Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Buch.

Erstes Kapitel.

Geschichte des Don Raphael.

Ich bin der Sohn einer Madridter Komödiantinn, welche die Liebhaberinn auf dem Theater ganz vorzüglich machte, noch vorzüglicher aber außer dem Theater; sie hieß Lucinde. Was einen Vater anlangt, so wär' es Verwägenheit mir einen anzumaßen. Zwar könnt' ich sagen, zu der Zeit, als ich auf die Welt kam, war ein gewisser sehr angesehener Cavalier in meine Mutter verliebt, doch wäre diese Epoche kein hinlänglicher Beweis, daß er der Urheber meines Daseyns war. Ein Weib von der Profession meiner Mutter hält nie Farbe, denn zu der Zeit, da sie am wärmsten an einem Cavaliere zu hängen scheint, gibt sie ihm für sein Geld einen Substituten. 106

Nichts bessers in der Welt, als sich über die Verlästerungen hinwegsetzen! Lucinde, anstatt mich zu Hause im Dunkeln aufzuziehen, nahm mich ohn' allen Hehl und Scheu bey der Hand, und führte mich gar ehrbarlich in's Theater, ohne sich an das Geträtsch zu kehren, das auf ihre Rechnung gehalten wurde, noch an das boßhafte Lächeln, das mein Anblick nothwendig hervorbringen mußte. Kurz, ich war ihr Augapfel, ihr HätschelchenHätschelchen. So wie man in der vertraulichen Sprechart ein Wesen, das man innig liebt, ein Liebchen nennt, so kann man ein solches, das man hätschelt, sehr füglich Hätschelchen nennen. Der Herr Professor Heinaz scheint mir über diesen Ausdruck mit Unrecht zu spotten. Tändelchen hat freylich etwas Widriges, das jenem Worte nicht anklebt. – A. d. Uebers., und wurde von all' den Mannspersonen, die in unser Haus kamen, caressirt. Es schien, als liesse sich in ihnen die Stimme des Bluts für mich hören.

Die ersten zwölf Jahre meines Lebens verläpscht' ich auf tausenderley Art; kaum lehrte man mir lesen und schreiben; an Christenthum wurde noch weniger gedacht. Ich lernte bloß tanzen, singen, und die Guitarre spielen. Darin bestand meine ganze Wissenschaft, als der Marques de Leganez mich zum 107 Gesellschafter seines Sohns verlangte, der in meinem Alter war. Lucinde willigte hierein gar gern, und nunmehr begann ich mich auf ernstere Dinge zu legen.

Der kleine Junker war nicht weiter als ich; erschien zum Studieren nicht geboren. Er wußte beynahe keinen Buchstaben aus seinem ABC, ob er gleich ganzer fünfviertel Jahr einen Informator gehabt; seinen übrigen Lehrmeistern ging es nicht besser; sie konnten nichts in ihn hinein, noch aus ihm heraus bringen. Die Geduld riß ihnen bey dem Schüler aus. Den Weg der Schärfe durften sie gegen ihn nicht einschlagen; sie hatten den ausdrücklichen Befehl, ihm ja nichts einzubläuen; da doch ohne Blut, wie das alte Sprüchwort sagt, nichts in den Kopf geht. Dieß Verboth, und die gänzliche Untüchtigkeit des Knaben zum Studieren war Ursache, daß kein Unterricht bey ihm anschlug.

Der Informator sann einen herrlichen Kniff aus, den Junker in's Bockshorn zu jagen, ohne seines gnäd'gen Papa's Befehl zu überschreiten. Er beschloß, mir in Gegenwart des jungen Leganez die Ruthe zu geben, so oft dieser sie verdiente, und er führte diesen Entschluß aus. Mir stand dieser Kniff gar nicht an, und so lief ich weg, und beklagte mich bey meiner Mutter über diese unverdiente Züchtigungen. So zärtlich sie mich auch liebte, so war sie doch standhaft genug, meinen Thränen zu widerstehen, und da 108 sie erwog, was für eine vorzügliche Ehre es für ihren Sohn sey, sich bey dem Marques de Leganez zu befinden, so ließ sie mich sogleich wieder zurückführen.

So war ich denn von neuem den Klauen des Informators überantwortet! Da er merkte, daß seine Erfindung gute Wirkung gethan hatte, so zergeisselte er mich von frischem statt des Junkers, und um desto größern Eindruck auf ihn zu machen, ging es über meinen Steiß her, hast'u nicht gesehen! Tagtäglich mußt' ich richtig für ihn das Bad austragen, und ich kann wohl sagen, daß jeder Buchstab, den er in seinem A B C lernte, mir wenigstens hundert Ruthenstreiche gekostet hat. Daraus können Sie einen Ueberschlag machen, wie hoch mir seine Grammatik zu stehen gekommen ist.

Die Ruthe war nicht das einzige Niederschlagpulver, das ich in diesem Hause kriegte; da mich jedermann hier kannte, so warfen mir alle Bedienten, groß und klein, sogar die Küchenjungen meine Geburt vor. Dieß verdroß mich so sehr, daß ich mich eines Tages aus dem Staube machte. Ich hatte die ganze Barschaft des Herrn Informator's, die sich wohl auf hundert und funfzig Ducaten belief, heissen mitgehen.

So rächt' ich mich für die unverdient empfangne Rutenstreiche; eine ihn kränkendere Rache glaubt' ich nicht nehmen zu können. Ob dieß 109 gleich mein Probestück war, so macht' ich doch dieß Hokuspokusgriffchen pfiffig genug: und war so schlau, daß ich mich all' denen Nachsuchungen zu entziehen wußte, die man meinetwegen zwey ganze Tage anstellte. Sodann wandert' ich aus Madrid, und nach Toledo zu, ohne jemand auf meinen Fersen sitzen zu sehen.

Ich ging damahls in mein funfzehntes Jahr. Wie herzlich freut man sich nicht in dem Alter, ganz sein eigen zu seyn! Ich machte mit einigen jungen Leuten Bekanntschaft, die mich ein wenig abriffelten, und meine gelben Batzen aufzehren halfen. Hierauf schlug ich mich zu den Rittern von erfindrischem Fleiße, die meine glückliche Anlage so ausbildeten, daß ich in Kurzem das Haupt ihres Ordens wurde.

Nach fünf Jahren wandelte mir Reiselust an; ich verließ meine Collegen, und da ich zuerst durch Extremadura reisen wollte, nahm ich den Weg nach Alcantara. Unterwegs fand ich eine Gelegenheit mit meinem Pfunde zu wuchern, und ich ließ selbige nicht vorbey. Da ich zu Fuß war, und überdieß einen ziemlich schweren Schnappsack zu tragen hatte, so macht' ich von Zeit zu Zeit Halt, und ruhte mich unter dem Schatten der Bäume aus, die nicht weit von der Landstraße ab standen.

Ich stieß auf ein Paar feine junge Leute, die auf dem kühlen Rasen lagen, und mit einander schäkerten. Ich grüßte sie sehr höflich, 110 und mischte mich in ihr Gespräch, was ihnen nicht mißzufallen schien. Der Aelteste war noch nicht funfzehn Jahr, und beyde recht treuherzige Dinger. Gnädiger Herr, sagte der Jüngste, wir sind die Söhne von zwey reichen Bürgern aus Plazencia; wir bekamen gar große Lust, das Königreich Portugal zu besehen; und um unsere Neugier zu befriedigen, nahmen wir jeder hundert Pistolen von unsern Aeltern mit. Ob wir gleich zu Fuße reisen, so denken wir doch mit dem Gelde eine ziemliche Strecke zurückzulegen. Was meinen Sie dazu?

Gott weiß, wo ich hinginge, wenn ich soviel hätte, gab ich zur Antwort. Ich durchstriche alle vier Theile der Welt! Was Teufel! zweyhundert Pistolen. Das ist eine unermeßliche Summe. Die wird nie alle werden. Wenn Sie erlauben, meine Herren, so werd' ich die Ehre haben, Sie bis nach Almerina zu begleiten, wo ich die Erbschaft meines Ohms heben werde, der sich vor ungefähr zwanzig Jahren daselbst niedergelassen.

Die jungen Philister versicherten mir, meine Gesellschaft würde ihnen sehr angenehm seyn. Sonach gingen wir, nachdem wir uns ein wenig ausgeruht hatten, nach Alcantara zu, wo wir noch lange vor Nachtsanbruch eintrafen. Wir logirten uns in ein gutes Wirthshaus. In dem Zimmer, das man uns einräumte, befand sich ein Schrank zum verschließen. Wir bestellten 111 unser Abendbrot, und ich schlug meinen Reisekumpanen vor, derweile das Essen zugerichtet würde, einen Spaziergang durch die Stadt zu machen. Sie waren's zufrieden.

Wir schlossen unsere Schnappsäcke in den Schrank, dessen Schlüssel einer von den Bürgerssöhnen einsteckte, und gingen aus: besahen uns in den Kirchen, und just, wie wir in der vornehmsten waren, stellt' ich mich mit einem Mahle, als wenn ich einen äußerst nöthigen Gang hätte. Meine Herren, sagt' ich zu meinen Gefährten, eben fällt mir ein Auftrag aus Toledo ein, den ich hier bey einem Kaufmann auszurichten habe. Es sind nur ein Paar Worte, und der Mann wohnt dicht bey dieser Kirche. Belieben Sie nur hier etwas zu verweilen, ich bin gleich wieder bey Ihnen. Mit diesen Worten entfernt' ich mich.

Ich renne in's Wirthshaus, fliege nach dem Schrank, sprenge das Schloß, durchwühle die Schnappsäcke der Bürgerssöhne, und finde ihre Pistolen. Nicht Ein Stück ließ ich den armen Jungen, womit sie ihr Nachtlager hätten bezahlen können; sie mußten alle mitgehen. Hierauf macht' ich mich schnell aus der Stadt, und auf den Weg nach Merida, ohne mich weiter um sie zu bekümmern.

Durch diesen Schwank, denn dafür nahm ich's, war ich in den Stand gesetzt, ganz behäglich und in dulci jubilo zu reisen. So jung 112 ich auch war, so fühlt' ich dennoch, daß ich keinen Strudelkopfsstreich machen würde. Denn, ohne Prahlerey gesagt, ich besaß eine ganz gute Dosis Altklugheit. Ich beschloß mir ein Maulthier zu kaufen, was ich auch in dem ersten Flecken that; verwandelte sogar meinen Schnappsack in ein Felleisen, und begann mich ein wenig in's Zeug zu werfen.

Den dritten Tag traf ich auf einen Menschen, der auf öffentlicher Landstraße aus voller Kehle die Vesper sang. Aus seinem Wesen schloß ich, er sey ein Cantor, und sagte zu ihm: Bravo, Herr Baccalaureus, bravo! Das geht ja ganz excellent. Sie haben recht Lust und Liebe zum Dinge, merk' ich. Sennor, antwortete er mir, ich bin Cantor, Ihnen ergebenst aufzuwarten, und halte Kehl' und Lunge gern in beständiger Uebung.

Auf die Art kamen wir in's Gespräch. Ich merkte, daß ich mit einem sehr witzigen und muntern Kumpan zu thun hatte. Er mochte ein Vier- oder Fünfundzwanziger seyn. Da er zu Fuß war, so ließ ich mein Maulthier Schritt gehen, um das Vergnügen zu haben, mich mit ihm zu unterhalten. Unter andern kamen wir auf Toledo. Die Stadt kenn' ich wie 'n Daus, sagte der Cantor zu mir; ich habe mich ziemlich lange dort aufgehalten; habe sogar einige Freunde daselbst. Wo wohnten Sie denn? unterbrach ich ihn. 113

Auf der neuen Straße, antwortete er. Ich logierte bey Don Vincent de Buena Gara, Don Mathias de Cordel, und zwey oder drey andern braven Cavalieren. Wir aßen, zechten zusammen, und vertrieben uns die Zeit auf's beste. Bey diesen Worten stutzt' ich; denn Sie müssen wissen, all' die Edelleute, die er mir da hernannte, waren die listigen Funken, mit denen ich zu Toledo Umgang gepflogen hatte.

Ah! Herr Cantor, schrie ich, die Herren, die Sie da nennen, sind alle meine Bekannten, und ich habe mich auch bey ihnen in der neuen Straße aufgehalten. Ich verstehe, antwortete er lächelnd, das will sagen: Sie sind seit den drey Jahren, daß ich von ihnen bin, in ihre Gesellschaft getreten. Ich habe sie eben verlassen, erwiedert' ich, weil mir die Lust zu reisen angewandelt ist. Ich will ganz Spanien durchkreuzen. Mit mehr Erfahrung hoff' ich mehr ausrichten zu können. Da haben Sie nicht Unrecht, antwortete er, Reisen macht gescheite Leute. Blos darum hab' ich Toledo verlassen, so 'n angenehmes Leben ich auch daselbst hatte. Ich danke dem Himmel, setzte er hinzu, daß er mir einen Ordensgenossen in den Wurf bringt, just, da ich's am wenigsten vermuthete. Wohlan! laßt uns unsre Kräfte vereinigen, und mit einander reisen, Ausfälle auf die Börse unsers Nächsten thun, und keine Gelegenheit 114 vorbeyhuschen, wo wir unsere Geschicklichkeit an Mann bringen können.

Er that mir diesen Vorschlag so treuherzig und mit so guter Art, daß ich ihn annahm. Dadurch, daß er mir sein Zutrauen schenkte, gewann er das meinige. Wir schütteten uns ganz gegen einander aus. Ich erzählte ihm meine Geschichte, und er mir seine Abenteuer ohn' allen Hehl und Scheu. Er berichtete mir, er käme aus Portalegro, wo eine durch ein Ungefähr herausgekommene Betriegerey ihn genöthigt habe, über Hals über Kopf in der Kleidung davon zu flüchten, worin ich ihn sähe. Nachdem er sich mir völlig entdeckt hatte, beschlossen wir zu Merida unser Heil zu versuchen, daselbst, wo möglich, einen tüchtigen Schnitt zu machen, und dann sogleich Reisaus zu nehmen, und wo anders hin zu flüchten.

Von diesem Augenblick an wurden unsere Güter gemeinschaftlich. Zwar befand sich Moralez – so hieß mein Gefährte – eben nicht in den besten Umständen; all' sein Hab und Gut bestand bloß aus fünf bis sechs Ducaten und einigen Siebensachen, die er im Schnappsack trug; war ich aber besser mit barem Gelde versehen, so war er's mit Geldeswerth, mit Pfiffen und Schnellern. Wir ritten wechselsweise mein Maulthier, und so kamen wir zu Merida an. 115

Wir kehrten in der Vorstadt in einem Wirthshause ein, woselbst mein Kamerad aus seinem Quersack ein Kleid hervorzog. Sobald er's angelegt hatte, machten wir einen Gang durch die Stadt, um das Terrän zu studieren, und zu sehen, ob sich nicht ein Stückchen Arbeit für uns vorfände. Wir faßten jeden Gegenstand, der uns vorkam, auf's schärfste in's Auge. Homer würde uns mit zweyen Geyern verglichen haben, deren lüsternes Auge rings in den Thalgefilden nach Beute umhergiert. Kurz, wir lauerten, daß uns das Ungefähr Etwas in die Hände führen sollte, woran wir unsre Pfiffigkeit üben könnten, als wir in einer Gasse einen graulockigen Herrn gewahrten, der sich mit drey Kerlen schlug, die ihn ganz gewaltig in die Enge trieben.

Ein so ungleicher Streit wurmte mich, und da ich von Natur Renomist bin, flog ich dem Alten zu Hülfe. Moralez, um mir zu zeigen, daß ich mich mit keiner Mämme verbunden habe, folgte meinem Beyspiele. Wir fielen auf die drey Gegner des alten Mannes ein, und nöthigten sie das Hasenpanier zu ergreifen.

Nach ihrer Flucht dankte uns der Befreyte auf's herzlichste. Wir freuen uns insgemein, sagte ich, daß wir uns so in der Nähe befanden und Ihnen beystehen konnten; dürften wir aber nicht wissen, wem wir zu dienen das Glück 116 gehabt haben, und warum jene Drey Sie so mörderisch anfielen?

»Ich habe Ihnen zu viele Verbindlichkeiten, als daß ich Ihre Neugier nicht befriedigen sollte. Ich heiße Hieronymo de Moyadas, und lebe hier von meinem Vermögen. Einer von denen Mördern, von welchen Sie mich befreyt, ist ein Liebhaber meiner Tochter. Er hielt bey mir vor einiger Zeit um sie an, und da er meine Einwilligung nicht erhalten konnte, wollt' er sich mit gewaffneter Hand an mir rächen.

Könnte man nicht erfahren, erwiedert' ich, weßhalb Sie diesem Herrn die Hand Ihrer Tochter abschlugen?

Das sollen Sie, sagte er zu mir. Ich hatte hier einen Bruder, Nahmens Augustin, der Kaufmann war. Vor zwey Monathen hielt er sich in Calatrava auf, bey Juan Velez de la Membrilla, seinem Correspondenten. Letzterer war sein Special, und um ihre Freundschaft noch mehr zu befestigen, versprach mein Bruder Florentine'n, meine einzige Tochter, an den Sohn dieses Mannes, in der festen Meinung, daß ich ihn mit seinem Versprechen nicht würde sitzen lassen.

Was denn auch geschahe: er hatte mir kaum bey seiner Zurückkunft davon gesagt, so willigt' ich darein. Er sandte Florentine'ns Bildniß nach Calatrava, hat aber leider! nicht 117 das Vergnügen gehabt, sein angefangenes Werk zu Stande zu bringen; denn er starb vor drey Wochen. Auf dem Sterbbette beschwor er mich noch, meine Tochter ja keinem andern zu geben, als dem Sohne seines Correspondenten.

Ich versprach's ihm, und deshalb hab ich demjenigen, der jetzt mein Mörder werden wollte, meine Tochter abgeschlagen, so äußerst vortheilhaft auch sonst die Parthie war. Ein Biedermann, wissen Sie wohl, muß Wort halten. Ich erwarte jetzt jeden Augenblick den Sohn des Juan Velez de la Membrilla, um ihn zu meinem Eidam zu machen, ob ich ihn gleich so wenig persönlich kenne, wie seinen Vater. Ich bitte um Verzeihung, fuhr Hieronymo de Moyadas fort, wenn ich Ihnen mit meiner Erzählung bin lästig gefallen; Sie haben mich aber dazu aufgefordert.

Ich hörte diese Erzählung aufmerksam an, und da mir bey selbiger ein Schneller eingefallen war, stellt' ich mich ungemein erstaunt, hob die Augen gen Himmel auf, wandte mich hierauf gegen den Alten, und sagte zu ihm im Tone der Rührung: Ah! Sennor Moyadas, ist es möglich, daß ich gleich bey meiner Ankunft in Merida glücklich genug bin, meinem Schwiegervater das Leben zu retten!

Diese Worte setzten den alten Bürger im nicht geringere Verwunderung, als den Moralez. Aus dem ganzen Bezeigen des 118 Letztern merkt' ich, daß er mich für einen ausgemachten Gauner hielt. Was hör' ich! erwiederte der Alte. Sind Sie wirklich der Sohn von meines Bruders Correspondenten? Der bin ich! Sennor Hieronymo von Moyadas, versetzt' ich mit der frechsten Stirn und warf mich an seinen Hals. Ich bin der glückliche Sterbliche, dem die anbethenswürdige Florentine bestimmt ist. Doch eh' ich Ihnen die Freude äußere, die ich empfinde, in Ihre Familie zu kommen, erlauben Sie mir an Ihrem Busen die Thränen zu vergiessen, die das Andenken Ihres Bruders mir von neuem auspreßt. Ich wäre der Undankbarste von allen Menschen, wenn mich nicht der Tod eines Mannes auf's innigste rührte, dem ich das Glück meines Lebens zu danken habe.

Mit diesen Worten umarmt' ich Hieronymo'n, den guten alten Schlag, nochmahls, und fuhr hernach mit der Hand über die Augen, als wenn ich sie abtrocknen wollte. Moralez, der sogleich begriff, was für gute Pfeifen sich hierbey schneiden liessen, ermangelte nicht, mich zu unterstützen. Er wollte für meinen Bedienten gehalten seyn, und begann noch ein größeres Klagelied über den Tod des Sennor Augustin anzustimmen, als ich.

Ah! was haben Sie nicht an Ihrem Herrn Bruder verloren, mein werther Sennor Hieronymo! hob er an. Was das für'n 119 braver Mann war. Der wahre Phönix unter den Kaufleuten! So uninteressirt, so redlich! O solchen Kaufmann gibts auf der weiten Gottes Welt nicht mehr.

Wir hatten mit einem einfältigen und leichtgläubigen Manne zu thun, der weit entfernt unsere Falle zu merken, vielmehr selbst in selbige hineinlief. Aber warum sind Sie nicht grades Wegs zu mir gekommen? sagte er zu mir. Sich in einen Gasthof einzulogiren! Wozu das? In dem Verhältnisse, worin wir stehen, müssen gar keine Umstände gemacht werden. Sennor, sagte Moralez zu ihm, indem er das Wort für mich nahm, mein Herr hält ein wenig auf's Etikette. Das ist nun einmahl sein Fehler. Er wird mir's nicht für ungut halten, daß ich so kein Blatt vor's Maul nehme. So ganz zu verdenken ist es ihm nun wohl freylich nicht, daß er in dem Zustande, worin er sich jetzt befindet, nicht vor Ihnen hat erscheinen wollen.. Wir sind unterwegs bestohlen worden; man hat uns all' unsre Sachen weggenommen.

So ist es leider! Sennor de Moyadas, unterbrach ich die Rede. Dieser unglückliche Zufall hat mich verhindert, gleich bey Ihnen abzutreten. Wie konnt' ich es wagen, in diesem Anzuge einer Geliebten unter die Augen zu treten, die mich noch nie gesehen! Ich wartete auf die Rückkunft eines Bedienten, den ich nach Calatrava geschickt habe. Dieser Zufall, 120 erwiederte der Alte, durfte Sie nicht abhalten, bey wir zu wohnen: und ich bestehe darauf, daß Sie sogleich mit mir kommen.

