Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Viertes Kapitel.

Character der Marquese de Chaves; woraus ihr meister Umgang bestand.

Die Marquese de Chaves war eine Witwe von fünf und dreyßig Jahren, schön, groß, und wohlgebildet; hatte zehn tausend Ducaten jährlicher Einkünfte, und keine Kinder. Nie hab ich ein ernsteres und wenigersprechendes Frauenzimmer gesehen, als sie. Dessen ungeachtet hielt man sie für die geistreichste Dame in Madrid.

Vielleicht hat der große Zusammenfluß von Standespersonen und Gelehrten, den man täglich bey ihr sahe, mehr zu diesem Rufe beygetragen, als die Vollkommenheit ihres Geistes. Ich mag hierüber nicht entscheiden; nur so viel will ich sagen, daß man mit ihrem Nahmen den Begriff eines sehr großen Genie's verband, und daß man ihr Haus in der Stadt den Richterstuhl des guten Geschmacks nannte.

In der That wurden daselbst bald theatralische, bald andere Gedichte vorgelesen; aber alles mußte von der ernsten Gattung seyn; alles Komische war dort in Verachtung. Die beste Komödie, der witzigste und munterste Roman wurden für kahle, schale Producte erklärt, die gar kein Lob verdienten; dagegen hielt man alles 55 Ernste, wenn es auch von wenigem Belange war, eine Ode, eine Idylle, ein Sonnet für das größte Meisterstück des menschlichen Verstandes. Gar oft trug es sich zu, daß das Publicum die Aussprüche dieses Richterstuhls nicht bestättigte, ja sogar unterweilen einige dort gar wohl aufgenommene Stücke auspfiff.

Mein Amt in diesem Hause bestand darin, in dem Besuchzimmer der Marquese alles zum Empfange der Gesellschaft zuzubereiten, die Stühle für die Mannspersonen zu setzen, und die Polster und Fußdecken für die DamenMan beliebe sich der Note B. II. S. 166, zu erinnern. [Estrado, ein etwas erhöhter Platz in den Visitenzimmern der Spanier, mit Fußdecken und schönen Polstern belegt, wo die Damen sitzen und ihre Visiten annehmen.] hinzulegen; hierauf hielt ich mich an der Thür, um die Kommenden anzumelden und einzuführen. Am ersten Tage, wie ich mein Amt verrichtete, befand sich der Pagenhofmeister von ungefähr im Vorgemache bey mir. Dieser machte mir von jedem, den ich einließ, eine gar artige Beschreibung. Er hieß Andreas Molina, war von Natur kalt, und ein mächtiger Spötter; an Geist fehlt' es ihm gar nicht.

Der Erste, der sich sehen ließ, war ein Bischof. Als er herein war, sagte der Hofmeister: Dieser Prälat hat einen ganz seltsamen Character. Er steht bey Hofe in einigem Ansehen, möchte aber gern die Leute überreden, daß er in sehr großem stände. Er biethet 56 Jedermann seine Dienste an, und dient Niemanden. Eines Mahls begegnete er bey dem Könige einem Cavalier, der ihn grüßte. Er hielt ihn an, überhäufte ihn mit Höflichkeiten, drückte ihm die Hand, und sagte zu ihm: Ganz Ihr Sclave, lieber Sennor. Setzen Sie mich auf die Probe, ich bitte darum; ich sterbe nicht eher vergnügt, als bis ich eine Gelegenheit gefunden habe, mich Ihnen gefällig zu erzeigen. Der Cavalier dankte ihm mit den lebhaftesten Ausbrüchen der Erkenntlichkeit. Als er fort war, wandte sich der Prälat zu einem seiner bey sich befindlichen Hausofficiere, und sagte zu ihm: Ich glaube den Menschen zu kennen; ich habe so eine dunkle Idee, ihn irgendwo gesehen zu haben.

Einen Augenblick nach dem Bischofe kam der Sohn eines Grand's. Als ich ihn in der Marquese Besuchzimmer geführt, sagte Molina zu mir: Ebenfalls ein Original. Oft, müssen Sie wissen, kommt er in ein Haus, um mit dessen Besitzer eine wichtige Angelegenheit abzuhandeln, und geht wieder weg, ohne sich deren im geringsten zu erinnern.

