Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Viertes Kapitel.

Was Don Alphonso und Gil Blas nach diesem Abenteuer für einen Entschluß ergriffen.

Wohlhergebrachtermaßen ritten wir die ganze Nacht hindurch, und befanden uns mit grauendem Tage bey einem kleinen Dorfe, zwey Meilen von Segorbien. Da wir uns insgesammt abgemattet fühlten, verließen wir die Heerstraße, und ritten auf einige Weiden zu, die wir unten an einem, zehn oder zwölfhundert Schritte vom Dorfe abgelegenen Hügel gewahrten. Im Dorfe selbst zu bleiben, fanden wir nicht rathsam. Wir bemerkten, daß diese Weiden einen gar anmuthigen Schatten gaben, und daß ein Bach hart an selbigen wegfloß. Dieser Ort behagte uns, und wir beschlossen, hier den ganzen Tag zuzubringen.

Sonach stiegen wir ab, nahmen von unsern Pferden Zaum und Gebiß, damit sie weiden konnten, und lagerten uns ins Gras. Nachdem wir uns hier ein wenig ausgeruht hatten, leerten wir unsern Zwerchsack und Schlauch völlig. Nach diesem guten Frühstücke begannen wir das dem Samuel Simon weggekaperte Geld zu 251 zählen. Es belief sich auf dreytausend Ducaten; so daß wir mit dieser Summe, und bey dem, was wir schon vorhin hatten, uns rühmen konnten, bey ganz guter Casse zu seyn.

Da wir auf neuen Proviant denken mußten, sagten Ambrosio und Don Raphael, nachdem sie ihre Inquisitor- und Escribano's Kleider abgelegt hatten, sie wollten beyde dieß Geschäft über sich nehmen; das Abenteuer zu Xelva habe ihnen erst recht Lust und Liebe zum Dinge gemacht, und sie wollten nach Segorbia, bloß um zu sehen, ob sie dort nicht irgend eine Gelegenheit finden könnten, neue Pfeifen zu schneiden.

Ihr dürft nur hier auf uns warten, setzte Lucinden's Sohn hinzu. Wir werden bald wieder da seyn. Ja auf den Sanct-Nimmerstag, lieber Sennor Don Raphael! rief ich mit lachendem Munde. Wenn Ihr einmahl fort seyd, so scheint es, möchten wir uns sobald wohl nicht wiedersehen.

So was verschnupft, erwiederte Sennor Ambrosio. Doch wir haben einen solchen Verdacht verdient. Man kann's Euch nicht verdenken, daß Ihr uns nach dem zu Valladolid gespielten Stückchen nicht trauet, und Euch einbildet, wir würden uns so wenig Bedenken machen Euch zu verlassen, als damahls unsre Kameraden. Doch hierin irrt Ihr Euch. 252 Unsere Collegen, von denen wir uns damahls skissirten, war Lumpenpack, in deren Gesellschaft wir unmöglich länger ausdauern konnten. Die Gerechtigkeit muß man den Leuten von unserm Metje widerfahren lassen, daß es im bürgerlichen Leben keine Gesellschaft gibt, die weniger aus Interesse zerrissen wird; stimmen wir aber nicht völlig zu einander, so kann bey uns das gute Verständniß so gut aufhören, als bey andern Menschen.

Ich bitte Sie deßhalb, Sennor Gil Blas, fuhr Lamela fort, und auch Sie, Sennor Don Alphonso, ein wenig mehr Zutrauen zu uns zu haben, und Sich wegen unsers Verlangens nach Segorbien zu gehen nicht zu beunruhigen.

Den Floh können wir ihnen gar leicht aus dem Ohre nehmen, sagte Lucinde'ns Sohn: Sie dürfen nur die Casse unter Händen behalten, so haben Sie gewiß wegen unsrer Wiederkunft hinlängliche Bürgschaft. Sie sehen, Sennor Gil Blas, daß ich das Kind gleich beym rechten Nahmen nenne. Auf die Art haben Sie beyde hinlängliches Pfand, und ich sowohl als Ambrosio reisen – das kann ich Ihnen versichern – ohne zu befürchten, daß Sie uns um ein so kostbares Unterpfand prellen möchten. Werden Sie sich nach einem solchen deutlichen Beweise unsrer Redlichkeit noch nicht völlig auf 253 uns verlassen? Völlig, meine Herren, antwortete ich, und nunmehr können Sie thun, was Ihnen gefällt.

