Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Siebentes Kapitel.

Wer der alte Einsiedler war, und auf was Art Gil Blas erfuhr, daß er sich unter Bekannten befand.

Als Don Alphonso die traurige Erzählung seiner Unglücksfälle geendigt hatte, sagte der alte Eremit zu ihm: Ihr habt sehr unvorsichtig gehandelt, Euch so lange in Toledo zu verweilen. Ich fasse alles, was ihr mir erzählt habt, aus einem ganz andern Gesichtspuncte, und Eure Liebe zu Seraphine'n scheint mir nichts als Thorheit. Folgt mir, und laßt Euch die Binde von Euren Augen nehmen.

Ihr müßt diese junge Dame, die nicht Euer seyn kann, vergessen. Denkt nicht daran, die Hindernisse bekämpfen zu wollen, die Euch von ihr trennen, und überlaßt ohne Sträuben Euch Eurem Schicksale, das Euch, allem Anscheine nach, noch ganz andre Begebenheiten aufbehalten hat. Ohne Zweifel werdet Ihr noch irgend ein junges Frauenzimmer finden, das den nähmlichen Eindruck auf Euch machen wird, und deren Bruder Ihr nicht werdet ermordet haben.

Er wollte durch noch mehr dergleichen Gründe Don Alphonso'n zur Fassung in Geduld ermahnen, als wir einen andern Eremiten hereintreten sahen, der einen mächtig pausenden 95 Zwerchsack trug. Er hatte in der Stadt Cuenca eine reichliche Ernte gehalten.

Dieser Mann schien weit jünger als sein Gefährte, und hatte einen sehr starken rothen Bart. Willkommen, Bruder Anton! rief der alte Anachoret; was bringt Ihr guts Neues aus der Stadt? Nichts guts; Hiobsposten, sagte Bruder Rothkopf. Das Billet da wird Euch das Nähere sagen. Hiermit reichte er ihm ein in Briefform gelegtes Papier. Der Alte öffnete es, und nachdem er es mit gebührender Aufmerksamkeit gelesen hatte, sagte er: Gott Lob und Dank! unsre Lunte haben sie gerochen, aber unser Pulver wollen sie gewiß nicht riechen. Und nun geht's aus 'nem andern Fasse.

Sennor Don Alphonso, fuhr er fort, indem er sich gegen den jungen Cavalier wandte, Sie sehn in mir einen Mann, der so wie Sie, der Fangball des launischen Dinges, der Fortuna ist. Man berichtet mir aus Cuenca, das nur eine Meile von hier liegt, ich sey bey der Justiz schändlich angegossen worden, und morgen würden die Helfershelfer der Gerechtigkeit ohn' allen Spott dahergetreten kommen, und sich meiner Person bemächtigen. Sie sollen aber den Hasen nicht mehr im Lager finden. 'S ist nicht das erstemahl, daß ich so in der Patsche sitze; und als ein gescheiter Kerl hab ich mich, Gott sey Dank, noch immer aus dem Hause zu finden gewußt. Ich werde mich in einer neuen 96 Gestalt zeigen, denn, so wie Sie mich hier sehen, bin ich nichts weniger als Eremit, und als Greis. Zugleich will ich das Sprüchwort wahr machen, daß hinterm Kreuze gemeiniglich der Teufel steckt.

Indem er so sprach, warf er seinen langen Rock ab, und erschien nunmehr in einem schwarzserschenen Wamse mit aufgeschnittenen Aermeln. Hierauf nahm er seine Mütze ab, machte eine Schnur los, woran sein falscher Bart saß, und bekam mit Einem Mahle die Gestalt eines Mannes von achtundzwanzig bis dreyßig Jahren. Bruder Anton legte gleichfalls sein Eremitenkleid ab, entledigte sich, so wie sein MitgespannMitgespann, ein Theilnehmer an schlechten Handlungen. So erklärt der Herr Professor Heinaz in seinem deutschen Antibarbarus diesen weder im Adelung, noch in den übrigen Wörterbüchern vorkommenden Ausdruck. – A. d. Uebers., seines Judasbarts, zog aus einer alten halbverfaulten Lade einen alten, schäbigen Ueberrock heraus, und fuhr in selbigen.

