Gotthold Ephraim Lessing
Der junge Gelehrte
Gotthold Ephraim Lessing

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Sechster Auftritt

Lisette. Damis

Damis. Und wo blieben wir denn vorhin?

Lisette. Wo blieben wir? bei dem, was ich allezeit am liebsten höre und wovon ich allezeit am liebsten rede, bei Ihrem Lobe. Wenn es nur nicht eine so gar kitzliche Sache wäre, einen ins Gesicht zu loben! – – Ich kann Ihnen unmöglich die Marter antun.

Damis. Aber ich beteure Ihr nochmals, Lisette: es ist mir nicht um mein Lob zu tun! Ich möchte nur gern hören, auf was für verschiedene Art verschiedene Personen einerlei Gegenstand betrachtet haben.

Lisette. Jeder lobte dasjenige an Ihnen, was er an sich Lobenswürdiges zu finden glaubte. Zum Exempel, der kleine dicke Mann mit der ernsthaften Miene, der so selten lacht, der aber, wenn er einmal zu lachen anfängt, mit dem erschütterten Bauche den ganzen Tisch über den Haufen wirft – –

Damis. Und wer ist das? Aus Ihrer Beschreibung, Lisette, kann ich es nicht erraten – O es ist mit den Beschreibungen eine kitzliche Sache! Es gehört nicht wenig dazu, sie so einzurichten, daß man, gleich bei dem ersten Anblicke, das Beschriebene erkennen kann. Über nichts aber muß ich mehr lachen, als wenn ich bei diesem und jenem großen Philosophen, wahrhaftig bei Männern, die schon einer ganzen Sekte ihren Namen gegeben haben, öfters Beschreibungen anstatt Erklärungen antreffe. Das macht, die guten Herren haben mehr Einbildungskraft als Beurteilung. Bei der Erklärung muß der Verstand in das Innere der Dinge eindringen; bei der Beschreibung aber darf man bloß auf die äußerlichen Merkmale, auf das – –

Lisette. Wir kommen von unsrer Sache, Herr Damis. Ihr Lob – –

Damis. Jawohl; fahr Sie nur fort, Lisette. Von wem wollte Sie vorhin reden?

Lisette. Je, sollten Sie denn den kleinen Mann nicht kennen? Er bläset immer die Backen auf –

Damis. Sie meint vielleicht den alten Ratsherrn?

Lisette. Ganz recht, aber seinen Namen –

Damis. Was liegt an dem? – –

Lisette. »Ja, Herr Chrysander«, sagte also der Ratsherr, an dessen Namen nichts gelegen ist, »Ihr Herr Sohn kann einmal der beste Ratsherr von der Welt werden, wenn er sich nur darauf applizieren will. Es gehört ein aufgeweckter Geist dazu; den hat er: eine fixe Zunge; die hat er: eine tiefe Einsicht in die Staatskunst; die hat er: eine Geschicklichkeit, seine Gedanken zierlich auf das Papier zu bringen; die hat er: eine verschlagne Aufmerksamkeit auf die geringsten Bewegungen unruhiger Bürger; die hat er: und wenn er sie nicht hat – o die Übung – die Übung! Ich weiß ja, wie mir es anfangs ging. Freilich kann man die Geschicklichkeit zu einem so schweren Amte nicht gleich mit auf die Welt bringen –

Damis. Der Narr! es ist zwar wahr, daß ich alle diese Geschicklichkeiten besitze; allein mit der Hälfte derselben könnte ich Geheimter Rat werden, und nicht bloß – –

Siebenter Auftritt

Anton. Lisette. Damis.

Damis. Nun, was willst du schon wieder?

Anton. Mamsell Juliane weiß es nun, daß Lisette ausgegangen ist. Fürchten Sie sich nur nicht; sie wird uns nicht überraschen – –

Damis. Wer hieß dich denn wiederkommen?

Anton. Sollte ich wohl meinen Herrn allein lassen? Und dazu, es überfiel mich auf einmal so eine Angst, so eine Bangigkeit; die Ohren fingen mir an zu klingen und besonders das linke – – Lisette! Lisette!

Lisette. Was willst du denn?

Anton (sachte zu Lisetten). Was habt ihr denn beide allein gemacht? Was gilt's, es ging auf meine Unkosten!

Lisette. O pack dich – Ich weiß nicht, was der Narre will.

Damis. Fort, Anton! es ist die höchste Zeit; du mußt wieder auf die Post sehen. Ich weiß auch gar nicht, wo sie so lange bleibt. – – Wird's bald?

