Gotthold Ephraim Lessing
Der junge Gelehrte
Gotthold Ephraim Lessing

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Vierter Auftritt

Chrysander. Anton. Damis.

Chrysander. Das ist ein verfluchter Brief, Anton! Ei! ei! mein Sohn, mein Sohn, post coenam stabis, vel passus mille meabis. Du wirst doch nicht schon wieder sitzen?

Damis. Ein andrer, der nichts zu tun hat, mag sich um dergleichen barbarische Gesundheitsregeln bekümmern. Wichtige Beschäftigungen –

Chrysander. Was willst du von wichtigen Beschäftigungen reden?

Damis. Ich nicht, Herr Vater? Die meisten von den Büchern, die Sie hier auf dem Tische sehen, warten teils auf meine Noten, teils auf meine Übersetzung, teils auf meine Widerlegung, teils auf meine Verteidigung, teils auch auf mein bloßes Urteil.

Chrysander. Laß sie warten! Jetzt – –

Damis. Jetzt kann ich freilich nicht alles auf einmal verrichten. Wann ich nur erst mit dem Wichtigsten werde zustande sein. Sie glauben nicht, was mir hier eine gewisse Untersuchung für Nachschlagen und Kopfbrechen kostet. Noch eine einzige Kleinigkeit fehlt mir, so habe ich es bewiesen, daß sich Kleopatra die Schlangen an den Arm, und nicht an die Brust, gesetzt hat – –

Chrysander. Die Schlangen taugen nirgends viel. Mir wäre beinahe jetzt auch eine in Busen gekrochen; aber noch ist es Zeit. Höre einmal, mein Sohn; hier habe ich einen Brief bekommen, der mich – –

Damis. Wie? einen Brief? einen Brief? Ach, lieber Anton! einen Brief? Liebster Herr Vater, einen Brief? von Berlin? Lassen Sie mich nicht länger warten; wo ist er? Nicht wahr, nunmehr werden Sie aufhören an meiner Geschicklichkeit zu zweifeln? Wie glücklich bin ich! Anton, weißt du es auch schon, was darin steht?

Chrysander. Was schwärmst du wieder? Der Brief ist nicht von Berlin; er ist von meinem Advokaten aus Dresden, und nach dem, was er schreibt, kann aus deiner Heirat mit Julianen nichts werden.

Damis. Nichtswürdiger Kerl! so bist du noch nicht wieder auf der Post gewesen?

Anton. Ich habe es Ihnen ja gesagt, daß vor neun Uhr für mich auf der Post nichts zu tun ist.

Damis. Ah, verberabilissime, non fur, sed trifur! Himmel! daß ich vor Zorn sogar des Plautus Schimpfwörter brauchen muß. Wird dir denn ein vergebner Gang gleich den Hals kosten?

Anton. Schimpften Sie mich? Weil ich es nicht verstanden habe, so mag es hingehen.

Chrysander. Aber sage mir nur, Damis; nicht wahr, du hast doch einen kleinen Widerwillen gegen Julianen? Wenn das ist, so will ich dich nicht zwingen. Du mußt wissen, daß ich keiner von den Vätern bin – –

Damis. Ist die Heirat schon wieder auf dem Tapete? Wann Sie doch wegen meines Widerwillens unbesorgt sein wollten. Genug, ich heirate sie – –

Chrysander. Das heißt so viel, du wolltest dich meinetwegen zwingen? Das will ich durchaus nicht. Wenn du gleich mein Sohn bist, so bist du doch ein Mensch; und jeder Mensch wird frei geboren; er muß machen können, was er will; und – kurz – ich gebe dir dein Wort wieder zurück.

Damis. Wieder zurück? und vor einigen Stunden konnte ich mich nicht hurtig genug entschließen? Wie soll ich das verstehen?

Chrysander. Das sollst du so verstehen, daß ich es überlegt habe und daß, weil dir Juliane nicht gefällt, sie mir auch nicht ansteht; daß ich ihre wahren Umstände in diesem Briefe wieder gefunden habe und daß – – Du siehst es ja, daß ich den Brief nur jetzt gleich bekommen habe. Ich weiß zwar wahrhaftig nicht, was ich davon denken soll? Die Hand meines Advokaten ist es nicht –

(Damis setzt sich wieder an den Tisch.)

Anton. Nicht? oh! die Leutchen müssen mehr als eine Hand zu schreiben wissen.

Chrysander. Zu geschwind ist es beinahe auch. Kaum sind es acht Tage, daß ich ihm geschrieben habe. Sollte er das Ding in der kurzen Zeit schon haben untersuchen können? Von wem hast du denn den Brief bekommen, Anton?

Anton. Von Lisetten.

