Gotthold Ephraim Lessing
Der junge Gelehrte
Gotthold Ephraim Lessing

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Zweiter Aufzug

Erster Auftritt

Lisette. Valer. Juliane.

Lisette (noch innerhalb der Szene). Nur hier herein; Herr Damis ist ausgegangen. Sie können hier schon ein Wörtchen miteinander im Vertrauen reden.

Juliane. Ja, Valer, mein Entschluß ist gefaßt. Ich bin ihm zu viel schuldig; er hat durch seine Wohltaten das größte Recht über mich erhalten. Es koste mir, was es wolle; ich muß die Heirat eingehen, weil es Chrysander verlangt. Oder soll ich etwa die Dankbarkeit der Liebe aufopfern? Sie sind selbst tugendhaft, Valer, und Ihr Umgang hat mich edler denken gelehrt. Mich Ihrer wert zu zeigen, muß ich meine Pflicht, auch mit dem Verluste meines Glückes, erfüllen.

Lisette. Eine wunderbare Moral! wahrhaftig!

Valer. Aber wo bleiben Versprechung, Schwur, Treue? Ist es erlaubt, um eine eingebildete Pflicht zu erfüllen, einer andern, die uns wirklich verbindet, entgegen zu handeln?

Juliane. Ach, Valer, Sie wissen es besser, was zu solchen Versprechungen gehört. Mißbrauchen Sie meine Schwäche nicht. Die Einwilligung meines Vaters war nicht dabei.

Valer. Was für eines Vaters? – –

Juliane. Desjenigen, dem ich für seine Wohltaten diese Benennung schuldig bin. Oder halten Sie es für keine Wohltaten, der Armut und allen ihren unseligen Folgen entrissen zu werden? Ach, Valer, ich würde Ihr Herz nicht besitzen, hätte nicht Chrysanders Sorgfalt mich zur Tugend und Anständigkeit bilden lassen.

Valer. Wohltaten hören auf, Wohltaten zu sein, wenn man sucht, sich für sie bezahlt zu machen. Und was tut Chrysander anders, da er Sie, allzu gewissenhafte Juliane, nur deswegen mit seinem Sohne verbinden will, weil er ein Mittel sieht, Ihnen wieder zu dem größten Teile Ihres väterlichen Vermögens zu verhelfen?

Juliane. Fußen Sie doch auf eine so wunderbare Nachricht nicht. Wer weiß, was Lisette gehört hat?

Lisette. Nichts, als was sich vollkommen mit seiner übrigen Aufführung reimt. Ein Mann, der seine Wohltaten schon ausposaunet, der sie einem jeden auf den Fingern vorzurechnen weiß, sucht etwas mehr als das bloße Gotteslohn. Und wäre es etwa die erste Träne, die Ihnen aus Verdruß, von einem so eigennützig freigebigen Manne abzuhängen, entfahren ist?

Valer. Lisette hat recht! – – Aber ich empfinde es leider; Juliane liebt mich nicht mehr.

Juliane. Sie liebt Sie nicht mehr? Dieser Verdacht fehlte noch, ihren Kummer vollkommen zu machen. Wann Sie wüßten, wieviel es ihr, gegen die Ratschläge der Liebe taub zu sein, koste; wann Sie wüßten, Valer – – ach, die mißtrauischen Mannspersonen!

Valer. Legen Sie die Furcht eines Liebhabers, dessen ganzes Glück auf dem Spiele steht, nicht falsch aus. Sie lieben mich also noch? und wollen sich einem andern überlassen?

Juliane. Ich will? Könnten Sie mich empfindlicher martern? Ich will? – – Sagen Sie: ich muß.

Valer. Sie müssen? – – Noch ist nie ein Herz gezwungen worden als dasjenige, dem es lieb ist, den Zwang zu seiner Entschuldigung machen zu können – –

Juliane. Ihre Vorwürfe sind so fein, so fein! daß ich Sie vor Verdruß verlassen werde.

Valer. Bleiben Sie, Juliane; und sagen Sie mir wenigstens, was ich dabei tun soll?

Juliane. Was ich tue; dem Schicksale nachgeben.

Valer. Ach, lassen Sie das unschuldige Schicksal aus dem Spiele!