Anton. Lisette, komm mit!

Damis. Was soll denn Lisette mit?

Anton. Und was soll sie denn bei Ihnen?

Damis. Unwissender!

Anton. Ja freilich ist es mein Unglück, daß ich es nicht weiß. (Sachte zu Lisetten.) Rede nur wenigstens ein wenig laut, damit ich höre, was unter euch vorgeht – Ich werde horchen – (Gehet ab.)

Achter Auftritt

Lisette. Damis.

Lisette. Lassen Sie uns ein wenig sachte reden. Sie wissen wohl, man ist vor dem Horcher nicht sicher.

Damis. Jawohl; fahr Sie also nur sachte fort.

Lisette. Sie kennen doch wohl des Herrn Chrysanders Beichtvater?

Damis. Beichtvater? soll ich denn alle solche Handwerksgelehrte kennen?

Lisette. Wenigstens schien er Sie sehr wohl zu kennen. »Ein guter Prediger«, fiel er der dicken Rechtsgelehrsamkeit ins Wort, »sollte Herr Damis gewiß auch werden. Eine schöne Statur; eine starke deutliche Stimme; ein gutes Gedächtnis; ein feiner Vortrag; eine anständige Dreistigkeit; ein reifer Verstand, der über seine Meinungen türkenmäßig zu halten weiß: alle diese Eigenschaften glaube ich, in einem ziemlich hohen Grade, bei ihm bemerkt zu haben. Nur um einen Punkt ist mir bange. Ich fürchte, ich fürchte, er ist auch ein wenig von der Freigeisterei angesteckt.« – – »Ei, was Freigeisterei?« schrie der schon halb trunkene Medikus. »Die Freigeister sind brave Leute! Wird er deswegen keinen Kranken kurieren können? Wenn es nach mir geht, so muß er ein Medikus werden. Griechisch kann er, und Griechisch ist die halbe Medizin. (Indem sie allmählich wieder lauter spricht.) Freilich das Herz, das dazu gehört, kann sich niemand geben. Doch das kömmt von sich selbst, wenn man erst eine Weile praktiziert hat.« – – »Nu«, fiel ihm ein alter Kaufmann in die Rede, »so muß es mit den Herrn Medizinern wohl sein wie mit den Scharfrichtern. Wenn die zum ersten Male köpfen, so zittern und beben sie; je öfter sie aber den Versuch wiederholen, desto frischer geht es.« – – Und auf diesen Einfall ward eine ganze Viertelstunde gelacht; in einem fort, in einem fort; sogar das Trinken ward darüber vergessen.

Neunter Auftritt

Lisette. Damis. Anton.

Anton. Herr, die Post wird heute vor neun Uhr nicht kommen. Ich habe gefragt; Sie können sieh darauf verlassen.

Damis. Mußt du uns aber denn schon wieder stören, Idiote?

Anton. Es soll mir recht lieb sein, wann ich Sie nur noch zur rechten Zeit gestört habe.

Damis. Was willst du mit deiner rechten Zeit?

Anton. Ich will mich gegen Lisetten schon deutlicher erklären. Darf ich ihr etwas ins Ohr sagen?

Lisette. Was wirst du mir ins Ohr zu sagen haben?

Anton. Nur ein Wort. (Sachte.) Du denkst, ich habe nicht gehorcht? Sagtest du nicht: du hättest nicht Herz genug dazu? doch wenn du nur erst das Ding eine Weile würdest praktizierst haben – – O ich habe alles gehört – – Kurz, wir sind geschiedne Leute! Du Unverschämte, Garstige – –

Lisette. Sage nur, was du willst?

Damis. Gleich, geh mir wieder aus den Augen! Und komme mir nicht wieder vors Gesicht, bis ich dich rufen werde oder bis du mir Briefe von Berlin bringst! – Ich kann sie kaum erwarten. So macht es die übermäßige Freude! Zwar sollte ich Hoffnung sagen, weil jene nur auf das Gegenwärtige und diese auf das Zukünftige geht. Doch hier ist das Zukünftige schon so gewiß als das Gegenwärtige. Ich brauche die Sprache der Propheten, die ihrer Sachen doch unmöglich so gewiß sein konnten. – – Die ganze Akademie müßte blind sein. – – Nun, was stehst du noch da? Wirst du gehen?

Zehnter Auftritt

Lisette. Damis.

