Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Drittes Kapitel.

Gil Blas kommt in andere Dienste, beym Gonzalez Pacheco.

Drey Wochen nach dieser Vermählung wollte mich Donna Aurore für die ihr geleisteten Dienste belohnen. Sie gab mir hundert Pistolen, und sagte zu mir: mein lieber Gil Blas, ich will dich nicht aus meinem Hause treiben, vielmehr laß ich Dir die Freyheit, solang' in selbigem zu bleiben, als Du willst; allein ein Oheim meines Mannes, Don Gonzalez Pacheco, wünscht Dich zum Kammerdiener zu haben. Ich habe Dich ihm so vortheilhaft beschrieben, daß er mir versicherte, ich würd' ihm ein großes Vergnügen machen, wenn ich Dich ihm überliesse. Es ist ein ehrlicher alter Degenknopf, wie man zu sagen pflegt, und ein kindguter Mann, bey dem Du Dich vollkommen wohl befinden wirst.

Ich dankte Aurore'n für ihre Gütigkeit, und da sie meiner nicht mehr bedurfte, nahm ich den Posten, der sich darboth, um so lieber an, da ich nicht aus der Familie kam. Sonach ging ich eines Morgens zum Sennor Don Gonzalez, im Nahmen der Neuverehlichten. Er lag noch im Bette, ob es gleich beynahe Mittag war. 36

Als ich in's Zimmer trat, nahm er eine Fleischbrühe zu sich, die ihm ein Page eben gebracht hatte. Sein Knebelbart war aufgewickelt, seine Augen fast ganz erloschen, und sein Gesicht bleich und entfleischt. Er war einer von denen alten Junggesellen, die in ihrer Jugend herzlich locker gelebt, und in höherm Alter die Hörner noch nicht abgerannt haben. Er empfing mich sehr freundlich, und sagte zu mir: wenn ich ihm mit so vielem Eifer dienen wollte, wie seiner Nichte, so könnt' ich drauf fußen, daß er mein Glück machen würde.

Auf diese Versicherung versprach ich, an ihm zu hängen wie an Donna Aurore'n, und von dem Augenblick an behielt er mich in seinen Diensten.

So hatt' ich wieder einen neuen Herrn, und Gott weiß, was für ein Mann es war. Als er aufstand, glaubt' ich den Lazarus aus dem Grabe hervorgehen zu sehen. Man stelle sich einen großen Leichnam vor, so trocken, daß man an ihm – wär' er in naturalibus gewesen – die Knochenlehre gar wohl hätte studiren können. Seine Beine waren so mager, daß sie mir noch Stöcke schienen, nachdem er drey oder vier Paar Strümpfe darüber angezogen hatte. Ueberdem war diese lebendige Mumie engbrüstig und hustete jedes Wort hervor.

Zuerst nahm er seine Schokolade, darauf ließ er sich Papier, Feder und Tinte geben, und 37 schrieb ein Briefchen, das er zusiegelte, und durch den Pagen, der ihm die Fleischbrühe gebracht hatte, wegsandte. Hierauf wendete er sich zu mir: Mein Freund, sagte er, von nun an werd' ich Dich mit meinen Aufträgen beladen, zumahl mit denen, die die Donna Eufrasia betreffen; eine junge Dame, die ich liebe, und von der ich wiederum zärtlich geliebet werde.

Gütiger Gott! sagt' ich bey mir selbst, wer kann's den jungen Leuten verdenken, daß sie geliebt zu werden glauben, da dieser alte Schäker sich einbildet, der Abgott eines Mädchens zu seyn. Gil Blas, fuhr er fort, heute werd' ich Dich zu ihr mit hinnehmen; ich speise beynah' alle Abende dort. Du wirst ein ganz liebenswürdiges Mädchen finden, deren ehrbares, sittsames Wesen Dich bezaubern wird. Anstatt jenen schwindlichen Dirnen zu gleichen, die sich bloß mit jungen Leuten abgeben, und vom Scheine hintergehen lassen, verlangt sie, deren Verstand weit reifer, deren Einsichten weit heller sind, einen Mann von Empfindung, und zieht der schönsten Figur den vor, der zu lieben versteht.