Chrysander. Und Lisette?

Anton. Von dem Briefträger, ohne Zweifel.

Chrysander. Aber warum bringt denn der Kerl die Briefe nicht mir selbst?

Anton. Sie werden sich doch in den Händen, wodurch sie gehen, nicht verändern können?

Chrysander. Man weiß nicht – – Gleichwohl aber lassen sich die Gründe, die er anführt, hören. Ich muß also wohl den sichersten Weg nehmen und dir, mein Sohn – –- Aber, ich glaube gar, du hast dich wieder an den Tisch gesetzt und studierst?

Damis. Mein Gott! ich habe zu tun, ich habe sogar viel zu tun.

Chrysander. Drum mit einem Worte, damit ich dich nicht um die Zeit bringe: die Heirat mit Julianen war nichts als ein Gedanke, den du wieder vergessen kannst. Wann ich es recht überlege, so hat doch Valer das größte Recht auf sie.

Damis. Sie betrügen sich, wenn Sie glauben, daß ich nunmehr davon abgehen werde. – Ich habe alles wohl überleget, und ich muß es Ihnen nur mit ganz trocknen Worten sagen, daß eine böse Frau mir helfen soll, meinen Ruhm unsterblich zu machen; oder vielmehr, daß ich eine böse Frau, an die man nicht denken würde, wann sie keinen Gelehrten gehabt hätte, mit mir zugleich unsterblich machen will. Der Charakter eines solchen Eheteufels wird auf den meinigen ein gewisses Licht werfen – –

Chrysander. Nun wohl, wohl; so nimm dir eine böse Frau; nur aber eine mit Gelde, weil an einer solchen die Bosheit noch erträglich ist. Von der Gattung war meine erste selige Frau. Um die zwanzigtausend Taler, die ich mit ihr bekam, hätte ich des bösen Feindes Schwester heiraten wollen – – Du mußt mich nur recht verstehen: ich meine es nicht nach den Worten. – Wann sie aber böse sein soll, deine Frau, was willst du mit Julianen? – – Höre, ich kenne eine alte Witwe, die schon vier Männer ins Grab gezankt hat; sie hat ihr feines Auskommen: ich dächte, das wäre deine Sache; nimm die! Ich habe dir das Maul einmal wäßrig gemacht, ich muß dir also doch etwas darein geben. Wann es einmal eine Xanthippe sein soll, so kannst du keine beßre finden.

Damis. Mit Ihrer Xanthippe! ich habe es Ihnen ja schon mehr als einmal gesagt, daß Xanthippe keine böse Frau gewesen ist. Haben Sie meine Beweisgründe schon wieder vergessen?

Chrysander. Ei was? mein Beweis ist das Abc-Buch. Wer so ein Buch hat schreiben können, das so allgemein geworden ist, der muß es gewiß besser verstanden haben als du. Und kurz, mir liegt daran, daß Xanthippe eine böse Frau gewesen ist. Ich könnte mich nicht zufriedengeben, wenn ich meine erste Frau so oft sollte gelobt haben. Schweig also mit deinen Narrenspossen; ich mag von dir nicht besser unterrichtet sein.

Damis. So wird uns gedankt, wenn wir die Leute aus ihren Irrtümern helfen wollen.

Chrysander. Seit wenn ist denn das Ei klüger als die Henne? he? Herr Doktor, vergeß Er nicht, daß ich Vater bin und daß es auf den Vater ankömmt, wenn der Sohn heiraten soll. Ich will an Julianen nicht mehr gedacht wissen – –

Damis. Und warum nicht?

Chrysander. Soll ich meinem einzigen Sohne ein armes Mädchen aufhängen? Du bist nicht wert, daß ich für dich so besorgt bin. Du weißt ja, daß sie nichts im Vermögen hat.

Damis. Hatte sie vorhin, da ich sie heiraten sollte, mehr als jetzt?

Chrysander. Das verstehst du nicht. Ich wußte wohl, was ich vorhin tat: aber ich weiß auch, was ich jetzt tue.

Damis. Gut, desto besser ist es, wann sie kein Geld hat. Man wird mir also nicht nachreden können, die böse Frau des Geldes wegen genommen zu haben; man wird es zugestehen müssen, daß ich keine andere Absicht gehabt als die, mich in den Tugenden zu üben, die bei Erduldung eines solchen Weibes nötig sind.

Chrysander. Eines solchen Weibes! Wer hat dir denn gesagt, daß Juliane eine böse Frau werden wird?

Damis. Wenn ich nicht, wie wir Gelehrten zu reden pflegen, a priori davon überführt wäre, so würde ich es schon daraus schließen können, weil Sie daran zweifeln.