Lisette. Da sehen Sie! so lobten Sie die Leute.

Damis. Ah, wann die Leute nicht besser loben können, so möchten sie es nur gar bleiben lassen. Ich will mich nicht rühmen, aber doch so viel kann ich mir ohne Hochmut zutrauen: ich will meiner Braut die Wahl lassen, ob sie lieber einen Doktor der Gottesgelahrtheit oder der Rechte oder der Arzneikunst zu ihrem Manne haben will. In allen drei Fakultäten habe ich disputiert; in allen dreien habe ich – –

Lisette. Sie sprechen von einer Braut? heiraten Sie denn wirklich?

Damis. Hat Sie denn auch schon davon gehört, Lisette?

Lisette. Kömmt denn wohl ohn' unsereiner irgend in einem Hause eine Heirat zustande? Aber eingebildet hätte ich mir es nimmermehr, daß Sie sich für Julianen entschließen würden! für Julianen!

Damis. Größtenteils tue ich es dem Vater zu Gefallen, der auf die außerordentlichste Weise deswegen in mich dringt. Ich weiß wohl, daß Juliane meiner nicht wert ist. Allein soll ich einer solchen Kleinigkeit wegen, als eine Heirat ist, den Vater vor den Kopf stoßen? Und dazu habe ich sonst einen Einfall, der mir ganz wohl lassen wird.

Lisette. Freilich ist Juliane Ihrer nicht wert; und wenn nur alle Leute die gute Mamsell so kennten als ich – –

Eilfter Auftritt

Anton. Damis. Lisette.

Anton (vor sich). Ich kann die Leute unmöglich so alleine lassen. – – Herr Valer fragt, ob Sie in Ihrer Stube sind? Sind Sie noch da, Herr Damis?

Damis. Sage mir nur, Unwissender, hast du dir es denn heute recht vorgesetzt, mir beschwerlich zu fallen?

Lisette. So lassen Sie ihn nur da, Herr Damis. Er bleibt doch nicht weg –

Anton. Ja, jetzt soll ich dableiben; jetzt, da es schon vielleicht vorbei ist, was ich nicht hören und sehen sollte.

Damis. Was soll denn vorbei sein?

Anton. Das werden Sie wohl wissen.

Lisette (sachte). Jetzt, Anton, hilf mir, Julianen bei deinem Herrn recht schwarz machen. Willst du?

Anton. Ei ja doch! zum Danke vielleicht –

Lisette. So schweig wenigstens. – – Notwendig, Herr Damis, müssen Sie mit Julianen übel fahren. Ich bedaure Sie im voraus. Der ganze Erdboden trägt kein ärgeres Frauenzimmer – –

Anton. Glauben Sie es nicht, Herr Damis; Juliane ist ein recht gut Kind. Sie können mit keiner in der Welt besser fahren. Ich wünsche Ihnen im voraus Glück.

Lisette. Wahrhaftig! du mußt gegen deinen Herrn sehr redlich gesinnt sein, daß du ihm eine so unerträgliche Plage an den Hals schwatzen willst.

Anton. Noch weit redlicher mußt du gegen deine Mamsell sein, daß du ihr einen so guten Ehemann, als Herr Damis werden wird, mißgönnest.

Lisette. Einen guten Ehemann? Nun wahrhaftig, ein guter Ehemann, das ist auch alles, was sie sich wünscht. Ein Mann, der alles gut sein läßt – –

Anton. Ho! ho! alles? Hören Sie, Herr Damis, für was Sie Lisette ansieht? Aus der Ursache möchtest du wohl selbst gern seine Frau sein? Alles? ei! unter das alles, gehört wohl auch – –? du verstehst mich doch?

Damis. Aber im Ernste, Lisette; glaubt Sie wirklich, daß Ihre Jungfer eine recht böse Frau werden wird? Hat sie in der Tat viel schlimme Eigenschaften?

Lisette. Viel? Sie hat sie alle, die man haben kann; auch nicht die ausgenommen, die einander widersprechen.

Damis. Will Sie mir nicht ein Verzeichnis davon geben?

Lisette. Wo soll ich anfangen? – Sie ist albern – –

Damis. Kleinigkeit!

Anton. Und ich sage: Lügen!

Lisette. Sie ist zänkisch – –

Damis. Kleinigkeit!

Anton. Und ich sage: Lügen!

Lisette. Sie ist eitel – –

Damis. Kleinigkeit!

Anton. Lügen! sag ich.

