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Zur Crinolinenfrage.

In der Blüthezeit der Crinolinen schrieb ich folgenden offenen und öffentlichen Brief an meine crinolinenfreundlichen Mitmenschinnen:

»Geliebte Schwestern! Wir werden von den Männern ohnehin gern für Nullen angesehen. Warum tragen wir auch noch Röcke, die uns als solche, als Nullen, in die Welt der Erscheinungen einführen? Warum wollen wir nicht lieber schlank wie Einer einher gehen? Jede kluge Frau versteht es in schwierigen Fällen den Schein zu retten. Und hier fügen wir selbst den äußeren unvortheilhaften Schein zu der in vielen Fällen unbestreitbaren Wahrheit innerer Hohlheit hinzu? Weg also mit den Crinolinen, die uns recht sichtbar mit eisernen Fangarmen der Nullität umspannt halten. Und nun: Denkt Euch eine Venus, Hebe, Niobe mit Crinolinen! Wären sie als schöne unsterbliche Weiber gefeiert worden, wenn sie die unförmlichen Röcke getragen hätten? Sie waren im Uebrigen recht herzlich gewöhnliche Weiber, Weiber mit Launen, Fehlern, Pfiffen, Kniffen, Unsinnigkeiten, wie wir noch heutzutage, aber ihre Tracht rettete sie vor dem Versinken in das Nichts der Vergessenheit. Sie wurden ausgehauen, gemeißelt, weil sie einfacher toilettirt waren, und weil zu ihrer Verewigung nicht so viel Material nöthig war, als bei uns erforderlich sein würde, um uns unsterblich zu machen.

Ha! wie viel Marmorbrüche mehr, als die carrarischen und parischen hätten müssen entdeckt werden, um die Fülle der Statuen des Alterthums herzustellen, wenn die damalige Mode die unsrige gewesen wäre und also auch den Göttinnen, Musen und dem ganzen reich mit Weibern bevölkerten Olymp die Crinoline octroyirt hätte! Hohl gearbeitet könnten die Ungethüme von Umfang nicht werden, also hätte müssen ein Hämus, ein Appennin von Marmorbrüchen aufgefunden werden, um genügendes Rohmaterial zu liefern.

O meine Schwestern, an unsere Figuren, so wie sie jetzt sind, wagt sich kein Künstler, wir müßten uns denn subtrahiren lassen!

Ich bekenne selbst, daß ich eine Zeit lang der Schwäche huldigte, einen Nullenrock zu tragen, allein als ich mich einst auf einem Balle an einem der gebrochenen Eisenstäbe verwundete, warf ich, zu Hause angelangt, das ganze Gestell, nachdem ich es recht oft geknickt und gebrochen, in einen Winkel und befahl es als altes Eisen zu verkaufen. Es geschah. In drei kleinen Kupfermünzen erblickte ich eines Tags die verwandelte Crinoline. Ich hob sie nicht in einer Münzsammlung auf, ich kaufte einen Bogen Papier dafür, auf welchem ich dies niederschreibe.

Lächelnd schlüpfe ich nun entcrinolint durch die engste Gartenthür oder Droschkenpforte. Ohne Hinderniß und Kampf gelange ich in eine Theaterloge, auf einen Sitz bei Renz und lächle noch mehr, wenn ich meine beinlich und peinlich gefangenen Schwestern an öffentlichen Orten, die bereits sitzenden Herren und Damen beim angstvollen Vorüberdrängen mit ihren Kleidern fast bedecken sehe. Ein sitzender Herr verschwindet sogleich hinter der aufgepauschten Faltenmasse. So weit es seine Stuhllehne gestattet, legt er sich zurück, um die auf Eisenstäben ausgespannte transportable Schnittwaarenhandlung glücklich an sich vorüberschlüpfen zu lassen, er hilft sogar nach, wenn sie im Ringen und Drängen hängen bleibt und bedauert oft selbst, wie sehr das unaufhaltsam kühne Emporschnellen der kaum herabgedrückten Crinoline stets von Neuem den Anstand verletzt. Doch was sind diese Anstandsverletzungen gegen die Brandverletzungen, welche dies mörderische Gestell, oder vielmehr sein Erfinder, auf dem Gewissen hat? Es wäre der Mühe werth, spätern Jahrhunderten zum warnenden Beispiel, ein statistisches Verzeichniß von Unglücksfällen, Verbrennungen sowohl, als auch Bein- und Armbrüchen und andern durch die unselige Crinoline herbeigeführten Körperschädigungen aufzusetzen und drucken zu lassen. Dieselben häuften sich eine Zeitlang so ungeheuerlich, daß eben nur Damenmuth in Modesachen dazu gehörte, um dennoch fortzucrinolinen!

Ich schließe mit einem Traume, den ich jüngst über das Schicksal der Crinolinièren (ein nach der Analogie von andern »ièren« gebildetes Wort) nach deren Tode hatte.

Die erste Crinolinière, so träumte ich, kam an die Himmelspforte und Petrus fragte sie, indem er sie mit staunenden Blicken maß und in großen Schritten umging, wer sie sei?