Stellen Sie sich mein Erstaunen vor, als ich nunmehr in dem alten Anachoreten den Sennor Don Raphael, und in dem Bruder Antonio meinen sehr werthen und sehr 97 getreuen Diener, den Ambrosio von Lamela erkannte.

Ih verdammt! rief ich, da bin ich mit Einem Mahle unter alten Bekannten. Ja wohl, Sennor Gil Blas, sagte Don Raphael mit lachendem Munde, Ihr findet zwey von Euren Freunden, da Ihrs am wenigsten vermuthet. So recht mit uns zufrieden zu seyn, habt Ihr freylich nicht Ursache; indeß vergeßt das Vergangene, und laßt uns dem Himmel danken, der uns wieder zusammengeführt hat. Ambrosio und ich biethen Euch unsre Dienste an, die eben nicht zu verachten sind. Haltet uns nicht für schlechte Kerls! Wir fallen niemanden an, schlagen Niemanden todt; wir suchen bloß auf Andrer Unkosten zu leben; und ist Stehlen nicht recht, und gegen Gottes Geboth, so wißt Ihr wohl: Noth hat kein Geboth. Schlagt Euch zu uns, und führt solch fahrendes Leben wie wir. Ich sage Euch, es hat die größten Annehmlichkeiten, wenn man nur hübsch vorsichtig ist. Doch, trotz unsrer Vorsicht webt sich manchmahl ein übler Vorfall in das anmuthige Gewebe unsrer Tage. Thut nichts, desto besser schmeckt uns alsdann das Gute. Wir sind der Abwechselungen der Witterung und des Glücks gewohnt.

Ihnen, Sennor Don Alphonso, fuhr der falsche Eremit fort, thun wir den nähmlichen Vorschlag, und ich glaube nicht, daß Sie ihn in der Lage, worin Sie zu seyn scheinen, 98 von der Hand weisen werden; denn ohne von der Sache zu reden, deretwegen Sie Sich verbergen müssen, so werden Sie ohne Zweifel nicht mit allzuvielem Gelde versehen seyn. Wahrlich nicht, antwortete Don Alphonso, und grade das, muß ich gestehen, vermehrt meinen Kummer.

Nun wohlan! erwiederte Don Raphael, so verlassen Sie uns nicht. Es soll Ihnen an nichts fehlen, und wir wollen die Nachforschungen Ihrer Feinde fruchtlos machen. Wir sind Spanien lang und weit und breit genug durchstrichen, um darin so ziemlich bekannt zu seyn; kennen all' die Waldungen, Berge und all' die Gegenden, die uns vor den Hudeleyen und Plackereyen der Justiz schirmen können.

Don Alphonso dankte ihnen für ihren guten Willen, und da er sich ohn' alles Geld, ohne die geringste Hülfsquelle befand, entschloß er sich, sie zu begleiten. Was ich auch that, und zwar bloß darum, weil ich diesen jungen Mann nicht verlassen wollte, für den ich bereits viel Zuneigung gefaßt hatte.

Wir wurden alle Viere eins, mit einander zu gehen, und uns nicht von einander zu trennen. Nachdem wir dieß verabredet hatten, so pflagen wir Rath, ob wir uns sogleich auf den Weg machen, oder vorher einem Schlauche mit herrlichem Wein zusprechen wollten, den Bruder Antonio den vorigen Tag aus Cuenca 99 mitgebracht hatte; allein Raphael, der die meiste Erfahrung hatte, stellte uns vor, wir müßten vor allen Dingen auf unsere Sicherheit bedacht seyn, und er wäre der Meinung, daß wir die ganze Nacht durch wanderten, um ein dickes Gehölz zu erreichen, das zwischen Villardesa und Almodabar läge; hier könnten wir Halt machen, und uns den ganzen Tag ausruhen, weil wir daselbst nichts weiter zu fürchten hätten.