Lisette. Sie ist keine Wirtin – –

Damis. Kleinigkeit!

Anton. Lügen!

Lisette. Sie wird Sie durch übertriebenen Staat, durch beständige Ergötzlichkeiten und Schmausereien, um alle das Ihrige bringen –

Damis. Kleinigkeit!

Anton. Lügen!

Lisette. Sie wird Ihnen die Sorge um eine Herde Kinder auf den Hals laden –

Damis. Kleinigkeit!

Anton. Das tun die besten Weiber am ersten!

Lisette. Aber um Kinder, die aus der rechten Quelle nicht geholt sind.

Damis. Kleinigkeit!

Anton. Und zwar Kleinigkeit nach der Mode!

Lisette. Kleinigkeit? aber was denken Sie denn, Herr Damis?

Damis. Ich denke, daß Juliane nicht arg genug sein kann. Ist sie albern? ich bin desto klüger; ist sie zänkisch? ich bin desto gelassener; ist sie eitel? ich bin desto philosophischer gesinnt; vertut sie? sie wird aufhören, wenn sie nichts mehr hat; ist sie fruchtbar? so mag sie sehen, was sie vermag, wann sie es mit mir um die Wette sein will. Ein jedes mache sich ewig, womit es kann; das Weib durch Kinder, der Mann durch Bücher.

Anton. Aber merken Sie denn nicht, daß Lisette ihre Ursachen haben muß, Julianen so zu verleumden?

Damis. Ach freilich merk ich es. Sie gönnt mich ihr und beschreibt sie mir also vollkommen nach meinem Geschmacke. Sie hat es ohne Zweifel geschlossen, daß ich ihre Mamsell nur eben deswegen, weil sie das unerträglichste Frauenzimmer ist, heiraten will.

Lisette. Nur deswegen? nur deswegen? und das hätte ich geschlossen? Ich müßte Sie für irre im Kopfe gehalten haben. Überlegen Sie doch nur – –

Damis. Das geht zu weit, Lisette! Traut Sie mir keine Überlegung zu? Was ich gesagt habe, ist die Frucht einer nur allzu scharfen Überlegung. Ja, es ist beschlossen: ich will die Zahl der unglücklich scheinenden Gelehrten, die sich mit bösen Weibern vermählt haben, vermehren. Dieser Vorsatz ist nicht von heute.

Anton. Nein, wahrhaftig! – Was aber der Teufel nicht tun kann! Wer hätte es sich jetzt sollen träumen lassen, jetzt da es Ernst werden soll? Ich muß lachen; Lisette wollte ihn von der Heirat abziehen und hat ihm nur mehr dazu beredt; und ich, ich wollte ihn dazu bereden und hätte ihn bald davon abgezogen.

Damis. Einmal soll geheiratet sein. Auf eine recht gute Frau darf ich mir nicht Rechnung machen; also wähle ich mir eine recht schlimme. Eine Frau von der gemeinen Art, die weder kalt noch warm, weder recht gut noch recht schlimm ist, taugt für einen Gelehrten nichts, ganz und gar nichts! Wer wird sich nach seinem Tode um sie bekümmern? Gleichwohl verdient er es doch, daß sein ganzes Haus mit ihm unsterblich bleibe. Kann ich keine Frau haben, die einmal ihren Platz in einer Abhandlung de bonis Eruditorum uxoribus findet, so will ich wenigstens eine haben, mit welcher ein fleißiger Mann seine Sammlung de malis Eruditorum uxoribus vermehren kann. Ja, ja; ich bin es ohnehin meinem Vater, als der einzige Sohn, schuldig, auf die Erhaltung seines Namens mit der äußersten Sorgfalt bedacht zu sein.

Lisette. Kaum kann ich mich von meinem Erstaunen erholen – – Ich habe Sie, Herr Damis, für einen so großen Geist gehalten – –

Damis. Und das nicht mit Unrecht. Doch eben hierdurch glaube ich den stärksten Beweis davon zu geben.

Lisette. Ich möchte platzen! – – Ja, ja, den stärksten Beweis, daß niemand schwerer zu fangen ist als ein junger Gelehrter; nicht sowohl wegen seiner Einsicht und Verschlagenheit als wegen seiner Narrheit.

Damis. Wie, so naseweis, Lisette? Ein junger Gelehrter? – – ein junger Gelehrter? – –

Lisette. Ich will Ihnen die Verweise ersparen. Valer soll gleich von allem Nachricht bekommen. Ich bin Ihre Dienerin.


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