Mit diesen Worten führte er mich nach Hause. Unterwegs wurde noch von der vorgeblichen Beraubung gesprochen, und ich versicherte, daß mir nichts weher thäte, als daß ich Florentine'n s Bildniß mit meinen übrigen Sachen zugleich eingebüßt hätte. Hum! sagte der Bürger zu mir schmunzelnd: Ueber den Verlust können Sie sich immer zufrieden geben. Das Original ist doch wohl besser, wie die Copie.

Sobald wir in sein Haus getreten waren, rief er seine Tochter, die nicht älter als sechzehn Jahr, und außerordentlich schön war. Das ist das Frauenzimmer, sagte er, die Ihnen mein seliger Bruder versprochen hat. Ah! Sennor! rief ich mit Zärtlichkeit aus, Sie hätten mir nicht sagen dürfen, daß dieß die liebenswürdige Florentine ist. Jeder dieser lieblichen Züge ist meinem Gedächtnisse, noch stärker aber meinem Herzen, eingeprägt. Konnte ihr Bildniß, das ich eingebüßt, und das nur ein schwacher Abriß so vieler Annehmlichkeiten war, mich schon so mächtig in Flamme setzen, so können Sie leicht urtheilen, was jetzt für eine Leidenschaft in meinem Busen kochen muß!

Viel zu schmeichelhaft für mich! antwortete Florentine. Ich bin nicht eitel genug, mir einzubilden, daß ich solche Lobsprüche verdiene. 121 Immer frisch zu complimentirt, Kinderchen! Immer drauf zu! fiel der Alte ein, und zog bey den Worten Moralezen aus dem Zimmer, und bey Seite. Mein Freund, sagte er zu ihm, die Räuber haben Euch alles weggenommen, das Geld vermuthlich auch, denn damit machen sie gemeiniglich den Anfang. Ja wohl, mein Herr, antwortete mein Kamerad. Bey Castil-Blazo fiel eine Menge Straßenräuber über uns her, und liessen uns weiter nichts als die Kleider, die wir auf dem Leibe haben. Wir werden aber, eh noch ein Paar Tage in's Land kommen, Wechsel kriegen, damit wollen wir uns denn in statu quo setzen.

Da habt ihr hundert Pistolen, sagte der Alte, indem er einen Geldbeutel herauszog, braucht die so lange, bis Euer Wechsel angekommen ist. Oh, Sennor, rief Moralez, das nimmt mein Herr ganz gewiß nicht an. Da kennen Sie ihn noch gar nicht. Blitz! bey so was ist er verdammt krittlich. Er machts nicht so wie andere junge Leute von Familie, die pumpen, wo sie nur können. Nein, so jung er auch ist, so hält er doch nichts von Schuldenmachen. Lieber würd' er betteln, als einen Maravedis leihen.

Um so besser, sagte der Bürger; darum bin ich ihm um so guter. Ich kanns nicht leiden, wenn man sich in Schulden steckt. Standespersonen verzeih' ich das; bey denen ist es 122 nun einmahl so Herkommens. Aufdringen will ich deinem Herrn das Geld just nicht, und da ein solches Anerbiethen ihn verdrießlich macht, so hat die Geschichte ein Ende. Mit diesen Worten wollt' er den Beutel wieder einstecken, allein mein Reisekumpan hielt seinen Arm zurück.

Warten Sie, Sennor de Monyadas, sagte er zu ihm, so abscheulich meinem Herrn auch das Borgen ist, so hoff' ich ihm dennoch die hundert Pistolen aufzuschwatzen. 'S kommt nur darauf an, bey was für einem Zipfel man das Ding angreift. Recht beym Lichte besehen, so ist er auch nur dem Borgen bey fremden Leuten gram. Mit seiner Familie macht er so viel Umstände nicht. Von seinem Vater fordert er ganz dreist das Geld, das er braucht. Sie sehen hieraus, daß der junge Herr seine Leute kennt, und die Pflichten gegen Väter zu beobachten weiß, und Sie, Sennor, muß er als einen zweyten Vater ansehen.

Durch dergleichen glatte Reden bemächtigte sich Moralez der Börse des Alten, der wieder zu uns kam, und uns noch in Complimenten verwickelt fand. Er zerriß unsere Unterredung, indem er Florentine'n erzählte, wie viel Verbindlichkeit sie mir hätte; und aus den Worten, die er mit mir wechselte, leuchtete seine Erkenntlichkeit hervor. Eine so günstige Gemüthsstimmung sucht' ich zu nützen, und sagte zu ihm: er könne mir kein innigeres Merkmahl 123 seiner Erkenntlichkeit geben, als wenn er die Hochzeit seiner Tochter beschleunigte.

Er nahm meine Ungeduld sehr gut auf, und versicherte, daß ich höchstens in drey Tagen seiner Tina sollte angetraut seyn. Er setzte sogar noch hinzu: statt der sechstausend Ducaten Mitgift, die er versprochen habe, woll' er mir zehn tausend geben, um mir zu beweisen, wie sehr ihm der geleistete Dienst zu Herzen gegangen sey.

Sonach wurd' ich und Moralez bey dem guten alten ehrlichen Schlage, dem Hieronymo de Moyadas, recht wohl verpflegt, und wir schwebten in der angenehmen Erwartung, sechstausend Ducaten einzustreichen, mit denen wir über Hals über Kopf aus Merida zu flüchten uns vorgenommen hatten. Doch wurde unsre Freude durch eine Besorgniß unterbrochen: wir furchten, der rechte Sohn des Juan Velez de la Membrilla möchte durch seine plötzliche Erscheinung meinem Glück einen Querstrich in den Weg legen, oder vielmehr es gänzlich zernichten. Diese Furcht war nicht ohne Grund. Den folgenden Tag kam ein Stück von einem Bauer mit einem Felleisen auf dem Nacken zu Florentine'ns Vater. Ich befand mich zu der Zeit nicht zugegen, allein mein Kamerad war da. Min leever Heer, sagte der Bauer zu dem Alten, ik hör' tom jongen Heeren ut Calatrava, 124 der Sün Doochterman weeren schall; dem Sennor Pedro de la Membrilla. Wir sün nu jüst alle beede hier ankamen. He werd lik da sün. Ik bin vorangangen, um Jü's to averteeren.

Kaum hatte er dieß gesagt, so erschien sein Herr, was den Alten nicht wenig in Erstaunen setzte, und Moralezen ein wenig aus der Fassung brachte. Der junge Pedro war ein sehr wohlgemachter Junge. Er wandte sich an Florentine'ns Vater, allein der gute Alte ließ ihn nicht ausreden, sondern drehte sich zu meinem Reisegefährten, und fragte ihn, was dieß zu bedeuten habe.

Moralez, der an Unverschämtheit keinem Menschen aus der Welt nachgab, antwortete dem Alten mit der dreistesten Miene: Mein Herr, die beyden Leute, die Sie da sehen, gehören zu der Räuberbande, die uns auf der Landstraße rein ausgeschält hat. Ich kenne sie auf ein Haar, zumahl denjenigen, der so unverschämt ist, sich für einen Sohn des Sennor Juan Velez de la Membrilla auszugeben.

Der alte Bürger glaubte dem schlauen Moralez ohn weiteres Bedenken, und in der festen Ueberzeugung, daß die Neuangekommenen Betrüger wären, sagt' er ihnen: Post festum! ,eine Herren, post festum! Wer zuerst kommt, mahlt zuerst, wissen Sie wohl. Pedro de la Membrilla ist schon seit gestern bey mir. 125 Nehmen Sie Sich mit Ihren Reden in Acht, entgegnete der junge Mann aus Calatrava. Sie werden hintergangen. Sie haben einen Betrüger in Ihrem Hause. Wissen Sie, daß Juan Velez de la Membrilla keinen andern Sohn hat als mich.

Damit kommt Ihr blind bey mir, antwortete der Alte. Ich weiß, wer Ihr seyd. Besinnt Ihr Euch nicht auf den Burschen hier, und erinnert Ihr Euch nicht mehr seines Herrn, die Ihr beyde auf der Straße von Calatrava beraubt habt? Was, beraubt? erwiederte Pedro. Ha! wär' ich nicht in Ihrem Hause, ich schnitte dem Schelm die Ohren ab, der so frech ist, mich einen Räuber zu schelten. Ihrer Gegenwart hat er's zu danken, daß ich meinen Zorn nicht gegen ihn auslasse.

Sennor, fuhr er fort, ich sag' es Ihnen nochmahls, man hintergehet Sie. Ich bin der junge Mann, dem Ihr Bruder Augustin Ihre Tochter versprochen. Soll ich Ihnen alle die Briefe vorweisen, die er wegen dieser Heirath an meinen Vater geschrieben hat? Werden Sie Florentine'ns Porträt glauben, das er mir kurz vor seinem Tode gesandt hat.

Dem Bildnisse so wenig, als den Briefen, antwortete Hieronymo. Ich weiß recht gut, auf was Art beydes in Eure Hände gekommen ist, und gebe Euch den wohlmeinenden christlichen Rath, Euch so schnell als 126 möglich aus Merida zu trollen; sonst möchtet Ihr der Strafe nicht entgehen, die Eures Gleichen verdienen.

Das ist zuviel! unterbrach ihn der junge Herr. So ungeahndet werd' ich mir nicht meinen Nahmen rauben, mich nicht zum Strassenräuber machen lassen. Ich habe hier einige Bekannte in der Stadt; die will ich aufsuchen, hierherführen, und so den Betrüger zu Schanden machen, der Sie gegen mich eingenommen hat.

Hierauf ging er mit seinem Knechte fort, und ließ Moralezen als Sieger zurück. Dieser Vorfall war sogar Ursache, daß Hieronymo von Moyadas beschloß, heut' noch am Tage solle Hochzeit seyn, und er ging sogleich weg, um die dazu erforderlichen Anstalten vorzukehren.

So froh auch mein Kamerad war, Florentine'ns Vater in einer für uns so günstigen Gemüthsstimmung zu sehen, so hatte er dennoch einen Floh in's Ohr gekriegt, der ihm gewaltig darin juckte. Ihm war für die Folgen des Schritts bange, den Pedro zu thun gewiß nicht unterlassen würde, und er erwartete mich deßhalb mit Ungeduld, um mich von dem, was vorgefallen war, zu unterrichten.

Ich fand ihn in tiefes Nachdenken versenkt. Was gibt's, mein Freund? sagt' ich. Warum so kopfhängerisch? Wahrlich! nicht Traums 127 halber, antwortete er mir, und erzählte mir sogleich den ganzen Verlauf. Du siehst nunmehr, fuhr er fort, ob ich ohne Noth Kalender mache. Hast uns in eine schöne Patsche gebracht, Du Wagehals Du. Freylich dein Anschlag war ganz vortrefflich; und wär's gut damit abgelaufen, so würdest Du großen Ruhm davon getragen haben, so aber wird allem Anscheine nach das Ding ein gar klatriges Ende nehmen. Daher dächt' ich, wir machten uns mit der Fettfeder, die wir dem guten Alten ausgerupft haben, immer auf und davon, eh's zur Sprache kommt. Der Faden führt, wie man sagt, zum Knaul.

Hm! Herr Moralez, versetzt' ich, ihr laßt die Flügel bald sinken, wenn euch nur ein Bißchen rauher Wind unter die Nase weht. Ihr macht dem Don Mathias de Cordel, und den andern Cavalieren, mit denen Ihr in Toledo umgegangen seyd, wenig Ehre. Wer unter so großen Meistern die Lehrjahre gestanden, muß sich nicht so leicht in's Bockshorn jagen lassen. Ich meines Orts will in die Fußstapfen dieser Helden treten, und mich als ihren würdigen Zögling zeigen; mich dem von Dir so gefürchteten Hinderniß entgegen stellen, in der festen Zuversicht, es aus dem Wege zu räumen. Gelingt Dir das, sagte mein Gefährte, so setz' ich Dich über all' die großen Männer im Plutarch. 128

Eben hatte Moralez dieß gesagt, als Hieronymo von Moyadas hereintrat. Ich habe alle Anstalten zu ihrer Verbindung getroffen, sagte er. Heute Abend werden sie mein Tochtermann. Ihr Bedienter, fuhr er fort, wird Ihnen wohl gesagt haben, was sich in Ihrer Abwesenheit zugetragen hat. Was sagen Sie zu der Unverschämtheit des Spitzbuben, der mich überreden wollte, er wäre der Sohn vom Correspondenten meines Bruders? Moralez war nicht wenig verlegen, wie ich mich aus der schlimmen Lage herausziehen würde; und sein Erstaunen war nicht gering, als er mich reden hörte.

Mit einem traurigen Blick auf Moyadas antwortete ich ihm mit offenherziger Miene: Sennor, es käme nur auf mich an, Sie in Ihrem Irrthume zu unterhalten, und selbigen zu nützen; ich fühle aber, daß ich zur Behauptung einer Lüge nicht geboren bin. Ich muß Ihnen ein offenherziges Bekenntniß ablegen. Ich bin nicht der Sohn des Juan Velez de la Membrilla. Was hör' ich? fiel mir der Alte so schnell als erstaunt in die Rede. Wie, sind Sie nicht der junge Mann, dem mein Bruder . . .

Ich bitte, Sennor, unterbrach ich ihn, belieben Sie die treue und aufrichtige Erzählung, die ich eben begonnen habe, ganz anzuhören. Seit acht Tagen lieb' ich Ihre Tochter; sie ist es, 129 die mich in Merida gefesselt hält. Gestern, nachdem ich Ihnen zu Hülfe gekommen war, stand ich eben im Begriff, um sie anzuhalten, als Sie mir durch die Entdeckung, daß sie einem andern bestimmt sey, den Mund schlossen. Sie sagten mir, ihr sterbender Bruder habe Sie beschworen, die herrliche Tina an Pedro de la Menbrilla zu geben, Sie hätten sie ihm versprochen, und als Biedermann müßten Sie Wort halten. Diese Rede, ich gesteh' es, erschütterte mich ganz gewaltig, und meine zur Verzweiflung gebrachte Liebe gab mir die List ein, deren ich mich bedient. Gleichwohl muß ich bekennen: daß ich mir hierüber öfter Vorwürfe gemacht habe; ich glaubte aber, Sie würden mir verzeihen, wenn ich Ihnen diesen Betrug entdeckte, und wenn Sie erführen, daß ich ein incognito reisender Italiänischer Prinz bin. Mein Vater ist unumschränkter Beherrscher von gewissen Thälern, die zwischen der Schweiz, Mailand und Savoyen liegen. Ich bildete mir sogar ein, Sie in ein angenehmes Erstaunen zu versetzen, und machte mir ein vorzügliches Vergnügen daraus, dieß Florentinen nach unsrer Verbindung zu eröffnen.

Doch, der Himmel, fuhr ich mit niedergeschlagnem Tone fort, hat mir ein so großes Maß von Freuden nicht gewähren wollen. Pedro de la Menbrilla erscheint. Ich muß ihm seinen Nahmen wieder erstatten, so hart mir dieß 130 auch ankommt. Sie sind durch Ihr Wort gebunden, ihn zum Eidam anzunehmen. Beschweren darf ich mich hierüber nicht, ich darf weiter nichts als seufzen. Sie müssen ihn mir vorziehen, ohne auf meinen Rang Rücksicht nehmen zu dürfen, ohne sich um die endlosen Qualen zu bekümmern, worein Sie mich stürzen. Ich will Ihnen nicht vorstellen, daß Ihr Bruder nur Oheim war, Sie aber der Vater von Tina'n sind, und daß es billiger sey, sich Ihrer Verbindlichkeit gegen mich zu entledigen, als so streng-gewissenhaft ein Versprechen halten zu wollen, wodurch Sie nur schwach gebunden sind.

Nichts billiger denn das! rief Hieronymus de Moyada, freylich! freylich! Auch werd' ich zwischen Ihnen und Pedro de la Menbrilla nicht lange wählen. Lebte mein Bruder Augustin noch, so würd' er mir's gar nicht übel nehmen, daß ich einem Manne, der mir das Leben gerettet hat, ja was noch mehr, der ein Prinz ist, der sich so weit herabzulassen geruht, und sich mit mir verschwägern will, den Vorzug gebe. Ich müßte ja meinem eignen Glücke feind seyn, nicht einen Funken Verstand mehr haben, wenn ich Ihnen nicht meine Tochter gäbe, und eine für sie so vortheilhafte Verbindung beschleunigte.

Nicht so rasch, Sennor! erwiederte ich. Fein reiflich alles überlegt, bloß Ihr Interesse zu Rathe gezogen! und ungeachtet meiner edlen 131 Geburt . . . . Sie belieben zu spassen, unterbrach er mich. Ich mich noch lange bedenken? Mit nichten! Ich ersuche vielmehr Ihro Hoheiten, daß Sie die glückliche Tina mit Dero Hand zu beehren geruhen wollen. Nun dann, so sey's! entgegnete ich. Bringen Sie ihr selbst diese Nachricht, und unterrichten Sie sie von ihrem Glück.

Indeß der gute Alte zu seiner Tochter hinrannte, um ihr zu sagen, daß sie einen Prinzen erobert habe, fiel Moralez, der die ganze Unterredung mit angehört hatte, nieder auf die Kniee, und sagte zu mir, Mein Herr Italiänischer Prinz, Sohn des unumschränkten Beherrschers der Thäler, die zwischen der Schweiz, Mailand und Savoyen liegen, erlauben Sie, daß ich mich Ihrer Hoheit zu Füssen werfe, um Ihnen zu versichern, daß ich mich ganz ausnehmend über Sie freue. So wahr ich ein ehrlicher Spitzbube bin, ich halte Sie für einen Erztausendkünstler. Ich dachte nur allein zu wissen, wo die Zäume hingen, ich seh' aber nun wohl, daß ich die Segel vor Ihnen streichen muß, so 'n Guckindiewelt Sie auch gegen mich sind. Jetzt ist Dir also nicht mehr bange? sagt' ich zu ihm. Behüte und bewahre! antwortete er. Nun mach' ich mir viel mehr aus dem Sennor Pedro. Jetzt mag er kommen, wenn's ihm beliebt. 132

Wir glaubten nunmehr beyderseits ganz fest in den Steigbügeln zu sitzen, begannen bereits uns über den Weg zu besprechen, den wir mit der Mitgift nehmen wollten, auf welche wir so zuverläßig rechneten, als wenn wir sie schon eingestrichen hätten. Doch war da noch weit gefehlt, und das Abenteuer schlug ganz wider unser Erwarten aus.

Wir sahen den jungen Calatraver bald wieder zurückkommen, er hatte zwey Bürger und einen Alguazil bey sich, der wegen seines Knebelbarts und wegen seines schwarzbraunen Gesichts so ehrwürdig war, als wegen seines Amts. Florentine'ns Vater befand sich wieder bey uns. Sennor de Moyadas, sagte Pedro, hier bring' ich Ihnen drey wackre Leute, die mich kennen, und die Ihnen sagen werden, wer ich bin. Ja, mein Seel! das kann ich sagen, antwortete der Alguazil. Ich will's all denjenigen kund und zu wissen thun, denen daran liegen mag. Sie heissen Pedro und sind der einzige Sohn des Juan Velez de la Menbrilla. Wer sich erfrecht, das Gegentheil zu behaupten, ist ein Betrüger.

Ich glaube Ihnen, Herr Alguazil, sagte der gute alte Schlag von Hieronymo. Ihr Zeugniß ist mir so heilig, als der beyden Herren Kaufleute ihrs, die sich bey Ihnen befinden. Ich bin völlig überzeugt, daß der junge Herr, 133 den Sie hieher begleitet haben, der einzige Sohn von dem Correspondenten meines Bruders ist. Aber was thut das? Ich bin nicht mehr Willens ihm meine Tochter zu geben, ich habe mich anders besonnen.

Oh! das ist 'n ander Ding, sagte der Alguazil. Ich komme nur bloß hieher, um Ihnen zu versichern, daß ich den jungen Mann da kenne. Uebrigens haben Sie über Ihre Jungfer Tochter zu schalten und zu gebaren, wie's Ihnen gut dünkt. Es kann Sie kein Mensch zwingen, sie zu verheiraten. Auch bin ich das nicht im mindesten Willens, antwortete Pedro, aber wissen möcht' ich doch gern, warum Sie Sich anders besonnen haben. Gab ich Ihnen etwa wider mein Wissen und Willen Ursache Sich über mich zu beschweren, Sennor? Ah! da ich die süßeste Hoffnung verliere, Ihr Eidam zu werden, so möcht' ich doch wenigstens vernehmen, ob ich sie durch mein Verschulden verliere.

Ich habe mich nicht über Sie zu beschweren, antwortete der gute Alte; ich muß Ihnen sogar sagen, es thut mir herzlich leid, daß ich Ihnen nicht Wort halten kann, und ich bitte Sie recht sehr mir's nicht übel zu deuten. Ich bin versichert, Sie sind zu großmüthig, um mir's übel zu nehmen, daß ich Ihnen Ihren Nebenbuhler, der mir das Leben gerettet hat, vorziehe. 134

Dieser Herr hier, fuhr er fort, und wies auf mich, ist derjenige: der mich aus einer grossen Gefahr befreyet hat. Ich muß Ihnen nur sagen, – und das denk' ich, soll mich genugsam entschuldigen, – 's ist ein Italiänischer Prinz, der trotz der großen Kluft, die zwischen uns befestigt ist, meine Tine, die er herzlich liebt, nehmen will.

Diese letzten Worte machten Pedro'n stumm und bestürzt. Die beyden Kaufleute machten ein Paar große Augen und waren höchst erstaunt; der Alguazil, der jede Sache von der schlimmen Seite zu betrachten gewohnt war, kam auf den Verdacht, daß hinter diesem wunderbaren Abenteuer eine Betrügerey stecken könnte, wobey er etwas würde verdienen können. Er faßte mich sehr scharf ins Auge, da aber meine ihm völlig unbekannten Gesichtszüge seinen guten Willen prellten, so untersucht' er meinen Kameraden mit eben der Aufmerksamkeit. Zum Unglück erkannt' er diesen, und besann sich, ihn in den Gefängnissen von Ciudad-Real gesehen zu haben. Aha! schrie er, das ist einer von meinen alten Kunden! Den Cavalier kenn' ich wie 'nen Daus. 'S ist einer von den ausgelerntesten Gaudieben, die sich im ganzen Spanischen Reiche befinden, dafür steh' ich.

