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Alte Gemüse- und Botenweiber.

Was kann an einer alten Botenfrau und Gemüsehändlerin, welche von den Stätten der Industrie und des Handels die für das Bedürfniß ihrer Kunden ausgewählten Producte auf gekrümmtem Rücken in die von Eisenbahnen und Kunststraßen entfernt liegenden Ortschaften trägt, interessiren?

Denkt man an eine alte Botenfrau, so sieht man im Geiste ein sonnengebranntes verwittertes Gesicht vor sich, runzelig wie ein kalt gewordener Bratapfel, die Stirn von wirrem Haar, das der Wind zerzauste, umstarrt, einen höchst ausgebildeten Kropf unter dem Kinn, zwei eingestemmte knochige Arme, welche mit spitzen kampflustigen Ellnbogen ihre unfreiwillige Nachbarschaft bedrohen, und Füße, die wegen ihrer Breite und Farbe an die unverhältnißmäßig großen Schwimminstitute der Gänse erinnern. Man hört keuchende Athemzüge wie aus den Blasebälgen Balkans, und eine Stimme vollendet das unliebliche Ganze, eine Stimme, wie sie eben nur in den Felsenspalten eines Kropfgebirges geboren werden kann. Ich höre Jemand sagen: »Nach dieser Schilderung zu urtheilen, waren Macbeth's Hexen alte englische Boten- oder Gemüseweiber, die Geschmack daran fanden, mit tapfern Kriegern, wie weiland in ihren jungen Tagen, Spaß und Schabernack zu treiben. Sie hatten vermuthlich der ohnehin an Vapeurs leidenden Lady Macbeth den letzten spleenerzeugenden Kohlrabi verkauft, stürzten ihre leeren Tragkörbe auf der Haide um, stellten sich darauf, um größer und ungeheuerlicher zu erscheinen und wußten, daß sie in ihrem schönen Vaterlande auf drappirende Nebel und Dünste nicht lange zu warten brauchten.« Richtig, ganz meine Ansicht, antworte ich dem Jemand.

Aber ein feines junges Dämchen rümpft die Nase ob meiner Beschreibung und sagt: »Wie degoutant!«

Degoutant heißt ekelhaft. Man ekelt sich nämlich in Deutschland noch immer auf Französisch, wenn man sich fein ekeln will. Aber wer weiß, ob jenes fein gebildete junge Dämchen nicht einmal heirathen wird und ob nicht das zu theilende Schicksal des Gatten oder andere Verhältnisse sie in einen einsamen Gebirgsort führen werden, wie ich ihn einst bewohnte, wo man sich noch heutigen Tages statt Telegraphen, Eisenbahnen und Eilposten alter Botenweiber bedient, und Gott dankt, wenn ihre Lungen von Gutta-Percha zu sein scheinen. Und dann: wir leben in einer Zeit, wo Alles seine Berechtigung hat, was ißt und ist, wenn es sich nur in irgend einer Art nützlich erweist. Kann man von hin- und herfahrenden Virtuosen aller Art und jeden Alters, die ja auch nur ihren Handelszwecken leben, so kolossale Uebertreibungen und Lügen lesen und glauben, so wird man auch wohl mit gleicher Nachsicht von alten, auf ihren eigenen Füßen hin- und hergehenden Botenweibern einmal Wahrheiten lesen und glauben mögen. Bei so vielem Interesse für jenen Cretinismus am Leibe der Kunst, warum da nicht ein Fünkchen für den Kropf einer alten Botenfrau und Gemüsehändlerin, der ihre Verdienstmedaille ist, ihr Ordensstern, und deutlicher als ein halber Zoll buntes Bändchen von gesungenen, gegeigten und was weiß ich für wunderlichen Großthaten, von erstiegenen Bergen, getragenen schweren Lasten und ausgehaltenen Strapatzen spricht?

Aber mit oder ohne angewachsene Verdienstmedaille, die Boten- und Gemüseweiber haben ihre stillen, doch großen Verdienste bei kleinem Verdienste, d. h. Gewinn.

