Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Fünftes Buch.

Erstes Kapitel.

Was Auroren von Gusman vornahm, als sie in Salamanka angekommen war.

Wir langten ohne weitere widrige Vorfälle in Salamanka an; mietheten daselbst ein ganz ausmöblirtes Haus, und Dame Ortiz nahm, unsrer Abrede gemäß, den Nahmen Donna Chimena von Gusman an. Sie war zu lange Duenna gewesen, um nicht gute Schauspielerinn zu seyn. Eines Morgens begab sie sich mit Aurore'n, einer Kammerfrau und einem Bedienten nach einem Hause, worin, wie wir erfahren hatten, Don Pacheco gemeiniglich zu logiren pflegte, und fragte, ob nicht hier einige Zimmer zu vermiethen wären. Man antwortete ihr mit Ja, und zeigte ihr einige recht artige. Sie miethete sie, gab der Wirthinn Geld darauf, und sagte, es wäre für einen 4 ihrer Neffen, der von Toledo käme, um zu Salamanka zu studieren, und der noch heut anlangen müßte.

Die Duenna und mein Fräulein kamen, nachdem sie dieß Geschäft abgethan hatten, wieder zurück, und die schöne Aurora warf sich ungesäumt in Mannskleider; bedeckte ihr schwarzes Haar mit einer blonden Perücke, färbte ihre Augenbraunen auch blond, und kleidete sich so an, daß man sie völlig für einen jungen Cavalier halten konnte. Ihr Mienen- und Gesten-Spiel war frey und leicht, und ihr Gesicht ausgenommen, das für eine Mannsperson ein wenig zu schön war, verrieth nichts ihre Verkleidung.

Das Mädchen, das ihr als Page dienen sollte, zog sich auch an, und wir waren nicht besorgt, daß sie ihre Rolle schlecht machen würde. Außerdem, daß sie eben nicht zu den hübschesten gehörte, hatte sie etwas Freches in ihrer Miene, was zu ihrer Rolle unvergleichlich paßte. Nachmittag, als unsre Actrisen im Stande waren, sich auf der Scene, – das heißt in der PosadaPosada ein Gasthof. sehen zu lassen, nahmen alle drey den Weg zu Wagen dahin; wir hatten alles Geräthe, dessen wir bedurften, bey uns.

Bernarda Ramirez (so hieß die Wirthinn) empfing uns mit ungemeiner Höflichkeit, 5 und führte uns in unsere Zimmer, woselbst wir uns mit ihr ins Wort ließen. Wir redeten mit ihr ab, was wir monathlich geben sollten, wenn wir täglich bey ihr an den Tisch gingen, und fragten hierauf: ob sie viele Kostgänger habe? Vor der Hand nicht! antwortete sie uns. Ich könnte aber die Hülle und Fülle haben, wenn ich allen Krehti und Plehti annehmen wollte; so mag ich aber weiter niemanden, als vornehme junge Herren. Ich erwarte noch heute Abend einen von Madrid, der hier noch ausstudieren will; 'nen allerliebsten Junker, höchstens zwanzig Jahr alt. Er heißt Don Luis Pacheco. Wenn Sie'n auch nicht persönlich kennen, werden Sie's doch vielleicht schon aus der Beschreibung.

Nein, sagte Aurore, ich weiß weiter nichts, als daß er aus einer ansehnlichen Familie ist, und möcht' ihn wohl gern näher kennen lernen, da ich mit ihm zusammen wohnen soll. Gnädiger Herr, erwiederte die Wirthinn, indem sie diesen falschen Cavalier genau in Augenschein nahm, 's ist 'n Figürchen, so niedlich, so schmuck wie 'n Pariser Döckchen! Beynahe so wie Sie. Ah! Sie werden recht gut zusammen stallen! Beym heiligen Jakob! ich werde mich rühmen können, zwey der artigsten, hübschesten Cavaliere von ganz Spanien im Hause zu haben. Ohne Zweifel ist dieser Don Luis, versetzte das Fräulein, bey den hiesigen Damen 6 gar wohl gelitten? O wahrhaftig und Gott! Recht hoch am Brette, versetzte die Alte. 'S ist Ihnen 'n gar muntrer Zeisig! 'N rechter Springinsfeld! Können mir's auf's Wort glauben! Der darf sich kaum sehn lassen, husch! hat er einige Weiberherzen weg. Unter andern hält er ein junges, und dabey sehr schönes Frauenzimmer in seinen Stricken. Sie heißt Isabelle, ist die Tochter 'nes alten Doctor Juris. Hören Sie, die hat sich so rasend in ihn vergafft, daß sie darüber noch gewiß verrückt wird.