Bey diesem Lobe seiner Geliebten ließ es Sennor Don Gonzalez nicht bewenden, sondern er bemühte sich, zu beweisen: daß sie ein Inbegriff aller Vollkommenheiten sey; allein er hatte einen Zuhörer, der sich dieß schwerlich bereden ließ. Nach all' den Hokuspokusstückchen, 38 die ich von den Komödiantinnen hatte spielen sehen, hielt ich die alten Herren in der Liebe für nicht zu glücklich. Gleichwohl stellt' ich mich aus Gefälligkeit, als ob ich das alles glaubte; ja, ich that noch mehr: ich lobte Eufrasie'ns Geschmack und Gescheidtheit; war sogar unverschämt genug zu behaupten, sie könne keinen liebenswürdigern Galan haben.

Der gute Alte merkte nicht, daß ich ihm mit dem Rauchfaß dicht unter die Nase fuhr, vielmehr fand er an meinen Reden den größten Wohlgefallen. So wahr ist es, daß ein Schmeichler bey den Großen alles wagen kann; sie leihen sogar den übertriebensten Schmeicheleyen das günstigste Ohr.

Nachdem der Alte geschrieben hatte, rupfte er sich mit einem Raufzängelchen einige Haare aus seinem Barte, nachher wusch er sich die Augen, um die klebrige Feuchtigkeit, womit sie angefüllt waren, aus selbigen fortzuschaffen; dann die Ohren, hierauf die Hände, und nachdem all' diese Abwaschungen zu Ende waren, färbte er sich Zwickelbart, Augbraunen und Haare schwarz. Er hielt sich bey seiner Toilette länger auf, als eine reiche alte Witwe, die sich bemüht all' die Lücken auszubessern, welche die Hand der Zeit bey ihr gemacht hat.

Eben war er mit seinem Anzuge fertig geworden, als Graf Asumar, einer seiner Bekannten, in's Zimmer trat. Welch ein 39 Unterschied war zwischen diesen beyden Leuten. Dieser hier versteckte sein weißes Haar nicht, stützte sich auf einen Stab, und schien vielmehr stolz auf sein Alter zu seyn, als daß er einen Versuch hätte machen sollen, sich zu verjüngen. Sennor Pacheco, sagte er beym Eintreten, ich komme, um mich heute bey Ihnen zu Gaste zu bitten. Willkommen Graf! rief ihm mein Herr zu. Zu gleicher Zeit umarmten sie einander, setzten sich, und hoben, bis das Essen aufgetragen wurde, ein Gespräch an.

Zuerst drehte sich das Gespräch um ein vor etlichen Tagen gehaltenes Stiergefecht. Sie sprachen von den Rittern, die in selbigem die meiste Behendigkeit und Stärke bezeigt hatten; wobey der alte Graf, gleich dem Nestor, dem alles Gegenwärtige Anlaß gibt, das Vergangene zu loben, seufzend sagte: Ach! ich sehe jetzt nicht mehr Männer, die sich mit denen aus den vorigen Zeiten messen könnten, noch Turniere, die so prächtig gehalten würden, wie in meiner Jugend.

Ich mußte über das Vorurtheil des guten Grafen Asumar bey mir selbst lachen, der es bey den Turnieren nicht bewenden ließ, sondern, wie ich mich erinnere, unter andern über Tafel, als mit andern Obste auch sehr schöne Pfirschen aufgetragen wurden, die Anmerkung machte: Zu meiner Zeit waren die Pfirschen weit größer, 40 als jetzt. Die Natur wird von Tage zu Tage kraftloser. Auf die Art, sagt' ich lächelnd bey mir selbst, müssen die Pfirschen zu Adams Zeiten ungeheuer groß gewesen seyn.

Der Graf Asumar blieb beynahe bis auf den Abend bey meinem Herrn, der ihn kaum vom Halse hatte, als er ausging, und mir befahl, ihm zu folgen. Wir gingen zu Eufrasie'n, die hundert Schritte von meinem Herrn wohnte. Die Zimmer, die sie inne hatte, waren sehr sauber; und sie sehr galant gekleidet, und hatte eine so jugendliche Miene, daß ich sie für ein sehr junges Mädchen ansahe, ob sie gleich wenigstens ihre Dreyßig richtig gezählt hatte. Sie war nicht eine von jenen Buhlerinnen, die weiter nichts sind als leichtfertig und keck, mit der Zunge sowohl als mit ihren Geberden; ihre Handlungen waren so bescheiden als ihre Reden, und sie sprach so witzig, als nur irgend jemand auf der Welt, ohne daß es schien, als wolle sie Witz auskramen. Ich betrachtete sie mit dem größten Erstaunen.