Die Botenfrau rückt aus den kleinen entlegenen Orten, wo den höhern, oder auch nicht nur den höhern Classen, Bedürfnisse des modernen Lebens und Luxus fehlen, an bestimmten Tagen der Woche Morgens in der Frühe aus, um in einer größern, nicht allzuweit entfernten Stadt, die im Heimathsorte empfangenen Aufträge und Bestellungen auszuführen und die gewünschten Einkäufe zu machen. Abends spät, oft erst in der Nacht, kehrt sie schwerbeladen und todtmüde zurück. Am andern Morgen überbringt sie den Auftraggebern die betreffenden Gegenstände, gibt Rechenschaft über die ausgeführten Mandate und empfängt ein bescheidenes Botenlohn, vielleicht auch einen stärkenden Schnaps dazu.

Die Gemüsefrau hingegen – es gibt grüne und trockene Gemüseweiber – hat ihre Heimath in der größern Stadt oder in der Nähe derselben, kauft nach eigenem Geschmack und Gutdünken daselbst bei Handelsgärtnern, Obst-, Mehl- und trockenen Gemüsehändlern ein, so viel sie auf ihrem Rücken fortbringen kann und trägt dies in bestimmte, von Natur, Kunst und Industrie weniger bevorzugte und durch keinen Wochenmarkt beglückte Ortschaften zum Verkauf. Die Gemüseweiber gleichen den, freilich ins Ungraziöse übersetzten Genien der vier Jahreszeiten, die man, mit den Producten der letztern geziert, zu malen und in Stein auszuhauen pflegt. Freilich so eine alte Gemüsefrau – sie sind immer alt, denn die jungen mit der Multiplication der Nachkommenschaft fast allgemein beschäftigten Frauen aus dem Volke würden das beschwerliche Caravanenamt nicht regelmäßig beschicken können und also in der Concurrenz alsbald zurückstehen müssen, – so eine alte korbbeladene Frau hat freilich noch kein Künstler in Stein ausgehauen, wohl aber hat man sie schon oft zu Stein erfroren am winterlichen Wege gefunden. Wenn ich als Kind von einem solchen Unglücke hörte, wünschte ich schon damals dem Tode mehr Verstand, als er oft beweist. Er hätte manches unnütze, lästige, boshafte, verbrecherische Individuum dafür erfrieren lassen sollen, – ach Gott, tausend für eine alte Botenfrau! – diese aber zum Lohne für ihre vielen beschwerlichen Fußreisen, lieber bei einem Schälchen Kaffee hinterm warmen Ofen sanft entschlummern lassen können.

Wenn Philipp II. von Spanien in Schiller's »Don Carlos« den Egmont von der Liste seiner guten Bekannten herunterstreicht, überkommt mich oft der frevelhafte Wunsch, ich könnte auch so streichen, oder doch der nächsten Klauenseuche und Rinderpest einige dringende Anempfehlungen zusenden. Und so 'ne stille Liste hat wohl jeder Mensch, dem das nöthige Quantum Dämon von den Göttern verliehen wurde, wenn er nur aufrichtig gegen sich selbst ist. Ich bin's.

Doch zurück zu den Genien der Jahreszeiten im dürftigen Gewande, im unschönen Leibe, und doch willkommen, ach, wie sehr willkommen im einsamen Gebirgsorte. Hier paßt das Hexenwort aus Macbeth her: »Schön ist häßlich, häßlich schön.«

