Gotthold Ephraim Lessing
Der junge Gelehrte
Gotthold Ephraim Lessing

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Zweiter Auftritt

Damis. Chrysander.

Chrysander. Immer über den verdammten Büchern! Mein Sohn, zuviel ist zuviel. Das Vergnügen ist so nötig als die Arbeit.

Damis. O Herr Vater, das Studieren ist mir Vergnügens genug. Wer neben den Wissenschaften noch andere Ergötzungen sucht, muß die wahre Süßigkeit derselben noch nicht geschmeckt haben.

Chrysander. Das sage nicht! Ich habe in meiner Jugend auch studiert; ich bin bis auf das Mark der Gelehrsamkeit gekommen. Aber daß ich beständig über den Büchern gelegen hätte, das ist nicht wahr. Ich ging spazieren; ich spielte; ich besuchte Gesellschaften; ich machte Bekanntschaft mit Frauenzimmern. Was der Vater in der Jugend getan hat, kann der Sohn auch tun; soll der Sohn auch tun. A bove majori discat arare minor! wie wir Lateiner reden. Besonders das Frauenzimmer laß dir, wie wir Lateiner reden, de meliori empfohlen sein! Das sind Narren, die einen jungen Menschen vor das Frauenzimmer ärger als vor Skorpionen warnen; die es ihm, wie wir Lateiner reden, cautius sanguine viperino zu fliehen befehlen. –

Damis. Cautius sanguine viperino? Ja, das ist noch Latein! Aber wie heißt die ganze Stelle?

Cur timet flavum Tiberim tangere? cur olivum
        Sanguine viperino
Cautius vitat? – –

Oh, ich höre schon, Herr Vater, Sie haben auch nicht aus der Quelle geschöpft! Denn sonst würden Sie wissen, daß Horaz in ebender Ode die Liebe als eine sehr nachteilige Leidenschaft beschreibt, und das Frauenzimmer – –

Chrysander. Horaz! Horaz! Horaz war ein Italiener und meinet das italienische Frauenzimmer. Ja vor dem italienischen warne ich dich auch! das ist gefährlich! Ich habe einen guten Freund, der in seiner Jugend – – Doch still! man muß kein Ärgernis geben. – Das deutsche Frauenzimmer hingegen, o das deutsche! mit dem ist es ganz anders beschaffen. – – Ich würde der Mann nicht geworden sein, der ich doch bin, wenn mich das Frauenzimmer nicht vollends zugestutzt hätte. Ich dächte, man sähe mir's an. Du hast tote Bücher genug gelesen; guck einmal in ein lebendiges!

Damis. Ich erstaune – –

Chrysander. O du wirst noch mehr erstaunen, wenn du erst tiefer hineingehen wirst. Das Frauenzimmer, mußt du wissen, ist für einen jungen Menschen eine neue Welt, wo man so viel anzugaffen, so viel zu bewundern findet – –

Damis. Hören Sie mich doch! Ich erstaune, will ich sagen, Sie eine Sprache führen zu hören, in der wahrhaftig diejenigen Vorschriften nicht ausgedruckt waren, die Sie mir mit auf die hohe Schule gaben.

Chrysander. Quae, qualis, quanta! Jetzt und damals! Tempora mutantur! wie wir Lateiner sagen.

Damis. Tempora mutantur? Ich bitte Sie, legen Sie doch die Vorurteile des Pöbels ab. Die Zeiten ändern sich nicht. Denn lassen Sie uns einmal sehen: was ist die Zeit? – –

Chrysander. Schweig! die Zeit ist ein Ding, das ich mir mit deinem unnützen Geplaudre nicht will verderben lassen. Meine damaligen Vorschriften waren nach dem damaligen Maße deiner Erfahrung und deines Verstandes eingerichtet. Nun aber traue ich dir von beiden so viel zu, daß du Ergötzlichkeiten nicht zu Beschäftigungen machen wirst. Aus diesem Grunde rate ich dir also – –

Damis. Ihre Reden haben einigen Schein der Wahrheit. Allein ich dringe tiefer. Sie werden es gleich sehen. Der Status Controversiä ist – –