Nur nicht gleich mit der Thür in's Haus! Herr Alguazil, sagte Hieronymo. Dieser Bursch, den Sie uns so übel abmahlen, ist ein 135 Domestik des Prinzen. Schön! erwiederte der Alguazil. Nun weiß ich schon, was die Glocke geschlagen hat. Wie der Knecht, so der Herr. Beydes Spitzbuben, die unter Einer Decke liegen, und Sie anführen wollen. Ich versteh' mich auf solches Wildpret, und um ihnen zu zeigen, daß die beyden Zeisige Vagabunden sind, so will ich sie auf der Stelle nach dem Gefängniß transportiren lassen, und ihnen ein Gespräch unter vier Augen mit dem Herrn Corregidor verschaffen, und sie sollen fühlen, daß ihnen der Buckel noch lange nicht rein gekehret worden ist.

Nur gemach, lieber Herr, versetzte der Alte. Wir wollen nicht gleich so rasch in's Zeug fahren. Sie, meine Herren machen sich nicht viel daraus, den rechtschaffensten Mann zu beleidigen. Kann nicht dieser Bediente ein Spitzbube seyn, ohne daß sein Herr einer zu seyn braucht? Ist es wohl was neues, Spitzbuben bey Prinzen in Diensten zu finden?

Hat sich was zu prinzen! Sie sind nicht recht bey Troste, Herr! fiel ihm der Alguazil ein. Ein Quintenmacher ist es, auf mein Wort, und ich nehme ihn sowohl als seinen Kameraden im Nahmen des Königs in Haft. Ich habe zwanzig von meinen Leuten vor der Thür, die sollen sie in's Gefängniß schleppen, wenn sie nicht gutwillig mit wollen. Belieben Sie nur immer voran zu spatzieren, Ihro Hoheiten, sagte er hierauf zu mir. 136

Diese Worte betäubten mich sowohl wie den armen Moralez, und unsere Verwirrung machte uns beym Hieronymo verdächtig; oder überzeugte ihn vielmehr völlig. Er merkte, daß wir ihn hatten anführen wollen, gleichwohl nahm er sich hierbey als ein Mann, der zu leben weiß. Mein Herr, sagte er zum Alguazil, vielleicht ist Ihr Verdacht falsch, vielleicht auch nur allzugegründet. Dem sey nun, wie ihm sey, wir wollens nicht näher untersuchen. Lassen Sie die beyden jungen Leute frey und ledig, und hingehen, wohin sie wollen. Ich bitte mir das von Ihnen, Sennor, zur Gnade aus, um mich von der Verbindlichkeit, die mir diese beyden Herren aufgelegt haben, zu entledigen.

Amts halber sollt' ich mich nun freylich nicht an Ihre Bitte kehren, und beyde Vögel in's Gefängniß führn, antwortete der Alguazil, doch Ihnen zu Liebe will ich Ein Auge zuthun. Allein das beding ich mir aus, daß sie sich den Augenblick aus der Stadt packen. Find' ich sie morgen noch hier, so soll's ihnen wahrhaftig und Gott! übel ergehen.

Als Moralez und ich hörten, daß wir frey und ledig waren, erhohlten wir uns wieder ein wenig; und nun wollten wir ganz keck behaupten, wir wären rechtschaffne Leute; allein der Alguazil sah' uns von der Seite an, und wir verstummten, wie's Schaf vor seinem 137 Scherer. Ich begreife nicht, was diese Leute für einen gewaltigen Einfluß auf uns haben.

Sonach mußt' ich Tina'n und die Mitgift dem Pedro überlassen, der ohne Zweifel Hieronymo's Schwiegersohn ward. Ich begab mich mit meinem Kameraden fort. Wir nahmen den Weg nach Truxillo und trösteten uns damit, wenigstens hundert Pistolen bey diesem Abenteuer gewonnen zu haben.

Um Eilf Uhr des Nachts gingen wir durch ein Dörfchen, des Willens, unser Nachtlager noch weiter hinaus zu nehmen. Wir gewahrten in selbigem eine VentaVenta, eine Schenke., die für den Ort artig genug aussahe. Der Wirth und die Wirthinn saßen beyde vor der Thür auf langen Steinen. Er war ein großer magrer und schon bejahrter Mann, und kratzte auf einer elenden Guitarre was daher, um seiner Frau ein Vergnügen zu machen, die ihn auch mit Behagen anzuhören schien.

Meine Herren, rief der Wirth uns zu, als er sahe, daß wir vorübergehen wollten, ich rathe Ihnen hier zu bleiben. Von hier bis zu dem nächsten Dorfe haben Sie noch drey tüchtige Meilen, 'nen rechten Mordweg, un so gut finden Sie's da gewiß nicht wie hier. Ich dächte Sie kämen immer in mein Haus; ich will Ihnen schon was gutes ufschüsseln lassen, un zahlen 138 sollen Sie auch nicht mehr, als was recht un billig ist.

Wir lassen uns breit schlagen, setzen uns zu den beyden Leutchen hin, nachdem wir sie begrüßt, und fangen an von allerhand gleichgültigen Dingen zu sprechen. Der Wirth sagte, er wäre ein Geschworner der heiligen Hermandad, und die Wirthinn war ein munteres, rundes Ding, die, wie's schien, ihre Waaren gut an Mann zu bringen verstand.

Unsre Unterredung wurde durch die Ankunft von zwölf bis funfzehn Reitern unterbrochen. Einige saßen auf Mauleselinnen, andre auf Pferden, und hatten dreyßig bepackte Maulesel hinter sich. Ah! was für Prinzen! rief der Wirth bey dem Anblicke so vieler Leute aus. Wo werd' ich die alle beherbergen können.

In einem Nu war das Dorf voller Menschen und Vieh. Zum Glücke befand sich beym Wirthshause eine geräumige Scheune, wohin man die Maulesel und das Gepäck schaffte. Die Mauleselinnen und die Pferde der Reiter wurden anderwärts untergebracht. Die Menschen fragten nicht so sehr nach Betten, als nach einem guten Nachtbrot. Wirth, Wirthinn, und eine junge Magd, die sie hatten, legten frisch Hand an's Werk. Alles Geflügel auf ihrem Hofe wurde capponirt. Ueberdieß vergaßen sie nicht einige Schwarzsauer von Kaninchen und Katern, und Kohlsuppe mit Hammelfleisch in 139 nicht geringer Quantität zu machen, so daß alle satt wurden.

Moralez und ich sahen diese Reiter an, die uns auch von Zeit zu Zeit in Augenschein nahmen. Endlich machten wir mit einander Bekanntschaft, und sagten zu ihnen: wir wollten mit ihnen speisen, wenn es ihnen gelegen wäre. Es würde ihnen sehr angenehm seyn, versicherten sie. Sonach setzten wir uns insgesammt zu Tische. Einer von den Reitern ordnete an, und die Uebrigen, so vertraut sie auch mit ihm umgingen, bezeigten sich sehr ehrerbietig gegen ihn. Er saß oben an, redete weit lauter wie die Uebrigen, widersprach ihnen sogar manchmahl in gebietherischem Tone, und sie, anstatt es zu erwiedern, hingen den Mantel nach seinem Winde.

Von Ungefähr fiel das Gespräch auf Andalusien, und da Moralez Sevilla zu loben sich einfallen ließ, sagte der Mann, von dem wir eben gesprochen haben: Sennor Cavallero, Sie loben eine Stadt, worin ich geboren bin, oder wenigstens nicht weit davon, denn in dem Flecken Marena erblickt' ich zuerst das Licht des Tages. Ich auch, sagte mein Kamerad, und es müßte sehr schlimm seyn, wenn ich Ihre Aeltern nicht kennen sollte, da mir dort Niemand unbekannt ist, von Alcad' an bis zum Kuhtreiber herab. Wessen Sohn sind Sie? 140 Eines wackern Notarius, erwiederte der Cavalier, Nahmens Martin Moralez.

Martin Moralez Sohn! rief mein Kamerad, mit eben so vieler Freude als Erstaunen. Wahrlich! ein sonderbarer Zufall! So sind Sie also mein älterer Bruder, Manuel Moralez? So heiss' ich, antwortete jener, und Sie sind also vermuthlich mein kleiner Bruder Luis, der noch in der Wiege lag, als ich das Haus meines Vaters verließ? So ist es, antwortete Kamerad.

Mit diesen Worten standen sie Beyde vom Tische auf, und küßten und herzten sich. Endlich sagte Sennor Manuel zur Gesellschaft: ein ganz wunderbarer Zufall, meine Herren! Das Ungefähr führt mir einen Bruder in die Arme, den ich wenigstens seit zwanzig Jahren nicht gesehen habe. Erlauben Sie, daß ich Ihnen selbigen vorstellen darf. Alsbald begrüßten die Reiter, die Wohlstands halber aufgestanden waren, den jüngern Moralez, und überhäuften ihn mit Umarmungen. Hierauf setzte man sich wieder zu Tische, und tafelte die ganze Nacht durch. Die beyden Brüder nahmen nebeneinander Platz, und unterhielten sich in der Zeit, daß die übrigen Gäste zechten und jubelten, ganz leise von ihrer Familie.

Luis hatte sich eine lange Zeit mit seinem Bruder unterredet, als er mich bey Seite zog, und zu mir sagte: Alle diese Reiter sind 141 Domestiken des Grafen Montanos, den der König seit Kurzem zum Vicekönig von Majorca ernannt hat. Sie begleiten des Vicekönigs Gepäck nach Alicante, woselbst sie sich einschiffen müssen. Mein Bruder, der bey diesem Herrn Intendant geworden ist, hat mir den Vorschlag gethan, mich mitzunehmen, da ich ihm nun zu verstehen gegeben habe, daß ich Euch unmöglich verlassen könnte: so sagte er zu mir: er wollte Euch eine gute Bedienung verschaffen, wenn Ihr mit wolltet. Ich rathe Dir, lieber Freund, den Antrag nicht von der Hand zu weisen. Laß uns mit einander nach Majorca gehen. Gefällt's uns dort, so bleiben wir da; wo nicht, so kehren wir wieder nach Spanien zurück.

Ich nahm den Vorschlag mit Freuden an, und so schlugen wir uns zu den Hausofficieren des Grafen, und verliessen mit grauendem Morgen das Wirthshaus. Wir machten so starke Tagreisen, daß wir bald in Alikante eintrafen. Ich kaufte mir daselbst eine Guitarre, ließ mir ein sehr saubers Kleid machen; dachte an nichts weiter, als an Majorca, und Luis Moralez auch. Wir schienen der Spitzbüberey ganz entsagt zu haben. Die Wahrheit zu gestehen, so wollten wir für rechtschaffne Kerls gehalten werden, und das legte unserm Hang Zaum und Gebiß. 142

Endlich schifften wir uns fröhlich ein, und schmeichelten uns, bald in Majorca anzulangen, allein kaum waren wir aus dem Golfo von Alikante, so packte uns ein plötzlicher Sturm. Hier hätte ich nun die beste Gelegenheit, Ihnen eine schöne Beschreibung von einem Seesturm zu liefern, die Luft ganz in Feuer zu mahlen, den Donner brüllen, die Winde sausen, die Wogen kochen zu lassen, et cätera, Ich will aber alle diese schöne Blümchen bey Seite setzen, und Ihnen bloß sagen, das Ungewitter tobte sehr, und wir waren genöthigt, an der Spitze der Insel Cabrera Anker zu werfen. Ein wüstes Eyland, das eine kleine Schanze hat, die damahls von fünf bis sechs Soldaten besetzt war, deren Befehlshaber uns mit vieler Artigkeit aufnahm.

Da wir verschiedne Tage mit Ausbesserung unsrer Segel und unsers Tauwerks hinbringen mußten, suchten wir die Langeweile mit allerhand Zeitverkürzungen wegzubannen. Ein jeder that dieß nach seiner Laune. Etliche spielten Prim, andre erlustirten sich auf andre Art, und ich durchstrich die Insel mit den Freunden des Spazierengehens. Das war mein Vergnügen.

Wir sprangen von Felsen auf Felsen, denn der Boden ist höckerig, allenthalben voller Steine, und man findet daselbst wenig Erde. Eines Tages, als wir diese dürre Steppen betrachteten, und den Eigensinn der Natur bewunderten, die sich bald fruchtbar, bald unfruchtbar 143 zeigt, wie's ihr gefällt, so stieg plötzlich ein angenehmer Duft in unsre Nasen. Wir wandten uns sogleich nach Osten, wo dieser Geruch herkam, und erblickten zu unserm Erstaunen zwischen den Felsen ein großes grünes Grasrund, worauf Geisblattsträucher in Menge standen, die weit schöner und wohlriechender waren, als selbst die Andalusischen.

Mit Vergnügen näherten wir uns diesen so lieblichen Gesträuchen, die so balsamische Gerüche durch die ganze Gegend verbreiteten, und fanden, daß sie den Eingang einer tiefen Höhle umschlossen. Diese Höhle war geräumig und ziemlich licht. Wir stiegen in selbige auf einer steinernen Wendeltreppe hinunter, welche die Natur selbst gebildet, und deren Stufen sie mit Blumen eingefaßt hatte. Als wir unten waren, sahen wir auf einem Sandboden, der das Gold überstrahlte, sich verschiedne kleine Bäche schlängeln, die aus einem immerwährenden und sich unter die Erde verlierenden Tropfenfalle von den Felsen entstanden waren. Das Wasser schien uns so schön, daß wir davon schöpften, und wir fanden es so frisch, daß wir beschlossen, den folgenden Tag wieder an diesen Ort zu kommen, und etliche Flaschen Wein mitzubringen, völlig überzeugt, daß er hier ungemein wohl schmecken müßte.

Wir verliessen ungern einen so anmuthigen Ort, und als wir wieder in die Schanze 144 zurückkamen, ermangelten mir nicht unsern Kameraden eine so schöne Entdeckung vorzupreisen; allein der Commandant der Schanze sagte: Er gäbe uns den freundschaftlichen Rath, nicht mehr in diese Höhle zu gehen, die uns so bezaubert hätte.

Und warum das, sagt' ich zu ihm. Ist's denn dort gefährlich? Wohl! antwortete er. Die Corsaren aus Algier und Tripolis landen manchmahl an dieser Insel, und versorgen sich an diesem Quelle mit frischem Wasser. Sie überrumpelten einmahls zwey Soldaten von meiner Besatzung, und machten sie zu Sclaven. Mit so ernster Mien' und Tone der Officier dieß auch sagte, so glaubten wir's doch nicht, und hielten es für Scherz.

Den folgenden Tag ging ich mit Dreyen vom Gefolge nach der Höhle. Feuergewehr nahmen wir nicht mit, zum Beweise, daß wir uns nicht im mindesten furchten. Der junge Moralez wollte nicht mit uns. Er blieb lieber bey seinem Bruder in der Schanze und spielte.

Wir stiegen wie das vorigemahl ganz in die Höhle hinunter, und liessen einige Flaschen Wein, die wir mitgebracht in dem Spring abkühlen. Indeß wir dieß liebliche Getränk zu uns nahmen, die Guitarre dazu spielten, und uns auf's munterste unterhielten, liessen sich oberwärts an der Höhle verschiedne Leute sehen, die dicke Knebelbärte, Türkische Bunde und Kleider trugen. Wir bildeten uns ein, es wäre dieß ein Theil 145 vom Gefolge und der Commandant der Schanze, die uns in der Tracht einen Schreck einjagen wollten. In der Meinung fingen wir an zu lachen, und liessen ihrer zehen heruntersteigen, ohne an unsre Vertheidigung zu denken.

Nicht lang' aber, so erkannten wir, doch leider! zu spät, unsern Irrthum und gewahrten, daß das ein Corsar sey, der mit seinen Leuten kam, um uns mitzuschleppen. Ergebt Euch, Ihr Hunde! rief er uns auf Castilisch zu, oder Ihr seyd all' des Todes. Zu gleicher Zeit schlugen seine Gefährten ihre Carabiner gegen uns an, und würden uns gewiß artig zugedeckt haben, wenn wir Widerstand gethan hätten; wir waren aber so gescheidt, und unterliessen es; zogen die Sclaverey dem Tode vor, und reichten dem Seeräuber unsre Degen. Er ließ uns mit Ketten und Banden belegen, und in sein unfern liegendes Schiff führen. Hierauf ging er unter Segel, und in vollem Laufe nach Algier.

Das war die gerechte Strafe, daß wir des Commandanten Warnung in den Wind geschlagen hatten. Das Erste, was der Corsar that, war, daß er uns durchsuchte, und uns unser Geld abnahm. Ein gar schöner Fang! Die zweyhundert Pistolen der Plazenzischen Bürgerssöhne! die hundert, die Moralez von Hieronymo'n bekommen, und die ich zum Unglücke bey mir hatte, wurden mir ohne Barmherzigkeit 146 weggeraps't. Die Börse meiner Kameraden befand sich auch wohlgespickt. Kurz, es war ein reichlicher Fischzug.

Der Seeräuber schien hierüber sehr vergnügt, und nicht zufrieden, uns unsre Barschaft abgenommen zu haben, beleidigte uns der hämische Hund durch Neckereyen, die uns weniger hart fielen, als die Nothwendigkeit, sie tragen zu müssen. Nach unzähligen Spöttereyen, und um sich über uns auf eine andre Art aufzuhalten, ließ er die Weinflaschen herbeybringen, die wir in dem Spring hatten abkühlen lassen, und die seine Leute mitzunehmen nicht vergessen hatten. Er setzte sich hin, leerte sie mit ihnen aus, und trank aus Fopperey unsre Gesundheit.

Aus dem ganzen Betragen meiner Kameraden konnte man deutlich ersehen, was in ihnen vorging. Ihre Sclaverey kränkte sie um so mehr, je süßere Vorstellung sie sich von ihrer Reise nach Majorca gemacht, woselbst sie ein recht herrliches Leben zu führen verhofft hatten. Ich meines Orts war Manns genug, einen Entschluß zu ergreifen, und weniger niedergeschlagen wie die übrigen, ließ ich mich mit dem Spötter in's Wort, begann sogar auf eine gute Art mitzufoppen.

Dieß gefiel ihm, und er sagte zu mir: Junger Mensch, Dein Temperament gefällt mir, und im Grund ist es auch besser, sich mit Geduld waffnen, und in die Zeit schicken, als 147 stöhnen und ächzen. Spiel uns ein Stückel vor, fuhr er fort, indem er meine Guitarre gewahr wurde. Laß hören, was Du kannst.

Er ließ mir die Arme losbinden, ich gehorchte ihm und schlug mein Instrument dermaßen, daß ich mir seinen ganzen Beyfall zuzog. Die Wahrheit zu sagen, spielt' ich Guitarre nicht uneben. Auch sang ich dazu, und meine Stimme befriedigte ihn nicht weniger. Alle Türken, die auf dem Schiffe waren, äusserten durch ihre Geberden das Vergnügen, das sie bey meinem Spiel und Gesang empfanden, woraus ich schloß, daß sie sich so ziemlich auf die Tonkunst verständen. Der Seeräuber raunte mir zu: Ich würd' es in meinem Sclavenstande ganz gut haben, und bey meinen Talenten könnt' ich mir auf eine Verrichtung Rechnung machen, wobey ich meine Gefangenschaft nicht sehr fühlen würde.

Diese Worte erfreuten mich einigermaßen; so schmeichelnd sie aber auch klangen, so bange war mir doch wegen der Verrichtung, die mir der Corsar vorrühmte. Ich besorgte, sie möchte nicht nach meinem Geschmacke seyn. Als wir in dem Hafen von Algier angekommen waren, fanden wir eine große Menge Leute am Ufer versammelt, die uns sehen wollten, und ein tausendfaches Jubelgeschrey ausstießen, noch eh' wir an's Land gestiegen waren. Zudem ertönte die Luft von Trompeten, Morischen 148 Flöten und andern in diesem Lande üblichen Instrumenten. Dieß gab eine mehr brausende als anmuthige Symphonie.

Ein fälschlich ausgesprengtes Gerücht war die Veranlassung zu diesen Freudensbezeigungen. Es war die Sage gegangen: Renegat Mehemet – so hieß unser Seeräuber – sey bey dem Angriff eines großen Genuesischen Schiffs umgekommen. Da nun seine Anverwandten und Freunde seine glückliche Zurückkunft erfahren hatten, beeiferten sie sich insgesammt, ihm ihre Freude zu bezeigen.

Kaum hatten wir Fuß an's Land gesetzt, so führte man mich mit allen meinen Gefährten nach dem Pallaste des Bassa Soliman, wo ein christlicher Schreiber, jeden insbesondre, um Nahmen, Alter, Vaterland, Religion und Talente befragte. Mehemet zeigte mich dem Bassa, rühmte ihm meine Stimme und sagte, daß ich überdieß die Guitarre zum Entzücken spielte. Mehr bedurft' es nicht, Soliman zu bewegen, mich in seine Dienste zu nehmen. Sonach wurd' ich für sein Serail bestimmt, wohin man mich führte, um mir mein Amt anzuweisen. Die andern Gefangnen wurden auf einen öffentlichen Platz geführt, und wie gewöhnlich verkauft.

Mehemet's Prophezeyung traf ein. Das mir zugefallene Loos war glücklich; ich durfte 149 weder in den Kerker, noch harte Arbeiten übernehmen. Soliman Bassa hatte mir, und fünf bis sechs Sclaven von Stande, die bald losgekauft werden sollten, und denen man nur leichte Arbeiten gegeben, einen besondern Aufenthalt bestimmt. Ich hatte weiter nichts zu thun, als die Pomeranzenbäume und Blumen zu begiessen. Gemächlicher konnt' ich es nicht haben. Auch dankt' ich dafür meinem günstigen Gestirn, und ahndete, mir würd' es bey Soliman nicht übel ergehen.

