Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Kapitel

Gil Blas kommt nach Madrid und erscheint bei Hofe; der König erkennt ihn und empfiehlt ihn seinem ersten Minister. Folgen dieser Empfehlung.

 

Da Don Alphonso uns zwei seiner besten Pferde gegeben hatte, waren wir in weniger als acht Tagen in Madrid. Wir stiegen in einem Logierhaus ab, wo ich schon gewohnt hatte, bei Vinzenz Forrero, meinem einstigen Wirt, der sich freute, mich wiederzusehn.

Da er ein Mann war, der seine Ehre darein setzte, alles zu wissen, was so bei Hofe wie in der Stadt vorging, so fragte ich ihn, was es Neues gäbe. Viel, erwiderte er. Seit Philipps III. Tode haben sich die Freunde und Parteigänger des Kardinalherzogs von Lerma recht geregt, um Seine Eminenz im Ministerium zu erhalten, aber ihre Bemühungen waren vergeblich: der Graf von Olivares hat sie geschlagen. Man sagt, Spanien verliere nichts bei dem Wechsel, und der neue Minister sei von so weitausblickendem Geist, daß er die ganze Welt zu regieren imstande wäre. Gott gebe es! Sicher ist, fuhr er fort, daß das Volk von seiner Befähigung die höchste Meinung hat. Wir werden in der Folge sehn, ob der Herzog von Lerma guten oder schlechten Ersatz gefunden hat. Da Forrero einmal im Erzählen war, so schilderte er mir alle Veränderungen, die bei Hofe eingetreten waren, seit der Graf von Olivares das Steuer des Staatsschiffes hielt.

Zwei Tage nach meiner Ankunft in Madrid begab ich mich nachmittags zum König und stellte mich, als er in sein Kabinett ging, an seinem Wege auf: er sah mich nicht an. Ich kehrte am Tage darauf zurück und war nicht glücklicher. Am dritten Tage warf er im Vorbeigehn einen Blick auf mich, aber er schien mich nicht im geringsten zu beachten. Du siehst, sagte ich zu Scipio, der bei mir war, der König erkennt mich nicht; und wenn er sich meiner entsinnt, so mag er die Bekanntschaft mit mir nicht erneuern. Ich glaube, wir werden gut daran tun, wenn wir nach Valencia zurückkehren. Nicht so schnell, gnädiger Herr, erwiderte mein Sekretär; Ihr wißt besser als ich, daß man bei Hof nur durch Geduld Erfolg hat. Werdet nicht müde, Euch dem Fürsten zu zeigen; wenn Ihr Euch immer wieder seinen Blicken darbietet, werdet Ihr ihn zwingen, Euch aufmerksamer zu betrachten und sich der Züge seines Vermittlers bei der schönen Catalina zu entsinnen.

Damit Scipio mir keinen Vorwurf machen konnte, tat ich ihm den Gefallen und setzte das Manöver drei Wochen lang fort; und endlich geschah es eines Tages, daß ich dem Monarchen auffiel und er mich rufen ließ. Ich trat in sein Kabinett, ein wenig verwirrt, als ich mich dem König gegenüber sah. Wer seid Ihr? fragte er; Eure Züge sind mir nicht unbekannt. Wo habe ich Euch schon gesehn? Majestät, erwiderte ich zitternd, ich hatte eines Nachts die Ehre, Euch mit dem Grafen von Lemos … Ah! ich entsinne mich, unterbrach mich der Fürst, Ihr wart Sekretär des Herzogs von Lerma; und wenn ich mich nicht irre, so ist Euer Name Santillana. Ich habe es nicht vergessen, daß Ihr mir bei dieser Gelegenheit mit vielem Eifer dientet, und daß Euch Eure Mühe schlecht gelohnt wurde. Seid Ihr für dies Abenteuer nicht im Gefängnis gewesen? Ja, Majestät, erwiderte ich, ich war sechs Monate lang im Turm von Segovia; aber Ihr hattet die Güte, mich zu befreien. Das, versetzte er, tilgt meine Schuld gegen Santillana nicht: ich muß ihm die Leiden entgelten, die er aus Liebe zu mir ertrug.

In diesem Augenblick trat der Graf von Olivares ein. Alles erregt bei Günstlingen Verdacht. Er war erstaunt, einen Fremden zu sehn, und der König verdoppelte sein Erstaunen noch, indem er sagte: Graf, ich gebe diesen jungen Mann in Eure Hand; beschäftigt ihn; ich überlasse es Euch, ihn zu befördern. Der Minister tat, als nähme er diesen Befehl mit Freuden an; derweilen musterte er mich, neugierig, wer ich sei, von Kopf bis zu Füßen. Geht, mein Freund, fügte der Monarch hinzu, indem er das Wort an mich richtete und mir winkte, mich zurückzuziehn, der Graf wird nicht verfehlen, Euch in meinen Diensten und zu Eurem Nutzen zu verwenden.

