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Kapitelvignette

Einleitung

Weimar, 22. April 1914.

Am Park von Weimar, im altberühmten Hause der Frau von Stein, beginnt der Verfasser die Niederschrift dieser Erinnerungen.

Da ich im Elsaß noch vor dem Kriegsjahr 1870 unter französischer Herrschaft, wenn auch in urdeutscher Gegend geboren bin, so muß ich mich amtsgemäß als gebürtigen Franzosen bezeichnen. Und ich darf hinzufügen: es ist ein weiter Weg, aus einem elsässischen Vogesendörfchen französischer Zeit emporzudringen nach Weimar und auf die Wartburg, zu diesen heiligen Hainen deutscher Geistes- und Herzensbildung.

Aber das Ergebnis der Fahrt ist groß und schön. Und es war mir einmal ein bedeutsam Siegesfest, als ich meinen alten Vater im Gasthof der Wartburg beherbergen und dem elsässischen Dorfschulmeister unser Deutschland zeigen durfte.

In jenen Jahren entstanden meine Wartburgtrilogie und mein Thüringer Tagebuch, zwei meiner wichtigsten Bücher; aus ihnen entfalteten sich die Gedanken und Lebensbilder der sechs Bände »Wege nach Weimar«; hieraus wieder erwuchs mein kulturhistorischer Roman »Oberlin«, und die zehnjährige thüringisch-elsässische Epoche schloß mit dem modernen Roman »Der Spielmann«.

So erwuchs mir Leben, Denken und Dichten aus innerer Einheit. Ich war, der ich als Mensch, Dichter und Künstler durchdrungen bin von dem Ideal einfacher Größe, nie darauf erpicht, durch starkes Herausarbeiten einer Sonderbegabung Aufsehen zu erregen. Des werdenden Mannes erst dumpf geahntes, dann klar erkanntes Ziel war organische Einheit zwischen Leben und Schaffen, zwischen Gehalt und Form.

In einem Briefe Herders an die Gräfin Maria von Bückebürg steht der bedeutungsvolle Gedanke: »Jeder Mensch hat ein Bild in sich, was er sein und werden soll; solange er das noch nicht ist, ist noch Unfriede in seinen Gebeinen; er ist jetzt so, jetzt anders, widerspricht sich tausendmal in einer Stunde, wird von Phantasie und Sinnen oder, wie die Bibel sagt, von Lüsten getrieben: der Eine helle sanfte Ton ist noch nicht da, in den alle seine Glieder und Kräfte wie eine wohlgestimmte Laute tönen sollen.« Das gilt für jeden von uns, der aus dem Dunklen ins Helle strebt.

Ich hoffe von einem ruhigen und ritterlichen Geschlecht der Zukunft, daß es wieder in anmutigen und kraftvollen Bildern das Wunder und die Würde des Lebens veranschaulichen werde. Man wird es dann nicht mehr als genial deuten, wenn fiebernde Sinnlichkeit den Becher des Lebens in gierigen Zügen hinunterstürzt. Man wird seine Kraft und Glut meistern; man wird sie sammeln auf hohe Ziele. Etwas wie Tempelstimmung wird in einzelnen Führern Form gewinnen. Man wird wieder Feiertagsgewänder mit natürlichem Anstand zu tragen wissen, die der Hoheit unserer Lebensauffassung entsprechen. Die festlichen Säulen brauchen nicht kalt und starr zu bleiben; ihr kühler Marmor wird sich gern mit warmen Blumenfarben umwinden; Chorgesang und Flötenklang werden ernst und heiter die Luft beleben, und in den Tiefen der Seele wird sich das Rosenkreuz gut mit der griechischen Anmut und der deutschen Kraft vertragen. Gemeißelte Bilder der Helden, Meister und Götter werden nicht abstechen von den plastischen, edelgewachsenen, lebendigen Menschen, die sich festtäglich zwischen ihnen bewegen.

Träume? Man verzeihe diese Träumerei von einem zukünftigen Deutschland! Es ist ein Träumen am Goethepark, der von Elfen und Meistern beseelt ist. And sind es wirklich nur Träume? Ist nicht etwas von diesem Ideal in uns selber lebendig? Denn was auch Deutschland in seiner Gesamtheit tun mag: der einzelne, der das Ideal erschaut, hat unbeirrbar seine Erfüllung zu suchen.