»Eine Crinolinière!« antwortete sie kleinlaut. »Die Stahlbänder meines Rockes sind im Grabe nicht mit verfault, es war gutes Eisen, ich aber wollte mich nicht ohne sie begraben lassen.«

Schnell blätterte Petrus in einem voluminösen Buch, worin sich sein Einlaßreglement befand. Er machte ein gehöriges professorisches Geräusch, schlug unter C nach und fand:

 

»Den Crinolinièren
Den Eintritt verwehren.«

 

Das zeigte er der Kleinlauten. Aber sie hatte noch nicht alle Geistesgegenwart und weibliche Schlauheit verloren. Im Gegentheil, es schien, als habe das treue Haften an dem eisernen Gestell auch ihrem Sinne etwas Eisernes mitgetheilt. Muthig entgegnete sie:

»Mein verehrter Herr Himmelspförtner, das ist ein göttlicher Druckfehler. Es muß heißen: »Den Crinolinièren den Eintritt gewähren.« Das reimt sich auch besser. Ich verstehe mich ein wenig auf das Reglement des Himmels, für den ich schon in meinen jungen Jahren von meinen irdischen Verehrern als »Engel« reif erklärt wurde.

Petrus ereiferte sich nicht wenig über die Keckheit, von den himmlischen Buchdruckereien irdische Druckfehler vorauszusetzen. Er betrachtete die Eisenumspannte als eine Ueberspannte und begehrte Aufschluß über das irdische Phänomen, das so vorlaut, so übermüthig war.

Zu dem Zwecke sandte er einige Cometen, die ihm gerade über den Weg liefen, als Boten an verschiedene berühmte Lichter der Wissenschaft, um ihm über die Gattung und den Zweck der Crinolinièren ihre Ansichten mitzutheilen.

Allein die Lichter der Wissenschaft ließen sich ergebenst entschuldigen. Ein Licht hielt Mittagsruhe, das andere ließ sich rasiren, das dritte nahm ein himmlisches Luftbad, weil es auf Erden so gar lange unter den Philosophen hinter dem Ofen gesessen hatte. Die meisten aber waren es müde, über Kunst und Wissenschaft gelehrt zu faseln, was sie hienieden in's Blaue hinein und allen Menschen zum Ueberdruß und zur Langenweile genugsam gethan hatten, und erklärten nun, da ihnen die himmlische Klarheit, das Licht aller Lichter aufgegangen war, all' ihre einstige hochgebenedeite, von ihnen selbst hauptsächlichst bewunderte Weisheit, für kindisches albernes Geschwätz. Nur Einer erschien, der noch nicht allzulange den Strahlen des himmlischen Lichts ausgesetzt war und sein eigenes also noch für etwas Bedeutendes hielt, für etwas, das jedenfalls nicht unter den Scheffel, wär' es auch ein himmlischer Scheffel, gestellt werden dürfe. Er war auf Erden eine fortgesetzte Exegese gewesen und konnte es noch nicht ablegen, Alles auszulegen.

Er betrachtete die Crinolinière bedächtig, zog die Stirn in tiefe Falten, schob die Brille in die Höhe, besah mit und ohne dieselbe das eiserne Gestell von allen Seiten. Er schlug viele große Bücher nach, die er auf einem Karren beständig hinter sich herzog, beblinzelte den Rock nochmals genau, murmelte etwas von einer mißlungenen Nachahmung Saturns und seiner Kreise, schlug abermals in gewichtigen Folianten nach und gab den Wunsch zu erkennen, eine Vorlesung über das Phänomen halten zu dürfen.

Doch darüber gerieth Petrus selbst in panischen Schrecken, die Crinolinière auch zitterte, denn dann konnte sie lange an der Himmelspforte stehn und auf Entscheidung warten, wenn dem Professor eine Vorlesung gestattet wurde. Hatte der Löwe einmal Blut geleckt, so wurde aus einer Vorlesung ein Cyclus, und sie erinnerte sich der irdischen Cyclenleiden, die sich wie eine ew'ge Krankheit fortgesponnen und ganze Winter verschlungen hatten, nur zu gut. Petrus wurde wild.

»Keine Vorlesung«, rief er energisch, »nicht in stundenlange Salbadereien ausgedehnt, was sich mit fünf vernünftigen Worten sagen läßt oder Niemand zu wissen braucht. Sprich, was hast Du entdeckt, kurz, kurz, kurz. Oder ich stecke Dich hinter den Höllenofen, wo Du für Dich allein studiren, lesen und schwitzen kannst.«

»Was?« rief der Gelehrte entsetzt – »nicht ich, sie, die Crinolinière, gehört hinab in den Trichter. Siehst Du nicht, Petrus, daß schon Dante im 23. Gesang seiner Hölle von ihr und ihres Gleichen handelt? Dieser Rock von Stahl ist eine Abart der Bleimäntel, welche die Heuchler im Höllentrichter tragen. Sie ist eine Heuchlerin, diese da mit dem Gestell, dafür spricht Alles. Sie will umfangreicher erscheinen, als sie eigentlich ist, es ist ein im Wachsen begriffener Bleimantel, den sie trägt. Vermuthlich ist bei der großartigen Heuchelei, deren sich die Menschheit jetzt befleißigt, das Blei für die Hölle so im Preise gestiegen, daß man in der Verlegenheit zum Eisen gegriffen hat. Die Heuchlerin hat sich aus der Hölle heraufgeheuchelt – hinab – von wannen sie kam. Hinab mit ihr! Dein Reglement, Petrus, ist eine Preisschrift: ›Den Crinolinièren den Eintritt verwehren,‹ wenn auch der Reim falsch ist.« Vor Schrecken erwachte ich.


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