Dieser Bassa, – ich muß ihn doch abschildern – war ein Vierziger, wohlgemacht, und für einen Türken sehr höflich und galant. Sein Lieblingskebsweib war eine Kaschemirierinn, die durch ihren Geist und durch ihre Schönheit unumschränkte Gewalt über ihn erlangt hatte. Er liebte sie bis zur Abgötterey. Jeden Tag tischt' er ihr ein neues Fest auf; bald ein Vokal- und Instrumental-Concert, bald eine Komödie nach Türkischem Zuschnitte; das will sagen, Stücke, worin man sich um Scham und Wohlstand so wenig bekümmert, als um Aristoteles Regelkram.

Die Lieblingssultaninn, die Farrukhnaz hieß, war eine ungemeine Liebhaberinn von dergleichen Schauspielen. Sie ließ sogar öfter von ihren Aufwartemädchen dem Bassa Arabische Stücke aufführen. Sie spielte selbst darin, und 150 entzückte alle Zuschauer durch die Grazie und durch das Feuer, das ihre Action hatte.

Einesmahls, als ich mich nebst den Musikern bey einer solchen Vorstellung befand, befahl mir Soliman, in einem Zwischenacte auf der Guitarre zu spielen, und ganz allein zu singen. Ich hatte das Glück, ihm zu gefallen. Er gab mir nicht nur durch Klatschen seinen Beyfall zu erkennen, sondern auch mündlich und ganz laut; die Sultaninn sahe mich, wie es schien, mit günstigem Auge an.

Den folgenden Tag, als ich in den Gärten die Pomeranzenbäume begoß, ging ein Verschnittener an mir vorbey, der ohne still zu stehen, noch mir etwas zu sagen, mir ein Briefchen vor die Füße warf. Ich hob es mit einer freudig bangen Verwirrung auf. Aus Furcht aus den Serailfenstern beobachtet zu werden, warf ich mich nieder auf die Erde, und nachdem ich mich hinter die Pomeranzenkästen verborgen, öffnete ich das Briefchen. Ich fand darin einen Diamanten von sehr großem Werth, und diese Worte auf gut Castilisch:

»Junger Christ, danke dem Himmel für Deine Gefangenschaft. Lieb' und Glück werden sie angenehm machen; die Liebe, wenn Du bey den Reitzen eines schönen Weibes nicht kalt bleibest; das Glück, wenn Du muthig genug bist, jede Art von Gefahr zu verachten.« 151

Ich zweifelte keinen Augenblick, daß dieser Brief von der Sultaninn sey; der Styl und der Demant überzeugten mich hiervon. Blöde bin ich nun von Natur nicht, überdieß brachte mich die Eitelkeit, bey der Kebsfrau eines großen Herrn wohl angeschrieben zu seyn, noch mehr aber die Hoffnung, eine viermahl größere Summe Geldes von ihr zu ziehen, als ich zu meiner Loskaufung bedurfte, auf den Entschluß, dieß Abenteuer zu versuchen, so gefährlich es auch immer seyn möchte.

Ich machte mich wieder an meine Arbeit, und sann auf Mittel, in die Zimmer der Farrukhnaz zu kommen, oder erwartete vielmehr, daß sie mir zu selbigen den Zutritt bahnen sollte. Denn daß sie's bey dem Briefe nicht würde bewenden lassen, daß sie mir mehr denn halben Weges entgegenkommen würde, konnt' ich mir wohl vorstellen.

So war es auch; eben der Verschnittene, der an mir vorbeygegangen war, ging nach einer Stunde wieder vorüber und sagte zu mir: Hast Du Dich besonnen, Christ? und bist Du kühn genug, mir zu folgen? Ich antwortete ihm mit Ja. Nun wohl, versetzt' er, so erhalte Dich der Himmel. Morgen früh siehst du mich wieder. Mach Dich gefaßt mir zu folgen.

Wie er dieß gesagt hatte, ging er fort. Den folgenden Tag sah' ich ihn in der That um acht Uhr des Morgens erscheinen. Er winkte mich 152 zu sich. Ich kam und er führte mich in einen Saal, in welchem sich eine große Rolle Leinwand befand, die er nebst noch einem Verschnittenen eben dahin gebracht hatte, und die sie zur Sultaninn tragen sollten. Sie wollte selbige zur Decoration eines arabischen Stücks brauchen, das sie für den Bassa hatte einlernen lassen.

Da mich die beyden Verschnittenen zu allem, was man von mir verlangte, bereit sahen, rollten sie ohn' allen Zeitverlust die Leinwand von einander, und ich mußte mich längelang in selbige legen, sie wickelten sie darauf so dicht und fest um mich, daß ich in Gefahr schwebte zu ersticken. Hierauf faßte jeglicher sie an einem Ende an, und so trugen sie mich frank und frey bis in's Schlafgemach der schönen Kaschemirierinn. Sie befand sich mit einer alten ihr völlig ergebenen Sclavinn ganz allein.

Beyde rollten die Leinwand auseinander, und Farrukhnaz gerieth bey Erblickung meiner in die lebhaftesten Ausbrüche der Freude, worin sich das ganze Temperament der dortigen Weiber offenbarte. So keck ich auch von Natur bin, so verspürt' ich doch bey der plötzlichen Versetzung in das geheimste Frauenzimmergemach etwas Furcht. Die Dame gewahrte dieß und sagte zu mir, um mir meine Bangigkeit zu benehmen: Getrost, junger Mann! Soliman ist auf sein Landhaus gereist, und bleibt den 153 ganzen Tag dort. Wir können uns hier ungestört unterhalten.

Gestärkt durch diese Worte strömte ersichtlich wieder Leben und Muth in mir auf, worüber die Sultaninn noch vergnügter ward. Du hast mir gefallen, fuhr sie fort, und ich bin gesonnen, die Härte deiner Gefangenschaft zu mildern. Ich glaube Dich der Leidenschaft würdig, die ich für Dich fühle. Der Adel, der aus Deinen Augen und aus Deinem ganzen Wesen hervorleuchtet, gibt trotz Deines Sclavenkittels, deutlich genug zu erkennen, daß Du nicht aus dem gemeinen Haufen bist. Sprich offen mit mir; entdeck mir Deinen Stand. Ich weiß wohl, daß Gefangne von guter Geburt selbigen zu verhehlen pflegen, um desto wohlfeiler auf freyen Fuß zu kommen; Du aber bedarf einer solchen Vorsicht nicht, Du würdest mich sogar dadurch beleidigen, da ich Dir Deine Freyheit verspreche. Sey also aufrichtig, und gesteh mir, daß Du aus gutem Hause bist.

Ich würde in der That, antwortete ich, höchst undankbar seyn, wenn ich Eure Gütigkeiten mit Verstellung belohnen wollte. Ihr besteht auf der Entdeckung meines Standes; ich muß gehorchen. Ich bin der Sohn eines Grand'sGrand von Spanien ist eine Qualität, die dem spanischen hohen Adel, nähmlich den Herzogen, wie auch einigen Marquesen und Grafen gewisse Vorzüge gibt. Dahin gehöret hauptsächlich der Rang zunächst nach dem Könige und den Prinzen von Geblüt, die Erlaubniß, in Gegenwart des Monarchen sich zu bedecken und zu setzen, der freye Zutritt in dessen Zimmer, die Unabhängigkeit von den Kriminalgerichten (wofern nicht der König bey wichtigen Staatsverbrechen ausdrücklich Befehl gibt, diese Titulados in Verhaft zu nehmen) das Prädicat Primo (Vetter) das ihnen der Monarch schriftlich und mündlich ertheilet, da andere Unterthanen, sie mögen auch noch so vornehm seyn, nur Pariente (Verwandte) von ihm benannt werden.«
    »Der Titel eines Grande oder Großen war schon unter K. Johann dem Ersten von Castilien zu Ende des vierzehnten Jahrhunderts gebräuchlich. Diese Würde ist erblich; (doch giebt es auch zuweilen Grandes, die sie nur für ihre Person und Lebenszeit erhalten.) Auch die Gemahlinnen nehmen daran Antheil, so wie die ältesten Söhne, (noch bey Lebzeiten der Väter) und deren Gemahlinnen, ob sie gleich nicht eigentlich Grandes sind. Wenn eine Dame, die einen Grand zum Gemahl gehabt, nach dessen Tode sich an einen andern verheirathet, der für sich kein Grand ist, so behält sie nicht allein ihre vorige Würde, sondern sie theilet sie auch dem neuen Gemahl mit, der sie auch nach ihrem Tode noch lebenslang behält. Auf gleiche Art können auch unverheirathete Frauenzimmer aus einem Hause, welches das Grandat besitzt, dasselbe ihrem Bräutigam für seine Person zubringen.«»Die spanischen Grandes wollen den Chur- und Reichsfürsten und den italiänischen Fürsten gleich seyn. Seit 1701 wurden sie in Frankreich den Pairs, und diese in Spanien den Grandes gleich gesetzt. Ihre ehemahlige Macht in der Monarchie ist ganz erloschen, und ihre Rang- und Ehrenvorzüge sind seit dem Anfange des achtzehnten Jahrhunderts ebenfalls nicht mehr so glänzend, wie vormahls, indem auch andern Personen und Ständen einige derselben zu Theile geworden sind.«
    »Außer Castilien und den dazu gehörigen Staaten gibt es auch in dem übrigen Spanien, imgleichen (sonst wenigstens) in den Niederlanden und in Italien, wo ehedem spanische Herrschaft war, Familien, die das Grandat besitzen. Auch werden öfter Ausländer, zumahl solche, die sich im Kriegsdienste hervorthun, mit dieser Würde beehrt. – A. d. Uebers.
154 von Spanien. Vielleicht sagt' ich die Wahrheit. Wenigstens glaubte es die Sultaninn, und war äußerst vergnügt, ihre Augen auf einen 155 Mann von solchem Range geworfen zu haben, sie versicherte mir, es würde zuverlässig nicht an ihr liegen, wenn wir nicht oftmahlige geheime Zusammenkünfte hätten.

Wir kos'ten dießmahl ziemlich lange. Ich habe niemahl eine unterhaltendere Frau gekannt. Sie verstand viele Sprachen, und zumahl 156 Castilisch, das sie ziemlich geläufig sprach. Als sie es für Zeit hielt, uns zu trennen, so mußt' ich mich auf ihren Befehl in einen großen Korb legen, der mit einer seidnen Weberey von ihrer Hand bedeckt war. Nachher wurden die beyden Sclaven, die mich hergetragen hatten, herbeygerufen, und sie trugen mich als ein Geschenk zurück, das die Lieblingssultaninn dem Bassa sendete. An selbigem darf sich keiner von den Hütern der Weiber vergreifen.

Farrukhnaz und ich ersannen noch andre Mittel und Wege uns zu sprechen, und diese liebenswürdige Gefangne flößte mir in Kurzem eben so viel Liebe ein, als sie für mich hegte. Unser Verständniß war zwey Monathe lang geheim, so äußerst schwer es auch hält, daß in einem Serail Liebesgeheimnisse den Argussen entschlüpfen. Allein durch einen Querstreich ging unsre ganze Liebeley in die Bilze, und das Glück zeigte mir nun ein ganz ander Gesicht.

Eines Tages, da ich in dem Körper eines künstlichen Drachen, den man für ein Schauspiel zubereitet hatte, zur Sultaninn war hinpractisirt worden, und mit ihr kos'te, kam Soliman, den ich in der Stadt beschäftigt glaubte, dazu. Er trat so gähling in die Wohnung seiner Geliebten, daß die alte Sclavinn kaum Zeit hatte, uns seine Ankunft zu melden; Zeit, mich zu verbergen hatt' ich nicht. Sonach war 157 ich der erste, der dem Bassa in die Augen fiel.

Er schien über meinen Anblick höchst erstaunt, und plötzlich entbrannte sein Auge von Wuth. Ich betrachtete mich als einen Menschen, der seinem letzten Augenblicke nahe ist, und bildete mir ein, schon auf der Folterbank zu liegen. Was Farrukhnaz anlangte, so merkt' ich ihr wohl an, daß sie erschrocken war, doch anstatt ihr Verbrechen einzugestehen, und dafür um Verzeihung zu flehen, sagte sie zum Soliman:

Gnädiger Herr, geruhet mich anzuhören, eh' Ihr mein Urthel sprecht. Der Schein verdammt mich unstreitig, und es läßt, als hätt' ich eine Verrätherey begangen, welche die strengste Züchtigung verdient. Ich habe diesen jungen Gefangenen hieher kommen lassen, und mich hierzu solcher Kunststückchen bedient, die nur die feurigste Liebhaberinn würde angewandt haben. Gleichwohl bin ich – ich rufe unsern großen Propheten zum Zeugen – ungeachtet dieses kühnen Schritts nicht im geringsten untreu gewesen. Ich wollte mich mit diesem christlichen Sclaven unterreden, um ihn von seinen Irrthümern abzuziehen, und zur Secte der Rechtgläubigen zu bekehren.

Ich habe bey ihm so vielen Widerstand gefunden, als ich gewärtig war. Dessen ungeachtet hab' ich seine Vorurtheile überwunden, 158 und er hat mir eben versprochen, die muhamedanische Religion anzunehmen.

Ich gestehe, ich hätte trotz der gefährlichen Lage, worin ich mich befand, der Sultaninn widersprechen sollen; allein mein Geist war viel zu sehr niedergedrückt, mein Herz zu gerührt von der Gefahr, worin ich ein geliebtes Weib schweben sahe, und für mich selbst zu beängstigt, als daß ich das gekonnt hätte; ich stand da sprachlos und bestürzt, vermochte nicht Ein Wort hervorzubringen. Durch mein Stillschweigen wurde der Bassa überzeugt, daß sein Kebsweib völlig die Wahrheit gesagt habe, und ließ sich besänftigen.

Ich will glauben, Madam, sagte er, daß Ihr mich nicht beleidigt habt, und daß die Begierde, eine dem Propheten so wohlgefällige That zu thun, Euch zu einer so kitzlichen Unternehmung verleitet hat. Ich verzeihe Euch in Rücksicht dessen Eure Unvorsichtigkeit, wofern dieser Gefangne sogleich den Turban annimmt.

Es wurde unverzüglich ein MarabuMarabu, ein muhamedanischer Mönch. gerufen. Man legte mir türkische Kleider an, und ich that alles, was man verlangte, ohne daß ich im geringsten mich zu widersetzen vermögend gewesen wäre; oder um besser zu sagen, meine Sinne waren mir so wirre, daß ich nicht wußte, was 159 ich that. Wie viele Christen wären bey dieser Gelegenheit nicht eben so feige gewesen.

Nach geendigter Ceremonie verließ ich das Serail, und stand unter dem Nahmen Sidy Hally einem kleinen Amte vor, das mir Soliman zu verwalten gab: die Sultaninn bekam ich nie wieder zu sehen; allein einer von ihren Verschnittenen kam eines Tages zu mir, und brachte mir von ihr zweytausend Sultand'ors nebst einem Briefchen, worin sie mich versicherte, sie würde nimmermehr die großmüthige Gefälligkeit vergessen, die ich ihr erwiesen, indem ich zur Rettung ihres Lebens Muhamedaner geworden. Auch erhielt ich in der That außer diesen Geschenken durch den Kanal der Farrukhnaz eine weit beträchtlichere Bedienung als die erste, und in weniger als sechs oder sieben Jahren war ich einer der reichsten Renegaten in der Stadt Algier.

Sie können Sich leicht vorstellen, daß ich bloß aus Grimasse den Gebethen der Muselmänner in ihren Moscheen beywohnte, und ihre übrigen gottesdienstlichen Handlungen beobachtete. Ich hatte den festen Vorsatz, mich wieder in den Schooß der Kirche zu werfen; zu dem Ende war ich Willens, mich dereinst mit allen meinen gesammelten Reichthümern nach Spanien oder Italien hinzuflüchten.

Indeß lebt' ich lustig und in Freuden; hatte ein schönes Haus, prächtige Gärten, eine 160 große Menge Sclaven, und in meinem Serail die niedlichsten Weiber. Obgleich hier zu Lande das Weintrinken verbothen ist, so geschieht es doch von den meisten Muhamedanern insgeheim. Ich trank ihn ohn' allen Hehl und Scheu, wie Renegaten zu thun pflegen.

Ich hatte, erinnr' ich mich, zwey Brüder in Baccho, mit denen ich ganze Nächte verzechte. Der eine war eine Jude, der andre ein Araber. Da ich sie rechtschaffne Kerls glaubte, that ich mir in ihrem Beyseyn nicht den mindesten Zwang an. Eines Abends bath ich sie zum Nachtessen. Mir war an diesem Tage ein Hund gestorben, auf den ich ungemein viel hielt. Wir wuschen seinen Leichnam, und begruben ihn mit all den bey den Muhamedanischen Leichenbegängnissen üblichen Ceremonien. Dieß geschah nicht zur Verspottung der türkischen Religion, sondern bloß der Kurzweile und zur Befriedigung des närrischen Zecheinfalls, dem Hunde die letzte Ehre erweisen zu wollen.

Gleichwohl hätte mir die Schnurre beynahe den Garaus gespielt, wie Sie gleich hören werden. Den folgenden Tag kam ein Mann zu mir, und sagte: Sennor Sidy Hally, mich führt eine wichtige Angelegenheit zu Euch. Der Herr KadiKadi, »ein Unterrichter bey den Türken. Er wird zur Geistlichkeit gezählt, weil die Türken ihr Recht von ihrem Propheten her haben. – D. Uebers. will mit Euch sprechen. Beliebt Euch 161 nur sogleich zu ihm hinzubemühen. Seyd doch so gut, und sagt mir, was er von mir will, antwortete ich ihm. Das werdet ihr von ihm selbst erfahren, versetzte er. Ich kann Euch weiter nichts sagen, als daß ein arabischer Kaufmann, der gestern mit euch gespeist, ihm von dem Unfuge Nachricht gegeben hat, den Ihr bey der Verscharrung eines Hundes getrieben habt. Ihr müßt nun am besten wissen, worauf es eigentlich ankommt. Wegen dieser Sache lad' ich Euch heut vor diesen Richter, im Ausbleibungsfalle wird gerichtlich gegen Euch verfahren werden.

Mit diesen Worten ging er fort, und hinterließ mich wegen dieser Vorladung ganz betäubt. Der Araber hatte nicht die mindeste Ursache, sich über mich zu beschweren, und ich konnte nicht begreifen, warum er mir solchen hämischen Streich gespielt habe. Nichts desto weniger war die Sache nicht so ganz auf die leichte Achsel zu nehmen. Ich kannte den Kadi als einen Mann, der dem äußern Anscheine nach streng war, im Grund' aber ein weites Gewissen hatte, und überdieß noch geitzig war. Ich steckte zweyhundert Sultansd'or zu mir, und ging zu diesem Richter. 162

Er ließ mich in sein Cabinett kommen, und sagte mit einem barschen Wesen zu mir: Ihr seyd ein ruchloser, kirchenschändrischer, abscheulicher Mensch. Habt einen Hund als einen Muselman begraben. Solchen Frevel zu verüben! Achtet Ihr so unsre allerheiligsten Ceremonien, und seyd Ihr nur darum Muhamedaner geworden, um unsre gottesdienstlichen Handlungen zu verspotten?

Herr Kadi, antwortete ich ihm, der Araber, der Euch diese falsche Nachricht gebracht, dieser treulose Freund ist ein Theilnehmer an meinem Verbrechen, wofern es anders Verbrechen ist, einem treuen Hausgenossen, einem armen Geschöpfe, das tausend gute Eigenschaften hatte, die letzte Ehre zu erweisen. Er liebte würdige und angesehne Männer dermaßen, daß er ihnen in seinem nachgelassenen Testamente, dessen Vollzieher ich bin, all' sein Vermögen vermacht. Dem einen zwanzig, dem andern dreyßig Thaler; auch Euch, gestrenger Herr, hat er nicht vergessen, fuhr ich fort, und zog den Geldbeutel hervor. Hier sind zweyhundert Sultansd'or, die ich Euch von seinetwegen einzuhändigen habe.

Bey diesen Worten verschwand des Kadi's Gravität, und er konnte sich des Lachens nicht enthalten; da wir allein waren, nahm er den Beutel ohn' alle Umständ' an, und sagte, indem er mich beurlaubte: Geht, Sennor 163 Sidy Hally! Ihr habt recht wohl daran gethan, einen Hund mit Pomp und Ehrenbezeigungen zu beerdigen, der für rechtschaffne Leute so viel Achtung hatte.

Auf die Art zog ich mich aus der Schlinge, und wurde wenigstens behutsamer, wenn gleich nicht weiser. Ich becherte nicht mehr mit dem Araber, sogar nicht mehr mit dem Juden, sondern erkor einen meiner Sclaven, einen jungen livornischen Edelmann, Nahmens Azarini zu meinem Zechbruder.

Ich macht' es gar nicht wie andre Renegaten, die gemeiniglich Christensclaven härter halten, als die Türken selbst. Alle meine Gefangnen sehnten sich nicht mit Ungeduld nach ihrer Auslösung. Ich behandelte sie in der That so gelinde, daß sie zu mir sagten: sie seufzten nicht so sehr nach ihrer Freyheit, so reitzend selbige auch immer für Gefangne seyn möchte, als sie besorgten, einen andern Patron zu bekommen.

Eines Tages kamen die Schiffe des Bassa's mit beträchtlichen Prisen zurück. Sie hatten mehr als hundert Sclaven beyderley Geschlechts von den spanischen Küsten weggekapert und mitgebracht. Soliman behielt nur eine kleine Anzahl davon, den Ueberrest ließ er verkaufen. Ich kam auf den Platz, wo sie losgeschlagen wurden, und kaufte ein spanisches Mädchen von zehn bis zwölf Jahren, die bitterlich weinte, und ganz außer sich war. Ich 164 erstaunte, daß ihr in einem solchen Alter die Gefangenschaft so wehe thun könnte.

