Gotthold Ephraim Lessing
Der junge Gelehrte
Gotthold Ephraim Lessing

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Zwölfter Auftritt

Anton. Damis.

Anton. Da sehen Sie! Nun läuft sie fort, da Sie nach ihrer Pfeife nicht tanzen wollen. –

Damis. Mulier non Homo! bald werde ich auch dieses Paradoxon für wahr halten. Wodurch zeigt man, daß man ein Mensch ist? Durch den Verstand. Wodurch zeigt man, daß man Verstand hat? Wann man die Gelehrten und die Gelehrsamkeit gehörig zu schätzen weiß. Dieses kann kein Weibsbild, und also hat es keinen Verstand, und also ist es kein Mensch. Ja, wahrhaftig ja; in diesem Paradoxo liegt mehr Wahrheit als in zwanzig Lehrbüchern.

Anton. Wie ist mir denn? Ich habe Ihnen doch gesagt, daß Sie Herr Valer gesucht hat? Wollen Sie nicht gehen und ihn sprechen?

Damis. Valer? ich will ihn erwarten. Die Zeiten sind vorbei, da ich ihn hochschätzte. Er hat seit einigen Jahren die Bücher beiseite gelegt; er hat sich das Vorurteil in den Kopf setzen lassen, daß man sich vollends durch den Umgang und durch die Kenntnis der Welt geschickt machen müsse, dem Staate nützliche Dienste zu leisten. Was kann ich mehr tun als ihn bedauern? Doch ja, endlich werde ich mich auch seiner schämen müssen. Ich werde mich schämen müssen, daß ich ihn ehemals meiner Freundschaft wert geschätzt habe. O wie ekel muß man in der Freundschaft sein! Doch was hat geholfen, daß ich es bis auf den höchsten Grad gewesen bin? Umsonst habe ich mich vor der Bekanntschaft aller mittelmäßigen Köpfe gehütet; umsonst habe ich mich bestrebt, nur mit Genies, nur mit originellen Geistern umzugehen: dennoch mußte mich Valer, unter der Larve eines solchen, hintergehen. O Valer! Valer!

Anton. Laut genug, wenn er es hören soll.

Damis. Ich hätte über sein kaltsinniges Kompliment bersten mögen! Von was unterhielt er mich? von nichtswürdigen Kleinigkeiten. Und gleichwohl kam er von Berlin, und gleichwohl hätte er mir die allerangenehmste Neuigkeit zuerst berichten können. O Valer! Valer!

Anton. St! wahrhaftig er kömmt. Sehen Sie, daß er sich nicht dreimal rufen läßt?

Dreizehnter Auftritt

Damis. Valer. Anton.

Valer. Verzeihen Sie, liebster Freund, daß ich Sie in Ihrer gelehrten Ruhe störe – –

Anton. Wenn er doch gleich sagte, Faulheit.

Damis. Stören? Ich sollte glauben, daß Sie mich zu stören kämen? Nein, Valer, ich kenne Sie zu wohl; Sie kommen, mir die angenehmsten Neuigkeiten zu hinterbringen, die der Aufmerksamkeit eines Gelehrten, der seine Belohnung erwartet, würdig sind. – – Einen Stuhl, Anton! – – Setzen Sie sich.

Valer. Sie irren sich, liebster Freund. Ich komme, Ihnen die Unbeständigkeit Ihres Vaters zu klagen; ich komme, eine Erklärung von Ihnen zu verlangen, von welcher mein ganzes Glück abhängen wird. – –

Damis. Oh! ich konnte es Ihnen gleich ansehen, daß Sie vorhin die Gegenwart meines Vaters abhielt, sich mit mir vertraulicher zu besprechen und mir Ihre Freude über die Ehre zu bezeigen, die mir der billige Ausspruch der Akademie – –

Valer. Nein, allzu gelehrter Freund; lassen Sie uns einen Augenblick von etwas minder Gleichgültigem reden.