O Himmel, sagt' ich, ist es möglich, daß eine Person, die so viel Eingezogenheit äussert, ein solches Leben führen kann! Ich bildete mir ein, alle galante Frauenzimmer müßten unverschämt seyn, und erstaunte, ein dem Anscheine nach modestes unter ihnen zu finden, ohne zu bedenken, daß diese Kreaturen die 41 Verstellungskunst verstehen, und sich nach dem Character der Reichen und Vornehmen zu modeln wissen, die ihnen in die Hände fallen. Verlangen diese für ihr Geld Leben, so sind sie munter und muthwillig; Eingezogenheit, so sind sie in Worten und Thaten keusch und ehrbar. Wahre Chamäleons, die nach der Laune und dem Sinne derer, die sich ihnen nähern, die Farbe verändern!

Don Gonzalez war nicht von dem Geschmack jener vornehmen Herren, die dreiste Schönen verlangen. Diese waren ihm unleidlich, und nur ein Mädchen mit einer Vestalinnenmiene konnte ihn reitzen. Auch bewies Eufrasia, die sich darnach richtete, daß nicht alle gute Komödiantinnen sich bey Theatern befinden. Ich ließ meinen Herrn bey seiner Nymphe allein, und begab mich herunter in einen Saal, wo ich eine alte Kammerfrau fand, die ich für die Aufwärterinn einer Komödiantinn erkannte. Sie ihrer Seits erinnerte sich meiner gleichfalls, und wir machten eine Erkennungsscene, die in einem Theaterstück angebracht zu werden verdiente.

Ey sind Sie's, Herr Gil Blas, rief sie, voll des freudigsten Entzückens. Haben Sie also Arsenie'n verlassen, so wie ich Constanzien? Schon lange, antwortete ich. Seit der Zeit bin ich sogar bey einer Standesperson in Diensten gewesen. Das Komödiantenleben 42 wollte mir gar nicht zu Magen. Ich schlich mich von Arsenie'n weg, wie die Katze vom Taubenschlag; ich wollte mich mit ihr nicht lange drüber in's Wort lassen. Daran haben Sie recht gut gethan, antwortete das Mädchen, das Beatrix hieß, ich habs' mit Constanzie'n beynahe eben so gemacht. Eines Morgens legt' ich ihr von meinem Haushalten Rechenschaft ab, sie nahm sie an, ohne mir eine Sylbe zu erwiedern, und so schieden wir ziemlich frostig von einander.

Das freut mich, daß wir uns in einem ehrbarern Hause wiederfinden, sagt' ich. Donna Eufrasie scheint mir von nicht geringer Herkunft zu seyn, und ist, glaub' ich, von einem guten Character. Da irrt' Ihr Euch nicht, antwortete die alte Zofe, sie ist von guter Familie, wie man aus ihrem Betragen sehen kann, und was ihre Gemüthsart anbelangt, o! so kann's kein Frauenzimmer geben, die so sanft, so sich immer gleich wäre. Sie ist nicht eine von den hitzigen und krittlichen Damens, denen kein Mensch was zu Danke macht, die in Einem fort spectakeln, ihre Leute quälen, und bey denen man mit einem Worte, die Höll' auf Erden hat. Ich habe sie noch nicht ein Einzigesmahl brummen hören, so sanftmüthig ist sie. Wenn ich auch einmahl ihr nicht was recht nach dem Kopfe mache, so sagt sie mir's ohne Zorn, und es wird ihr nie einer von den 43 Ehrentiteln entfahren, mit welchen heftige Damen so freygebig sind.