Juliane. Das unschuldige? und ich werde also wohl die Schuldige sein? Halten Sie mich nicht länger – –

Lisette. Wann ich mich nun nicht bald dazwischenlege, so werden sie sich vor lauter Liebe zanken. – Was Sie tun sollen, Herr Valer? eine große Frage! Himmel und Hölle rege machen, damit die gute Jungfer nicht muß! Den Vater auf andre Gedanken bringen; den Sohn auf Ihre Seite ziehen. – – Mit dem Sohne zwar hat es gute Wege; den überlassen Sie nur mir. Der gute Damis! Ich bin ohne Zweifel das erste Mädchen, das ihm schmeichelt, und hoffe dadurch auch das erste zu werden, das von ihm geschmeichelt wird. Wahrhaftig; er ist so eitel, und ich bin so geschickt, daß ich mich wohl noch zu seiner Frau an ihm loben wollte, wenn der verzweifelte Vater nicht wäre! – – Sehen Sie, Herr Valer, der Einfall ist von Mamsell Julianen! Erfinden Sie nun eine Schlinge für den Vater – –

Juliane. Was sagst du, Lisette? von mir? O Valer, glauben Sie solch rasendes Zeug nicht! Habe ich dir etwas anders befohlen, als ihm einen schlechten Begriff von mir beizubringen?

Lisette. Ja, recht; einen schlechten von Ihnen – und wenn es möglich wäre, einen desto bessern von mir.

Juliane. Nein, es ist mit euch nicht auszuhalten – –

Valer. Erklären Sie wenigstens, liebste Juliane – –

Juliane. Erklären? und was? Vielleicht, daß ich Ihnen in die Arme rennen will und wann ich auch alle Tugenden beleidigen sollte? daß ich mich mit einer Begierde, mit einem Eifer die Ihrige zu werden bemühen will, die mich in Ihren Augen notwendig einmal verächtlich machen müssen? Nein, Valer – –

Lisette. Hören Sie denn nicht, daß sie uns gern freie Hand lassen will? Sie macht es wie die schöne Aspasia – – oder wie hieß die Prinzessin in dem dicken Romane? Zwei Ritter machten auf sie Anspruch. Schlagt euch miteinander, sagte die schöne Aspasia; wer den andern überwindet, soll mich haben. Gleichwohl aber war sie dem Ritter in der blauen Rüstung günstiger als dem andern – –

Juliane. Ach, die Närrin, mit ihrem blauen Ritter – – (Reißt sich los und geht ab.)

Zweiter Auftritt

Lisette. Valer.

Lisette. Ha! ha! ha!

Valer. Mir ist nicht lächerlich, Lisette.

Lisette. Nicht? Ha! ha! ha!

Valer. Ich glaube, du lachst mich aus.

Lisette. Oh, so lachen Sie mit! Oder ich muß noch einmal darüber lachen, daß Sie nicht lachen wollen. Ha! ha! ha!

Valer. Ich möchte verzweifeln! In der Ungewißheit, ob sie mich noch liebt –

Lisette. Ungewißheit? Sind denn alle Mannspersonen so schwer zu überreden? Werden sie denn alle zu solchen ängstlichen Zweiflern, sobald sie die Liebe ein wenig erhitzt? Lassen Sie Ihre Grillen fahren, Herr Valer, oder ich lache aufs neue. Spannen Sie vielmehr Ihren Verstand an, etwas auszusinnen, um den alten Chrysander – –

Valer. Chrysander traut mir nicht und kann mir nicht trauen. Er kennt meine Neigung zu Julianen. Alle mein Zureden würde umsonst sein; er würde den Eigennutz, die Quelle davon, gar bald entdecken. Und wenn ich auch eine völlige Anwerbung tun wollte; was würde es helfen? Er ist deutsch genug, mir gerade ins Gesicht zu sagen, daß ich seinem Sohne hier nachstehen müsse, welcher wegen der Wohltaten des Vaters das größte Recht auf Julianen habe. – – Was soll ich also anfangen?