Ich sagte ihr auf Castilisch: sie möchte sich beruhigen, und versicherte ihr: sie wäre in die Hände eines Mannes gefallen, der seines Bundes ungeachtet Menschlichkeit besässe. Das Mädchen war zu voll von ihrer Betrübniß, als daß sie auf mich hätte hören sollen. Sie that nichts als seufzen, sich über ihr Schicksal beklagen, und rief von Zeit zu Zeit mit dem kläglichsten Tone: O Mutter! Mutter! daß man uns trennt! Ich könnte mich noch zufrieden geben, wenn wir beysammen blieben. Wenn sie diese Worte aussprach, drehte sie ihr Gesicht gegen eine Frau von fünfundvierzig bis funfzig Jahren, die einige Schritte davon stand, und mit niedergeschlagnen Augen und im dumpfen Stillschweigen auf einen Käufer wartete. Ich fragte die Kleine, ob die Person, die sie so ansehe, ihre Mutter wäre.

Ach ja, gnädiger Herr, sagte sie, um Gotteswillen, machen Sie, daß wir nicht von einander kommen. Wohlan, mein Kind, sagt' ich, kann Sie das beruhigen, so sollen Sie's bald seyn. Zugleich nähert' ich mich der Mutter, um sie zu erhandeln. Wie ward mir aber zu Muthe, als ich jeden Zug von Lucinde'n in ihrem Gesicht erkannte.

Gerechter Gott, rief ich bey mir, das ist meine Mutter! Das ist sie unfehlbar! Sie 165 ihrer Seits erkannte mich nicht, entweder, weil sie vor heftigem Ingrimm über ihr Unglück in allen Umstehenden nichts denn Feinde gewahrte, oder weil ich durch meine Tracht, oder auch durch eine zwölfjährige Abwesenheit ihr war unkenntlich geworden. Nachdem ich sie gekauft hatte, führt' ich sie sammt ihrer Tochter in mein Haus.

Hier wollt' ich ihnen das Vergnügen machen, ihnen zu sagen, wer ich wäre. Ist es möglich, Sennora, sagt' ich zu Lucinde'n, daß Ihnen mein Gesicht nicht auffällt? Macht Ihnen mein Knebelbart und Turban Ihren Sohn Raphael so unkenntlich? Bey diesen Worten schauderte meine Mutter zusammen, sah' mir fest in's Auge, und erkannte mich. Wir umarmten uns auf's zärtlichste. Sodann drückt' ich ihre Tochter an meine Brust, die vielleicht so wenig davon wußte, daß sie einen Bruder, als ich, daß ich eine Schwester hatte.

Gestehn Sie, sagt' ich zu meiner Mutter, daß in all' Ihren Schauspielen keine solche Erkennungsscene vorkommt! Mein Sohn, antwortete sie mir seufzend, ich hatte anfänglich Freude, Dich wieder zu sehen, sie hat sich aber in Leid verwandelt. Ach! in welchem Zustand find' ich Dich wieder! Meine Sclaverey ist mir lange nicht so widrig. als die verhaßte Kleidung . . . . 166

Der Teufel! das ist nicht übel! fiel ich ihr lachenden Mundes in die Rede. Wie Sennora, Komödiantinn, und so delicat! Nu, das gefällt mir. Gütiger Gott, liebe Mutter, wie müssen Sie Sich geändert haben, da Ihnen meine Verwandlung ein solcher Dorn im Aug' ist. Seyn Sie nicht aufgebracht über meinen Turban, sehn Sie mich vielmehr als einen Schauspieler an, der auf dem Theater einen Türken vorstellt. Ob schon Renegat, bin ich dennoch nicht mehr Muselmann als ich in Spanien war, und häng' im Grunde noch immer an meiner Religion. Wüßten Sie alle die Abenteuer, die mir hier zu Lande aufgestoßen sind, Sie würden mich entschuldigen. Die Lieb' ist an meinem Verbrechen Schuld. Diesem kleinen Gott bring' ich Opfer. Ein Erbstück von Ihnen, liebe Mutter.

Sie sollten noch aus einem andern Grunde, fuhr ich fort, über meine jetzige Lage nicht unzufrieden seyn. Sie mußten in Algier der härt'sten Gefangenschaft gewärtig seyn, und finden in ihrem Patron einen zärtlichen und ehrerbiethigen Sohn, der dabey reich genug ist, Sie hier solang in Ueberfluß leben zu lassen, bis wir einmahl sicher nach Spanien hinüberhuschen können. Hat das Sprüchwort nicht Recht: Kein Unglück so groß, 's ist ein Glück dabey?

Mein Sohn. sagte Lucinde zu mir, da Du gesonnen bist, dereinst wieder heimzukehren, 167 und dann die muhamedanische Religion abzuschwören, so bin ich völlig getröstet. Dem Himmel sey Dank, fuhr sie fort, nun werd' ich Deine Schwester Beatrix wieder so nach Castilien zurückbringen können, als ich sie hergebracht, noch als unentblätterte Rose. Das werden Sie auch! rief ich. Wir wollen alle drey, sobald als möglich zu dem Rest unsrer Familie zurückeilen, denn vermuthlich werden Sie in Spanien noch andere Kennzeichen Ihrer Fruchtbarkeit haben? Nein, mein Sohn, antwortete Lucinde, ich habe weiter keine Kinder, als Euch beyde, und Beatrix ist sogar, mußt Du wissen, die Frucht einer rechtmäßigen Ehe. Und warum haben Sie, versetzt' ich, meiner kleinen Schwester einen solchen Vorrang über mich eingeräumt? Wie haben Sie Sich zur Ehe entschliessen können? Ich habe Sie hundertmahl in meiner Kindheit sagen hören, Sie verziehen es nie einem artigen Weibe, wenn sie einen Mann nähme.

Besserer Rath am Ende ward, mein Sohn, erwiederte sie. Aendert doch wohl der Mann vom festesten Entschlusse seinen Sinn, und das Weib sollt' es nicht. Ich will, fuhr sie fort, Dir erzählen, wie mir es nach Deiner Verschwindung aus Madrid gegangen ist. Und nun machte sie mir folgende Erzählung, die ich nie vergessen werde, und die mir zu merkwürdig dünkt, um sie Ihnen nicht mitzutheilen. 168

Es sind nunmehr beynahe dreyzehn Jahr, wenn Du Dich erinnerst, sagte meine Mutter, daß Du Dich vom jungen Leganez entfernt hast. Um die Zeit ließ mir der Herzog von Medina-Celi sagen, er wolle einmahl des Abends allein, unter vier Augen mit mir speisen. Er hatte den Tag bestimmt. Ich erwartete ihn; er kam, und ich gefiel ihm. Er forderte, daß ich ihm alle seine Nebenbuhler aufopfern sollte. In der Hoffnung, daß er dafür nicht unerkenntlich seyn würde, that ich es. Er hinterging meine Erwartung nicht, und sandte mir den folgenden Tag mehrere Geschenke, auf welche nachher noch viel andre folgten. Ich besorgte, einen Mann von so hohem Range nicht lang' in meinen Fesseln zu behalten, und das um so mehr, da mir nicht unbekannt war, daß er sich eben so rasch aus den Netzen der Liebe losriß, als rasch er in selbige rannte; den vorzüglichsten Schönheiten hatte er es so gemacht.

Indeß geschah dieß nicht; anstatt von Tage zu Tage weniger Geschmack an meinen Gefälligkeiten zu finden, schien er ihnen vielmehr ein neues Vergnügen abzugewinnen. Kurz, ich besaß die Kunst, ihm neu zu seyn, und sein flatterhaftes Herz am Herumschwärmen zu verhindern.

Er liebte mich bereits drey Monathe, und ich hatte Ursache, mir zu schmeicheln, daß seine Liebe noch von längrer Dauer seyn würde, als 169 ich mit einer meiner Freundinnen mich eines Tages auf ein gesellschaftliches Concert begab, woselbst er sich mit seiner Gemahlinn, der Herzoginn befand. Von ungefähr setzten wir uns nicht allzuweit von der Herzoginn. Sie nahm es übel, daß ich an einem Ort zu erscheinen wagte, wo sie zugegen war, und ließ mir durch eine ihrer Kammerfrauen sagen: sie bäthe mich, unverzüglich fortzugehen. Ich gab der Abgesandtinn eine unhöfliche Antwort. Die Herzoginn wurmte dieß, sie beschwerte sich hierüber bey ihrem Gemahl.

Er kam selbst zu mir und sagte: Geht fort Lucinde. Wenn sich gleich große Herren mit solchen Kreatürchen, wie Ihr, einlassen, so müssen selbige sich deßhalb nicht vergessen. Lieben wir Euch gleich mehr als unsre Weiber, so ehren wir diese doch mehr wie Euch, und so oft Ihr so übermüthig seyd, Euch ihnen gleich zu stellen, werdet Ihr Euch stets der schnödesten Begegnung aussetzen, und zum Mährchen des Volks machen.

Zum Glücke sagte mir der Herzog diese Bitterkeiten mit so leiser Stimme, daß die Umstehenden sie nicht hörten. Ich begab mich ganz beschämt fort, und weinte vor Unwillen über die erlittene Beschimpfung. Zu meiner noch größern Kränkung erfuhr die ganze Gesellschaft diesen Vorfall noch an demselben Abend. 170

Man sollte fast sagen, es gäbe bey diesen Leuten einen Dämon, der ein Vergnügen daran findet, diesen alles zu trätschen, was sich mit jenen zuträgt. Hat zum Exempel ein Komödiant in der Trunkenheit irgend eine Ausschweifung begangen, oder eine Komödiantinn mit einem reichen Liebhaber einen Contract geschlossen, so hat's den Augenblick die ganze Truppe erfahren. Alle meine Kameraden wußten sonach die Concertbegebenheit, und machten sich auf meine Kosten nicht wenig lustig. Bey solchen Gelegenheiten pflegen sie immer zu zeigen, wieviel christliche Liebe sie besitzen. Gleichwohl setzt' ich mich über all' ihren Schnack weg, und tröstete mich über den Verlust des Herzogs von Medina-Celi; denn ich sah' ihn nicht mehr bey mir, und erfuhr wenig Tage hernach, daß er im Sprenkel einer Opernnymphe saß.

Wenn eine Theaterdame das Glück hat, in Ruf zu seyn, so kann's ihr an Liebhabern nicht fehlen; und die Liebeshändel mit einem großen Herrn, wenn sie gleich nur drey Tage gedauert haben, geben ihr einen neuen Werth. Ich sah mich mit Anbethern umringt, sobald es zu Madrid bekannt war, daß der Herzog mich nicht mehr besuchte. Die Nebenbuhler, die ich ihm aufgeopfert hatte, waren in meine Reitze verliebter denn je, und kehrten scharenweise zurück in meine Fesseln; und hinter ihnen zog ein ganzer Trupp neuer gaukelnder Spatzen her. Ich 171 war nie mehr in der Mode gewesen, als jetzt. Unter all' den Mannspersonen, die sich um meine Gewogenheit bewarben, schien mir niemand eifriger, als ein dicker schweizerscher Edelmann, der bey dem Herzog von Ossuna in Diensten stand. Die liebenswürdigste Figur war er eben nicht, er zog aber meine Aufmerksamkeit durch tausend Stück Pistolen auf sich, die er im Dienste seines Herrn gesammelt hatte, und die er verschwendete, um auf der Liste meiner beglückten Liebhaber zu stehen. Der gute Tropf hieß Wyflingsburg.

Solang' er Aufwand machte, nahm ich ihn günstig auf; sobald er zu Grunde gerichtet war, fand er meine Thür verschlossen. Unwillig über mein Betragen, sucht' er mich während der Vorstellung im Komödienhause auf. Ich war hinter dem Theater. Er wollte mir Vorwürfe machen. Ich lachte ihn in die Nase aus. Er ward aufgebracht, und gab mir eine derb schweizersche Ohrfeige. Ich stieß einen großen Schrey aus, unterbrach das Stück; erschien auf dem Theater, und wandte mich an den Herzog von Ossuna, der diesen Tag mit seiner Frau, der Herzoginn, sich in der Komödie befand, und verlangte für das plump-schweizersche Betragen seines Hofjunkers Genugthuung.

Der Herzog befahl, weiter zu spielen, nach Endigung des Stücks woll' er die Partheyen anhören. So bald es aus war, trat ich, 172 ganz Zorn, vor den Herzog, und trug ihm meine Beschwerden auf's lebhafteste vor. Der Schweizer vertheidigte sich nur mit einem Paar Worten, und sagte: Was er gethan habe, reu' ihn gar nicht, er wäre sogar Manns genug, es noch einmahl zu thun.

Nachdem der Herzog von Ossuna beyde Parteyen angehöret hatte, sagte er zum Schweizer Wyflingsburg: ich entlass' Euch aus meinen Diensten, und verbiethe Euch, mir je wieder unter die Augen zu kommen; nicht darum, weil Ihr einer Komödiantinn eine Ohrfeige gegeben, sondern weil Ihr den Respect gegen Euren Herrn und Frau aus den Augen gesetzet, und in ihrer Gegenwart das Schauspiel zu stören Euch erkühnet habt.

Dieß Urtheil ging mir sehr zu Herzen. Es verdroß mich ganz gewaltig, daß er nicht der mir zugefügten Beleidigung halber außer Diensten gejaget wurde. Eine solche Schmach einer Komödiantinn zu erweisen, dacht' ich, sollte so ernst geahndet werden, als das Verbrechen der beleidigten Majestät, und ich hatte mir Rechnung gemacht, daß man diesem Edelmann eine Leibesstrafe zuerkennen würde. Dieser unangenehme Ausgang half mir aus dem Traume und belehrte mich, daß die Welt zwischen den Rollen und denjenigen, die sie vorstellen, einen großen Unterschied machet. 173

Dieß machte mir das Theater verhaßt. Ich beschloß es zu verlassen, und fern von Madrid den Ueberrest meines Lebens zuzubringen. Ich wählte die Stadt Valenzia zu meinem Aufenthalte, und begab wich incognito dahin. Meine ganze Barschaft bestand aus zwanzigtausend Ducaten, die ich sowohl an Silber als Edelgesteinen besaß, und dieß schien mir für meine übrigen Tage hinreichend, indem ich ein eingezogenes Leben zu führen mir vorgenommen hatte.

Ich miethete mir zu Valenzia ein kleines Häuschen, und nahm eine Kammerfrau und einen Pagen an, denen ich so unbekannt war, als der ganzen übrigen Stadt. Ich gab mich für die Witwe eines königlichen Bedienten aus, und sagte, ich hätte mich darum hier niedergelassen, weil ich die Gegend als eine der anmuthigsten in ganz Spanien habe rühmen hören. Ich machte wenig Besuche, und meine Aufführung war so sittlich, daß Niemand auf den Verdacht kam, ich sey Komödiantinn gewesen.

So sorgfältig ich auch mich zu verbergen bemühet war, zog ich dennoch die Blicke eines Edelmanns auf mich, der nahe bey Paterna ein Schloß hatte. Ein ganz wohlgestalter Cavalier von fünf bis sechs und dreyßig Jahren, der aber in gewaltigen Schulden stak. Dergleichen Edelleute in Valenzia und vielen 174 andern Ländern zu finden, ist nichts ungewöhnliches.

Da dieser Sennor HidalgoHidalgos gehören so wie die Cavalleros zum niedern Adel; doch bedeuten Erstere weniger als Letztere, indem sie außer einigen alten Häusern und den Ordensrittern, den bürgerlichen Unterthanen völlig gleich gehalten werden. an meiner Person Behagen fand, wollt' er auch wissen, ob ich auch übrigens seine Sache wäre. Er erhielt von seinen ausgesandten Spionen einen ihm gar erfreulichen Rapport. Ich hätte, hieß es, nicht nur kein unebnes Lärvchen, sondern auch ein ganz artiges Vermögen. Da er hieraus urtheilte, daß ich für ihn paßte, sandte er bald darauf ein gutes altes Mütterchen zu mir, die mir in seinem Nahmen sagen mußte: Meine Tugend so wohl, als meine Schönheit hab' ihn so bezaubert, daß er mir seine Hand anböthe, und bereit wäre, mich zum Altare zu führen, wenn ich's gewilliget sey.

Ich bath mir drey Tage Bedenkzeit aus. Indeß erkundigte ich mich nach dem Edelmann, und da man mir so viel Gutes von ihm sagte, – ob man mir gleich mit seinem Vermögenszustande nicht hinter dem Berge hielt – so entschloß ich mich gar leicht, ihn kurz darauf zu heirathen.

Don Manuel de Xerica, so hieß mein Gemahl, führte mich so gleich auf sein Schloß, 175 das eine altväterische Miene machte, und gerade darauf war er stolz. Er behauptete, einer seiner Uranherren hab' es bauen lassen, und hieraus schloß er, daß es in ganz Spanien kein älteres Haus gäbe, als das Haus Xerika. Doch ein so herrlicher Adelsbrief war durch den Zahn der Zeit gar kläglich zernaget worden; das an vielen Seiten gestützte Schloß drohte einzustürzen. Welch ein Glück für den Don Manuel, mich geheirathet zu haben! die Hälfte meines Geldes ging auf die Ausbesserung des Schlosses darauf, und mit dem Reste setzten wir uns in den Stand, eine glänzende Rolle zu spielen.

So war ich denn gleichsam in eine neue Welt versetzet, in eine gestrenge Frau und Kirchspielspatroninn umgeschaffen. Eine mächtige Verwandlung! Ich war zu gute Actrise, um mich nicht in den Glanz, den mein Rang auf mich zurückstrahlte, auf's beste zu schicken; erschien stets in meiner ehemahligen Theatergröße, so daß alle in der Runde umher Wunder dachten, aus was für einem hohen Haus ich stammte. Wie würde man sich auf meine Kosten lustig gemachet haben, wenn man meine geheime Lebensgeschichte gewußt hätte, was für bittere Sticheleyen, was für Neckereyen würde mir der Adel gegeben haben, und wie viel Grade tiefer würden die Respectsbezeigungen der Bauern gegen mich gefallen seyn! 176

Ich hatte beynahe sechs Jahre recht glücklich mit meinem Manuel gelebet; als er starb. Er hinterließ mir seine Sachen in großem Wirwar, und Beatrize'n, die in ihr fünftes Jahr ging. Auf dem Schloße, worin unser ganzes Vermögen steckte, standen verschiedene Hypotheken. Die Haupthypothek hatte ein gewisser Bernardo Astuto, der seinem Nahmen vollkommen entsprachD. i. ein großer Schlaukopf war.. Er bekleidete zu Valenzia eine Anwaldsstelle, und das als ein Mann, der gar wohl verstand quid juris, und der bloß darum die Gesetze studiret hatte, um selbigen desto besser eine Nase drehen zu können. Ein fürchterlicher Gläubiger! Ein Schloß unter den Klauen eines solchen Anwalds, ist wie eine Taube unter den Klauen des Geyers.

Sobald Sennor Astuto von meines Gemahls Absterben Wind bekommen hatte, unterließ er nicht die Belagerung des Schlosses zu unternehmen. Er würd' es unfehlbar durch die Mienen, welche die Schikane bereits zu legen begann, gesprenget haben, hätte sich nicht mein Glücksstern in's Mittel geschlagen. Dadurch ward der Belagerer mein Gefangener. Ich zog ihn bey einer Unterredung, die wir wegen unserer Sache hatten, in mein Netz. Die Wahrheit zu gestehen, ich sparte nichts ihn in Flamme zu setzen, und die Begierde mein Landgut 177 zu retten, war Ursache, daß ich all die Mienen und Geberden auf ihn spielen ließ, die mir schon so manchen guten Dienst geleistet hatten. Dennoch besorgt' ich, mit allen meinen Künsten bey dem Anwalde zu kurz zu kommen. Er war in die Acten bis über die Ohren versunken, so daß er gar keines verliebten Eindrucks fähig schien.

Dessen ungeachtet fand dieser Tuckmäuser, dieses Schulpennal, dieser Pandectenreiter mehr Vergnügen an meinem Anblick als ich glaubte.

Sennora, sagte er zu mir, ich versteh mich nicht auf Liebe und all' deren Behörden. Sintemahl ich mich stets auf die Rechtsgelahrtheit und der in selbigen vorkommenden Cautelen und Formalien beflissen, als hab' ich die Cautelen und Formalien, die bey den Geschäften der Liebe bräuchlich sind, darüber ganz vernachläßiget; demohnerachtet aber bin ich der Realien bey selbigen gar wohl kundig. Um demnach sogleich zur Sache selbst zu schreiten, muß ich Ihnen kurz und bündig sagen, daß ich, wofern Sie gewilliget sind, mit mir in ein ehliches Bündniß zu treten, nicht entstehen werde, alle die gewechselten Schriften dem Feuer zu überantworten, die Forderungen der übrigen noch vorhandenen Gläubiger gänzlich zu Wasser zu machen, und die Versteigerung Ihres Gutes zu hintertreiben. Sie sollen den Nießbrauch desselben behalten, und Ihre Tochter das Grundeigenthum. 178

Das Interesse der Beatrix und mein eigenes erlaubten mir keine lange Ueberlegungen. Ich nahm den Vorschlag an, und der Anwald hielt Wort. Er kehrte seine Waffen gegen die übrigen Gläubiger, und sicherte mir den Besitz meines Schlosses. Das war vielleicht das erstemahl in seinem Leben, daß er Witwen und Waisen redlich gedienet hatte.

Sonach wurd' ich die Frau eines Anwalds, und war dabey nach wie vor Patroninn des Kirchspiels, allein diese neue Heirath brachte mich ganz um die Gunst des dortigen Adels. Alle Damen sahen mich als eine Person an, die sich durch ein solches Mißbündniß weggeworfen habe, und wollten mich nicht weiter sehen. Folglich mußt' ich mich zu den Bürgerlichen halten. Anfänglich kam mir das ein wenig sauer an, weil ich sechs Jahre lang mit lauter vornehmen Damen Umgang gehabt hatte; doch tröstet' ich mich bald darüber.