Chrysander. Ei, der Status Controversiä mag meinetwegen in Barbara oder in Celarent sein. Ich bin nicht hergekommen mit dir zu disputieren, sondern – –

Damis. Die Kunstwörter des Disputierens zu lernen? Wohl! Sie müssen also wissen, daß weder Barbara noch Celarent den Statum – –

Chrysander. Ich möchte toll werden! Bleib Er mir, Herr Informator, mit den Possen weg, oder – –

Damis. Possen? diese seltsamen Benennungen sind zwar Überbleibsel der scholastischen Philosophie, das ist wahr; aber doch solche Überbleibsel – –

Chrysander. Über die ich die Geduld verlieren werde, wann du mich nicht bald anhörst. Ich komme in der ernsthaftesten Sache von der Welt zu dir, – – denn was ist ernsthafter als heiraten? – – und du – –

Damis. Heiraten? Des Heiratens wegen zu mir? zu mir?

Chrysander. Ha! ha! Macht dich das aufmerksam? Also ausculta et perpende!

Damis. Ausculta et perpende? ausculta et perpende? Ein glücklicher Einfall – –

Chrysander. Oh, ich habe Einfälle –

Damis. Den ich da bekomme!

Chrysander. Du?

Damis. Ja, ich. Wissen Sie, wo sich dieses ausculta et perpende herschreibt? Eben mache ich die Entdeckung; aus dem Homer. O was finde ich nicht alles in meinem Homer?

Chrysander. Du und dein Homer, ihr seid ein paar Narren!

Damis. Ich und Homer? Homer und ich? wir beide? Hi! hi! hi! Gewiß, Herr Vater? O ich danke, ich danke. Ich und Homer! Homer und ich! – Aber hören Sie nur: sooft Homer – er war wirklich kein Narr, so wenig wie ich – sooft er, sag ich, seine Helden den Soldaten zur Tapferkeit ermuntern oder in dem Kriegsrate eine Beratschlagung anheben läßt; sooft ist auch der Anfang ihrer Rede: Höret, was ich vortragen werde, und überlegt es! Zum Exempel in der Odyssee:

    Κέκλυτε δη νυν μεν, Ιθακήσιοι, ότι κεν είπω

Und darauf folgt denn auch oft:

    Ως έφαθ' οι δ' άρα του μάλα μεν κλύον, ηδ' επίθοντο,

das ist: so sprach er, und sie gehorchten dem, was sie gehöret hatten.

Chrysander. Gehorchten sie ihm? Nu, das ist vernünftig! Homer mag doch wohl kein Narr sein. Sieh zu, daß ich von dir auch widerrufen kann. Denn wieder zur Sache: ich kenne, mein Sohn –

Damis. Einen kleinen Augenblick Geduld, Herr Vater. Ich will mich nur hinsetzen und diese Anmerkung aufschreiben.

Chrysander. Aufschreiben? was ist hier aufzuschreiben? Wem liegt daran, ob das Sprüchelchen aus dem Homer oder aus dem Gesangbuche ist?

Damis. Der gelehrten Welt liegt daran; meiner und Homers Ehre lieget daran! Denn ein Halbhundert solche Anmerkungen machen einen Philologen. Und sie ist neu, muß ich Ihnen sagen, sie ist ganz neu.

Chrysander. So schreib sie ein andermal auf.

Damis. Wenn sie mir aber wieder entfiele? Ich würde untröstlich sein. Haben Sie wenigstens die Gütigkeit, mich wieder daran zu erinnern.

Chrysander. Gut, das will ich tun; höre mir nur jetzt zu. Ich kenne, mein Sohn, ein recht allerliebstes Frauenzimmer; und ich weiß, du kennst es auch. Hättest du wohl Lust – –

Damis. Ich soll ein Frauenzimmer, ein liebenswürdiges Frauenzimmer kennen? Oh, Herr Vater, wenn das jemand hörte, was würde er von meiner Gelehrsamkeit denken? – – Ich ein liebenswürdiges Frauenzimmer? – –

Chrysander. Nun wahrhaftig; ich glaube nicht, daß ein Gastwirt so erschrecken kann, wenn man ihm schuld gibt, er kenne den oder jenen Spitzbuben, als du erschrickst, weil du ein Frauenzimmer kennen sollst. Ist denn das ein Schimpf?