Doch, fuhr der Hofmeister fort, indem er zwey Frauenzimmer kommen sahe, hier ist Angela de Pennafiel, und Donna Margerita de Montalvan; zwey Damen, die sich nicht im geringsten gleichen. Donna Margerita brüstet sich mit Philosophie; biethet den grundgelehrtesten Doctoren von 57 Salamanka die Spitze, und weiß gegen all' ihre Gründe noch immer Gegengründe aufzubringen. Donna Angela macht nicht die Gelehrte, so angebaut ihr Geist auch ist. Ihre Reden sind sehr passend, ihre Gedanken fein, und so auch ihr Ausdruck edel und natürlich.

Der Character der Letzten ist liebenswürdig, sagt' ich zum Molina; jener aber schickt sich, meines Bedünkens, gar nicht für das schöne Geschlecht. Allzu gut nicht, antwortete er mir lächelnd; er macht sogar viele Mannspersonen lächerlich. Die Frau Marquese, unsre Herrschaft, fuhr er fort, tummelt sich auch auf dem lieben Steckenpferde der Philosophie herum. Heute wird hier mächtig disputirt werden. Gott gebe, daß die Religion nicht wieder dabey Haar lassen muß.

Nachdem er dieß gesagt hatte, kam ein hagerer Mann, dessen Gesicht sehr ernsthaft und mürrisch aussahe. Der Hofmeister ließ ihn nicht undurchhechelt. Das ist, sagte er, einer von jenen steifen Pantalons, die mittelst ihres Stillschweigens, oder einiger dem Seneka ausgerupften Sentenzen, für große Genies passiren wollen, und recht genau beym Lichte besehen, liebe dumme Dorfteufel sind.

Hierauf kam ein ganz wohlgewachsener Cavalier, dessen Miene ungemein viel Selbstbehagen verrieth. Ich fragte, wer er wäre. Ein dramatischer Dichter, antwortete Molina. Er 58 hat in seinem Leben mehr denn hunderttausend Verse gemacht, die ihm nie einen Heller eingetragen haben, und jetzt hat er durch sechs Zeilen Prose sein Glück auf immer gemacht.

Eben wollt' ich mich nach einem mit so wenig Kosten gemachten Glücke näher erkundigen, als ich ein großes Getös' auf der Treppe hörte. Ah! rief der Hofmeister, da kommt der Licentiat Campanario; der meldet sich immer eher, als man ihn sieht; er fängt vor der Hausthür schon an zu schwadroniren, und das geht so in Einem fort, bis er wieder aus dem Hause ist. In der That hallte alles von der Stimme des brausenden Licentiaten wieder, der endlich mit einem seiner Freunde, einem Baccalaureus, in den Vorsaal trat, und so lange sein Besuch dauerte, nicht den Mund stillhielt.

Sennor Campanario, sagt' ich, scheint ein witziger Kopf zu seyn. Das ist er, antwortete der Hofmeister. Dieser SausebrausSausebraus. So hab' ich das Oberdeutsche Rauschebrausch, das einen lärmenden, schreyenden Menschen ohne bösen Willen bezeichnet, zu verhochdeutschen gesucht. – A. d. Uebers. hat sehr gute, launige Einfälle, und ganz eigenthümliche Ausdrücke. Ein angenehmer Gesellschafter, aber dabey ein ganz 59 unausstehlicher Schwätzer, der seinen alten Brey gar oft aufwärmt, und, um die Sachen recht nach ihrem Werthe zu schätzen, so glaub' ich, macht die Munterkeit und das Komische, womit er alles zu würzen weiß, was er zu Markte bringt, sein hauptsächlichstes Verdienst aus. Der beste Theil von seinen Schwänken und Schnurren würde einer Sammlung von dergleichen eben keine zu große Ehre machen.

Es kamen noch andere Personen, die mir Molina mit gleich satyrischem Pinsel mahlte. Auch macht' er mir ein Gemählde von unsrer Herrschaft, das sehr nach meinem Behagen war.