Und sagt mir doch, meine Liebe, fiel Aurora ihr schnell in's Wort, ist er seiner Seits sehr in sie verliebt? Vor seiner Abreise nach Madrid war er's, antwortete Bernarda Ramirez, ob er's aber noch ist, weiß ich nicht. Farbe hält er eben nicht. Er macht's wie's alle junge Herren zu machen pflegen. Sie sind alle von Flandern, und wandern von einer zur andern.

Kaum hatte die gute Witwe dieß gesagt, so hörten wir einiges Getöse im Hofe, wir traten sogleich an's Fenster, und sahen zwey Mannspersonen vom Pferde absteigen. Es war Don Luis Pacheco selbst, der in Begleitung eines Kammerdieners von Madrid ankam. Die Alte verließ uns, um ihm entgegen zu gehen, und mein Fräulein schickte sich an, die Rolle des Don Felix zu spielen, doch nicht ohne Herzklopfen. Bald darauf trat Don Luis in's 7 Zimmer, noch völlig gestiefelt und gespornt. Wie ich höre, sagte er, indem er Aurore'n seine Verbeugung machte, logirt hier ein junger Edelmann von Toledo. Er wird mir erlauben, ihm meine Freude zu bezeigen, daß ich mit ihm unter Einem Dache zu wohnen komme.

Indeß, daß mein Fräulein dieß Compliment beantwortete, schien Pacheco meines Bedünkens erstaunt, einen so liebenswürdigen Cavalier zu finden. Auch konnt' er sich nicht enthalten, ihm zu sagen, er habe nie einen so schönen und wohlgebildeten Mann gesehen. Nach vielen Höflichkeitsreden von beyden Seiten begab sich Don Luis nach den ihm angewiesenen Zimmern.

Indeß er sich der Stiefeln entledigte, und reine Wäsche anlegte, suchte ihn ein PagePage. Darunter verstehen die Spanier häufig jeden kleinen Bedienten, etwa vom Schlage unserer Jokkeis. Dieß ist auch hier der Fall. – A. d. Uebers., um ihm einen Brief einzuhändigen. Von Ungefähr begegnete er Donna Aurore'n auf der Treppe, hielt sie für den Don Luis, und händigte ihr sein Billet mit den Worten ein: Hier, gnädiger Herr, ob ich gleich nicht die Ehre habe, den Sennor Pacheco zu kennen, so denk' ich doch, daß ich Sie nicht erst zu fragen brauche, 8 ob Sie's sind. Nach der Schilderey, die man mir von ihm gemacht hat, weiß ich gewiß, daß ich hier recht bin. Das seyd Ihr, mein Freund! das seyd Ihr! versetzte mein Fräulein mit bewundernswürdiger Besonnenheit. Ihr richtet Eure Aufträge ungemein gut aus. Ihr habt's errathen. Geht nur. Ich werde meine Antwort unfehlbar senden. Der Page verschwand, und Aurora schloß sich mit ihrem Mädchen und mir in ihr Zimmer ein, öffnete den Brief, und las uns daraus folgendes vor. »Eben hab' ich erfahren, daß Sie in Salamanka angekommen sind. Mit welcher Freude vernahm' ich diese Nachricht! Sie machte mich fast wahnsinnig. Aber lieben Sie Ihre Isabelle noch? Eilen Sie, ihr zu versichern, daß Sie Sich nicht geändert haben. Ich glaube, sie stirbt vor Freude, wenn sie Sie noch treu wieder findet.«

Auf mein Wort! sagte Aurore, das Billet verräth ein glühendes, liebetrunknes Mädchen. Eine Nebenbuhlerinn, die mich beunruhigen muß! Ich darf nichts sparen, den Don Luis von ihr abzuziehen, muß ihn sogar verhindern, sie je wieder zu Gesichte zu bekommen. Ein schweres Unternehmen! ich gesteh' es; dennoch geb' ich nicht die Hoffnung auf, es auszuführen. Hier sann mein Fräulein ein wenig nach, und einige Augenblicke darauf sagte sie: Ich bürg' euch dafür, binnen vier und zwanzig Stunden sollen sie im völligen Zwist seyn. 9

Nachdem sich Pacheco auf seinem Zimmer ein wenig ausgeruht hatte, kam er wieder zu uns, und knüpfte das Gespräch mit Aurore'n von neuem an.