Ich verließ das Kabinett und ging zu Scipio, der ungeduldig darauf wartete, zu erfahren, was der König zu mir gesagt hatte; er war in unglaublicher Erregung. Aber als er in meinem Gesicht die Befriedigung las, sagte er: Wenn ich meinen Augen trauen kann, so werden wir, statt nach Valencia zurückzukehren, am Hofe bleiben. Das könnte schon sein, erwiderte ich; und ich entzückte ihn, indem ich ihm meine kleine Unterhaltung mit dem Monarchen Wort für Wort wiederholte. Mein teurer Herr, sagte Scipio da im Überschwang seiner Freude, werdet Ihr ein andermal meinem Rate folgen? Gebt zu, daß Ihr mir jetzt Dank wißt, wenn ich Euch ermahnte, die Reise nach Madrid zu machen. Ich sehe Euch schon in hervorragender Stellung: Ihr werdet der Calderone des Grafen von Olivares werden. Das wünsche ich durchaus nicht, unterbrach ich ihn; diese Stellung ist von zuviel Abgründen umgeben, um meinen Neid zu wecken. Ich möchte ein gutes Amt, in dem ich keine Gelegenheit habe, Ungerechtigkeiten zu begehn oder mit den Wohltaten des Fürsten schmählichen Handel zu treiben. Ich kann mich nicht genug vor Habgier und Ehrgeiz hüten. Geht, gnädiger Herr, versetzte mein Sekretär, der Minister wird Euch einen guten Posten geben, den Ihr ausfüllen könnt, ohne daß Ihr aufhört, ein Ehrenmann zu sein.

Mehr von Scipio als von Neugier getrieben, begab ich mich am folgenden Tage schon vor Sonnenaufgang zum Grafen von Olivares; denn ich hatte erfahren, er höre jeden Morgen, Sommer wie Winter, beim Kerzenlicht diejenigen an, die mit ihm zu sprechen wünschten. Ich trat bescheiden in einen Winkel des Saals, und von da aus beobachtete ich den Grafen, als er erschien; denn im Kabinett des Königs hatte ich ihn wenig beachtet. Ich sah einen Mann von übermittelgroßer Gestalt, der in einem Lande, wo man selten andre als magere Menschen sieht, für dick gelten konnte. Er hatte so hohe Schultern, daß ich ihn für bucklig hielt, obgleich er es nicht war; sein übertrieben großer Kopf hing ihm auf die Brust herab; sein Haar war schwarz und glatt, sein Gesicht lang, sein Teint grünlich, sein Mund verkniffen und sein Kinn spitz und vorspringend.

All das ergab keinen schönen Herrn; da ich aber glaubte, er sei mir gewogen, so sah ich ihn nachsichtig an; ich fand ihn angenehm. Freilich empfing er jedermann leutselig und gutmütig, und er nahm die Bittschriften, die man ihm brachte, freundlich hin; das schien bei ihm ein Ersatz für ein stattliches Äußeres. Als ich aber vortrat, um ihn zu begrüßen, warf er einen harten, drohenden Blick auf mich, wandte mir, ohne mich zu hören, den Rücken und ging in sein Kabinett zurück. Da fand ich den Edelmann noch häßlicher, als er war; bestürzt über einen so grimmigen Empfang verließ ich den Saal und wußte nicht, was ich davon denken sollte.

Als ich Scipio erreichte, der an der Tür auf mich wartete, sagte ich zu ihm: Weißt du, wie er mich aufgenommen hat? Nein, erwiderte er, aber es ist nicht schwer zu erraten: dem Wunsch des Königs gemäß wird er Euch ein hohes Amt geboten haben. Darin täuschst du dich, versetzte ich, und ich erzählte ihm, wie ich empfangen worden war. Er hörte mich sehr aufmerksam an und sagte: Ihr erstaunt mich! Der Graf muß Euch nicht erkannt haben, oder er hat Euch für einen andern gehalten. Ich rate Euch, geht noch einmal hin; ich zweifle nicht, daß er Euch besser aufnimmt. Ich folgte dem Rat meines Sekretärs und stellte mich nochmals bei dem Minister ein; er behandelte mich noch schlechter als das erstemal und runzelte die Stirn, als er mich sah; es schien, als sei mein Anblick ihm peinlich; dann wandte er den Blick von mir ab und ging weiter, ohne ein Wort zu sagen.

Dies Verhalten verletzte mich tief; ich war in Versuchung, auf der Stelle nach Valencia zurückzukehren; aber dem widersetzte Scipio sich, da er auf die gefaßten Hoffnungen nicht verzichten mochte. Siehst du denn nicht, sagte ich, daß der Graf mich vom Hof entfernen will? Der Monarch hat ihm Wohlwollen für mich bezeigt, genügt das nicht, um mir die Abneigung seines Günstlings zuzuziehn? Laß uns weichen, mein Freund, laß uns gutwillig vor der Macht eines so furchtbaren Feindes weichen. Gnädiger Herr, erwiderte er, auf den Grafen von Olivares erzürnt, ich würde das Feld so leicht nicht aufgeben; ich würde sogar über einen so verletzenden Empfang triumphieren wollen. Ich würde mich beim König darüber beklagen, wie der Minister seine Empfehlung mißachtet. Ein schlechter Rat, sagte ich, mein Freund; wenn ich diesen unklugen Schritt unternähme, so hätte ich es bald zu bereuen. Ich weiß nicht einmal, ob ich nicht Gefahr laufe, wenn ich in dieser Stadt bleibe.

Da ging mein Sekretär in sich und erwog, daß wir es in der Tat mit einem Mann zu tun hatten, der uns nochmals nach Segovia schicken konnte; und er begann, meine Angst zu teilen. Er bekämpfte mein Verlangen, Madrid zu verlassen, nicht mehr, und ich beschloß, am folgenden Tage zu reisen.


 << zurück weiter >>