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Concertstudien.

Man liebt jetzt den gedrungenen Styl. Kurze Sätze. Viele Punkte. Stationen. Anhaltepunkte. Das kommt wohl von den Eisenbahnen und ihren Bummelzügen her? In Dr. Temme's Zeitbildern, die hierin als Vorbilder dienen können, fand ich ein halbes Dutzend Sätze, welche hintereinanderweg mit »Er« anfingen. »Er kam. Er aß. Er sprach. Er trank. Er schlief. Er ging.« Gott sei Dank, daß er endlich ging! In Concerten liebt man heut' zu Tage weniger die Kürze. Ich bin ohnehin ein sehr wenig concertfähiges Individuum. Ein langes Concert deconcertirt mich. Man gab eines am 16. vor. Monats. Ich kam sehr früh. Denn in Concerten geht es, wenn es gut geht, d. h. wenn es voll ist, gerade so zu, wie im dänischen Sprichworte, wo 12 Hasen auf 11 Stühlen Platz finden sollen. Es stand ein Flügel da. Der Hauptconcertant pianistete. Ja, und er nistete sich dabei in die Herzen seiner Hörer ein. Es gab noch ein anderes Geräusch, als das der Musik. Viele Damen hatten zu spät mit ihrem täglichen Lebenszweck, der Toilette, begonnen, und schwebten nun auf Tönen in den Concertsaal herein. Sie drängten und schmiegten sich, immer freundlich, immer lächelnd, innerlich aber knirschend. Sie zausten einander unwillkürlich an Spitzen, Bändern und Schleppen. Mir fiel die Geschichte von den dänischen Hasen wieder ein. Nur daß die Pelze der Glücklichen nicht mit Spitzen besetzt sind. Eine Dame saß gewöhnlich auf zwei Stühlen. Man war mit den Crinolinen damals noch im Vollmonde der Umfänglichkeit. Saß die Dame nun endlich auf zwei Stühlen, so glaubte sie noch überdies im vollsten Rechte zu sein. Ein veredelter Kellner, zum Billeteur und Concertarrangeur im Stuhldepartement avancirt, machte sie darauf aufmerksam. Die Stühle waren wie die Ruderer im Bagno, wenn auch nicht mit Eisen, so doch mit Bindfaden an eine Leiste geschmiedet. Sie wichen keine Zollesbreite von ihrem Platze. Die Dame mußte endlich beschämt die Anmaßung ihres Faltenreichthums anerkennen. Reichthum soll immer anmaßend machen. Die Dame rückte und rockte, ein von »Rock« abgeleitetes neues Wort. Die Stühle schlurften und quietschten. Sie verfahren einmal nach unabänderlichen hölzernen Naturgesetzen. Die Naturgesetze bringen mich mit ihrer stupiden Logik bisweilen ganz außer Fassung. Die Dame saß endlich ganz, d. h. halb. Die Damen bleiben jetzt so eigentlich nicht sitzen, sie bleiben schweben. Das Concert ging weiter. Die Loreley von Liszt. Der Sänger sang sehr schön. Die Musik? Viel Töne, wenig Melodie. Mir fiel bei den vielen halben Tönen der Zukunft, in denen sich des Hörers Ohr, wie in einem Labyrinth, hinwinden mußte, meine Stubenthür ein. Sie ist lange nicht eingeschmiert worden. Sie singt die chromatische Tonleiter überraschend gut und schließt ihre Musik regelmäßig mit einem ganz verblüffenden Tone, zu dessen Beschaffung die Zukunftsmusiker erst ein neues Instrument müßten erfinden lassen. Es ist eine »zukünftige« Thür, obwohl sie aus der vergangensten Vergangenheit des Hauses stammt. Die Loreley also? Des Sängers dunkles Haar gefiel mir besser, als Loreley's gelbes. Ich fand in der Musik selbst ein Haar – der Loreley. Einerlei! Ich glaube in