Im zeitigen Frühjahr bringen sie das Gesäme, die jungen Pflanzen, Zwiebeln, Knollen und es ist durchaus nicht unwichtig, ob sie rechtzeitig eintreffen oder nicht. Die Gärten müssen bei Zeiten in Stand gesetzt werden, wie sollte sonst in den rauheren Gegenden so ein armes Körnlein oder Pflänzlein in einem kurzen Lenz und Sommer mit Blühen, Fruchtansetzen und Reifen fertig werden können? Aus der schwieligen Hand der Gemüsefrau empfängt man entzückt die ersten werthvollen Lenzesboten in kleinen Veilchensträußchen, Crocus-, Tulpen-, Hyazinthenstöckchen und rothglühenden Radieschen, die mir mit ihrem Bischen Senfgehalt wie die ersten witzigen Einfälle der jugendlich übermüthigen Lenzesnatur erscheinen. Oft lag in dem Gebirgsstädtchen meiner Heimath noch tiefer Schnee, der Sturm sauste über die Höhen dahin, an unserm frei stehenden Hause klapperten die schlechtbefestigten Fensterläden, peitschten die nahestehenden Apfelbäume mit dürren Ruthen die Fensterscheiben – da trat als origineller Frühlingsbote, nicht wie Schiller's Mädchen aus der Fremde, die alte Gemüsefrau mit verwittertem Antlitz in die Hausflur. Jubelnd stürzte ihr die Kinderschaar entgegen. Die grauhaarige Alte brachte die Auferstehung und das Leben, worauf sich nach langer, winterlicher Gefangenschaft Alt und Jung gleich enthusiastisch freute. Aus ihren Körben, deren sie zwei, einen viereckigen flachen auf einen runden großbauchigen gesetzt, trug, stiegen Frühlingsahnungen in schwachen gemischten Düften empor. Eine schlanke Hyazinthe hatte sich bei den tausend und aber tausend Schritten der Alten matt und müde geschwankt und sehnte sich nach der Käuferin, die ihr einen festen Standpunkt am Fenster beim Nähtischchen gewähren sollte. Ein flammiger Duc van Doll hatte den Mund seiner Blumenkrone noch fest geschlossen und gespitzt und war gewillt, ihn erst in der warmen Stube graziös aufzuthun. Die Veilchen waren noch einmal so blau vor Kälte und hatten die Geister ihres lieblichen Duftes großentheils in das kleine Hinterstübchen zusammenberufen, d. h. in den hörnchenartigen länglichen Fortsatz, der hinten die Blumenkrone endigt.

Und nun wischte sich die Alte mit der blauen Schürze den Schweiß von der faltigen Stirn, denn der Berg zum Städtchen empor war hoch und steil, und die Last, die ihr Rücken getragen, keine geringe. Nun kauerte sie sich auf der steinernen Treppe zusammen, wie die Saga des Vesuvs in Herculanum und Pompeji vor den Ausbrüchen desselben that. Die Ausbrüche bestanden aber hier nur in einem sehr erklärlichen Husten, der die Alte anfänglich in abgebrochenen Sätzen reden machte. Dann folgte ein Aschenregen von Klagen über ihre Athemlosigkeit und wie's die Füße und der Rücken nicht mehr aushalten wollten, und wie der Berg doch gar so steil und der Weg ganz unbeschreiblich schlecht sei.

Indessen bewunderte ich das schmale Kissen, das sie zwischen Korb und Rücken trug, um den Druck des erstern auf den letztern zu mildern. Es war aus einer Menge bunter Läppchen kunstreich zusammengesetzt, ein Mosaik von Baumwolle und Wolle, mit Federn ausgestopft. Einst erzählte die Alte, sie habe die Federn dazu auf ihren vielen Fußreisen nach und nach einzeln zusammengelesen, denn ihre Mutter, die freilich schon lange todt sei, habe immer gesagt, eine rechte Jungfer müsse nach einer Feder über drei Gartenzäune springen. Ich fand es haarsträubend, so viel Werth auf eine Bettfeder zu legen und calculirte entsetzt weiter, wie viel Jungfernsprünge über Gartenzäune zurückgelegt werden müßten, um auf diese Weise zu einem einigermaßen weichen Bette zu gelangen. Die neueste eiserne Zeit hat mit ihren Sprungfedermatratzen diese salti mortaliüberflüssig gemacht. Denn diese Sprungfedermatratzen vereinigen den Sprung und die Feder. Was will man mehr? Und es ist gut so, denn die Sorte Jungfern dürfte ohne Epidemie ausgestorben sein, die um Bettfedern Sprünge macht, höchstens um Hutfedern vom Vogel Strauß oder Vogel Hahn für den bekannten »Schleier- und Federhut«.