Damis. Wenigstens ist es keine Ehre, besonders für einen Gelehrten. Mit wem man umgeht, dessen Sitten nimmt man nach und nach an. Jedes Frauenzimmer ist eitel, hoffärtig, geschwätzig, zänkisch und zeitlebens kindisch, es mag so alt werden, als es will. Jedes Frauenzimmer weiß kaum, daß es eine Seele hat, um die es unendlich mehr besorgt sein sollte als um den Körper. Sich ankleiden, auskleiden und wieder anders ankleiden; vor dem Spiegel sitzen, seinen eignen Reiz bewundern; auf ausgekünstelte Mienen sinnen; mit neugierigen Augen müßig an dem Fenster liegen: unsinnige Romane lesen und aufs höchste zum Zeitvertreibe die Nadel zur Hand nehmen: das sind seine Beschäftigungen; das ist sein Leben. Und Sie glauben, daß ein Gelehrter, ohne Nachteil seines guten Namens, solche närrische Geschöpfe weiter als ihrer äußerlichen Gestalt nach kennen dürfe?

Chrysander. Mensch, Mensch! deine Mutter kehrt sich im Grabe um. Bedenke doch, daß sie auch ein Frauenzimmer war! Bedenke doch, daß die Dinger von Natur nun einmal nicht anders sind! Obschon, wie wir Lateiner zu reden pflegen, nulla regula sine exceptione. Und so eine Exzeption ist sicherlich das Mädchen, das ich jetzt im Kopfe habe und das du kennst. – –

Damis. Nein, nein! ich schwöre es Ihnen zu; unsere Muhmen ausgenommen und Julianen –

Chrysander. Und Julianen? bene! –

Damis. Und ihr Mädchen ausgenommen, kenne ich kein einziges Weibsbild. Ja, der Himmel soll mich strafen, wenn ich mir jemals in den Sinn kommen lasse, mehrere kennenzulernen!

Chrysander. Je nun, auch das! wie du willst! Genug, Julianen, die kennst du.

Damis. Leider!

Chrysander. Und eben Juliane ist es, über die ich deine Gedanken vernehmen möchte. – –

Damis. Über Julianen? meine Gedanken über Julianen? O Herr Vater, wenn Sie noch meine Gedanken über Erinnen oder Korinnen, über Telesillen oder Praxillen verlangten – –

Chrysander. Schocktausend! was sind das für Illen? Den Augenblick schwur er, er kenne kein Frauenzimmer, und nun nennt er ein halb Dutzend Menscher. –

Damis. Menscher? Herr Vater!

Chrysander. Ja, Herr Sohn, Menscher! Die Endung gibt's gewiß nicht? Netrix, Lotrix, Meretrix. –

Damis. Himmel, Menscher! griechische berühmte Dichterinnen Menscher zu nennen! – –

Chrysander. Ja, ja, Dichterinnen! das sind mir eben die rechten. Lotrix, Meretrix, Poetrix – –

Damis. Poetrix? O wehe, meine Ohren! Poetria müßten Sie sagen: oder Poetris –

Chrysander. Is oder ix, Herr Buchstabenkrämer!

Dritter Auftritt

Chrysander. Damis. Lisette.

Lisette. Hurtig herunter in die Wohnstube, Herr Chrysander! Man will Sie sprechen.

Chrysander. Nun, was für ein Narr muß mich jetzo stören? Wer ist es denn?

Lisette. Soll ich alle Narren kennen?

Chrysander. Was sagst du? Du hast ein unglückliches Maul, Lisette. Einen ehrlichen Mann einen Narren zu schimpfen? Denn ein ehrlicher Mann muß es doch sein; was wollte er sonst bei mir?

Lisette. Nu, nu; verzeihen Sie immer meinem Maule den Fehler des Ihrigen.