Mein Herr, erwiederte ich, ist gleichfalls sehr sanftmüthig, macht sich mit mir gemein, und hält mich mehr wie seines Gleichen, als wie seinen Diener. Mit Einem Worte, es ist die beste Haut von der Welt, und auf dem Fuße befinden wir uns alle beyde, Sie und ich, weit besser, als bey den Komödianten

O, tausendmahl besser, entgegnete Beatrix. Was für ein tumultuarisches Leben da war! Jetzt leb' ich dafür in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit. Hier kommt weiter keine Mannsperson her, als Sennor Don Gonzalez. Ich werde niemand in meiner Einsamkeit zu sehen bekommen, als Sie, und das wird mir recht lieb seyn. Ich bin Ihnen schon längst gewogen gewesen, und habe Lauren's Glück Sie zum Freunde zu haben, mehr als Einmahl beneidet, doch hoff' ich endlich nicht weniger glücklich zu seyn. Wenn ich gleich nicht so jung und schön bin, so bin ich dagegen eine abgesagte Feindinn der Koketterie, und bin – was die Mannspersonen nicht genug schätzen können – so treu, wie ein Turteltäubchen.

Da die gute Beatrix eine von denen war, die ihre Gunstbezeigungen anbiethen müssen, weil sie sonst niemand darum ersuchen würde, so war ich eben nicht geneigt, ihre Vorschüsse anzunehmen. Gleichwohl wollt' ich es sie nicht merken 44 lassen, daß ich sie verschmähte; deßhalb unterhielt' ich mich mit ihr auf eine so höfliche Art, daß ich ihr nicht alle Hoffnung, mich noch in ihr Garn zu bekommen abschnitt. Ich bildete mir demnach ein, ein altes Kammerkätzchen erobert zu haben, und betrog mich bey der Gelegenheit abermahls. Die Zofe hatte sich nicht bloß meiner gelben Haare willen so gegen mich benommen; sie war Willens, mir Lieb' einzuflößen, um mich in das Interesse ihrer Herrschaft zu ziehen, der sie mit so großem Eifer diente, daß sie viel darnach fragte, was sie auch ihr aufopferte.

Den folgenden Morgen, als ich Eufrasie'n ein Liebesbriefchen von meinem Herrn brachte, lernt' ich meinen Irrthum einsehen. Die Dame empfing mich ungemein gütig, sagte mir tausend Verbindlichkeiten, und die Kammerfrau gab auch ihr Schärflein dazu. Die eine bewunderte mein Gesicht, die andere mein ehrbares und verständiges Wesen. Wenn man ihnen glauben sollte, so besaß Sennor Gonzalez einen wahren Schatz an mir. Mit einem Worte, sie überschütteten mich mit so vielen Lobeserhebungen, daß ich mißtrauisch wurde. Ich errieth, was die Glocke geschlagen hatte; allein ich hörte das alles mit der treuherzigen Miene eines Dummkopfes an, und durch diese Gegenlist betrog ich die Spitzbübinnen, die endlich ihre Maske abnahmen. 45

Höre, Gil Blas, sagte Eufrasie zu mir, es wird nur auf Dich ankommen, Dein Glück zu machen. Laß uns unter einer Decke spielen, mein Freund. Don Gonzalez ist alt, und so schwächlich, daß das geringste Fieber, durch einen guten Doctor unterstützt, ihm ein Garaus machen kann. Laß uns die wenigen Augenblicke seines Lebens zu Rathe halten, und es dahin zu bringen suchen, daß er mir den besten Theil seines Vermögens hinterläßt. Ich will redlich mit Dir theilen. Ich verspreche Dir's, und Du kannst Dich auf dieß Versprechen so gewiß verlassen, als wenn ich Dir's vor allen Notarien Madrid's schriftlich gäbe. Sennora, antwortet' ich, Sie haben über Ihren Diener zu befehlen. Sie dürfen mir nur mein ganzes Verhalten vorschreiben, und Sie sollen mit mir zufrieden seyn.