Ich machte mir mit einer Gerichtsschreiberinn und zwey Anwaldsweibern Bekanntschaft. Schnurrige Geschöpfe! Ihr ganzes Betragen hatte ungemein viel Lächerliches, was mich nicht wenig ergötzte. Die Dämchen bildeten sich ein von besserm Schrote zu seyn, als andere Leute.

Ah! sagt' ich manchmahl zu mir selbst, wenn ich sie sich so vergessen sahe: so ist die Welt! Jeder wähnt sich größer als sein Nachbar. Ich dachte bloß, daß Komödiantinnen sich so 179 vergässen, aber wie ich sehe, sind die Bürgerweiber nicht um Ein Haar gescheidter. Ich wollte, daß sie zur Strafe dafür die Bildnisse ihrer Ahnen in ihren Häusern aufhängen müßten. Sehr in's Helle würden sie sie gewiß nicht bringen, dafür steh' ich.

Nach einer vierjährigen Ehe ward Sennor Bernardo Astuto krank, und starb ohne Erben. Bey dem Vermögen, das er mir schon bey unserer Heirath verschrieben hatte, und bey demjenigen, das ich bereits besaß, sah ich mich eine reiche Witwe. Auch war ich dafür bekannt, und auf das Gerücht beschloß ein Sicilischer Edelmann, Nahmens Colifichini, sich bey mir einzuschmeicheln, um mich entweder zu Grunde zu richten oder zu heirathen. Er ließ mir die Wahl.

Die Begierde, Spanien zu besehen, hatte ihn von Palermo hergeführet, und nachdem er selbige befriediget hatte, wartete er in Valenzia, wie er sagte, auf eine Gelegenheit nach Sicilien zurückzukehren. Er war noch nicht fünfundzwanzig Jahr alt, wohl gemacht, obgleich klein, mit einem Wort, ein gar behägliches Geschöpf für mich. Er fand Gelegenheit, mich ingeheim zu sprechen, und Dir's offenherzig zu gestehen, ich hatte mich gleich vom ersten Augenblick an in ihn vergafft. Der kleine Schelm zeigte sich seiner Seits von meinen Reitzen nicht weniger bestrickt. Ich glaubte, Gott verzeih mir's, wir hätten uns Augenblicks geheirathet, 180 wenn's nur irgend angegangen wäre; so aber war der Anwald kaum kalt, und seit der Zeit, daß ich in die Heirathslaune gekommen war, hielt' ich genau auf die Vorschriften der Welt. Wir nahmen deßhalb Abrede Wohlstandes halber unsere Verbindung noch aufzuschieben.

Unterdeß machte mir Colifichini fleißig seine Aufwartung, und seine Liebe ward nicht lau, sondern, wie's schien, von Tag zu Tag wärmer. Mit Gelde war der gute, arme Junge nicht sehr versehen. Ich ward dieß gewahr, und nun hatte er vollauf. Außerdem daß ich zweymahl so alt war, als er, so erinnert' ich mich, daß ich in meiner Jugend die Mannspersonen in Contribution gesetzet hatte, und sah' alles das, was ich weggab, als eine Art Wiedererstattung an, wozu ich Gewissens halber verbunden sey.

Wir erwarteten die Zeit, da die Witwen ohne Verstoß gegen die Etikette wieder heirathen können, so geduldig, als nur möglich. Als sie um war, flogen wir zum Altar, und verbanden uns durch ein ewiges Band, und dann eilten wir wieder zurück auf unser Schloß, wo wir, wie ich wohl sagen kann, mehr wie zärtliche Liebende, denn als Eheleute lebten; doch leider! war unser Glück nicht von langer Dauer. Ein Seitenstechen entriß mir meinen trauten Colifichini. 181

Hier fiel ich meiner Mutter ein: Wie, Sennora, auch Ihr dritter Gemahl starb? Sie sind ja ein wahrer Würgeengel. Ist die Schuld mein? antwortete sie. Konnt' ich Tage verlängern, die der Himmel bereits gezählet hatte? Vermocht' ich es den Verlust meiner drey Männer zu verhindern? Zwey von ihnen hab' ich sehr bedauert. Der Anwald ging mir am wenigsten nahe. Da ich ihn nur aus Interesse geheirathet hatte, konnt' ich mich leicht über seinen Verlust zufrieden geben.

Doch, fuhr sie fort, um wieder auf Colifichini zu kommen, so muß ich Dir sagen, daß ich einige Monathe nach seinem Tode ein Landhaus in Augenschein nehmen wollte, das er mir in unserm Ehecontracte zum Witwensitz angewiesen hatte. Ich schiffte mich mit meiner Tochter ein, um nach Sicilien zu gehen; allein wir wurden unterweges von den Schiffen des Bassa's von Algier weggenommen, und nach dieser Stadt geführet. Zum Glück für uns befandest Du Dich auf dem Platz, wo man uns verkaufen wollte. Ohne das wären wir in die Hände irgend eines barbarischen Herrn gefallen, der uns würde gemißhandelt haben, und bey dem wir vielleicht Zeitlebens in der Sclaverey geblieben wären; ohne daß Du etwas von uns vernommen hättest.

Hiermit endigte meine Mutter ihre Erzählung. Ich räumte ihr die schönsten 182 Zimmer in meinem Hause ein, und ließ ihr völlige Freyheit zu leben, wie's ihr gefiel. Sie fand dieß sehr nach ihrem Geschmack, und da sie so etliche Jahre hindurch geliebhabert hatte, so war sie so in der Schnurre: daß sie platterdings entweder einen Galan oder einen Mann haben mußte. Anfänglich warf sie ihre Augen auf einige meiner Sclaven; allein bald zog Hally Pegelin, ein Griechischer Renegat, der manchmahl zu mir kam, ihre ganze Aufmerksamkeit an sich. Sie ward verliebter in ihn, als sie je in ihren Colifichini gewesen, und war so sehr Meisterinn im Bestricken, daß sie auch diesen in ihr Garn zog. Ich stellte mich, als merkt' ich nichts von diesem Verständnisse.

Jetzt war ich auf weiter nichts bedacht, als auf meine Rückkehr nach Spanien. Der Bassa hatte mir erlaubt, ein Schiff auszurüsten, und mit selbigem auf Raub auszulaufen. Diese Ausrüstung gab mir vollauf zu thun; acht Tage vorher, ehe sie zu Stande war, sagt' ich zu Lucinde'n: Sennora, wir werden bald von Algier abreisen, und einen Aufenthalt verlassen, der Ihnen abscheulich ist.

Bey diesen Worten wurde meine Mutter blaß, und beobachtete ein frostiges Stillschweigen. Ich ward hierüber außerordentlich bestürzt. Was seh' ich? sagt' ich. Warum so erschrocken, liebe Mutter? Es scheint, ich betrübe Sie mehr, als ich Sie erfreue. Ich 183 glaubte, die Nachricht: daß alles zu unserer Abreise fertig sey, würde Ihnen sehr angenehm seyn. Sehnen Sie Sich nicht mehr nach Spanien zurück? Nicht mehr, mein Sohn, antwortete sie. Mir ist's dort so übel gegangen, daß ich es nimmermehr wiedersehen mag. Was hör' ich, rief ich voller Schmerz. O sagen Sie vielmehr, daß die Liebe Sie von selbigem losreisset. O Himmel! welche Veränderung! Wie Sie herkamen, war Ihnen alles verhaßt, was Sie erblickten, allein Hally Pegelin hat Sie anders Sinnes gemacht.

Ich läugn' es nicht, erwiederte Lucinde, ich liebe diesen Renegaten, und es soll mein vierter Gemahl werden. Welch ein Vorhaben! unterbrach ich sie mit Grausen. Sie, einen Muselmann heirathen! Sie vergessen, daß Sie Christinn sind, oder sind es bisher bloß dem Nahmen nach gewesen. Ah! meine Mutter, was öffnen Sie mir für eine Aussicht! Sie haben Ihr ewiges Verderben beschlossen. Sie wollen freywillig das thun, was ich nur aus Nothwendigkeit that.

Ich brachte noch mehr Gründe vor, sie von ihrem Vorhaben abwendig zu machen, doch alle meine Beredsamkeit ging in den Wind. Sie blieb nicht nur fest bey ihrem übeln Vorsatze, mich zu verlassen, um mit ihrem Renegaten zu leben, sondern wollte auch Beatrix mitnehmen. Dagegen setzt' ich mich aber. 184

Ah! unglückliche Lucinde! sagt' ich, wenn nichts Sie zurückzuhalten vermag, so überlassen Sie Sich wenigstens allein der Wuth, die Sie treibt. Reissen Sie nicht ein junges unschuldiges Geschöpf mit in den Abgrund, auf den Sie losstürzen. Lucinde ging fort, ohn' ein Wort zu erwiedern. Ich glaubte, einige Funken von Vernunft verhinderten sie, auf der Auslieferung Ihrer Tochter zu bestehen. Wie schlecht kannt' ich meine Mutter!

Einer meiner Sclaven sagte zwey Tage hernach zu mir: Nehmet Euch in Acht, Herr. Ein Gefangener vom Pegelin hat mir eben etwas entdecket, was Ihr Euch zu Nutze machen könnt. Eure Mutter ist Türkinn geworden, und um sich an Euch zu rächen, daß Ihr die Beatrix Ihr nicht herausgegeben habt, ist sie Willens, dem Dey Eure vorhabende Flucht zu melden. Ich zweifelte keinen Augenblick, daß meine Mutter nicht Weibs genug wäre, das zu thun, was mein Sclave sagte. Ich hatte Gelegenheit gehabt, die Dame zu studiren, und wahrgenommen, daß sie durch die vielen blutdürstigen Rollen, die sie tragirt gehabt hatte, mit Missethaten war vertraut geworden. Sie würde mich recht gern lebendig auf den Scheiterhaufen gebracht haben, ohne glaub' ich, dadurch gerührter zu werden, als bey der Katastrophe eines Trauerspiels. 185

Ich ließ die Warnung des Sclaven nicht in den Wind gesagt seyn, betrieb meine Einschiffung auf's eifrigste, nahm Türken an, wie die Algierischen Corsaren, die auf Raub auslaufen wollen, zu thun pflegen, doch nicht mehr, als zur Vermeidung alles Verdachts nöthig waren, und lief so bald als möglich mit allen meinen Sclaven, und meiner Schwester Beatrix aus dem Hafen. Daß ich all' mein Geld und Edelsteine mitnahm, können Sie Sich leicht vorstellen. Dieß machte ungefähr eine Summe von sechstausend Ducaten aus.

Als wir auf offnem Meere waren, bemächtigten wir uns der Türken. Wir hatten sie gar leicht in Ketten geleget, weil meine Sclaven ihnen bey weitem an Anzahl überlegen waren. Der Wind begünstigte uns dermaßen, daß wir in Kurzem die Italiänischen Küsten erreichten. Wir kamen glücklich in dem Hafen von Livorno an, wo die ganze Stadt, glaub' ich, hinzulief, um uns ausschiffen zu sehen. Der Vater meines Sclaven Azarini befand sich von Ungefähr oder aus Neugier unter den Zuschauern. Er faßte alle meine Sclaven, so wie sie nach einander an's Land traten, scharf in's Auge; allein ob er gleich die Züge seines Sohnes in ihren Gesichtern suchte, so erwartete er doch nicht selbigen zu finden. Wie mächtig aber waren die Ausbrüche der Freude! wie herzig, wie unendlich ihre Umarmungen, als sie sich 186 erkannten. Sobald Azarini seinen Vater berichtet hatte, wer ich sey, und was mich nach Livorno führte, so nöthigte er mich sowohl, als Beatrix, bey ihm zu wohnen.

Alles, was ich thun mußte, um wieder in den Schooß der Kirche aufgenommen zu werden, will ich mit Stillschweigen übergehen, nur soviel davon: ich schwor den Muhamedanischen Glauben mit mehrer Aufrichtigkeit ab, als ich ihn angenommen hatte. Nachdem ich meiner Algierischen Krätze war gänzlich losgeworden, verkauft' ich mein Schiff, und gab allen meinen Sclaven die Freyheit. Was die Türken anlangt, so wurden sie in den Livornoschen Gefängnissen aufbewahret, um sie gegen Christen auszutauschen.

Die beyden Azarinis behandelten mich auf's aller freundschaftlichste; der Sohn heirathete sogar meine Schwester Beatrix. Wahrlich keine unebne Partie. Sie war Fräulein und Besitzerinn des Schlosses Xerica, das meine Mutter, wie sie nach Sicilien reiste, einem reichen Paternischen Landmanne verpachtet hatte.

Nachdem ich mich zu Livorno eine Zeitlang aufgehalten, reist' ich nach Florenz, das ich zu sehen Lust hatte. Es fehlte mir nicht an Empfehlsschreiben, die mir Azarini's Vater mitgab. Er hatte am Hofe des Großherzogs Freunde, denen er mich als einen 187 mit ihm verwandten Spanischen Edelmann auf's stärkste anempfahl. Ich flickte einen Don an meinen Nahmen, worin ich's wie viele Spanier aus bürgerlichem Blute machte, die sich auswärts diesen Ehrentitel ohne Umstände beylegen. So ließ ich mich denn ganz dreist Don Raphael schelten, und da ich von Algier so viel mitgebracht hatte, daß ich meinen Adel gehörig behaupten konnte, macht' ich bey Hofe eine glänzende Figur.

Die Cavaliere, welche durch des alten Azarini's Schreiben für mich eingenommen waren, verbreiteten überall, daß ich ein Mann von Stande sey. Ihr Zeugniß, und das Ansehen, das ich mir zu geben wußte, machte, daß man mich für einen Mann von Wichtigkeit ansahe. Bald war ich mit den vornehmsten Herren in genauer Bekanntschaft, und sie stellten mich dem Großherzoge vor. Ich hatte das Glück, ihm zu gefallen. Ich ließ mir's äußerst angelegen seyn, diesem Fürsten den Hof zu machen, und ihn auszustudieren; gab auf die Reden, welche die ältesten Hofleute mit ihm wechselten, genau Acht, und hatte seine Neigungen bald weg.

Ich bemerkte unter andern, daß er launige Einfälle, Schwänke und Schnurren sehr liebte. Darnach richtete ich mich. Ich schrieb mir täglich die Historien in meine Schreibtafel, die ich ihm den Tag über erzählen wollte. Ich wußte 188 deren sehr viel; hatte an selbigen ein großmächtiges Vorrathskörbchen. So sparsam ich aber auch damit umging, wurde dennoch mein Körbchen nach und nach leer, so daß ich entweder mich hätte wiederhohlen müssen, oder mich merken lassen, daß ich zu Rande war, hätte mich mein erfindungsreicher Kopf nicht hinlänglich mit selbigen versorget. Ich verfertigte sonach galante und komische Erzählungen, die den Großherzog ungemein ergötzten. Mir ging's, wie's den witzigen Köpfen von Profession oft zu gehen pfleget, ich trug des Morgens Einfälle in mein Taschenbuch ein, die ich des Nachmittags für Impromptüs ausgab.

Ich warf mich sogar zum Poeten auf, und weihte meine Muse zur Heroldinn des Fürsten. Offenherzig zu sagen, taugten meine Verse nicht viel; auch wurden sie nicht kritisirt. Wären sie aber auch besser gewesen, so zweifl' ich, ob sie der Großherzog würde besser aufgenommen haben. Er schien mit selbigen äusserst zufrieden. Vielleicht war der Inhalt Schuld, daß er keine Fehler darin bemerkte.

Wie dem nun auch sey, genug dieser Fürst fand unvermerkt so viel Geschmack an mir, daß den Hofschranzen bange ward, ich möchte ihnen ganz den Rang ablaufen. Sie wollten auskundschaften, wer ich wäre, konnten aber nichts weiter herausbringen, als daß ich Renegat gewesen sey. Sie ermangelten nicht dieß dem 189 Fürsten zu stecken, in der Hoffnung, mir dadurch zu schaden. Es schlug ihnen aber fehl. Der Großherzog nöthigte mich vielmehr eines Tages ihm meine Algierische Reise ganz offenherzig zu erzählen. Ich that's, und meine Abenteuer, die ich ihm ganz ohn' allen Hehl vortrug, ergötzten ihn ungemein.

Don Raphael, sagte er zu mir, nachdem ich mit meiner Geschichte zu Ende war, ich bin Euch gewogen, und will Euch hiervon ein unzubezweifelndes Merkmahl geben. Ich mache Euch zum Vertrauten meiner Busengeheimnisse und das von diesem Augenblicke an. Ich brenne, müßt Ihr wissen, für die Frau eines meiner Minister; die liebenswürdigste Dame an meinem ganzen Hofe, zugleich aber auch die tugendhafteste. In ihren vier Pfählen eingeschlossen, bloß an ihrem Manne hängend, dessen Abgöttinn sie ist, scheint sie nichts von dem Aufsehen zu wissen, das ihre Reitze in Florenz machen. Urtheilet Selbst, ob eine solche Eroberung leicht seyn wird. Indessen hat diese Schöne, so unzugangbar sie auch für Liebhaber ist, unterweilen meine Seufzer angehöret. Ich habe Mittel ausgefunden, ohne Zeugen mit ihr zu sprechen. Sie weiß meine Gesinnungen. Ich schmeichle mir nicht, ihr Liebe eingeflößet zu haben. Noch hab' ich nichts, worauf ich eine so süße Hoffnung stützen könnte. Doch dessen ungeachtet steh' ich noch nicht ab; vielleicht, daß 190 mein Harren, vielleicht daß die so strengsorgfältige Verheimlichung meiner Liebe mir noch endlich ihre Gunst erwirbt.

Die Leidenschaft, die ich gegen diese Dame hege, fuhr er fort, ist nur lediglich ihr bekannt. Anstatt meiner Neigung den Zügel zu lassen, und als Regent zu handeln, such' ich vielmehr jedermann meine Liebe zu verbergen. Ich glaube diese Schonung dem Mascarini schuldig zu seyn, so heißt der Gemahl meiner Geliebten. Der Eifer, die Anhänglichkeit, die er für mich blicken läßt, seine vielen Dienste und seine Redlichkeit nöthigen mich behutsam, und geheimnißvoll zu Werke zu gehen. Ich will nicht den Dolch in den Busen dieses unglücklichen Mannes stoßen, indem ich mich für den Liebhaber seiner Frau erkläre. Ich wünschte, daß ihm, wo möglich, die Gluth, die in allen meinen Adern brennt, auf immer geheim bleibe, denn ich bin überzeugt, er härmte sich todt, wenn er das wüßte, was ich Euch diesen Augenblick anvertrauet habe.

Sonach thu' ich keinen Schritt weiter, so viel im Stillen ich deren auch bisher gethan habe, und ich bin entschlossen, mich Euer zu bedienen, um Lucrezie'n all die Leiden bekannt zu machen, die ich wegen des Zwanges ausstehen muß, den ich mir ihrenthalben auflege. Ihr sollt der Dollmetscher meines Herzens seyn. Ein Auftrag, dessen Ihr Euch, ich bin 191 doch davon überzeuget, sehr gut entledigen werdet. Macht mit Mascarini'n Bekanntschaft, bemühet Euch seine Freundschaft zu gewinnen, öftern Zutritt zu ihm zu erlangen, und Gelegenheiten auszusparen, seine Gemahlinn allein zu sprechen. Das erwart' ich von Euch, und ich bin versichert, Ihr werdet Euch dabey mit all der Geschicklichkeit und Feinheit benehmen, die ein solch wagliches Geschäft erfordert.

Ich versprach dem Großherzoge das Möglichste zu thun, um die von mir gefaßte günstige Meinung zu rechtfertigen, und zum Glücke seiner Liebe beyzutragen. Ich hielt in Kurzem Wort, sparte nichts, mich Mascarini'n gefällig zu machen, und es gelang mir ohne Schwierigkeit. Höchst erfreut, daß ein Liebling des Fürsten sich um seine Freundschaft bewarb, kam er mir mehr denn halben Weges entgegen. Sein Haus stand mir offen. Ich hatte zu seiner Gemahlinn freyen Zutritt, und ich kann wohl sagen, ich wußte mich so gut zu benehmen, daß man von dem mir aufgetragenen Geschäfte nicht das mindeste argwöhnte. Zwar war er für einen Italiäner wenig eifersüchtig; baute fest auf die Tugend seiner Lucrezie; er ließ uns oft beysammen, und schloß sich in sein Cabinet ein.

Anfänglich ging ich ganz frank und edel zu Werke; unterhielt die Dame von der Liebe des Großherzog's, und sagte, daß ich 192 bloß in Angelegenheiten dieses Fürsten zu ihr käme. Sie schien mir nicht für ihn eingenommen, dennoch merkt' ich, daß die Eitelkeit sie verhinderte, seine Anträge von der Hand zu weisen. Sie fand ein Vergnügen daran, sie anzuhören, wollte sich aber darüber nicht auslassen. Sie war sittsam, aber Weib, und ich merkte, daß der stolze Gedanke, einen Regenten in ihren Fesseln zu sehen, ihre Tugend allmählig zum wanken brachte. Kurz, der Fürst konnte sich mit Fug schmeicheln, Lucrezie'n in seine Arme zu bekommen, ohne dazu, wie Tarquin, Gewalt zu gebrauchen. Dessen ungeachtet zernichtete ein Zufall, dessen er wohl am wenigsten gewärtig war, alle seine Hoffnungen, wie Sie sogleich hören werden.

Ich bin von Natur bey Frauenzimmern dreist. Eine Gewohnheit, sie sey nun schlimm oder gut, die ich von der Türkey mitgebracht habe. Lucrezie war schön. Ich vergaß, daß ich den Abgesandten zu machen hatte; sprach für mich selbst, both meine Dienste, so galant als möglich der Dame an. Anstatt über meine Verwegenheit beleidigt zu scheinen und mir eine erbitterte Antwort zu geben, sagte sie lächelnd zu mir: Gestehen Sie nur, Don Raphael, daß der Großherzog einen recht treuen und sehr eifrigen Geschäftsträger gewählt hat. Sie dienen ihm mit einer Redlichkeit, die nicht genug gepriesen werden kann. 193

Signora, sagt' ich in eben dem Tone zu ihr, lassen Sie uns die Sache nicht so genau untersuchen. Keine Betrachtungen, wenn ich bitten darf! die möchten nicht günstig für mich ausfallen; ich halt' es mit dem Gefühle, meine Gnädige. Bey alle dem glaub' ich, daß ich nicht der erste Vertraute eines Fürsten bin, der seinen Herrn bey Liebschaften verrathen hat. Die großen Herren haben an ihren Merkurs gefährliche Nebenbuhler.