Weimar ist mir übrigens als Ort auch durch eine zwiefache Freundschaft lieb geworden: mit Adelheid von Schorn und ihrem edlen Freunde Paul von Joukowsky. Erstere hat in ihren Büchern »Zwei Menschenalter« und »Das nachklassische Weimar« ihre Erinnerungen an Franz Liszt, Fürstin Wittgenstein und andere Zeitgenossen festgehalten. Und der nun verstorbene Joukowsky: ich sehe noch den hochgewachsenen, nur leise gebeugten Edelmann und Künstler vor seiner Staffelei stehen, bedächtig in seinen Bewegungen, gehalten und leutselig in seinen Umgangsformen, von Güte durchleuchtet, wie seine farbenschönen, seelenvollen Gemälde. Auch er war mit Liszt und besonders mit Richard Wagner befreundet, war in den Sterbestunden beider Meister zugegen, kannte persönlich einen Gobineau und Heinrich von Stein, und hat nach Wagners Sinn und Willen die ersten Kulissen zum »Parsifal« entworfen. Nachdem er später in Moskau das Denkmal Alexanders II. gezeichnet und gebaut hatte – sein Vater war des Zaren Erzieher gewesen – zog er sich in Weimars friedliche Freiheit zurück, um die letzten Lebensjahre der Kunst und der Freundschaft zu widmen. Diese beiden wundervoll abgeklärten Menschen wurden mir mehr als nur Einzelpersonen: sie erschienen mir als Typen, sie stellten die Verbindung zwischen Weimar und Bayreuth her.

Nicht zufällig habe ich Heinrich von Stein, den Neffen von Adelheid von Schorn, den Erzieher von Siegfried Wagner und früh verstorbenen Vorkämpfer des Meisters von Bayreuth, an die Spitze meiner »Wege nach Weimar« gestellt.

Es entspricht nicht meiner Veranlagung, mich auf bestimmte Kunststätten ausschließlich festlegen zu können, sei es Weimar oder Bayreuth. Das Zauberspiel der Phantasie ist ja von so unerschöpflichem Formenreichtum wie die Natur. Aber jene wertvollen Menschen und Orte sind Orientierungspunkte, sind Stätten der Sammlung, sind Aussichtstempel auf unserer Wanderung durch das reizvolle und ernste Gebirge des Lebens.

Ohne Seelenwunden freilich kommt man nicht vom Wasgau nach Weimar. Aber Wieland schmiedet aus dem Leid Flügel. Und Hölderlin hat im »Hyperion« das ausdrucksvolle Bild geprägt: »Des Herzens Woge schäumte nicht so schön empor und würde Geist, wenn nicht der alte stumme Fels, das Schicksal, ihr entgegenstünde.« Es ist in uns eine Fähigkeit, persönliches Ungemach in überpersönliches Geistesgut umzuschmieden. Und so wächst uns aus Wahrhaftigkeit und Treue gegen unser höheres Ich nach und nach eine heitere Sicherheit. Denn das »Weimar« oder die »Gralsburg«, die ich meine, sind nicht hier oder dort. Der Gral erglüht zuletzt in uns selber.

Wie sagt Novalis?

»Einem gelang es: er hob den Schleier der Göttin zu Sais –
Abel was sah er? Er sah – Wunder des Wunders, sich selbst!«

Wer lebend und liebend sich wacker umgeschaut hat, dem geht eine Ahnung, nach und nach eine Gewißheit auf, daß über der Seele Gesetze walten: Geistgesetze, wie in der Natur und im Gang der Gestirne Naturgesetze bemerkbar sind. Der Idealmensch in uns wächst organisch aus dem Triebmenschen empor. Er wird ein biologisches Gebilde, ein Kunstwerk, ein architektonisches Gefüge; er ringt sich aus der Materie heraus, wie sich Michelangelos oder der attischen Meister Marmorgebilde aus dem Rohblock lösen.

Man kann diesen Vorgang eine Geistgeburt oder auch Wiedergeburt nennen. Die leibliche Geburt hat den Stoff gegeben; die geistige Geburt oder der Geist- und Idealmensch ist nun das Ergebnis dessen, was sich aus diesem Stoff in Persönlichkeit umsetzt.

Erst durch die Einsicht in die Notwendigkeit dieser Geistgeburt erhält das Menschendasein Sinn, Wert und Wärme.

 


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