In dem musivischen Kissen der Alten befand sich ein zweites Mosaik und zwar von Federn. Nicht etwa was die verschiedenen Geburtsörter der Gänse anbetraf, welche die Lieferanten der Federn gewesen sein konnten, nein, auch was die Gattungen der federlassenden Vögel selbst anbelangte. Tauben-, Kuckucks-, Gänse-, Habichts-, Enten-, Krähen-, Hühner-, ja sogar Geierfedern barg das in seiner Art seltene Kissen. Nach jeder dieser Federn hatte sich die Alte mit dem mehr oder weniger schwerbeladenen Korbe auf dem Rücken bücken müssen. Wie viel Bücklinge um dies kleine Kissen! Genug, um in gewissen Fällen zu den höchsten Ehrenstellen und zu allen Ordenskreuzen der Welt zu gelangen. Und doch wollt' ich mich tausendmal lieber nach Geierfedern bücken, als vor Leuten, die ich innerlich zum Geier wünsche, oder nach Gänsefedern, als vor Individuen, die man mit den ersten zwei Silben des Wortes bezeichnet und die nicht einmal Federn, Fett und Leberpasteten liefern.

Die gute Gemüsefrau, sie hieß Zimmermannin, schenkte uns Kindern, wenn sie in Richards III. »Gebelaune« war, im zeitigen Frühjahr, wo es noch kein frisches Obst gab, zuweilen einen schrumpflichen, tief melancholischen Lederapfel, der sich selbst überlebt hatte, oder eine gebackene Pflaume, die unter ihrem zerknitterten Rocke die Spuren einer selig entschlafenen Made barg. Doch wir nahmen den guten Willen für die That, aßen spuckend und sprudelnd das Obst und redeten dafür – das wußte die diplomatische Alte – der Mutter zu, recht viel von ihr zu kaufen. Eine gute Lebensregel: die Kleinen zu gewinnen suchen, welche den Großen nahe stehen und ihnen lieb sind, um durch die ersteren die letzteren zu gewinnen. Ganz recht: nicht die kleinste wichtige Persönlichkeit überspringen, sie mag im Grunde so unwichtig sein, wie der kleinste Affe im größten zoologischen Garten, um auf der alten morschen Stufenleiter der eingebildeten und wirklichen Wichtigkeiten, glücklich zum Schauen der wichtigsten Wichtigkeit hindurchzudringen. Durchzudringen! Das ist das Wort. Denn fürwahr, wenn man in unsere civilisirte und gebildete Welt tritt, so tritt man so recht eigentlich in einen Urwald von Wichtigkeiten, die sich, wie verfitzte Lianen und Schmarotzerpflanzen aller Art, kreuzen, verschlingen und ein undurchdringliches Gewebe bilden, wovor der naive gesunde Menschenverstand mit stummem Staunen und Kopfschütteln steht, der Humorist mit spöttischem Lachen und verächtlichem Achselzucken zu gleicher Zeit. Doch den ergötzlichen Blick in diesen verrotteten Urwald voll eingebildeter Wichtigkeiten, durch welchen sich nur Speichelleckerei und Schmeichelei glücklich hindurchzuringeln weiß, will ich mir für ein anderes Mal aufbewahren. Es befindet sich eine ganze Menagerie von Insecten, Affen, reißenden Thieren, Rothhäuten und – Schlangen darin, die alle ihre besondere – Wichtigkeit und unerhörte Appetite haben.

Aber schnell zurück zum trauten Heimathsbilde und zur alten Gemüsefrau, deren doppeltes Korbfüllhorn im Sommer von Blumen, Früchten und jungem Gemüse strotzte. Ach und wenn sie die ersten Kirschen brachte! Blaßroth glänzten ihre verschämten Gesichter auf einem Hintergrunde von dunkeln, an ein Holz gebundenen Zäubchenblättern. An einem gleichen, grünüberkleideten Opferholze hingen auch die ersten Erdbeeren, und der Tod drohte ihnen meist von Kinderlippen. Ich erinnere mich, daß ich einst, berauscht von dem wunderbaren, erdwürzigen Lebensodem, den sie aushauchen, eine grundlos falsche Uebersetzung eines Fremdworts lieferte und den catechisirenden Vater dadurch nicht wenig ergrimmte. Er unterhielt sich je zuweilen mit der Gemüsefrau und sie erzählte ihm eines Tages von einem zum Christenthume bekehrten Juden ihres Heimathortes. Schnell wandte sich der gestrenge Vater an mich, die er selbst unterrichtete, und die gegenwärtig sehr andachtsvoll in den Korb der Gemüsefrau stierte, wo die gekreuzigten Erdbeeren zu sehen waren.