Diese Meinung ward gebilligt. Hierauf machten die Aftereremiten aus all' ihren Sachen und ihrem Proviante zwey gleich starke Bündel, und legten sie quer über Alphonso's Pferd. Das alles ging huschhusch! Sodann verliessen wir die Einsiedeley, und überliessen der Justiz eine ansehnliche Beute: die zwey Eremitenröcke, einen weissen und rothen Bart, zwey Feldbetten, einen Tisch, eine elende Lade, zwey alte Strohstühle, und ein Sanct Pakomus Bild.

Wir gingen die ganze Nacht durch, und fühlten uns ermüdet, als wir mit Tagesanbruch das Gehölz gewahrten, wohin wir uns begeben wollten. Der Anblick des Hafens gibt denen durch die lange Fahrt laß gewordnen Matrosen neue Kräfte. So ging es auch uns, wir wanderten muthig weiter, und erreichten endlich vor Sonnenaufgang das Ende unserer Laufbahn. Wir begaben uns in den Wald, wo er am dicksten war, und machten an einem sehr anmuthigen 100 Orte Halt; lagerten uns auf einen Rasen, den viel dicke Eichen umfaßten, deren ineinander geschlungne Zweige ein den heißen Sonnenstrahlen undurchdringliches Gewölbe formten.

Wir nahmen unserm Pferde seine Last und auch Zügel und Gebiß ab, damit es weiden konnte. Hierauf setzten wir uns, langten aus Bruder Antonio's Sacke einige große Stücke Brot und auch derbe Stücke Gebratenes hervor, und hieben so tapfer drauf ein, als hätt' es eine Wette gegolten. So vielen Appetit wir nun auch hatten, so hielten wir dennoch öfters mit Essen inne, um dem Schlauche zuzusprechen, der immer von einer Hand in die andre wanderte.

Gegen Ende des Mahls sagte Don Raphael zum Don Alphonso: Sennores Cavalleros, nachdem Sie Ihr Herz gegen mich so geöffnet haben, ist es billig, daß ich Ihnen meinen Lebenslauf eben so freymüthig erzähle. Sie werden mir dadurch ein Vergnügen erzeigen, entgegnete der junge Mann. Und mir besonders! rief ich. Ich bin nach Euren Abenteuern sehr begierig. Es lohnt gewiß der Mühe, sie anzuhören.

Dafür steh' ich Ihnen, antwortete Raphael, und ich bin sogar Willens, sie einst auf Papier zu bringen. Das soll so'n Spielwerk für mein Alter seyn; denn noch bin ich jung, und muß noch mehr Stoff zu dem Buche herbeyschaffen. Doch wir sind müde. Erquicken wir 101 uns ein paar Stunden mit Schlaf! Derweil wir Drey schlafen, wird Ambrosio kranichwachenKranichwachen, ein guter, körniger, freylich etwas rauher märkischer Ausdruck, um ein so sorgfältiges Bewachen und warnendes Beschützen vor jedem Ueberfalle zu bezeichnen, wie man an den Kranichen wahrnimmt, wenn sie bey ihren schlafenden Gefährten des Nachts Schildwache stehen. – A. d. Uebers.; hernach kann er auch schlafen. Ob wir gleich meines Bedünkens hier völlig sicher sind, so ist es doch besser, man paßt auf. Wachsamkeit ich immer nütz. Mit diesen Worten legt' er sich in's Gras. Don Alphonso machte es eben so, ich folgte ihrem Beyspiel, und Lamela hielt Wache.

Don Alphonso war mit seinen Unglücksfällen zu beschäftigt, als daß er zum Schlummer hätte kommen können; ich meiner Seits konnte kein Auge zuthun, was aber Don Raphael anlangt, so schlief er bald ein. Nach einer Stunde erwachte er wieder, und da er sahe, daß wir ihm zuzuhören Willens waren, sagte er zum Lamela: Jetzt Freund Ambrosio kannst Du die Süssigkeit des Schlafs genießen. Nein, nein, antwortete Lamela, ich habe keine Lust zu schlafen, und ob ich gleich alle 102 Begebenheiten Eures Lebens weiß, so sind sie doch für Personen unsers Metjes so lehrreich, daß ich sie mit dem größten Vergnügen noch einmahl hören werde. Unmittelbar darauf begann Don Raphael seine Lebensgeschichte so, wie man in dem folgenden Buche finden wird.



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