Nun dann, sagte sie, Du mußt Deinen Herrn auf's genaueste beobachten, und mir von all' seinen Schritten und Tritten Red' und Antwort geben. Wenn Ihr zusammen sprecht, so ermangle nicht, die Unterredung auf das weibliche Geschlecht zu lenken, und alsdann nimm Gelegenheit, ihm viel Gutes von mir zu sagen. Bring' Eufrasie'n so oft auf's Tapet, als nur möglich. Das ist aber noch nicht alles, was ich von Dir verlange, mein Freund. Ich empfehle Dir auch, auf alles aufmerksam zu seyn, was in Pacheco's Familie vorgehet. 46 Wirst Du gewahr, daß einer von Don Gonzalez Anverwandten ihm fleißig seine Aufwartung macht, und seine Hinterlassenschaft auf dem Korn hat, so thue mir's nur unverzüglich kund. Mehr verlang' ich von Dir nicht; ich will den Kaper in Kurzem in Grund gebohrt haben. Ich kenne die verschiedenen Charactere von den Anverwandten Deines Herrn. Ich weiß, was für lächerliche Porträte man von selbigen verfertigen kann, und ich habe ihm bereits all' seine Neffen und Vettern mit gar artigen Farben abgemahlt.

Aus diesen Instructionen, und noch aus einigen andern, die Eufrasia hinzufügte, merkt' ich, daß sie eine von denen war, die sich an großmüthige Greise hängen. Sie hatte vor Kurzem den Don Gonzalez genöthigt, ein Landgut zu verkaufen, wofür sie das Geld einstrich. Sie zog täglich von ihm allerhand ganz artige Galanterien, und überdieß hoffte sie, daß er sie in seinem Testamente nicht vergessen würde.

Ich stellte mich, alles gern thun zu wollen, was man von mir verlangte, und, um die Wahrheit zu gestehen, ich war unterweges zweifelhaft, was ich thun sollte, ob meinen Herrn hintergehen helfen, oder ihn von seiner Liebschaft abzuziehen suchen. Das Letzte schien mir denn der ebenste Weg zu seyn, und ich fühlte mich geneigter, meiner Pflicht gemäß, als ihr zuwider zu handeln. Ueberdieß hatte mir Eufrasia nichts Gewisses versprochen, und 47 das war vielleicht Ursache, daß sie meine Treue nicht bestochen hatte. Ich entschloß mich demnach, dem Don Gonzalez eifrigst zu dienen, und war überzeugt, daß ich, wenn ich glücklich genug wäre, ihn seinem Abgotte zu entreissen, für diese gute Handlung besser würde belohnt werden, als für all' die schlechten, die ich hätte thun können.

Um nun den gewünschten Endzweck zu erreichen, stellt' ich mich, als ob ich mich den Diensten der Donna Eufrasia mit Leib und Seele gewidmet hätte; beredete sie, daß ich unaufhörlich meinem Herrn von ihr vorschwatzte, und heftete ihr allerhand Fabelchen auf, die sie für bares Geld nahm. Auf die Art schmeichelte ich mich so bey ihr ein, daß sie mich gänzlich in ihrem Interesse glaubte. Um ihr noch eine bessere Nase anzudrehen, stellt' ich mich in die Beatrix verliebt, die voller Freude, in ihrem Alter noch einen jungen Menschen in Fesseln zu haben, viel darnach fragte, ob ich sie betrog. wenn ich sie nur rechtschaffen betrog.

Wenn wir beyde, mein Herr und ich, uns bey unsern Prinzessinnen befanden, stellten wir zwey verschiedene Gemählde in einerley Geschmacke vor. Don Gonzalez, dürr und todtenbleich, wie ich ihn gemahlt habe, verdrehte seine Augen, wenn er liebäugeln wollte, so kläglich, wie einer, der den Geist aufgeben will, und meine Infantinn, je schmachtender ich ward, 48 je jugendlich-dahlender that sie, und vergaß nichts von dem Rummel einer alten Kokette. Auch hatte sie wenigstens zwanzig Jahre Schule. Sie war im Dienste einiger von denen Galanterieheldinnen grau und schlau geworden, die noch in ihrem Alter zu gefallen wissen, und beladen mit der Beute von zwey bis drey Generationen in's Grab sinken.

Ich begnügte mich nicht damit, alle Abende mit meinem Herrn zu Eufrasie'n zu gehen, sondern ich begab mich auch zu verschiedenen Zeiten des Tages allein zu ihr, in der Erwartung, einen versteckten jungen Galan zu finden. Ich mochte aber kommen, um welche Stunde ich wollte, so traf ich nie eine Mannsperson an, sogar nicht einmahl eine Weibsperson von zweydeutiger Miene. Keine Spur von Untreue war daselbst zu entdecken.