»Der Kunstausdruck für Neubekehrte?« frug er. Hatte der Neubekehrte nicht genug au seinem eigenen Unglücke? Mußte er auch mich noch hinein verflechten? »Neophyten«, antwortete ich und zitterte, daß das Examen weiter gehen werde. Richtig. 0, diese Juden, die doch innerlich, wie die Republikaner, nie, nie bekehrt werden! »Woher kommt das Wort?« frug, wie erwartet, der Vater. Hier stieg mir just eine ganze Weihrauchwolke Erdbeerduft aus dem Korbe der ungelehrten Händlerin in die Nase und verdüsterte meine Schulweisheit. Ich beneidete die harmlose Gemüsefrau, die das Bequemlichkeitsrecht hatte, nicht übersetzen zu müssen (höchstens über die Elbe) und sich nur um Pastinakwurzeln, nicht aber um Wortwurzeln zu bekümmern brauchte. Was war ihr Hekuba? Was dies verwurzelte Etymon? Sie tändelte mit ihren Zwiebeln und Blumen, deren Abstammung und Preise klar vor ihrer ungebildeten Seele lagen. Meine etymologische Verzweiflung wuchs. Ich hätte mich in jene eingeborene Küchenfliege verwandeln mögen, die auf den schön punktirten Erdbeerhügeln, sicher vor der verfolgenden Klatsche, herumkletterte und tastete. Ich raffte mich endlich zu der »schlechthinnigen«, um mit David Strauß zu reden, aber auf meinem linken Backen beklatschten Antivort empor:

»Es ist eine vox hybrida und kommt her von neos neu und ovis das Schaf.« Das Schaf gab mir der erzürnte Vater als Zugabe und ich dachte dabei an den verwandten Bock, Tragos, den die alten Tragödiendichter einst als Preis für geschossene tragische Bocke erhielten.

»Ach, Herr Jeses!« rief die erschrockene Gemüsefrau, als sie den schmerzlichen »Applaus« auf meiner Wange vernahm und schenkte mir aus Mitleid – keine Erdbeeren, sondern ein Nelkenstöckchen in seinen Uranfängen, dessen fetteste Blätter ich knicken mußte, um der Ueberzeugung zu leben, daß es einst bei Sonnenschein und gutem Willen volle Nelken zu Wege bringen werde. Ein horticulturhistorischer beliebter Trugschluß! Ganz dasselbe ist es mit dem Wohlwollen und den süßen Versprechungen der Menschen. Die fetten Blätter der freundlichen Zusagen bekommt man zu knicken und man knickt vertrauensvoll darauf los und hofft, aber die gefüllten Blumen der Erfüllung kriegt man nicht zu sehen, höchstens eine einfache – Pechnelke ohne Duft.

Wenn aber endlich der Sommer seinen festlichen Einzug auch in die rauheren Gebirgsgegenden gehalten hatte, dann sank für einige Zeit die Gemüsefrau sammt ihren Producten im Preise.

Sie erkannte auch selbst mit richtigem Instincte den Zeitpunkt, wo unsere theilweise Unabhängigkeit von ihr, in den nievergessenen alten Gärten sommerlich emporwuchs. Die lustig blühende Bohnenlaube am Hause, die runden vollen Salat- und Kohlhäupter im Garten erregten ihr Bedenken, und außer der Hochsommerbotin, der Gurke, die in den Gebirgsgegenden oft sehr spät reift, trug sie uns meist nur noch Pomonas Gaben zu und richtete es auch darin so geschickt ein, daß sie unserer eigenen Fruchternte jedes Genres immer um die Länge eines Pferdekopfes (wie man in der Politik sagt) voraus war. Wir hatten unterschiedliche Pomonas, die die Zinnen unserer Berge, um weniger Dreier Gewinns willen, mit rührender Beharrlichkeit erkletterten.