Mein Herr, sagte er im schäckernden Tone, ich glaube, die Ehemänner und Liebhaber werden eben nicht Ursache haben, sich über Ihre Ankunft in Salamanka zu freuen. Wie werden die guten Leutchen nicht in Aengsten seyn! Ich meiner Seits zittere für meine Eroberungen. Hören Sie, antwortete mein Fräulein, in eben dem Tone, Ihre Furcht ist nicht ungegründet. Don Felix von Mendoze ist ein wenig furchtbar, das kann ich Ihnen sagen. Ich kenne dieß Land schon, und weiß, die hiesigen Damen sind nicht unempfindlich. Was für einen Beweis haben Sie davon? unterbrach ihn Don Luis lebhaft. Den überzeugendsten, erwiederte Don Vinzenzio's Tochter. Vor ungefähr einem Monath reiste ich hier durch. Ich hielt mich nur acht Tage hier auf, und hatte, im Vertrauen gesagt, die Tochter eines alten Doctor Juris in Flammen gesetzt.

Ich ward gewahr, daß Don Luis bey diesen Worten ein wenig unruhig ward. Könnte man wohl, fuhr er fort, Sie nach dem Nahmen der Dame fragen, ohne sich zu große Unbescheidenheit zu Schulden kommen zu lassen? Was Unbescheidenheit? rief der falsche Don Felix. Weshalb daraus ein Geheimniß machen? 10 Halten Sie mich für rückhaltender als andre Cavaliere meines Alters? Seyn Sie nicht so ungerecht gegen mich. Ueberdieß verdient – unter uns gesagt – der ganze Gegenstand nicht solche Schonung; es ist ein unbedeutendes Bürgermädchen. Sie wissen wohl, ein Mann von Stande denkt nie im Ernst an ein solch Creatürchen, und glaubt vielmehr ihr eine Ehre zu erzeigen, indem er sie entehrt. Sonach will ich Ihnen ohn' alle Umstände kund und zu wissen thun, die Doctorstochter heißt Isabelle. Und der Doctor etwa Sennor Murcia de la Llana? fiel ihr Pacheco ungeduldig ein. Richtig! versetzte mein Fräulein. Sie hat mir so eben diesen Brief geschickt. Lesen Sie ihn. und Sie werden sehn, ob mir das Mädchen gut ist.

Don Luis warf die Augen auf's Billet, und da er die Hand erkannte, stand er da betroffen und verstummt. Was seh' ich? fuhr nunmehr Aurore mit bestürzter Miene fort. Sie entfärben sich? Ich glaube, Gott verzeih' mirs, Sie nehmen einiges Interesse an der Dame. Ah! wie mich das verdrießt, so freymüthig gegen Sie gesprochen zu haben.

Sehr dafür verbunden, sagte Don Luis, mit einem Ton' und einer Miene, die Verachtung und Unwillen zugleich bezeichneten. Die Treulose! die Flatterhafte! Don Felix, was hab' ich Ihnen nicht zu danken! Sie ziehn mich 11 aus einem Irrthume, worin ich noch lange würde herumgetaumelt seyn. Ich bildete mir ein, von Isabellen geliebt, ja was sag' ich geliebt? ich glaubte von ihr angebetet zu seyn. Ich hatte einige Achtung für diese Kreatur; nun seh' ich aber ein, daß sie nichts als eine Buhlschwester ist, die meine völlige Verachtung verdient.

Ich billige Ihre Empfindlichkeit, sagte Aurore mit gleichfalls verächtlichem Ton' und Miene. Die Tochter eines Doctor Juris könnte sich wohl damit begnügen, Einen vornehmen Cavalier zum Liebhaber zu haben, zumahl wenn er so liebenswürdig ist, als Sie. Ich kann ihre Untreue nicht entschuldigen, und weit entfernt, das Opfer anzunehmen, das sie mir durch ihre Liebe bringt, will ich, um sie zu bestrafen, hinfort ihre Gunst verachten.