Hierüber wundert' ich mich nicht wenig, denn ungeachtet Beatrix's Versicherung, ihre Herrschaft nähme keine männliche Besuche an, konnt' ich mir nicht vorstellen, daß eine so niedliche Dame dem Don Gonzalez so sehr Farbe hielte. Auch hatt' ich mich in meiner Meinung nicht betrogen, und die schöne Eufrasia hatte, wie man gleich sehen wird, einen für ihr Alter passenden Liebhaber, um meines Herrn Hinterlassenschaft desto geduldiger erwarten zu können. 49

Eines Morgens bracht' ich der Prinzessinn, wie gewöhnlich, ein Liebesbriefchen. Wie ich in ihrer Stube war, bemerkt' ich die Füße einer hinter der Tapete versteckten Mannsperson. Ich nahm mich sehr in Acht, mich von dieser Wahrnehmung merken zu lassen, und sobald ich meinen Auftrag ausgerichtet hatte, ging ich fort. Ob nun gleich diese Entdeckung mich nicht hätte erstaunen sollen, und ob es gleich nicht auf meine Kappe kam, so ward ich dennoch hierüber sehr aufgebracht.

Ha! treulose, rief ich voller Unwillen, boßhafte Eufrasie! Du bist nicht zufrieden, durch erlogene Liebe einen wackern Greis anzuführen; Du überläßt Dich sogar einem andern, um das Maß Deiner Verrätherey voll zu machen.

Wie albern ich war, wenn ich es recht bedenke, daß ich das Ding von der Seite nahm. Ich hätte vielmehr über dieß Abenteuer lachen, und es als eine Schadloshaltung für das Ekelhafte und Langweilige ansehen sollen, was sie in meines Herrn Umgange fand. Wenigstens würd' ich weit besser gethan haben, hiervon kein Sterbenswörtchen zu sagen, als bey dieser Gelegenheit mich als einen redlichen Diener zeigen zu wollen. Anstatt aber meinen Diensteifer zu mäßigen, nahm ich mich des Interesse vom Gonzalez mit Wärm' an, und stattete ihm von allem, was ich gesehen hatte, treuen Bericht 50 ab. Ich setzte sogar hinzu, daß mich Eufrasie hätte verführen wollen; kurz, ich hielt mit nichts hinter dem Berge, und es lag nur an ihm, wenn er sein Liebchen nicht völlig kennen lernte.

Er that einige Fragen an mich, als ob er meiner Erzählung noch nicht so völlig Glauben beymäße; allein meine Antworten klangen so, daß er selbige zu bezweifeln nicht länger das Vergnügen haben konnte. So kaltes Blut er auch bey jeder Gelegenheit zu haben pflegte, so kam es doch heut ein wenig in Wallung, und seine vor Zorn etwas aufschwellenden Muskeln schienen zu weissagen, daß er die Untreue der Dame nicht würde unbestraft lassen.

Genug, Gil Blas! sagte er zu mir. Mir ist es sehr angenehm: daß Du mir mit solchem Eifer dienest, und Deine Treue gefällt mir über die Maßen. Ich will sogleich zu Eufrasie'n gehen, sie mit Vorwürfen überhäufen, und mit der Undankbaren brechen. Mit diesen Worten ging er fort, und wirklich hin zu ihr; mich nahm er nicht mit, um mir die unangenehme Rolle zu ersparen, die ich während der Erläuterungsscene würde gespielt haben.

Ich erwartete meines Herrn Rückkehr mit größter Ungeduld. Da er so große Ursache hatte, sich über seine Nymphe zu beschweren, so zweifelt' ich nicht, daß er von seinen Banden entweder völlig befreyt zurück kommen 51 würde, oder doch wenigstens des festen Vorsatzes, sie zu brechen.

