »Eure Mutter sprach von einigen Hundert Thalern und einer Aussteuer für Lorchen.«

Ohne ein Wort des Widerspruchs zu wagen, zählte Jacob das Geld hin und verließ schweigend und eilfertig das Zimmer, jedoch mit grimmigen Blicken.

Der Professor rief den mürrischen Bauer zurück.

»Jacob Rundel«, sprach er ernst und würdevoll, »haltet Ihr uns wirklich für eben so gemein, als Ihr selbst seid? Für eben so habsüchtig und geldgierig, als Eure Mutter und Ihr Euch gezeigt habt? Steckt Euer Geld wieder ein; Ihr seid mit dem Schrecken davon gekommen, denn wir mögen Euch und Euer Geld nicht. Hier ist Lorchens Aussteuer –« und der Professor zog eine alte rothlederne Brieftasche aus seinem Kleide, öffnete sie und warf mehrere Banknoten auf den Tisch, welche eine eben so große Summe bildeten, als Jacob sie vorher aufgezählt hatte. »Hier ist Lorchens Aussteuer«, wiederholte der Professor; »Ihr seht, wir sind nicht so arm, als wir scheinen. Dieses Geld habe ich, Frau Muhme, deshalb gespart (und die Schrift über den alten heidnischen Gott, den Plato, hat es mir eingebracht), daß Ihre Pflegetochter nicht einmal gezwungen werden sollte, einem vielleicht ungeliebten Manne anzugehören, wenn er sie, die Mittellose, nur ohne Aussteuer nähme. Sie sollte auch einen Armen wählen können, wenn sie ihn nur liebte –«

»Ach«, rief Lorchen selbstvergessen und wie außer sich, »dann müssen Sie das Geld behalten, Herr Professor, denn Lorchen will Niemand anders auf der ganzen Welt, als den lieben, herrlichen, vortrefflichen Herrn Vetter.« Es entstand eine Pause. Mit Thränen der Rührung in den Augen sagte der Professor, indem er dem blühenden, reizenden Mädchen die Hand reichte:

»Lorchen, so wäre es wahr – Du wolltest wirklich Deine Jugend einem Manne opfern –«

»Den ich schon lange, lange im Stillen liebe«, ergänzte sie entzückt. »Sie merkten es nur nicht, wie gut ich Ihnen war«, setzte sie ein wenig schmollend hinzu.

»Ich merkte sehr wohl, holdes Kind, daß Du mir gewogen warst«, sagte der Professor und drückte sein erröthendes Bräutchen an sich; »aber ich wollte nichts sehen und hören, denn es war Gefahr vorhanden, daß sich ein Mann von 45 Jahren vor einem Mädchen von 18 Jahren lächerlich machte –«

»Obwohl sich hier Niemand um mich und meine Meinung mehr zu kümmern scheint«, begann jetzt Frau Martin in erhobenem Tone, »so muß ich doch unaufgefordert bekennen, daß – daß – nun, daß ich mit der Heirath ganz zufrieden bin, besonders weil der Herr Vetter sich um Lorchens willen aufs Sparen gelegt hat.«

»Wie können Sie denken, Frau Muhme«, rief der Professor, »daß wir nach Ihrer Einwilligung nicht fragen würden?«

Aber Frau Martin fuhr fort:

»Daß Sie den Jacob so abgeblitzt haben, ist mir nun vollends lieb. Und Er, Herr Jacob, pack' Er sein Geld nur wieder ein und schieb' er ab. Wir mögen ihn und seine Sippschaft, seine Käse und seine angefaulten Eier nicht mehr. Adieu!«

Jacob stand verlegen, endlich nahm er sein Geld wieder auf und rannte beschämt, und ohne ein Wort zu sagen, zur Thüre hinaus.

»Nun ziehen wir Alle nach der Stadt!« rief Frau Martin vergnügt und schlug in die Hände.

»Gut, Frau Muhme«, entgegnete der Vetter, »aber nur etwas lassen Sie hier zurück –«

»Weiß schon«, antwortete Frau Martin lachend, »weiß schon, den Aberglauben! Nun so erkläre ich hiermit, daß ich meine Meinung schon dahin geändert habe, daß ich jetzt nicht mehr sage: Am Freitage reisen bringt Unglück, sondern: Am Freitage reisen bringt Glück

»Mir hat des Vetters Reise am Freitage mein Lebensglück gebracht!« rief Lorchen strahlend vor Freude.

»Und mir das meinige!« fiel der Professor ein.

»Nun so werde ich wohl die dritte Glückliche sein!« rief Frau Martin.

»Amen!« sagte der Professor.


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