Sogleich beluden sie ihre Pferde mit dem Zwerchsack und Schlauch, und verließen mich und den Don Alphonso. Wie sie fort waren, sagte dieser zu mir: Ich muß Ihnen mein Herz öffnen, Sennor Gil Blas. Ich mache mir Vorwürfe, daß ich meine Gefälligkeit so weit getrieben, und mit diesen Schelmen bis hieher gegangen bin. Gestern Abend, wie ich die Pferde bewachte, stellt' ich hierüber die kränkendsten Betrachtungen an. Ich habe erwogen, daß es für einen Mann von Grundsätzen sich nicht ziemt, mit solchen lasterhaften Leuten zu leben, als Raphael und Lamela sind. Und sollte einmahl – und wie bald und leicht kann das nicht geschehen – eine ihrer Betrügereyen so ausfallen, daß wir in die Hände der Gerechtigkeit geriethen, so hätt' ich die Schande mit ihnen gleiche Strafe zu dulden, durch Henkershand mein Leben zu enden. Diese Bilder schweben mir stets vor Augen, und ich gesteh's, ich habe beschlossen, mich auf ewig von ihnen zu trennen, um nicht weiter ein Mitgenosse ihrer schlechten Handlungen zu seyn. Ich glaube, fuhr er fort, Sie werden mein Vorhaben nicht mißbilligen.

Wahrlich nicht! antwortete ich ihm. Ob Sie mich gleich in der beym 254 Samuel Simon aufgeführten Komödie die Rolle des Alguazils haben machen sehen, so dürfen Sie doch nicht glauben, daß dergleichen Stücke mir eben behagten. Ich rufe den Himmel zum Zeugen, daß ich, indem ich diese schöne Rolle spielte, zu mir selbst gesagt habe: Wenn Euch die Justiz jetzt beym Kragen nähme, Herr Gil Blas, wahrlich Ihr verdientet das Trankgeld, das sie Euch geben würde. Ich fühle demnach so wenig Neigung, wie Sie, in so schlechter Gesellschaft zu bleiben. Wenn Sie's für gut befinden, so will ich Sie begleiten. Sobald jene Herren zurückkommen, wollen wir darauf dringen, daß sie theilen, und morgen früh, vielleicht auch noch heut Nacht, von ihnen Abschied nehmen.

So sey es, sagte Alphonso. Wir wollen nach Valenzia, und von da nach Italien, wo wir bey der Republik Venedig werden Dienste nehmen können. Viel besser Soldat seyn, als solch schlechtes und sträfliches Leben führen, wie wir jetzt. Mit dem von der Beute auf uns fallenden Antheile werden wir eine ziemlich gute Figur machen können.

Zwar kommt mich's sauer an, setzte er hinzu, ein so schlecht erworbnes Gut zu gebrauchen, allein die Noth drängt mich dazu, und überdieß bin ich bey Gott und allen Heiligen! Willens, wofern ich nur das geringste Glück im Kriege 255 mache, dem Samuel Simon allen Schaden zu ersetzen.

Ich versicherte dem Liebhaber der schönen Seraphine, daß ich ein Gleiches zu thun gesonnen sey. Wir beschlossen endlich, unsere Spießgesellen morgen noch vor Tagesanbruch zu verlassen. Uns kam nicht die Lust an, ihre Abwesenheit zu benützen, das heißt, uns mit ihrer Casse aus dem Staube zu machen. Das Zutrauen, das sie in uns gesetzt, indem sie uns all' ihre Barschaft anvertrauten, vergönnte uns nicht einmahl einen solchen Gedanken zu fassen; obgleich das Stückchen im Hôtel garni diesen Raub einigermaßen würde entschuldigt haben.

Gegen Abend kamen Ambrosio und Raphael von Segorbia zurück. Sie berichteten uns sogleich, wie ungemein glücklich ihre Reise abgelaufen wäre, und wie sie den Grund zu einer Schelmerey gelegt, die allem Anscheine nach noch einträglicher seyn würde, wie die von gestern Abend. Hierauf wollte uns Lucinde'ns Sohn das Nähere berichten, allein Don Alphonso nahm nunmehr das Wort, und erklärte ihnen auf eine höfliche Art, er fühle, daß er zu ihrer Lebensart nicht geboren sey, und er wäre Willens, sich von ihnen zu trennen.

Ich, meiner Seits, gab ihnen zu erkennen, daß ich denselben Vorsatz gefaßt hätte. Sie 256 thaten ihr Möglichstes, uns zu bereden, daß wir sie ferner bey ihren Expeditionen unterstützen möchten, doch umsonst; wir nahmen den folgenden Morgen, nachdem wir unsre Barschaft zu gleichen Theilen getheilt hatten, von ihnen Abschied, und ritten nach Valenzia.

 


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