Damis. Von etwas minder Gleichgültigem? Also ist Ihnen meine Ehre gleichgültig? Falscher Freund! – –

Valer. Ihnen wird diese Benennung zukommen, wann Sie mich länger von dem, was für ein zärtliches Herz das wichtigste ist, abbringen werden. Ist es wahr, daß Sie Julianen heiraten wollen? daß Ihr Vater dieses allzu zärtliche Frauenzimmer durch Bande der Dankbarkeit binden will, in seiner Wahl minder frei zu handeln? Habe ich Ihnen jemals aus meiner Neigung gegen Julianen ein Geheimnis gemacht? Haben Sie mir nicht von jeher versprochen, meiner Liebe behilflich zu sein?

Damis. Sie ereifern sich, Valer; und vergessen, daß ein Weibsbild die Ursache ist. Schlagen Sie sich diese Kleinigkeit aus dem Sinne – Sie müssen in Berlin gewesen sein, da die Akademie den Preis auf dieses Jahr ausgeteilet hat. Die Monaden sind die Aufgabe gewesen. Sollten Sie nicht etwa gehört haben, daß die Devise –

Valer. Wie grausam sind Sie, Damis! So antworten Sie mir doch!

Damis. Und Sie wollen mir nicht antworten? Besinnen Sie sich; sollte nicht die Devise Unum est necessarium sein gekrönt worden? Ich schmeichle mir wenigstens – –

Valer. Bald schmeichle ich mir nun mit nichts mehr, da ich Sie so ausschweifend sehe. Bald werde ich nun auch glauben müssen, daß die Nachricht, die ich für eine Spötterei von Lisetten gehalten habe, gegründet sei. Sie halten Julianen für Ihrer unwert, Sie halten sie für die Schande ihres Geschlechts, und eben deswegen wollen Sie sie heiraten? Was für ein ungeheurer Einfall!

Damis. Ha! ha! ha!

Valer. Ja, lachen Sie nur, Damis, lachen Sie nur! Ich bin ein Tor, daß ich einen Augenblick solchen Unsinn von Ihnen habe glauben können. Sie haben Lisetten zum besten gehabt oder Lisette mich. Nein, nur in ein zerrüttetes Gehirn kann ein solcher Entschluß kommen! Ihn zu verabscheuen braucht man nur vernünftig zu denken und lange nicht edel, wie Sie doch zu denken gewohnt sind. Aber lösen Sie mir, ich bitte Sie, dieses marternde Rätsel!

Damis. Bald werden Sie mich, Valer, auf Ihr Geschwätze aufmerksam gemacht haben. So verlangen Sie doch in der Tat, daß ich meinen Ruhm Ihrer törichten Neigung nachsetzen soll? Meinen Ruhm! – – Doch wahrhaftig, ich will vielmehr glauben, daß Sie scherzen. Sie wollen versuchen, ob ich in meinen Entschließungen auch wankelhaft bin.

Valer. Ich scherzen? der Scherz sei verflucht, der mir hier in den Sinn kommt! – –

Damis. Desto lieber ist mir es, wann Sie endlich ernsthaft reden wollen. Was ich Ihnen sage: die Schrift mit der Devise Unum est necessarium – –

Vierzehnter Auftritt

Chrysander. Damis. Valer. Anton.

Chrysander (mit einem Zeitungsblatte in der Hand). Nun, nicht wahr, Herr Valer? mein Sohn ist nicht von der Heirat abzubringen? Sehen Sie, daß nicht sowohl ich als er auf diese Heirat dringt?

Damis. Ich? ich auf die Heirat dringen?

Chrysander. St! st! st!

Damis. Ei was st, st? Meine Ehre leidet hierunter. Könnte man nicht auf die Gedanken kommen, wer weiß was mir an einer Frau gelegen sei?

Chrysander. St! st! st!