Ich meiner Seits will sie nie mehr wieder sehen, versetzte Pacheco. Die einzige Rache, die ich an ihr nehmen mag. So recht! rief der falsche Mendoza. Doch um ihr zu zeigen, wie weit unsre Verachtung gegen sie geht, dächt' ich, schrieben wir ihr jeder ein Billet voller Hohn. Ich will sie zusammenpacken, und sie ihr als Antwort auf ihren Brief schicken. Bevor wir aber zu diesem Aeußersten schreiten, ziehn Sie Ihr Herz zu Rathe. Fühlen Sie es losgerissen genug von Ihrer Ungetreuen, um nicht befürchten zu dürfen, daß Ihnen einst wegen dieses Bruchs Reue anwandeln wird? Nie, nie, 12 werd' ich so schwach seyn, unterbrach ihn Don Luis, und ich willige in Ihren Vorschlag, um die Undankbare desto mehr zu kränken.

Alsbald sucht' ich Papier und Tinte, und sie hoben beyderseits an, der Tochter des Doctor Murcia de la Llana sehr verbindliche Briefchen zu schreiben, Pacheco zumahl fand für seine sprudelnde Galle die heftigsten Ausdrücke noch zu schwach, und zerriß fünf oder sechs begonnene Briefe, weil sie ihm nicht bitter genug schienen. Endlich verfertigte er einen, mit dem er zufrieden zu seyn Ursache hatte. Er lautete folgendermaßen:

»Lernen Sie Sich besser kennen, meine Prinzessinn, und seyn Sie nicht so eitel zu glauben, daß ich Sie liebe. Mich zu fesseln, dazu gehören andre Reize als die Ihrigen; selbst zum Zeitvertreib auf einige Augenblicke haben Sie zu wenig Anziehendes für mich. Höchstens können sie den Bacchanten und KaldaunenschluckernBacchanten, ehemahls die neuangekommenen Studenten auf Universitäten. Kaldaunenschlucker heissen in eben der Sprache äußerst dürftige Studierende. hiesiger Universität zum Zeitvertreibe dienen.«

Das war das sanfte, huldreiche Billet, das er ihr senden wollte. Aurora hatte ein nicht weniger beleidigendes geschrieben; als sie damit 13 fertig war, siegelte sie beyde ein, machte einen Umschlag darum, gab mir das Paket, und sagte: Da, Gil Blas, sorge dafür, daß Isabelle das noch heute Abend bekommt. Du verstehst mich wohl? setzte sie hinzu, indem sie mir einen Augenwink gab, den ich vollkommen verstand. Ja, gnädiger Herr, antwortete ich, Sie sollen mit mir zufrieden seyn.

Zu gleicher Zeit begab ich mich fort. Als ich auf der Gasse war, sagt' ich zu mir selbst: Nu, Herr Gil Blas, jetzt stellt man Euren Kopf auf die Probe. Ihr macht den Bedienten hier in dieser Komödie. Nun wohlan, mein Freund, so zeigt, daß Ihr Kopfs genug habt, diese nicht wenig Kopf erfordernde Rolle zu machen. Sennor Don Felix begnügte sich, Euch ein Zeichen zu geben. Wie ihr seht, rechnet er sehr auf Eure Einsicht. Hat er Unrecht? Nein. Ich merke: was ich thun soll. Bloß Don Luis Billet übergeben. Das wollte das Zeichen sagen! Sonnenklar!

Ueberzeugt, daß ich mich nicht irrte, macht' ich ohne weiteres Bedenken das Päkchen auf, nahm Pacheco's Brief heraus, und trug ihn zum Doctor Murcia, dessen Wohnung ich bald ausgeforscht hatte. Ich traf vor der Thür eben den kleinen Pagen an, der vorher bey uns gewesen war. Bruder! seyd Ihr etwa bey der Tochter des Herrn Doctor Murcia in Diensten? sagt' ich zu ihm. Er antwortete mir 14 Ja, mit einer Miene, die hinlänglich zu erkennen gab, daß er Liebesbriefchen zu überbringen und anzunehmen gewohnt war. Ihr habt, hob ich wieder an, so was Dienstfertiges in Eurer Gesichtsbildung, daß ich mir die Freyheit nehme, Euch zu bitten, Eurer Herrschaft dieß Briefchen zuzustellen.

Der kleine Page fragte mich, von wem es wäre; sobald ich ihm geantwortet hatte, vom Don Luis Pacheco, sagte er zu mir: Wenn's so ist, so kommt mit. Ich habe Befehl Euch hereinzulassen. Isabelle will Euch sprechen. Ich ließ mich in ein Cabinett führen, worein bald darauf die Sennora trat. Ihr schönes Gesicht setzte mich in nicht geringes Erstaunen. Feinere Züge hatt' ich nie gesehn; nie ein zartjugendlichers Miniaturgesichtchen, dessen ungeachtet aber war sie zum allerwenigsten dreyßig Jahr ohne Leitband gelaufen. Mein Freund, sagte sie mit einer lachenden Miene zu mir, seyd Ihr beym Pacheco in Diensten? Seit drey Wochen, antwortete ich, und zwar als Kammerdiener. Hierauf überreicht' ich ihr das fatale Billet.