Eine derselben würde, wenn man sie mit den nöthigen Thierfellen, Weintrauben und sonstigen passenden Zierrathen hätte versehen wollen, mehr einem Satyr als einer Pomona geglichen haben, denn sie hatte ganz besonders in der Stellung des aufgeworfenen, nach den Ohren zugeschlitzten Mundes etwas, was an jene »untern Gottheiten mit Ziegenfüßen und Thyrsen« erinnerte. Sie hieß Haasin, war sehr grob und hatte einen halberwachsenen Sohn, der die schwersten Obst- und Blumenlasten tragen mußte, dafür aber auch den der Mutter fehlenden Kropf von der fürsorgenden Mutter Natur erhalten hatte. Wirklich, wenn einem diese zwei menschlichen Hasen über den Weg liefen, konnte man an üble Vorbedeutungen glauben lernen. Aber, bei Gott, sie waren eben so gut und harmlos, wie die bepelzten Hasen, die noch heute vergeblich in der Geschichte der berühmtesten Ausreißer ihrer Thiergattuug forschen, welcher von ihnen sie denn eigentlich in diesen Mißcredit bei den menschlichen Thieren gebracht?

Wenn die Hasin so stumpf und unpoetisch bei ihren köstlichen Weintrauben, Monatsrosen, Heliotropen und Geranien saß, mit rauher Hand die schönen Blumengesichter dem Käufer zudrehte und dabei nur von den Preisen derselben und ihrem eignen kargen Gewinne phantasirte, während ihr stumm assistirender Sohn über dem Kropfgebirge seines Halses die weitklaffende Felsenspalte eines immer offenen Mundes zeigte, da überkam mich schon als Kind ein Weh- und Zorngefühl ob solcher Contraste. Die Küche im Vaterhause wurde mir zum Sclavenmarkte in Alexandrien und ich hätte das schöne Frucht- und Blumenstück unter Glas und Rahmen retten, die Verkäufer aber an die Luft setzen mögen. Jetzt würd' ich die letzteren höchstens mit Vorständen von Kunstinstituten vergleichen, die mit der Kunst nur Handel treiben und keinen Begriff, kein Verständniß für die Schönheit und Erhabenheit eines Kunstproductes haben. Ja, der Haasin gut dressirter Sohn, der auf die Fragen der Mutter: »Nicht wahr, 's is Alles noch e Mal so theuer, wie vor 8 Tagen?« oder: »Hat der Gärtner nicht gesagt, daß in Dräsen die Weintrauben gar nicht zu bezahlen wären?« nur mit einem blicken des Kopfes und Zuklappen seines vorher offenen Riesenmundes antwortete, soll auch, wie man mir versichert, in jenen Regionen Brüder haben, zwei Seelen ein Gedanke, zwei Herzen und – – ein Herzschlag wäre freilich wohl das Segensreichste.

Und wenn nun der Winter kam, der auf dem Lande die Ruhe und das Schweigen bringt, nur unterbrochen vom Ticktack der Dreschflegel, während er in den großen Städten den Lärm der Bälle und Concerte aufwiegelt und letztere mit Freibillets und geräuschvollen Claqueurs füllt, die sich vielleicht eines Tages auch noch der Dreschflegel statt der Hände bedienen werden, da wurde der Korb der Gemüsefrau so uninteressant, wie die meisten Theegesellschaften mit Musik und Butterbrod. Alter Kohl! war hier wie dort die Hauptsache, Aepfel, Nüsse und Sellerie gingen mit beiher und dieselbe große Schachtel, die vorher Bacchus Gaben und schön geschminkte Pfirsiche enthalten hatte, zeigte jetzt, wenn man sie öffnete, – altbackene Semmel. Kalt und hart! Seltsam, in wie vielen Winterconcerten und gelehrten Vorlesungen, welche ich später hörte, hatte ich das Gefühl, als ob ich beim Eintreten in den Saal die alte Schachtel der Hohnsteiner Gemüsefrau erwartungsvoll öffnete. Aber weh! nach Beendigung mußte ich an die einst statt Wein und Pfirsichen gefundene altbackene, bisweilen durch Regen etwas aufgeweichte Semmel denken. Ach und nun erst gar der vielen altbackenen Semmel in freundschaftlichen und Liebesverhältnissen, in Geselligkeit und Geschäften! zum Ersticken! Luft, Luft, Clavigo! Hinweg, in Eile, zu Euch auf die Landstraße, Ihr armen Botenweiber, die Ihr ohne die lex des Mandats Eure Aufträge, wenn Ihr sie nicht vergessen hattet, so prompt und gewissenhaft besorgtet! Noch seh' ich Euch zur Winterszeit aus tuchbesohlten Strümpfen die eisbedeckten Berge der Heimath in kurzen Schritten hinabtrippeln, den Korb voll Brieftauben, die Euch gern, wenn sie nur Flügel gehabt hätten, im Sinne des Briefstellers oder Stellerin, vorausgeflattert wären! Und da lagen auch in ein dickes Tuch gewickelt die äußerlich und innerlich länglichen Schreiben an die Behörden, die Vorstellungen, Bittschriften, die aber bisweilen der herkömmlichen juristischen Form entbehrten und deshalb unbeachtet und erfolglos blieben. Da hieß es oft: »Lassen Sie sich erst eine Vorstellung von einem Advocaten machen, ehe wir Ihr Gesuch berücksichtigen können. In dieser Form ist es unmöglich.« Als ob eine Bitte oder Klage nicht in jeder Form dieselben blieben! Es war aber damals nicht Ein und Dasselbe, weil nämlich der Geist tödtete und der Buchstabe lebendig machte.