Chrysander. Den Fehler des meinigen?

Lisette. O gehen Sie doch! der ehrliche Mann wartet.

Chrysander. Laß ihn warten. Habe ich doch den Narren nicht kommen heißen. – – Ich werde gleich wieder da sein, mein Sohn.

Lisette (beiseite). Ich muß doch sehen, ob ich aus dem wunderlichen Einfall meiner Jungfer etwas machen kann.

Vierter Auftritt

Lisette. Damis.

Damis. Nun? geht Lisette nicht mit?

Lisette. Ich bin Ihre gehorsamste Dienerin. Wenn Sie befehlen, so werde ich gehorchen. Aber nur eines möchte ich erst wissen. Sagen Sie mir, um des Himmels willen, wie können Sie beständig so allein sein? Was machen Sie denn den ganzen Tag auf Ihrer Studierstube? Werden Ihnen denn nicht alle Augenblicke zu Stunden?

Damis. Ach, was nutzen die Fragen? Fort! fort!

Lisette. Über den Büchern können Sie doch unmöglich die ganze Zeit liegen. Die Bücher, die toten Gesellschafter! Nein, ich lobe mir das Lebendige; und das ist auch Mamsell Julianens Geschmack. Zwar dann und wann lesen wir auch; einen irrenden Ritter, eine Banise, und so etwas Gutes; aber länger als eine Stunde halten wir es hintereinander nicht aus. Ganze Tage damit zuzubringen wie Sie, hilf Himmel! in den ersten dreien wären wir tot. Und vollends nicht ein Wort dabei zu reden wie Sie; das wäre unsre Hölle. Ein Vorzug des ganzen männlichen Geschlechts kann es nicht sein, weil ich Mannspersonen kenne, die so flüchtig und noch flüchtiger sind als wir. Es müssen nur sehr wenig große Geister diese besondere Gaben besitzen. – –

Damis. Lisette spricht so albern eben nicht. Es ist schade, daß ein so guter Mutterwitz nicht durch die Wissenschaften ausgebessert wird.

Lisette. Sie machen mich schamrot. Bald dürfte ich mich dafür rächen und Ihnen die Lobeserhebungen nacheinander erzählen, die Ihnen von der gestrigen Gartengesellschaft gemacht wurden. Doch ich will Ihre Bescheidenheit nicht beleidigen. Ich weiß, die Gelehrten halten auf diese Tugend allzuviel.

Damis. Meine Lobeserhebungen? meine?

Lisette. Ja, ja, die Ihrigen.

Damis. O besorge Sie nichts, meine liebe Lisette. Ich will sie als die Lobeserhebungen eines andern betrachten, und so kann meine Bescheidenheit zufrieden sein. Erzähle Sie mir sie nur. Bloß wegen Ihrer lebhaften und ungekünstelten Art, sich auszudrücken, wünsche ich sie zu hören.

Lisette. O meine Art ist wohl keine von den besten. Es hat mir ein Lehrmeister wie Sie gefehlt. Doch ich will Ihrem Befehle gehorchen. Sie wissen doch wohl, wer die Herren waren, die gestern bei Ihrem Herrn Vater im Garten schmauseten?

Damis. Nein, wahrhaftig nicht. Weil ich nicht dabeisein wollte, so habe ich mich auch nicht darum bekümmert. Hoffentlich aber werden es Leute gewesen sein, die selbst lobenswürdig sind, daß man sich also auf ihr Lob etwas einbilden kann.

Lisette. Das sind sie so ziemlich. Was würde es Ihnen aber verschlagen, wenn sie es auch nicht wären? Sie wollen ja Ihre Lobeserhebungen aus Bescheidenheit als fremde betrachten. Und hängt denn die Wahrheit von dem Munde desjenigen ab, der sie vorträgt? Hören Sie nur –

Damis. Himmel! ich höre meinen Vater wiederkommen. Um Gottes willen, liebe Lisette, daß er nicht merkt, daß Sie sich so lange bei mir aufgehalten hat. Geh Sie hurtig unterdessen in das Kabinett.


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