Sie las es zwey- dreymahl, schien dem Zeugnisse ihrer Augen gar nicht zu glauben. Auch war sie zuverlässig nichts weniger vermuthend gewesen, als einen solchen Brief. Sie hob ihr Aug' empor gen Himmel, biß in die Lippen, und in ihrem Gesichte las man den Aufruhr ihres 15 Herzens deutlich. Hierauf brach sie gegen mich mit Einem mahl in folgende Worte aus:

Mein Freund, ist denn Don Luis seit unsrer Trennung wahnsinnig geworden? Ich kann mich in sein Betragen nicht finden. Sagt mir doch, wenn Ihr es wißt, warum er mir so artige Briefe schreibt? Welcher böse Geist muß in ihn gefahren seyn? Wenn er mit mir brechen will, warum thut er es nicht, ohne mich durch so äußerst ungezogne Briefe auf's empfindlichste zu beleidigen?

Sennora, sagt' ich, indem ich eine sehr treuherzige Miene annahm, mein Herr hat in der That Unrecht; er wurde aber auf eine gewisse Art dazu genöthig. Wenn Sie mir versprechen, reinen Mund zu halten, so will ich Ihnen das ganze Geheimniß entdecken. Das versprech' ich Euch, fiel sie mir schnell in's Wort. Fürchtet nicht, daß ich Euch verrathen werde. Redet dreist.

»Nu, da haben Sie denn die ganze Pastete mit ein Paar Worten. Einige Augenblicke nach Ihrem Briefe kam eine Dame in unsre Posada, die sich in eine der dicksten Kappen eingehüllt hatte. Sie erkundigte sich nach dem Sennor Pacheco, sprach eine ganze Weile unter vier Augen mit ihm, und beym Schluß ihrer Unterredung hört' ich sie zu ihm sagen: Sie schwören mir, sie nicht mehr wieder zu sehen; das ist nicht hinlänglich. Um mich völlig zu 16 befriedigen, müssen Sie sogleich ein Billet an sie schreiben, das ich Ihnen in die Feder sagen will. Ich fordre das von Ihnen. Don Luis that, was sie verlangte, gab mir nachher dieß Billet, und sagte zu mir: Erkundige Dich, wo der Doctor Murcia de la Llana wohnt, und suche dieß Briefchen auf eine geschickte Art seiner Tochter Isabelle zuzustellen.«

Sennora sehen also daraus, fuhr ich fort, daß dieser unhöfliche Brief das Werk einer Nebenbuhlerinn ist, und mein Herr nicht so sehr strafbar. O Himmel! er ist strafbarer als ich ihn glaubte, rief sie aus. Seine Untreue beleidigt mich mehr, als all' die spitzen Worte, die er mir schrieb. Ha! der Ungetreue. So hat er andre Bande knüpfen können! . . . . . Doch, fuhr sie fort, und nahm eine stolze Miene an, er überlasse sich ganz frey seiner neuen Liebschaft. Ich werde ihn nicht daran verhindern. Sagt ihm nur, ich bitte Euch, er hätte mir nicht in so übermüthigem Tone schreiben dürfen, um mich zu nöthigen, einer Nebenbuhlerinn freyes Feld zu lassen, und ich verachtete einen flatterhaften Liebhaber zu sehr, als daß ich mir die Mühe nehmen sollte, ihn zurückzulocken. Hierauf beurlaubte sie mich, und ging äußerst aufgebracht gegen den Don Luis in ihr Zimmer zurück.

Ich verließ den Doctor Murcia de la Llana, höchst zufrieden mit mir selbst, und 17 hatte einsehen lernen, daß ich ein geschickter Gauner werden konnte, wenn ich meinen Kopf in Gang brächte. Ich kehrte nach unserer Posada zurück, wo ich die Herren Mendoza und Pacheco beym Abendbrod fand, und in so vertrauter Unterredung, als hätten sie schon einen Scheffel Salz mit einander verzehrt.