In dieser Erwartung wünscht' ich mir zu meiner That Glück; stellte mir das Vergnügen vor, welches den rechtmäßigen Erben des Don Gonzalez die Nachricht erwecken würde, daß ihr Anverwandter nicht mehr das Spielding einer Leidenschaft sey, die ihrem Interesse so sehr entgegen war. Ich schmeichelte mir, daß sie mir dieß hoch anrechnen würden, und endlich, daß ich mich von andern Kammerdienern auszeichnen würde, die ihre Herren vielmehr in ihren Ausschweifungen bestärken, als sie aus selbigen ziehen. Der Gedanke, für die Krone aller Bedienten gehalten zu werden, schmeichelte meinem Ehrgeize, und erfüllte mich mit Vergnügen; allein einige Stunden nachher zerstiebten alle diese wonnige Vorstellungen.

Mein Herr kam. Mein Freund, sagte er zu mir, ich habe mit Eufrasie'n eine sehr lebhafte Unterredung gehabt. Ich bin ihr als einer Undankdaren und Treulosen begegnet, habe sie mit Vorwürfen überhäuft. Weißt Du aber wohl, was sie mir zur Antwort gab? ich thäte Unrecht, auf Bedientengeträtsch zu hören. Sie behauptete, Deine ganze Erzählung sey falsch, und Du weiter nichts, als ein Betrieger, von meinen Anverwandten bestochen, derentwegen Du alles hervorsuchtest, um den Samen der Zwietracht unter uns zu säen. Ich 52 sahe sie weinen, und wahrlich! es waren keine Krokodilthränen; sie schwur mir bey allem, was heilig ist, sie habe Dir nie einen Antrag gethan, und sähe nimmermehr eine Mannsperson. Beatrix, die mir ein gutes Mädchen, und nichts weniger als eine Lügnerinn scheint, betheuerte mir eben das, so, daß mein Zorn wider meinen Willen verrauchte.

Wie, gnädiger Herr, unterbrach ich ihn wehmüthig, zweifeln Sie an meiner Redlichkeit, trauen Sie mir . . . . Nein, Kind, fiel er mir ein, ich lasse Dir Gerechtigkeit wiederfahren, glaube nicht, daß Du mit meinen Neffen unter einer Decke liegest, bin völlig überzeugt, daß Dich bloß mein Interesse hierzu angetrieben, und ich weiß Dir dafür vielen Dank. Allein bey alle dem, Kind, Schein betriegt; vielleicht hast Du das nicht wirklich gesehen, was Du zu sehen Dir eingebildet hast, und in dem Falle urtheile, wie höchst empfindlich Deine Beschuldigung der guten Eufrasie seyn muß.

Sey ihm nun, wie ihm wolle, ich kann unmöglich die Donna fahren lassen, ich bin zu sehr an sie gebannt. Ich muß ihr sogar das Opfer bringen, das sie von meiner Liebe heischt; muß Dir den Abschied geben. Es geht mir sehr nahe, lieber Gil Blas, fuhr er fort, und es hielt schwer, ehe sie mich so weit brachte. Es ließ sich aber nicht anders thun. Habe 53 Mitleiden mit meiner Schwachheit, und tröste Dich damit, daß ich Dich nicht unbelohnt von mir lassen werde. Ueberdieß will ich Dich bey einer Dame von meiner Bekanntschaft anbringen, wo Du es sehr gut haben sollst.

Mich kränkte es nicht wenig, zu sehen, daß mein Diensteifer so übel vergolten wurde, und ich das Bad austragen mußte. Ich vermaledeyte Eufrasie'n, und beweinte Don Gonzalez's Schwäche, daß er sich so von ihr lenken ließ. Der gute Greis fühlt' es, daß er nicht die männlichste Handlung beging, indem er mir, bloß seinem Kebsweibe zu gefallen, den Abschied ertheilte; auch gab er mir, um seine Schwachheit einigermaßen wieder gut zu machen, und die Pille zu versilbern, funfzig Ducaten, und führte mich des folgendes Tages zur Marquese de Chaves.

Er sagte zu ihr in meinem Beyseyn: ich wär' ein junger Mensch von den besten Eigenschaften, ihm sehr lieb und werth, und da er mich wegen Familienursachen nicht in seinen Diensten behalten könnte, so ersuchte er sie, mich in die ihrigen zu nehmen. Sie that's auch von Stund' an; so, daß ich mich mit einem Mahle in einem neuen Hause befand. 54

 


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