In meiner Heimath gab es verschiedene Botenweiber, denn die Nähseide war besser in Schandau, die Semmel besser in Neustadt und die Cervelatwurst am besten in Pirna. Zugleich erquickten diese Botenweiber die Ohren vieler Einsamen mit Neuigkeiten und ersparten dadurch das Halten der betreffenden Wochenblätter. Auch die Gemüseweiber trieben diesen Tauschhandel mit Neuigkeiten, doch mit weniger Nachdruck, als jene, die überall herumkamen. Und hierin konnten sie gefährlich werden, denn manche von ihnen würde ich: Feindschaften stiftende Klatschen nennen, wenn ich nicht dadurch zugleich ein Xerxesheer Höherstehender, Höchststehender, Gebildeter und Vornehmer, als alte Botenweiber bezeichnete.

Unbedingt hatten viele von ihnen beachtenswerthe Rednergaben, die sie nicht nur in den Angelegenheiten der Dienstmädchen übten.

Sie hatten ciceronisches Talent und hörten sich selbst sehr gern reden, wie alle Redner. Hier stellte sich aber bei den Botenfrauen ein großer Vortheil heraus. Man konnte ihrem Redeflusse Halt gebieten, sie schwiegen um einer sächsischen »Butterbemme« willen, während der oft verzweifelte Zuhörer einem Redner von Profession auf keinerlei Weise Einhalt thun darf und kann, wenn er ihm auch noch so süß den Mund stopfen möchte. Zum Schweigen, und bei Gastmahlen mit Toasten und Reden zum Hungern verdammt, sitzt der Zuhörer da und bedient sich im besten Falle, nämlich dem der geistigen Elasticität, der Flügel seiner Gedanken, die ihn ja im Nu an das Cap der guten Hoffnung versetzen können.

Und so ziehet denn hin, Ihr guten alten Boten- und Gemüseweiber, Ihr lebendigen Zeitungen, die ich in eine papierne Botenfrau bringen möchte, denn jede Zeitung ist eine mit Neuigkeiten, Aufträgen und Bestellungen aller Art beladene Botenfrau, die in der Welt umher läuft und ausrichtet, unterhält, an den Mann bringt, aufmerksam macht, aufreizt mit allem Möglichen, zuweilen auch mit Federvieh, d. h. mit Enten handelt, und Seeschlangen gratis in den Kaus giebt. Lauft zu! Und seid stolz, denn die papiernen Botenweiber, die Zeitungen, beherrschen die Welt, sie haben die Macht in den Händen; die ganze Presse ist ein Botenweib. Und ein gewaltiges! Sammt ihrer Schwester, der öffentlichen Meinung, rast und rennt sie durch das ganze Land und über alle Meere und Erdtheile und fragt: »Wer will uns bezwingen?« Und legt man der Presse einmal ein Papagenoschloß vor den Mund, flugs reißt es die öffentliche Meinung wieder herunter und ruft: »Schwester, druck' Du nur, was ich sage.« Und opinione celerius ist die Presse wieder in Arbeit. Ja, meine andächtigen Zuhörer und Leser, Frauen haben uns überhaupt in der Gewalt, Frauen, jetzt und immerdar, denn Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind Frauen, und Unsterblichkeit und Ewigkeit dazu, und die Freiheit erst recht.


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