Die Marequese ist, sagte er, auf mein Wort, eine Frau von schlichtem Menschenverstande, ungeachtet ihrer Philosophie, ist nicht allzuschwer zu befriedigen, und ihre Leute haben wenig von ihren Launen auszustehen. Sie ist eine der vernünftigsten Frauen vom Stande, die ich kenne. Leidenschaften hat sie gar nicht; sie findet so wenig Geschmack am Spiele, als an der Galanterie, und liebt weiter nichts, als Unterhaltung. Ihre Lebensart würde den meisten Damen herzlich langweilig vorkommen.

Diese Schilderey nahm mich sehr für meine Herrschaft ein. Indeß konnt' ich mich doch nach einigen Tagen nicht des Argwohns enthalten, daß sie der Liebe nicht allzu abgeneigt 60 seyn müsse. Ich will sogleich sagen, worauf sich dieser Verdacht stützte.

Eines Morgens, als sie sich an ihrem Nachttische befand, kam ein kleines vierzigjähriges Männchen, die unangenehmste Figur, die ich je gesehen, schmutziger als der Dichter, Pedro de Moya, und noch höchst bucklicht obendrein. Er sagte zu mir: er wolle die Frau Marquese sprechen. In wessen Nahmen? fragte ich. In meinem eigenen, gab er stolz zur Antwort. Sagt nur, es wäre der Herr da, von dem sie gestern mit der Donna Anna de Velasco gesprochen.

Ich führte ihn in's Vorzimmer, und meldete ihn an. Die Marquese that sogleich einen lebhaften Ausruf, und sagte voll des freudigsten Entzückens: man solle ihn hereinlassen. Sie empfing ihn nicht nur ungemein gütig, sondern befahl auch all' ihren Aufwärterinnen, aus dem Zimmer zu gehen, daß also das Buckeleinichen, glücklicher als Männer von weit besserm Gehalte, bey ihr allein unter vier Augen blieb. Die Kammermädchen und ich hatten unsern Spaß über dieß allerliebste Vieraugengespräch, das beynahe eine Stunde dauerte; hierauf beurlaubte meine Patroninn den Sennor Krummbuckel, indem sie ihm so viele Höflichkeiten erwies, daß man ihre höchste Zufriedenheit mit ihm deutlich wahrnehmen konnte. 61

Sie hatte wirklich an seiner Unterredung so vielen Geschmack gefunden, daß sie auf den Abend zu mir insgeheim sagte: Gil Blas, wenn der Bucklige wieder kommt, so führt ihn so geheim, als möglich, in mein Zimmer. Dieser Befehl, ich gesteh' es, erregte gar seltsamen Verdacht in mir. Indessen that ich, was die Marquese befohlen hatte, und führte ihn durch eine geheime Treppe bis in das Gemach der gnädigen Frau. Dieß that ich zwey bis dreymahl auf's treufleißigste, und daraus schloß ich: entweder die Marquese habe gar wunderliche Grillen, oder aber das Buckelchen mache einen Unterhändler.

Bey meiner Ehre, sagt' ich, der ich dieß festiglich glaubte, ich würd' es meiner Herrschaft verzeihen, wenn sie noch eine wohlgestalte Mannsperson liebte; allein, daß sie sich in solchen alten Pavian vergafft hat, frey herausgesagt, diesen verderbten Geschmack kann ich nicht gut heissen.

Wie sehr verfehlten meine Muthmaßungen das Ziel! Das Buckeleinichen gab sich für einen Schwarzkünstler aus, und da man ihn der Marquese, die sich den Hokuspokusstreichen jedes Scharletans gern lieh, vorgerühmt hatte, so pflog sie geheime Unterredungen mit ihm.

Er ließ in Krystall sehen, wies, wie man das Sieb müsse umlaufen lassen, und enthüllte für Geld alle Geheimnisse der Kabala; oder um 62 richtiger zu sagen, es war ein Spitzbube, der auf Kosten der Leichtgläubigkeit lebte, und der, wie man sagte, viele Frauen von Stande brandschatzte.

 


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