Lisette. Mit den wunderlichen Leuten, die nur überall den ebenen Weg gehen wollen! Hören Sie, was mir eingefallen ist. Das Dokument, oder wie der Quark heißt, ist das einzige, was Chrysandern zu dieser Heirat Lust macht, so daß er es schon an seinen Advokaten geschickt hat. Wie wenn man von diesem Advokaten einen Brief unterschieben könnte, in welchem – – in welchem – –

Valer. In welchem er ihm die Gültigkeit des Dokuments verdächtig macht; willst du sagen? Der Einfall ist so unrecht nicht! Aber – wenn ihm nun einmal der Advokate ganz das Gegenteil schreibt, so ist ja unser Betrug am Tage.

Lisette. Was für ein Einwurf! Freilich müssen Sie ihn stimmen. Es ist von jeher gebräuchlich gewesen, daß es sich ein Liebhaber etwas muß kosten lassen.

Valer. Wenn nun aber der Advokat ehrlich ist?

Lisette. Tun Sie doch, als ob Sie seit vier Wochen erst in der Welt wären. Wie die Geschenke so ist der Advokat. Kommen gar keine, so ist der niederträchtigste Betrüger der redlichste Mann. Kommen welche, aber nur kleine, so hält das Gewissen noch so ziemlich das Gleichgewicht. Es steigen alsdenn wohl Versuchungen bei ihm auf; allein die kleinste Betrachtung schlägt sie wieder nieder. Kommen aber nur recht ansehnliche, so ist gar bald der ehrlichste Advokat nicht mehr der ehrlichste. Er legt die Ehrlichkeit mit den geschenkten Goldstücken in den Schatz, wo jene eher zu rosten anfängt als diese. Ich kenne die Herren!

Valer. Dein Urteil ist zu allgemein. Nicht alle Personen von einerlei Stande sind auf einerlei Art gesinnet. Ich kenne verschiedene alte rechtschaffene Sachwalter – –

Lisette. Was wollen Sie mit Ihren alten? Es ist eben, als wenn Sie sagten, die großen runden Aufschläge, die kleinen spitzen Knöpfe, die erschrecklichen Halskrausen, aus welchen man Schiffssegel machen könnte, die viereckigten breiten Schuhe, die tiefen Taschen, kurz, die ganze Tracht, wie sich etwa Ihre Paten an Ehrentagen mögen ausstaffiert haben, wären noch jetzt Mode, weil man noch manchmal hier und da einige gebückte zitternde Männerchen über die Gassen so schleichen sieht. Lassen Sie nur noch die und Ihr paar alte rechtschaffene Advokaten sterben; die Mode und die Redlichkeit werden einen Weg nehmen.

Valer. Man hört doch gleich, wenn das Frauenzimmer am beredtesten ist!

Lisette. Sie meinen etwa, wenn es ans Lästern geht? O wahrhaftig! des bloßen Lästerns wegen habe ich so viel nicht geplaudert. Meine vornehmste Absicht war, Ihnen beizubringen, wieviel überall das Geld tun könne und was für ein vortreffliches Spiel ein Liebhaber in den Händen hat, wenn er gegen alle freigebig ist, gegen die Gebieterin, gegen den Advokaten und – – Dero Dienerin. (Sie macht eine Verbeugung.)

Valer. Verlaß dich auf meine Erkenntlichkeit. Ich verspreche dir eine recht ansehnliche Ausstattung, wenn wir glücklich sind – –

Lisette. Ei, wie fein! Eine Ausstattung? Sie hoffen doch wohl nicht, daß ich übrigbleiben werde?

Valer. Wann du das befürchtest, so verspreche ich dir den Mann darzu. – – Doch komm nur; Juliane wird ohne Zweifel auf uns warten. Wir wollen gemeinschaftlich unsre Sachen weiter überlegen.

Lisette. Gehen Sie nur voran; ich muß noch hier verziehen, um meinem jungen Gelehrten –

Valer. Er wird vielleicht schon unten bei dem Vater sein.

Lisette. Wir müssen uns alleine sprechen. Gehen Sie nur! Sie haben ihn doch wohl noch nicht gesprochen?

Valer. Was wollte ich nicht darum geben, wenn ich es ganz und gar überhoben sein könnte! Seinetwegen würde ich dieses Haus fliehen, ärger als ein Tollhaus, wenn nicht ein angenehmerer Gegenstand – –

Lisette. So gehen Sie doch, und lassen Sie den angenehmern Gegenstand nicht länger auf sich warten.

(Valer geht ab.)


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