Chrysander. Fein naseweis, mein Sohn! fein naseweis! Ich habe Julianen auferzogen; sie hat viel Wohltaten bei mir genossen; ich habe ihr alles Gute beigebracht: wer von ihr Übels spricht, der spricht es zugleich von mir. Was? ich sollte nicht ein Frauenzimmer zu ziehen wissen? Ich sollte ein Mädchen, das unter meiner Aufsicht groß geworden ist, nicht so weit gebracht haben, daß es einmal eine rechtschaffne wackre Frau würde? Reich habe ich sie freilich nicht machen können; ich bin der Wohltat selbst noch benötigt. Aber daß ich sie nicht tugendhaft, nicht verständig gemacht hätte, das kann mir nur einer nachreden, der so dumm ist als du, mein Sohn. Nimm mir es nicht übel, daß ich mit der Sprache herausrücke. Du bist so ein eingemachter Narre, so ein Stockfisch – – nimm mir's nicht übel, mein Sohn – – so ein überstudierter Pickelhering – – aber nimm mir's nicht übel – –

Damis (beiseite). Bald sollte ich glauben, daß sein erster Handel mit eingesalznen Fischen gewesen sei. – – Schon gut, Herr Vater; von Julianens Tugend will ich nichts sagen; die Tugend ist oft eine Art von Dummheit. Aber was ihren Verstand anbelangt, von dem werden Sie mir erlauben, daß ich ihn noch immer in Zweifel ziehe. Ich bin nun schon eine ziemliche Zeit wieder hier; ich habe mir auch manchmal die Mühe genommen, ein paar Worte mit ihr zu sprechen: hat sie aber wohl jemals an meine Gelehrsamkeit gedacht? Ich mag nicht gelobt sein; so eitel bin ich nicht; nur muß man den Leuten ihr Recht widerfahren lassen – –

Fünfter Auftritt

Chrysander. Damis. Valer.

Chrysander. Gut, gut, Herr Valer, Sie kommen gleich zur rechten Stunde.

Damis. Was will der unerträgliche Mensch wieder?

Valer. Ich komme, Abschied von Ihnen beiden zu nehmen – –

Chrysander. Abschied? so zeitig? warum denn?

Valer. Ich glaube nicht, daß Sie im Ernste fragen.

Chrysander. Gott weiß es, Herr Valer; in dem allerernstlichstem Ernste. Ich lasse Sie wahrhaftig nicht.

Valer. Um mich noch empfindlicher zu martern? Sie wissen, wie lieb mir die Person allezeit gewesen ist, die Sie mir heute entreißen. Doch das Unglück wäre klein, wenn es mich nur allein träfe. Sie wollen noch dazu diese geliebte Person mit einem verbinden, der sie ebenso sehr haßt, als ich sie verehre? Meine ganze Seele ist voller Verzweiflung, und von nun an werde ich weder hier noch irgendswo in der Welt wieder ruhig werden. Ich gehe, um mich – –

Chrysander. Nicht gehen, Herr Valer, nicht gehen! Dem Übel ist vielleicht noch abzuhelfen.

Valer. Abzuhelfen? Sie beschimpfen mich, wenn Sie glauben, daß ich jemals diesen Streich überwinden werde. Er würde für ein minder zärtliches Herz, als das meinige ist, tödlich sein.

Damis. Was für ein Gewäsche! (Setzt sich an seinen Tisch.)

Valer. Wie glücklich sind Sie, Damis! Lernen Sie wenigstens Ihr Glück erkennen; es ist der geringste Dank, den Sie dem Himmel schuldig sind. Juliane wird die Ihrige – –

Chrysander. Ei, wer sagt denn das? Sie soll noch zeitig genug die Ihrige werden, Herr Valer, nur Geduld!

Valer. Halten Sie inne mit Ihren kalten Verspottungen – –

Chrysander. Verspottungen? Sie müssen mich schlecht kennen. Was ich sage, das sag ich. Ich habe die Sache nun besser überlegt; ich sehe, Juliane schickt sich für meinen Sohn nicht und er sich noch viel weniger für Julianen. Sie lieben sie; Sie haben längst bei mir um sie angehalten; wer am ersten kömmt, der muß am ersten mahlen. Ich habe eben mit meinem Sohne davon geredt – – Sie kennen ihn ja – –

Valer. Himmel, was hör ich? Ist es möglich? welche glückliche Veränderung! Erlauben Sie, daß ich Sie tausendmal umfange. Soll ich also doch noch glücklich sein? O Chrysander! o Damis!

Chrysander. Reden Sie mit ihm und setzen Sie ihm den Kopf ein wenig zurechte. Ich will zu Julianen gehen und ihr meinen veränderten Entschluß hinterbringen. Sie wird mir es doch nicht übelnehmen?