dem Verse, wo es heißt: »Sie kämmt es mit goldenem Kamme« – hat Liszt die Action des Kämmens in der Musik ausdrücken wollen. Ballade und Polonaise, vom Concertgeber componirt und vorgetragen. Sehr gut. Wurde tüchtig applaudirt. Die Polonaise war übrigens ein gut Stück Arbeit. Wenn man so Polonaise tanzen müßte, wie diese gespielt werden muß, ei! da gehörte das Polonaisetanzen in's Strafgesetzbuch oder in einen Dante'schen Höllenkreis. Doch der Concertant überwältigte die colossale Aufgabe, vor welcher mein Laienverstand staunend stand, mit größter Virtuosität. – »Der arme Peter«, von Robert Schumann. Ein hübscher Peter. Mild und lieblich, schwermüthig gesungen, wie die Composition selbst ist. Weniger halbe Töne, als in der Loreley. Peter siegte über die Rheinnixe. Ja, ja, der arme Peter rächte alle verunglückten Schiffer an der Loreley. Er schlug sie, ich hab' es selbst – gehört. Hierauf ein Trio, von Cäsar Frank. Dieser Cäsar starb nicht selbst an fast zwei Dutzend Todeswunden, er ließ mich und noch viel »Hörige« langsam daran verbluten. Ich dachte an Seneca's aufgeschnittene Adern. Fast wär' auch ich in's Jenseits hinübergeschlummert. Dieses Trio hat mich für lange Zeit ganz concertunfähig gemacht. Ich muß erst wieder neue Kräfte sammeln. Ich glaube, um das cäsareische Trio zu würdigen, muß man schon im Mutterleibe Generalbaß studirt haben. Da keine Ziegel auf einem Dache zu zählen waren, zählte ich die schwarzen Schwänzchen im Hermelinmantel meiner Vorsitzerin. Sie hatte 57 auf dem Rücken. Der Mantel war lang. Eine junge Dame in meiner Nähe litt am Husten. Eine endlose Pianostelle kam im Trio vor. Ich sah es der Dame an, sie flehte um ein Fortissimo, um ungestört husten zu können. Ihr Wille geschah endlich und die Dame setzte sofort mit allen Lungen ein. Ich weiß nicht, wo ich mich just wachend oder träumend befand, als mich eine Lerche von einer Sängerin mit magischem Getön berührte. Sie sang, als hätte sie tausend Lerchenkehlen in ihrer vereint. Es zwitscherte, es jubelte, es jauchzte und das Publikum mit. Da man die Lerchen des Frühlings stets herbeiwünscht und wenn sie scheiden klagt, so mußte auch die Sängerin mehrmals wieder kommen und ein Lied zugeben. Es waren liebliche Compositionen des Concertgebers. Zuletzt rockte, ruckte und rückte die sämmtliche Damengesellschaft vor mir eine improvisirte Stuhlfuge und entfernte sich. In der Garderobe angelangt, bemerkte ich, dass ich kein einzelnes Geld bei mir hatte, um dem Garderobekellner des Hotels etwas Einzelnes für meinen Mantel zu geben. Was thun? In dem Schlachtgewühl von Mänteln, Capuzen, Ueberschuhen und Regenschirmen auch noch Geld wechseln? Der Kellner half mir, da ich noch überlegte, zu einem Entschlusse. »He!« rief er, »Sie! – ich bekomme etwas!« – dabei zupfte er mich unverschämt am Mantel. »Sie bekommen etwas?« frug ich, meine Galle unterdrückend. »Ja –« war die Antwort. »Ist es einerlei, was Sie bekommen?« fragte ich nochmals. »Ja –«, ertönte es. »Nun so gebe ich Ihnen – (eine Ohrfeige! hätte ich am liebsten, ärgerlich über das verursachte Aufsehn, gesagt) »einen Neugroschen –« setzte ich mit würdiger Fassung hinzu. –


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