Valer. Oh! brauchen Sie doch keine Umstände. Ich sehe es ja wohl; Sie sind mir beide entgegen. Was für ein Unglück hat mich in dieses Haus führen müssen! Ich muß eine liebenswürdige Person antreffen; ich muß ihr gefallen und muß doch endlich, nach vieler Hoffnung, alle Hoffnung verlieren. Damis, wenn ich jemals einiges Recht auf Ihre Freundschaft gehabt habe – –

Damis. Aber, nicht wahr, Valer? einer Sache wegen muß man auf die Berlinische Akademie recht böse sein? Bedenken Sie doch, sie will künftig die Aufgaben zu dem Preise zwei Jahr vorher bekanntmachen. Warum denn zwei Jahr? war es nicht an einem genug? Hält sie denn die Deutschen für so langsame Köpfe? Seit ihrer Erneuerung habe ich jedes Jahr meine Abhandlung mit eingeschickt; aber, ohne mich zu rühmen, länger als acht Tage habe ich über keine zugebracht.

Chrysander. Wißt ihr denn aber auch, ihr lieben Leute, was in den Niederlanden vorgegangen ist? Ich habe hier eben die neuste Zeitung. Sie haben sich die Köpfe wacker gewaschen. Doch die Alliierten, ich bin in der Tat recht böse auf sie. Haben sie nicht wieder einen wunderbaren Streich gemacht! –

Anton. Nun, da reden alle drei etwas anders! Der spricht von der Liebe; der von seinen Abhandlungen; der vom Kriege. Wenn ich auch etwas Besonders reden soll, so werde ich vom Abendessen reden. Vom Mittage an bis auf den Abend um sechs Uhr zu fasten sind keine Narrenspossen.

Valer. Unglückliche Liebe!

Damis. Die unbesonnene Akademie!

Chrysander. Die dummen Alliierten!

Anton. Die vierte Stimme fehlt noch: die langsamen Bratenwender!

Funfzehnter Auftritt

Lisette. Damis. Valer. Chrysander. Anton.

Lisette. Nun, Herr Chrysander? ich glaubte, Sie hätten die Herren zu Tische rufen wollen? Ich sehe aber, Sie wollen selbst gerufen sein. Es ist schon aufgetragen.

Anton. Das war die höchste Zeit! dem Himmel sei Dank!

Chrysander. Es ist wahr; es ist wahr; ich hätte es bald vergessen. Der Zeitungsmann hielt mich auf der Treppe auf. Kommen Sie, Herr Valer; wir wollen die jetzigen Staatsgeschäfte ein wenig miteinander bei einem Gläschen überlegen. Schlagen Sie sich Julianen aus dem Kopfe. Und du, mein Sohn, du magst mit deiner Braut schwatzen. Du wirst gewiß eine wackre Frau an ihr haben; nicht so eine Xanthippe wie – –

Damis. Xanthippe? wie verstehen Sie das? Sind Sie etwa auch noch in dem pöbelhaften Vorurteile, daß Xanthippe eine böse Frau gewesen sei?

Chrysander. Willst du sie etwa für eine gute halten? Du wirst doch nicht die Xanthippe verteidigen? Pfui! das heißt einen Abc-Schnitzer machen. Ich glaube, ihr Gelehrten, je mehr ihr lernt, je mehr vergeßt ihr.

Damis. Ich behaupte aber, daß man kein einzig tüchtiges Zeugnis für Ihre Meinung anführen kann. Das ist das erste, was die ganze Sache verdächtig macht; und zum andern – –

Lisette. Das ewige Geplaudre!

Chrysander. Lisette hat recht! Mein Sohn, contra principia negantem, non est disputandum. Kommt! Kommt!

(Chrysander, Damis und Anton gehen ab.)

Valer. Nun ist alles für mich verloren, Lisette. Was soll ich anfangen?

Lisette. Ich weiß keinen Rat; wann nicht der Brief – –

Valer. Dieser Betrug wäre zu arg, und Juliane will ihn nicht zugeben.

Lisette. Ei, was Betrug? Wenn der Betrug nützlich ist, so ist er auch erlaubt. Ich sehe es wohl, ich werde es selbst tun müssen. Kommen Sie nur fort, und fassen Sie wieder Mut.


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