Möglich! sagte Lucrezie, doch ich bin stolz, und es darf kein andrer, als ein Fürst darauf zählen, Eindruck auf mein Herz zu machen. Wonach sich der Herr zu richten hat. Und nun auf etwas anders! fuhr sie fort, indem sie wieder ihre ernste Miene annahm. Ich will alles vergessen, was Sie mir gesagt haben, wofern Sie in Zukunft dergleichen Schnickschnack mit mir zu halten Sich nicht mehr werden einkommen lassen. Es möchte Sie sonst reuen.

Ob dieß gleich eine Warnung war, die ich mir hätte zu Nutze machen sollen, so unterließ ich doch nicht Mascarini's Frau von meiner Leidenschaft zu unterhalten, drang sogar hitziger in sie als zuvor, meine Zärtlichkeit zu erwiedern, und war sogar keck genug, mir Freyheiten herausnehmen zu wollen.

Nunmehr ward die Dame über meine Muselmännische Reden und Betragen sehr entrüstet, 194 und schlug, wie man zu sagen pflegt, dem Kalbe grad in's Auge. Sie drohte wir, dem Großherzog mein übermüthiges Betragen zu melden, und versicherte mir, sie würd' ihn bitten, mich nach Verdienst abzustrafen. Diese Drohungen wurmten mich gleichfalls; meine Liebe verwandelte sich in Haß. Ich beschloß, mich wegen der Verachtung zu rächen, die Lucrezie gegen mich äusserte; suchte dieserhalb ihren Mann auf, und nachdem ich ihm den Schwur mich nicht zu verrathen abgefordert, eröffnet' ich ihm das Verständniß, das seine Frau mit dem Fürsten hatte, und mahlte selbige sehr in ihn verliebt, um die Scene noch interessanter zu machen.

Um allen Folgen vorzubauen, ließ der Minister, der gar kurzen Prozeß machte, seine Frau in ein besonders Gemach einschliessen, wo sie durch getreue Diener auf's schärfste bewahrt wurde. Indeß sie so mit Argussen umringt war, die sie beobachteten und verhinderten, dem Großherzoge Nachrichten von sich zu geben, meldete ich diesem Fürsten mit einer traurigen Miene, daß er nicht mehr an Lucrezie'n denken sollte, sagte ihm: Mascarini müsse ohne Zweifel hinter alles gekommen seyn, weil er sich's einkommen liesse, seine Frau zu bewahren; was ihn auf diesen Verdacht müsse geleitet haben, wüßt' ich nicht, indem ich mich stets mit vieler Geschicklichkeit benommen zu haben glaubte? 195 vielleicht habe die Dame ihrem Gemahl auch alles selbst gestanden und sich freywillig einschliessen lassen, um den Fallen zu entgehen, die ihrer Tugend drohten.

Der Fürst schien über meinen Bericht äusserst niedergeschlagen. Sein Schmerz rührte mich, und mein Schritt reute mich mehr denn einmahl; ich konnt' ihn aber nicht mehr ungeschehen machen. Ueberdieß, ich bekenn' es offenherzig, fühlt' ich eine hämische Freude, die Hochmüthige, die meine Anträge verworfen hatte, in eine solche Lage gebracht zu haben.

Ich schmeckte in aller Ruhe das Angenehme der Rache, die jedermann, hauptsächlich dem Spanier so süß ist, als eines Tages der Großherzog, bey dem ich mich nebst fünf oder sechs andern Hofcavalieren befand, zu uns sagte: Wie meint Ihr wohl, daß derjenige müsse bestraft werden, der das Zutrauen des Fürsten gemißbraucht hat, und ihm seine Geliebte zu entreissen Willens gewesen ist? Man muß ihn durch vier wilde Pferde zerreissen lassen, sagte ein Hofmann. Ein andrer meinte, man müsse ihm die Seel' aus dem Leibe prügeln. Der minder grausamste unter diesen Italiänern, und der das günstigste Urtheil für den Verbrecher fällte, sagte: er würd' ihn von einem hohen Thurm herabstürzen lassen.

Und was ist die Meinung des Don Raphaels, hob der Herzog wieder an: Ich bin 196 überzeugt, daß die Spanier bey solchen Gelegenheiten nicht weniger streng sind, als die Italiäner.

Ich merkte wohl, wie Sie leicht erachten können, daß entweder Mascarini seinen Schwur nicht gehalten, oder daß seine Frau ein Mittel gefunden hatte, dem Fürsten das zu melden, was unter uns vorgefallen war. Den Aufruhr in meinem Innern konnte man auf meinem Gesichte deutlich lesen. So zerstört ich aber auch war, so antwortete ich dennoch in festem Tone dem Herzoge: Gnädigster Herr, die Spanier sind großmüthiger. Sie würden bey einem solchen Falle dem Vertrauten verzeihen, und durch diese Güte in seiner Seele ewige Reue über die an ihnen verübte Verrätherey erwecken.

Nun wohl, sagte der Fürst, ich fühle, daß ich so großmüthig seyn kann. Ich verzeihe dem Verräther. Auch hab' ich's im Grunde mir selbst beyzumessen, weil ich mein Zutrauen einem Menschen geschenkt habe, den ich nicht kannte, und dem ich nach alle dem, was ich von ihm gehört, nicht hätte trauen sollen. Don Raphael, fuhr er fort, das soll Eure Bestrafung seyn. Entfernt Euch unverzüglich aus meinen Staaten, und laßt Euch nie wieder in selbigen sehen.

Sogleich begab ich mich fort, weniger betrübt, in Ungnade gefallen zu seyn, als erfreut, 197 so mit blauem Auge durchzukommen. Den folgenden Tag stieg ich in ein Barcellonisches Schiff, das den Livornschen Hafen verließ, um wieder heimzukehren.

Bey dieser Stelle seiner Geschichte unterbrach ich den Don Raphael: Mich däucht, sagte ich, für einen Mann von Geist, machten Sie einen tüchtigen Placker, daß Sie nicht gleich Florenz verliessen, nachdem Sie Mascarini'n des Fürsten Liebe zur Lucrezie'n entdeckt hatten. Sie konnten Sich wohl einbilden, daß dem Großherzog Ihre Verrätherey nicht lange würde verborgen bleiben. Zugegeben! antwortete Lucinde'ns Sohn. Deßhalb war ich auch, trotz der Versicherung des Ministers, mich nicht der Rache des Fürsten bloß zu stellen, Willens auf's ehste zu verschwinden.

Ich kam, fuhr er fort, mit dem Ueberreste der Reichthümer in Barcellona an, die ich aus Algier mitgebracht, und deren größten Theil ich zu Florenz verjunkertVerjunkert. Verjunkern, »auf eine junkermäßige oder edelmännische Art durchbringen.« Ein aus dem Niedersächsischen längst in die vertrauliche Sprechart der Hochdeutschen hinübergenommener Ausdruck, der mir hier vorzüglich zu passen scheint. – A. d. Uebers. hatte. In 198 Catalonien hielt ich mich nicht lang' auf. Ich sehnte mich zu sehr nach Madrid, meinem reitzenden Geburtsort, und diesen Drang befriedigt' ich, sobald ich nur konnte. Bey meiner Ankunft in dieser Stadt miethete ich mich von ungefähr in ein Haus ein, worin eine Dame, Nahmens Camilla, wohnte. Ob gleich nicht mehr in ihrem Frühlinge, so war's dennoch ein sehr anziehendes Geschöpf. Ich nehme dieserhalb den Sennor Gil Blas zum Zeugen, der sie nicht lange nachher in Valladolid gesehen. Sie besaß noch mehr Geist, als Schönheit, und vielleicht hatte nie eine Abenteurerinn mehr Talent, gute ehrliche Gimpel in's Netz zu locken als sie. Doch glich sie nicht jenen Buhlerinnen, die von den Erkenntlichkeiten ihrer Liebhaber sich ein feines Capitälchen sammeln; hatte sie einen Finanzier ausgeplündert, so theilte sie dessen Ausbeute mit dem ersten, besten Glücksritter, der ihr anstand.

Sobald wir einander sahen, liebten wir uns auch, und die Aehnlichkeit unsrer Neigung knüpfte uns so fest an einander, daß wir in Kurzem in völliger Gemeinschaft unsrer Güter lebten. Allzubeträchtlich konnte man diese, die Wahrheit zu sagen, eben nicht nennen, daher kam es denn auch, daß wir sie gar bald verschlampamptVerschlampampen, in pomphaften Schlemmereyen verzehren, ein guter Niedersächsischer, schon längst in die vertrauliche Sprechart der Hochdeutschen übergegangene Ausdruck. – A. d. Uebers. 199 hatten. Zu allem Unglücke dachten wir alle Beyde auf weiter nichts, als einander zu gefallen, und benutzten unsre gute Anlagen, auf andrer Leute Kosten zu leben, gar nicht. Endlich weckte der Mangel unsre durch das Vergnügen eingeschläferten Geisteskräfte wieder auf.

Trauter Raphael, sagte Camilla zu mir, laß uns eine Diversion machen. Bleiben wir einander noch ferner treu, so sind wir zu Grunde gerichtet. Du, mein Schatz, kannst eine reiche Witwe auffischen, und ich einen alten, vornehmen Herrn. Spielen wir unsre Pastor-fido-Geschichte weiter, so bringen wir uns beyderseits rein um unser Glück.

Du kommst mir nur zuvor, schöne Camilla, antwortete ich ihr. Eben wollt' ich Dir diesen Vorschlag thun. Ich bin völlig, völlig zufrieden, meine Königinn. Um aber unsre gegenseitige Liebe desto besser zu unterhalten, wollen wir auf lauter einträgliche Eroberungen bedacht seyn. Unsre Treulosigkeiten sollen uns Anlaß zu Triumphen geben.

Nach diesem Vertrage rückten wir in's Feld hinaus, machten starke Bewegungen hin und her, ohne irgendwo Beute erlangen zu können. 200 Camilla stieß auf lauter Stutzer, das will sagen, auf lauter Liebhaber, die keinen Pfennig hatten, und ich auf Frauenzimmer, die lieber Contributionen ausschrieben, als zahlten. Da Amor unsern Bedürfnissen nicht abhelfen wollte, nahmen wir zu dem guten Mercur unsre Zuflucht. Wir trieben aber das Ding so viel und so häufig, daß der Corregidor davon hörte, und dieser Richter, der so streng war, wie der Teufel, sandte einen seiner Alguazils aus, uns in Haft zu nehmen; allein der Alguazil, der eben so gut, als der Corregidor arg war, ließ uns für eine kleine Summe Geldes so viel Zeit, aus Madrid zu entwischen.

Wir gingen nach Valladolid, und liessen uns daselbst nieder. Ich miethete ein Haus für mich und Camille'n, die ich, um alles Aergerniß zu vermeiden, für meine Schwester ausgab. Anfänglich kramten wir unsre Pfiffe nicht aus, und hoben nur an, das Terrän zu studieren, ehe wir eine Unternehmung wagten.

Eines Tages trat ein Mensch auf der Straße mich an, und sagte nach einer sehr höflichen Begrüßung zu mir: Sennor Don Raphael, kennen Sie mich noch wohl? Nein, versetzt' ich. Ich Sie aber, wie ein Däußchen! erwiederte er. Ich habe Sie an dem Toscanischen Hofe gesehen. Ich stand damahls unter der Leibwache des Großherzog's. Seit einigen Monathen hab' ich dessen Dienste verlassen, und bin 201 mit einem der verschmitztesten Italiäner nach Spanien gekommen. Wir sind seit drey Wochen zu Valladolid, und halten uns bey einem Castilier und Gallizier auf, beydes ohne Widerrede recht wackere Jungen. Wir leben insgesammt von unsrer Hände Arbeit; wir pokuliren, bankettiren, und jubeln, wie die Prinzen. Wollen Sie zu unsrer Gesellschaft treten, so werden Sie meinen Collegen lieb und willkommen seyn. Ich habe Sie immer für einen kreuzbraven Herrn gehalten, dessen Gewissen eben nicht zu eng' ist, und der's in unsern Ordensgeheimnissen weit gebracht hat.

Die Offenherzigkeit dieses Gauners forderte die meinige auf. Da Ihr so rund mit mir heraus redet, sagt' ich zu ihm, verdient Ihr, daß ich's auch thue. Ich bin nicht Neuling in Eurem Metje, und erlaubte mir meine Bescheidenheit, Euch einige von meinen Thaten zu erzählen, so würdet Ihr sehen, daß Ihr keine zu günstige Meinung von mir gefaßt habt. Doch weg mit allem Eigenlobe! Ich will Euch nur bloß so viel sagen, daß ich den mir angebothenen Platz annehme, und nichts sparen werde, Euch zu beweisen, daß ich dessen nicht unwürdig bin.

Kaum hatt' ich diesem Herrn Langfinger gesagt, daß ich zu seinen Kameraden stoßen wollte, als er mich an den Ort führte, wo sie sich aufhielten, und mit ihnen bekannt machte. 202 Hier sah' ich den berühmten Ambrosio von Lamela zum erstenmahle.

Diese Herren examinirten mich aus der Kunst, des Nächsten Geld und Gut sich auf eine schlaue Art zuzueignen. Sie wollten wissen, ob ich Grundsätze hätte; ich zeigte ihnen aber bald Stückchen, die ihnen unbekannt waren, und die sie bewunderten. Noch mehr geriethen sie in Erstaunen, als ich meine Fixfingrigkeit als etwas gar zu alltägliches verachtete, und ihnen sagte, daß ich in Betriegereyen, die Kopf erforderten, meine größte Stärke hätte.

Um sie hiervon zu überzeugen, erzählt ich ihnen den Vorfall mit dem Hieronymo von Moyadas, und durch die bloße Erzählung dieses Streiches fanden sie in mir einen sie so weit überragenden Kopf, daß sie mich einstimmig zu ihrem Anführer erklärten. Ich habe auch hinlänglich ihre Wahl durch eine unzählige Menge Gaunereyen gerechtfertigt, deren Haupttriebrad ich so zu sagen war. Brauchten wir eine Actrice, uns im Nothfalle zu unterstützen, so bedienten wir uns der Camille, die alle Rollen, die wir ihr auftrugen, zum Entzücken spielte.

Zu der Zeit wandelte unserm Bruder Ambrosio die Lust an, sein Vaterland wieder zu sehen. Er reisete nach Gallizien, mit der Versicherung, daß er ganz gewiß wieder käme. Nachdem er seine Lust gestillt hatte, ging er 203 auf seiner Rückreise durch Burgos, um zu sehen, ob dort ein Schnitt zu machen wäre. Ein dasiger Gastwirth, der mit ihm bekannt war, bracht' ihn bey dem Sennor Gil Blas von Santillana in Dienste, und entdeckte ihm dessen ganze Geschichte und Pläne.

Sennor Gil Blas, fuhr Don Raphael fort, und wandte sich zu mir, Sie wissen, wie wir Ihnen in einem Hôtel garni zu Valladolid Ihre Fettfedern ausgepflückt haben; ohn' allen Zweifel haben Sie Ambrosio'n für das Hauptwerkzeug dieses Diebstahls gehalten, und Sie haben sich nicht geirrt. Kaum waren Sie Beyde angekommen, so ging er zu uns, erzählte uns alles, was er von Ihnen wußte, und in unsern Kram dienen konnte, und die Herren Impressarii richteten sich darnach.

Die Folgen dieses Abenteuers sind Ihnen unbekannt, und die will ich Ihnen erzählen. Ambrosio und ich nahmen Ihr Felleisen, setzten uns auf Ihre Maulthiere, und damit sprengten wir nach Madrid zu, ohne uns an Camille'n noch an unsre andre Kameraden zu kehren, die unstreitig den folgenden Morgen eben so große Augen werden gemacht haben, als Sie, da Sie uns nicht mehr wiedersahen.

Den Tag darauf änderten wir unsern Reiseplan, und anstatt nach Madrid zu gehen, das ich nicht ohn' Ursache verlassen hatte, 204 gingen wir über Zebreros nach Toledo. Das Erste, was wir hier vornahmen, war, uns sehr nette Kleider anzuschaffen. Wir gaben uns sodann für zwey Gallizische Brüder aus, die aus Neugier reiseten, und machten bald mit sehr wackern Leuten Bekanntschaft. Ich war an das Cavalierspielen so gewöhnt, daß sich das beste Aug' an mir vergucken konnte, und da man durch Aufwand gemeiniglich verblendet, so streuten wir durch galante Feste, die wir den Damen zu geben begannen, Jedermann Staub in die Augen.

Eins unter den Frauenzimmern, denen ich meine Aufwartung machte, fesselte mein Herz. Ich fand sie weit schöner, wie Camille'n, und weit jünger. Ich wollte wissen, wer sie war, und erfuhr, daß sie Violanta hieß, und einen Cavalier geheirathet habe, der ihrer Liebkosungen bereits überdrüßig sey, und hinter eine Kurtisaninn anrennte, in die er verliebt war. Mehr durft' ich nicht wissen, um Violante'n zur obersten Beherrscherinn meiner Gedanken zu erklären.

Sie ward bald ihre Eroberung gewahr. Ich folgte ihr auf allen Schritten nach, und begann hunderterley Thorheiten, um sie zu überführen, daß ich nichts mehr wünschte, als sie über die Untreue ihres Gemahls zu trösten. Die Schöne nahm's in Ueberlegung, und in Kurzem hatte ich das Vergnügen, zu sehen, daß sie meine 205 Absichten nicht mißbilligte. Ich erhielt von ihr ein Billet zur Beantwortung der vielen Briefchen, die ich ihr durch eine von jenen Alten einhändigen ließ, die in Spanien und in Italien den Verliebten zu so großer Bequemlichkeit gereichen. Die Dame meldete mir: ihr Gemahl speiste alle Abende bey seiner Maitresse, und käme erst sehr spät zu Hause.

Ich merkte den Wink, begab mich noch in eben der Nacht unter Violante'ns Fenster, und hielt mit ihr eine der zärtlichsten Unterredungen. Ehe wir uns trennten, trafen wir Abrede, alle Nächte um eben die Stunde zusammen zu kommen, und uns auf eben die Art zu unterhalten, unbeschadet all' den übrigen Handlungen der Galanterie, die wir bey Tage würden vornehmen können.

Bis jetzt war Don Baltasar, so hieß Violante'ns Gemahl, noch wohlfeil genug davon gekommen; da ich aber nicht zu den platonischen Liebhabern gehörte, begab ich mich eines Abends unter die Fenster der Dame, des Vorsatzes, ihr zu sagen, daß ich nicht länger leben könnte, wenn sie mir nicht ein Gespräch unter vier Augen an einem Orte verstattete, wo der Ausbruch meines heissen Liebesdranges ziemlicher sey. Dieß hatt' ich noch nicht von ihr erhalten können.

Kaum war ich aber da, so sah' ich einen Menschen die Straße heraufkommen, der mich 206 zu beobachten schien. Und das war Violante'ns Mann, der von seinem Mädchen früher als gewöhnlich zurückgekommen war. Da er bey seinem Hause eine Mannsperson gewahrte, ging er nicht in selbiges hinein, sondern Straß' auf Straß' ab. Ich war eine Zeit lang ungewiß, was ich thun sollte. Endlich entschloß ich mich, den Don Baltasar anzureden, den ich so wenig kannte, als er mich.

Sennor Cavallero, sagt' ich zu ihm, haben Sie die Gewogenheit für mich, Sich heute aus der Gegend hier zu entfernen. Ein andermahl bin ich zu einer gleichen Gefälligkeit erböthig. Sennor, antwortete er mir, gerade die Bitte wollt' ich an Sie thun. Ich bin in ein Mädchen verliebt, deren Bruder sie auf's sorgfältigste bewachen läßt, und die zwanzig Schritte von hier wohnt. Ich wünschte wohl, daß niemand hier auf der Straße wäre.

Dem Dinge läßt sich abhelfen, versetzt' ich, und zwar ohne daß einer von uns beyden dem andern beschwerlich wird. Denn hier wohnt die Dame, die ich bediene, setzt' ich hinzu, und zeigte auf sein eigenes Haus. Wir müssen sogar einander beystehen, wenn wir sollten angefallen werden. Das müssen wir, erwiederte er. Ich gehe nach meinem Rendezvous, ist's nöthig, so eil' ich her, und halt' Ihnen den Rücken frey. Mit diesen Worten verließ er mich, doch bloß um mich um 207 so besser beobachten zu können. Die Dunkelheit der Nacht kam ihm hierbey wohl zu statten.

Ich, meiner Seits, ging ganz treuherzig nach Violante'ns Altan. Sie erschien bald, und wir begannen uns zu unterhalten. Ich drang in meine Königinn, mir irgendwo eine geheime Unterredung zuzugestehen. Sie widerstand eine Zeit lang meinen sehnlichen Bitten, um den Preis der Gunst, darum ich flehte, zu erhöhen; endlich zog sie ein Billet aus der Tasche, und warf mir's mit den Worten zu: Hierin finden Sie die Zusage dessen, warum Sie mich so quälen.

Da die Stunde herannahte, wo ihr Mann gewöhnlichermaßen zu Hause zu kommen pflegte, begab sie sich fort. Ich steckte das Billet ein, und ging auf den Ort zu, wo Baltasar, seinem Vorgeben nach, sein Geschäft trieb. Ihm war es nicht entgangen, daß ich ein Aug' auf seine Frau hatte, und er kam mir mit den Worten entgegen: Glücklich gewesen, Sennor? Ganz nach Wunsche, antwortete ich ihm. Und Sie?