Valer. Übel? Sie werden ihr das Leben wiedergeben, so wie Sie es mir wiedergegeben haben.

Chrysander. Ei, kann ich das? (Geht ab.)

Sechster Auftritt

Damis. Valer. Anton.

Valer. Und in welchem Tone soll ich nun mit Ihnen reden, liebster Freund? Das erneuerte Versprechen Ihres Vaters berechtigte mich, Sie ganz und gar zu übergehen. Ich habe gewonnen, sobald Chrysander Julianen zu zwingen aufhört. Doch wie angenehm soll es mir sein, wann ich ihren Besitz zum Teil auch Ihnen werde verdanken können.

Damis. Anton!

Anton (kömmt). Was soll der? ist Ihnen die Post wieder eingefallen?

Damis. Gleich geh! sie muß notwendig da sein.

Anton. Aber ich sage Ihnen, daß sie bei so übeln Wetter vor zehn Uhr nicht kommen kann.

Damis. Gibst du abermals eine Stunde zu? Kurz, geh! und kömmst du leer wieder, so sieh dich vor!

Anton. Wenn ich diese Nacht nicht sanft schlafe, so glaube ich zeitlebens nicht mehr, daß die Müdigkeit etwas dazu helfen kann. (Gehet ab.)

Siebenter Auftritt

Damis. Valer.

Valer . So? anstatt zu antworten, reden Sie mit dem Bedienten?

Damis. Verzeihen Sie, Valer; Sie haben also mit mir gesprochen? Ich habe den Kopf so voll; es ist mir unmöglich, auf alles zu hören.

Valer. Und Sie wollen sich auch bei mir verstellen? Ich weiß die Zeit noch sehr wohl, da ich in ebendem wunderbaren Wahne stand, es ließe gelehrt, so zerstreut als möglich und auf nichts als auf sein Buch aufmerksam zu tun. Doch glauben Sie nur, der muß sehr einfältig sein, den Sie mit diesen Gaukeleien hintergehen wollen.

Damis. Und Sie müssen noch einfältiger sein, daß Sie glauben können, ein jeder Kopf sei so gedankenleer als der Ihrige. Und verdient denn Ihr Geschwätz, daß ich darauf höre? Sie haben ja gewonnen, sobald Chrysander Julianen zu zwingen aufhört; Sie sind ja berechtiget, mich zu übergehen – –

Valer. Das muß doch eine besondere Art der Zerstreuung sein, in welcher man des andern Reden gleichwohl so genau höret, daß man sie von Wort zu Wort wiederholen kann.

Damis. Ihre Spötterei ist sehr trocken. (Sieht wieder auf sein Buch.)

Valer. Doch aber zu empfinden? – – Was für eine Marter ist es, mit einem Menschen von Ihrer Art zu tun zu haben? Es gibt deren wenige – –

Damis. Das sollte ich selbst glauben.

Valer. Es würden sich aber mehrere finden, wenn selbst – –

Damis. Ganz recht; wenn die wahre Gelehrsamkeit nicht so schwer zu erlangen, die natürliche Fähigkeit dazu gemeiner und ein unermüdeter Fleiß nicht so etwas Beschwerliches wären – –

Valer. Ha! ha! ha!

Damis. Das Lachen eines wahren Idioten!

Valer. Sie reden von Ihrer Gelehrsamkeit, und ich, mit Vergebung, wollte von Ihrer Torheit reden. Hierin, meinte ich, würden Sie mehrere Ihresgleichen finden, wenn selbst diese Torheit ihren Sklaven nicht zur Last werden müßte.

Damis. Verdienen Sie also, daß ich Ihnen antworte? (Sieht wieder in sein Buch.)

Valer. Und verdienen Sie wohl, daß ich noch Freundes genug bin, mit Ihnen ohne Verstellung zu reden? Glauben Sie mir, Sie werden Ihre Torheiten bei mehreren Verstande bereuen – –

Damis. Bei mehreren Verstande? (Spöttisch.)

Valer. Werden Sie darüber ungehalten? Das ist wunderbar! Ihr Körper kann, Ihren Jahren nach, noch nicht ausgewachsen haben, und Sie glauben, daß Ihre Seele gleichwohl schon zu ihrer möglichen Vollkommenheit gelanget sei? Ich würde den für meinen Feind halten, welcher mir den Vorzug, täglich zu mehrerm Verstande zu kommen, streitig machen wollte.

Damis. Sie!

Valer. Sie werden so spöttisch, mein Herr Nebenbuhler – Doch da ist sie selbst! (Läuft ihr entgegen.) Ah, Juliane – –


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