Aurore merkte aus meiner zufriedenen Miene, daß ich meinen Auftrag nicht übel müßte ausgerichtet haben. Schon wieder da, Gil Blas, sagte sie zu mir, so leg' uns von Deiner Verrichtung Rechenschaft ab. Meine Einbildungskraft mußte sonach von neuem herhalten. Ich sagte, ich hätte das Päckchen in eigne Hände abgegeben, und Isabelle, nachdem sie beyde Briefchen gelesen, wäre gar nicht aus der Fassung gekommen, hätte vielmehr ganz ausgelassen gelacht, und gesagt: Bey meiner Ehre! die jungen Herrn von Stande haben einen recht artigen Styl. Man muß gestehen, daß andre Leute nicht so anmuthig schreiben. Das heißt sich sehr gut aus der Verlegenheit ziehen, schrie mein Fräulein, und das ist gewiß eine von den allerabgefeimtesten Buhlerinnen.

Was mich anlangt, sagte Don Luis, so erkenn' ich Isabelle'n in diesen Zügen nicht. Sie muß ihren Character während meiner Abwesenheit ganz geändert haben. Ich hätte auch nicht so von ihr geurtheilt, erwiederte Aurore. Doch es gibt – und das werdet ihr mir 18 eingestehen müssen – Weiber, die allerhand Gestalten anzunehmen verstehen. Ich habe selbst eine dergleichen geliebt, und bin lange von ihr hintergangen worden. Gil Blas wird es Euch sagen, sie hatte eine so bescheidne Miene, daß sie die ganze Welt hätte täuschen können. Das ist wahr, sagt' ich, indem ich mich in die Unterredung mischte. Ah! Sie sah' Ihnen aus, wie Frömmchen, das kein Wasser trüben kann; konnte dem ein Näschen andrehen, der noch so mit allen Hunden gehetzt war. Ich sogar selbst hätte mich bey Einem Haar von ihr hinter's Licht führen lassen.

Der falsche Mendoza und Pacheco schlugen ein schallendes Gelächter auf, indem sie mich so reden hörten, und anstatt mir die Freyheit, mich in ihr Gespräch zu mischen, übel zu nehmen, zogen sie mich vielmehr in selbiges oft hinein, um sich an meinen Antworten zu ergetzen. Wir fuhren fort, uns von denen Weibern zu unterhalten, die die Kunst verstehen, sich zu maskiren, und die Ergebniß unsrer Unterredung war, daß Isabelle, nach Urthel und Recht, der Erzcoketerie schuldig und überwiesen blieb.

Don Luis betheuerte von neuem, daß er sie nicht mehr wiedersehen wollte, und Don Felix schwor, nach seinem Exempel, stets die äußerste Verachtung gegen sie zu hegen. Nach diesen Beteurungen knüpften sie mit einander Freundschaft, und versprachen sich gegenseitig, 19 nicht das mindeste gegen einander geheim zu halten.

Nach dem Essen sagten sie sich noch viel Verbindliches, und gingen endlich aus einander, um sich zur Ruhe zu begeben. Ich begleitete Aurore'n in ihr Zimmer, wo ich von der Unterredung, die ich mit der Doctorstochter gehabt hatte, die genaueste Rechnung ablegte. Ich vergaß keinen Umstand, flickte sogar noch manchen ein, um meiner Fräulein desto besser zu höfeln. Meine Erzählung erfreute sie höchlich; bey Einem Haar hätte sie mich vor Freude umarmt.

Liebster Gil Blas, sagte sie zu mir, Dein Geist bezaubert mich. Wenn man so unglücklich ist, von einer Leidenschaft bestrickt zu seyn, die uns zu Kunstgriffen und Ränken Zuflucht zu nehmen nöthigt, so kommt's einem sehr wohl zu Statten, einen so sinnreichen Kopf in seinem Interesse zu haben, als Du. Muthig, mein Freund! Wir haben eine Nebenbuhlerinn entfernt, die uns in große Verlegenheit setzen konnte. Es geht nicht übel. Da aber die Verliebten Kinder sind, und oft wie diese nach dem Spielzeuge zurückrennen, und es aufheben, was sie vor Kurzem von sich geworfen haben, so soll husch husch! die ganze Posse zu Ende gespielt werden, und morgen bereits Aurore von Gusman aufs Theater treten. Ich billigte diesen Gedanken, ließ den Sennor Don Felix 20 bey seinem Pagen, und zog mich in ein Cabinett zurück, wo sich mein Bett befand.

 


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