Leider! nichts weniger, versetzte er. Der verdammte Bruder meiner Geliebten, den wir erst morgen von seinem Landhause zurück erwarteten, ist heut eingetroffen. Dieser Querstreich hat mir das verhoffte Vergnügen geraubt.

Baltasar und ich gaben uns wechselseitig Freundschaftsversicherungen, und nahmen 208 Abrede, den folgenden Morgen auf dem Marktplatze zusammen zu kommen. Nachdem wir uns getrennt hatten, ging er in sein Haus, ohne sich gegen Violante'n im geringsten merken zu lassen, daß er hinter ihre Schliche gekommen sey. Den folgenden Tag fand er sich ein wenig vor mir auf dem Marktplatze ein. Wir begrüßten uns ganz freundschaftlich.

Hierauf vertraute mir der listige Don Baltasar der Länge nach seine ganze Intrike mit dem Mädchen, von der er mir gestern Nacht gesagt. Lauter Vorspiegeleyen; ein bloß deßhalb von ihm ersonnenes Mährchen, um von mir zu erfahren, wie ich zuerst mit Violante'n bekannt geworden war. Ich fiel in die mir gelegte Schlinge, und gestand es ihm ganz offenherzig; wies ihm sogar den von ihr erhaltenen Brief, und las ihm denselben vor. Der Inhalt war folgender:

»Morgen Mittag speis' ich bey Donna Ines, deren Wohnung Ihnen nicht unbekannt ist. In dem Hause dieser treuen Freundinn wollen wir uns unter vier Augen sprechen. Ich kann Ihnen nicht länger diese Gunst verweigern, die Sie zu verdienen scheinen.«

Dieß Billet, sagte Don Baltasar, verspricht Ihre Liebe zu belohnen. Ich wünsche Ihnen 209 Ihnen zum Voraus Glück zu den Freuden, die Sie erwarten. Er kam bey diesen Worten ein wenig ausser Fassung; es fiel ihm aber leicht, seine Unruhe und Verlegenheit zu verbergen. Ich war so voll von meinem Glücke, daß ich mir's nicht einfallen ließ, meinen Vertrauten zu beobachten, der mich doch endlich verlassen mußte, aus Furcht, ich möchte den Aufruhr in seiner Seele wahrnehmen.

Er rannte zu seinem Schwager, und erzählt' ihm alles. Was unter ihnen vorgefallen ist, weiß ich nicht; doch das weiß ich, daß Don Baltasar gerade zu der Zeit an die Thür der Donna Ines pochte, als ich mich nebst seiner Frau bey dieser Dame befand. Wir erfuhren, daß er da sey, und ich entwischte zur Hinterthür, eh' er zur vordern hereinkam.

Sobald ich verschwunden war, bekamen die Damen, die durch des Mannes unerwartete Ankunft waren bestürzt worden, wieder Muth, und empfingen ihn mit so dreister Stirn, daß er wohl merkte, ich müsse versteckt seyn, oder mich aus dem Staube gemacht haben. Was er Donna Ines und seiner Frau gesagt hat, werd' ich Ihnen nicht erzählen, weil ich es selbst nicht erfahren habe.

Ohne im mindesten zu argwöhnen, daß ich von Don Baltasar gefoppt würde, ging ich mit Flüchen gegen ihn fort, und auf den großen Platz, wohin ich Lamela'n bestellt hatte; 210 fand ihn aber nicht. Er ging seinen Liebeley gleichfalls nach, und der Schelm war glücklicher, wie ich.

Indem ich auf ihn wartete, kam mein treuloser Vertrauter ganz fröhlich daher. Er fragte mich lachend, wie meine geheime Conversation mit meiner Nymphe bey der Donna Ines abgelaufen wäre. Ich weiß nicht, antwortet' ich, welcher neidische Dämon ein Behagen darin findet, all' meine Vergnügungen zu zerstören. Da ich mit der Dame allein war, drang ich in sie: mich glücklich zu machen, und gerad' in dem Augenblicke kam ihr Mann, der verdammte Hund! und pochte an die Hausthür. Ich entfernte mich durch einen verborgenen Ausgang, und wünschte den alle meine Maßregeln zerstörenden Schurken zu allen Teufeln.

Thut mir herzlich leid, sagte Don Baltasar, der sich über meinen Verdruß nicht wenig kitzelte. Ein unverschämter Kerl von Ehemann! Ihm kein Quartier gegeben, das ist mein Rath. Soll geschehen, lieber Freund, erwiedert' ich, und ich kann Ihnen versichern, diese Nacht soll seine Ehre über die Klinge springen. Seine Frau sagte mir beym Weggehen, ich möchte mich durch solche Kleinigkeiten nicht abschrecken lassen, wieder wie gewöhnlich unter ihren Fenstern erscheinen, nur früher; aus Vorsicht aber, und aus Furcht vor Ueberfall, 211 möcht' ich ein Paar Freunde zur Bedeckung mitnehmen.

Was für eine vorsichtige Dame! sagte er. Ich biethe mich zu Ihrem Begleiter an. Ah! theurer Freund, rief ich ganz ausser mir vor Freude, und fiel ihm um den Hals, wie sehr werden Sie mich verbinden. Noch mehr, sagte er; ich kenne einen jungen Mann, einen Cäsar an Muth. Der soll mit von der Partie seyn. Alsdann können Sie Sich kühnlich auf eine solche Bedeckung verlassen.

Ich wußte nicht, wie ich mich bey meinem treuen Freunde für so viel Dienstfertigkeit genugsam bedanken sollte, und nahm endlich den mir angebothenen Beystand an. Wir trafen Abrede, uns unter Violante'ns Fenstern bey anbrechender Nacht einzufinden, und gingen aus einander.

Er eilte nach seinem Schwager, das war der mir vorgepriesene muthige Cäsar, und ich spazierte mit Lamela'n bis gegen Abend umher. Dieser wunderte sich zwar, daß Don Balthasar mit solcher Wärme in mein Interesse trat, hatte aber daraus so wenig Arges, als ich. Wir rannten blindlings in die uns gegrabene Grube; was freylich Leuten, wie uns, nicht zu verzeihen war.

Als ich es für Zeit hielt, unter Violante'ns Fenstern zu erscheinen, begab ich mich mit Ambrosio'n dahin. Wir hatten tüchtige 212 Raufer an. Der Mann der Dame, und noch eine andere Mannsperson erwarteten uns bereits. Sennor, hob Don Baltasar an, und stellte mir seinen Schwager vor, das ist der Cavalier, dessen Bravheit ich Ihnen gerühmt habe. Gehen Sie hinein zu Ihrer Geliebten, und geniessen Sie ungestört das ganze Maß der Sie erwartenden Seligkeit.

Nach einigen gewechselten Complimenten pocht' ich an Violante'ns Thür. Eine Art von Duenna öffnete. Ohne mich an das zu kehren, was hinter mir geschahe, ging ich hinein, und in den Saal, wo die Dame war. Während ich sie begrüßte, entdeckten sich die beyden Verräther, die mir nachgefolgt waren, und die Thür so schnell hinter sich zugeschlagen hatten, daß Ambrosio hatte draussen bleiben müssen.

Natürlicher Weise war hier kein anderer Rath, als vom Leder ziehen. Sie fielen beyde zugleich auf mich ein; ich tummelte sie aber wacker herum, und hielt sie so warm, daß sie's vielleicht reuen mochte, sich nicht auf eine sichrere Art an mir gerächt zu haben. Den Mann stieß ich nieder. Da der Schwager seinen Mitstreiter fallen sahe, rannt' er nach der Thür. Sie stand offen, weil sich Violante und die Duenna während unsers Kampfes zu selbiger hinaus geflüchtet hatten. Ich verfolgte ihn bis auf die Straße, wo ich Lamela'n fand. 213

Er hatte aus den fliehenden Weibern kein Wort hervorbringen können, und wußte gar nicht, was er aus dem vernommenen Geräusche machen sollte. Wir kehrten nach unsrer Herberge zurück, nahmen das Beste, was wir hatten, mit, setzten uns auf unsre Maulthiere, und ritten, ohne den Tag abzuwarten, zur Stadt hinaus.

Wir begriffen gar leicht, daß diese Sache Folgen haben könnte, und daß in Toledo unserthalben Nachforschungen würden angestellt werden, denen wir zuvorzukommen für rathsam fanden. Zu Villarubia hielten wir unser Nachtlager. Kurz nach uns traf in dem nähmlichen Wirthshause, wo wir logirten, ein Toledischer Kaufmann ein, der nach Segorbien reiste. Wir speisten mit ihm, und er erzählte uns den tragischen Vorfall mit Violante'ns Manne. Er war so weit entfernt, uns in Verdacht zu haben, daß wir ganz dreist allerhand Fragen an ihn thun konnten.

Meine Herren, sagte er zu uns, als ich heute Morgen abreiste, erfuhr ich diese traurige Begebenheit. Man sucht Violante'n allenthalben, und es heißt, der Corregidor, ein Anverwandter des Don Baltasar, sey entschlossen, die Urheber dieses Mordes herauszubringen; es kost' auch, was es wolle. Weiter weiß ich nichts. 214

Ich kehrte mich an die Nachforschungen des Corregidors wenig, gleichwohl faßt' ich den Entschluß, Neucastilien auf's schnellste zu verlassen. Findet man Violante'n, dacht' ich, so beichtet die alles, gibt der Gerechtigkeit eine vollständige Beschreibung von meiner Person, und die sendet ihre Helfershelfer auf meine Fährte. Deßhalb schlugen wir uns den folgenden Tag, aus Vorsicht, von der Landstraße ab. Zum Glücke war Lamela'n drey Viertheile von Spanien bekannt, und er wußte alle die Schleifwege, durch welche wir sicher bis nach Arragonien kommen konnten. Anstatt gerade nach Cuenca zu gehen, machten wir uns in die Gebirge, die vor dieser Stadt liegen, und gelangten durch Fußsteige, die meinem Wegweiser nicht unbekannt waren, an eine Höhle, die uns eine Clausnerzelle schien.

Es war auch wirklich eben die, vor welche Sie, Senneros Cavalleros, gestern Abend kamen, und mich um Nachtquartier bathen. Indeß ich die umliegende Gegend betrachtete, die eine der lachendsten Landschaften vorstellte, sagte mein Kamerad zu mir: Vor sechs Jahren wandert' ich hier vorbey. Damahls wohnte in dieser Höhle ein alter Einsiedler, der mich sehr liebreich aufnahm, und allen seinen Vorrath mit mir theilte. 'S war ein heiliger Mann, besinn' ich mich, der mir so viel vorpredigte, daß ich bey einem Haare der Welt 215 ganz abgestorben wäre. Vielleicht lebt er noch. Muß doch einmahl zusehen.

Mit diesen Worten stieg der neugierige Ambrosio von seinem Maulthier, und ging in die Einsiedeley. Nach einigen Augenblicken kam er wieder, und rief mich. Ein rechter rührender Auftritt, Don Raphael! sagte er. Kommen Sie, und sehen Sie ihn mit an. Ich stieg ab, wir banden unsre Maulthiere an Bäume, und gingen in die Höhle.

Hier lag der alte Einsiedler auf einer jämmerlichen Bettstelle ausgestreckt, in den letzten Zügen. Ein sehr dichter weißer Bart bedeckte seinen halben Leib, um seine gefaltene Hände war ein großer Rosenkranz gewunden. Das Geräusch, das unser Hineintreten verursachte, machte ihn seine Augen öffnen, die der Tod bereits zu schliessen begann.

Nachdem er uns einen Augenblick angesehen hatte, sagte er zu uns: Wer Ihr auch seyd, meine Brüder, macht Euch das gegenwärtige Schauspiel zu Nutze. Vierzig Jahre hab' ich in der Welt gelebt, und sechzig in dieser Einöde. Ah! wie lang däucht mir in diesem Augenblick die Zeit, die ich auf meine Vergnügungen verwandt, wie kurz hingegen die, welche ich der Buße gewidmet habe. Ich besorge leider! daß der strengste Lebenswandel des Bruder 216 Juan die Sünden des Licentiaten Juan de Solis nicht genugsam wird verbüßt haben.

Kaum hatte er diese Worte gesagt, so starb er. Dieser Tod ging uns nahe. Ein solcher Anblick macht auch auf den größten Wüstling einigen Eindruck. Doch war dieß bey uns nicht von langer Dauer; wir vergaßen bald seine Ermahnungen, setzten uns hin, und machten eine Specification von alle dem, was sich in unsrer Höhle befand. Kein allzugroßes Stückchen Arbeit. Denn weiter waren keine Möbeln in der Höhle, als diejenigen, die Sie darin gesehen haben. Bruder Juan war nicht allein schlecht mit Hausgeräth versehen, sondern auch seine Küche war herzlich schlecht bestellt. Sein ganzer Eßvorrath bestand aus einigen Haselnüssen, und ein Paar steinharten Rinden Gerstenbrot, die die Kiefern des heiligen Mannes vermuthlich nicht hatten zermalmen können. Seine Kiefern, sag' ich, denn seine Zähne, merkten wir, waren ihm alle ausgefallen.

Alles, was in dieser einsamen Wohnung war, alles, was wir rund um uns erblickten, machte, daß wir den guten Anachoreten für einen Heiligen hielten. Nur eins war uns anstößig, auf seinem Tische hatten wir ein in Briefform zusammengelegtes Papierchen gefunden, worin er denjenigen, der es lesen würde, 217 bath, dem Bischofe von Cuenca seinen Rosenkranz und seine Sandalien zu überbringen.

In welcher Absicht dieser neue Prediger in der Wüsten seinem Bischofe ein solches Geschenk zugedacht, konnten wir nicht errathen. Uns schien dieß der Demuth grade entgegen zu laufen, und es kam uns vor, als woll' er den Heiligen spielen. Vielleicht hatte er es auch aus bloßer Einfalt gethan.

Dem sey nun wie ihm wolle, Lamela'n fiel, indem wir hierüber sprachen, eine Schnurre ein. Wollen in dieser Einsiedeley bleiben, sagte er zu mir; und uns als Einsiedler verkappen. Den Bruder Juan begraben wir; Ihr gebt Euch für ihn aus, und ich gehe unter dem Nahmen Bruder Antonio in die benachbarten Städte und Flecken und sammle Almosen ein. Auf die Art sind wir nicht nur vor den Nachstellungen des Corregidors gedeckt, denn uns hier aufzusuchen fällt ihm gewiß nicht ein, sondern wir können auch mit verschiednen guten Bekannten Umgang pflegen, die ich in Cuenca habe.

Dieser närrische Einfall behagte mir nicht sowohl wegen der von Ambrosio angeführten Gründe, als aus Laune, und um eine neue Rolle spielen zu können. Wir machten dreyßig oder vierzig Schritte von der Höhle eine Grube, und legten in selbige den alten Einsiedler gar säuberlich, nachdem wir ihm seine Kleider ausgezogen, das will sagen, einen schlichten 218 langen Rock, den er mit einem ledernen Gürtel zugebunden hatte. Auch schnitten wir ihm den Bart ab, damit ich einen falschen bekommen könnte. Nach seiner Beerdigung nahmen wir von der Einsiedeley Besitz.

Den ersten Tag war Meister Schmalhans Küchenmeister, wir mußten uns mit dem Mundvorrathe des Verstorbenen behelfen. Den folgenden Tag aber, noch eh' die Morgenröthe anbrach, machte sich Lamela mit den beyden Maulthieren auf den Weg, verkaufte sie zu Toralva, und kam den Abend zurück mit Lebensmitteln und andern Sachen beladen, die er eingekauft hatte. Er brachte alles mit, was zu unserer Verkleidung erforderlich war.

Sich selbst machte er einen Rock von grobem braunen Tuche, und einen rothen Bart von Pferdehaaren, den er so künstlich an den Ohren zu befestigen wußte, daß man hätte darauf schwören sollen, er wär' auf seinem Grund und Boden gewachsen. Ich glaube unter Gottes weitem blauen Himmel gibt's kein so künstliches Geschöpf als er. Auch machte er Bruder Juan's Bart zurechte, band ihn mir um, und meine braune wollne Mütze bedeckte das Kunststück völlig; kurz an unsrer Verkleidung fehlte nichts.

Wir sahen in dem Aufzuge so comisch aus, daß wir uns gar nicht des Lachens enthalten konnten, wenn wir diese Tracht ansahen, die sich für uns nicht im mindesten schickte. Ausser 219 dem Rock des Bruder Juan's hatt' ich auch seinen Rosenkranz und seine Sandalien, die ich ohne Gewissensscrupel dem Bischof von Cuenca vorenthielt.

Wir waren bereits drey Tage in der Einsiedeley, ohne Jemanden gesehen zu haben, am vierten Tag aber kamen zwey Bauern in die Höhle, die dem Verstorbenen, den sie noch für lebendig hielten, Brot, Käs' und Zwiebeln brachten. Sobald ich sie gewahr ward, warf ich mich auf's Bett. Mir fiel's sehr leicht, sie zu betrügen. So hell war's in der Höhle nicht, daß sie meine Gesichtszüge unterscheiden konnten, überdieß ahmt' ich Bruder Juan's Stimme, dessen letzte Worte ich gehört hatte, so gut, wie möglich nach.

Sie argwöhnten nicht das mindeste von unserm Betruge. Nur darüber schienen sie erstaunt, noch einen andern Einsiedler zu finden; allein Lamela, der ihre Verwunderung wahrnahm, sagte zu ihnen mit häuchlerischer Miene: Wundert Euch nicht, meine Brüder, mich in dieser Einöde zu sehen. Ich verließ meine Einsiedeley in Arragonien und kam hieher, um dem ehrwürdigen Bruder Juan Gesellschaft zu leisten. Er bedarf in seinem hohen Alter jemand, der ihm an die Hand geht, und sein pflegt.

Die Bauern erhoben Ambrosio's Gutherzigkeit bis an die Wolken, und sagten: 's wär' ihnen ungemein lieb, daß sie sich rühmen 220 könnten, zwey so heilige Personen in ihrer Gegend zu haben.

Lamela nahm einen großen Zwerchsack, den er einzukaufen nicht vergessen hatte, auf die Schultern, und ging nach Cuenca, das von der Einsiedeley nur eine kleine Meile abliegt, um zum erstenmahle Almosen einzusammeln. Die fromme Miene die er von Natur hat, und die er auf's glücklichste zu benutzen versteht, ließ es nicht an mitleidigen Seelen fehlen, die ihn auf's reichlichste versorgten. Sein Sack ward voll von unten an bis oben aus.

Sennor Ambrosio, sagt' ich zu ihm, wie er zurückkam, ich gratuliere zu dem glücklichen Talent, das Du besitzest, christliche Seelen zu erweichen. Man sollte wahrhaftig und Gott sagen, Du wärst SyndikoDer Almoseneinnehmer bey dem Bettelorden. bey den Capuzinern gewesen. Ich hab' auch mehr gethan, sagte er, als meinen Zwerchsack angefüllt; Du mußt wissen, ich habe eine gewisse Nymphe aufgefischt, die Bärbchen heißt, eine alte Bekannte und Liebschaft von mir. Blitz! die hat ganz umgesattelt, sich so, wie wir, auf die andächtige Seite gelegt. Sie wohnt noch mit zwey oder drey Beaten zusammen, die öffentlich die Welt erbauen, und insgeheim das ärgerlichste Leben führen. Sie erkannte mich nicht sogleich. 221

Ist es möglich Sennora, sagte ich, daß Sie einen Ihrer alten Freunde, Ihren Diener Ambrosio nicht mehr kennen? Bey meiner Ehre, Sennor de Lamela, rief sie, Sie in der Tracht zu sehen hätt' ich mir nie träumen lassen. Wie kommen Sie denn zu der Einsiedlerjacke? Was ich Ihnen jetzt nicht sagen kann, erwiederte ich. Die Historie möcht ein wenig zu lange währen. Morgen Abend komm' ich wieder, und werde Ihre Neugier befriedigen. Ueberdieß will ich meinen Ordensgesellen, den Bruder Juan mitbringen. Den Bruder Juan? fiel sie mir ein. Den guten alten Eremiten, dessen Einsiedeley nicht weit von dieser Stadt liegt? Den? Ihr spaßt! Er soll ja hundert Jahre alt seyn.

Er war's auch in der That, erwiedert' ich. Seit einigen Tagen aber hat er sich verjüngt, und ist nicht älter als ich. Na, so bringt ihn immer mit, sagte Barbe. Ich merke wohl, daß das Ding einen Haken haben muß.

Den folgenden Tag, sobald es Nacht geworden war, gingen wir zu diesen Scheinheiligen, die um uns besser zu empfangen, mächtig hatten aufwixen lassen. Husch warfen wir unsre Bärte und Einsiedlerkutten weg, und gaben ohn' Umstände diesen Prinzessinnen zu erkennen, wer wir waren. Um uns nun an Freymüthigkeit nicht in Rest zu bleiben, zeigten sie uns, wozu Betschwestern fähig sind, wenn sie ihre Larve abgeworfen haben. 222

Wir tafelten beynahe die ganze Nacht durch, und begaben uns nur einen Augenblick vor Tage wieder in unsre Höhle. Wir blieben nicht lange weg, oder um besser zu sagen, wir besuchten sie ein ganzes Vierteljahr hintereinander, und verzehrten Dreyviertheile unsers Geldchens mit diesen gutwilligen Dingern.

Allein eine neidische Bestie spionirt alles aus, gibts' bey der Obrigkeit an, und die wird sich heut nach der Einsiedeley begeben, um sich unserer Personen zu bemächtigen. Wie gestern Ambrosio in Cuenca Almosen einsammelt, begegnet ihm eine von unsern Beaten, gibt ihm ein Billet, und sagt: mir hat eine gute Freundinn diesen Zettel geschrieben, den ich Euch durch einen Expressen zuschicken wollte. Zeigt ihn dem Bruder Juan, und nehmt darnach eure Maßregeln. Das war das Billet, meine Herren, das Lamela in Ihrer Gegenwart mir einhändigte, und dessentwegen wir unsre einsame Wohnung so schnell verliessen.

 


 << zurück weiter >>