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Siebentes Kapitel

Von Scipios erster Reise nach Madrid; ihr Anlaß und ihr Erfolg. Gil Blas wird krank; Folge seiner Krankheit.

 

Wenn man gewöhnlich sagt, man habe keine schlimmeren Feinde als seine Dienstboten, so müssen wir auch sagen, daß sie unsre besten Freunde sind, wenn sie uns treu sind und uns lieben. Nachdem mir Scipio solchen Eifer bezeigt hatte, konnte ich in ihm nur noch ein andres Ich erblicken. Daher auch keine Unterordnung, keine Umstände mehr zwischen Gil Blas und seinem Sekretär. Sie wohnten im selben Zimmer und hatten nur noch ein Bett und einen Tisch.

Scipios Unterhaltung war äußerst lustig: man hätte ihn mit Recht den Burschen der guten Laune nennen können. Obendrein war er ein Mann von Kopf, und ich stand mich gut bei seinem Rat. Mein Freund, sagte ich eines Tages zu ihm, mir scheint, ich täte nicht übel daran, wenn ich an den Herzog von Lerma schriebe; das könnte keine schlechte Wirkung haben. Was meinst du dazu? Ach! aber, erwiderte er, die Großen sind von Augenblick zu Augenblick so verschieden! Ich weiß nicht, wie Euer Brief aufgenommen würde. Aber ich halte dafür, daß Ihr immerhin schreiben könnt. Obgleich der Minister Euch liebt, darf man es nicht seiner Freundschaft überlassen, ob er sich Eurer erinnert. Solche Gönner vergessen die Leute leicht, von denen sie nicht mehr hören.

Wenn das auch nur zu wahr ist, erwiderte ich, so mußt du meinen Gönner doch besser beurteilen lernen. Seine Güte ist mir bekannt. Ich bin überzeugt, er nimmt teil an meiner Not, und sie steht ihm unaufhörlich vor Augen. Er wartet offenbar, um mich aus dem Gefängnis zu befreien, bis sich der Zorn des Königs gelegt hat. Schön! sagte er; ich wünsche, daß Ihr Seine Exzellenz richtig beurteilt. Fleht ihn also in einem sehr rührenden Brief um Hilfe an. Ich werde ihn ihm bringen und verspreche Euch, ihn persönlich abzugeben. Ich verlangte sofort Papier und Tinte und verfaßte ein beredtes Kabinettstück, das Scipio pathetisch fand, und das Tordesillas noch über die Homilien des Erzbischofs von Granada stellte.

Ich schmeichelte mir, der Herzog von Lerma werde von Mitleid gerührt sein, wenn er die traurige Schilderung eines elenden Zustandes läse, in dem ich mich nicht befand; und in dieser Zuversicht ließ ich meinen Kurier aufbrechen. Kaum war er in Madrid, so ging er zu dem Minister. Er traf einen mir befreundeten Kammerdiener, der ihm die Gelegenheit verschaffte, den Herzog zu sprechen. Euer Gnaden, sagte Scipio zu Seiner Exzellenz, indem er ihr den Brief übergab, einer Eurer treuesten Diener, der in einem düstern Kerker des Turms von Segovia auf dem Stroh liegt, fleht Euch demütigst an, diesen Brief zu lesen, den zu schreiben ein Schließer ihm aus Mitleid ermöglichte. Der Minister öffnete den Brief und sah ihn durch. Aber obgleich er ein Bild darin fand, das die härteste Seele hätte rühren können, erhob er die Stimme und sagte im Beisein einiger Leute, die ihn hören konnten, wütend zu meinem Boten: Freund, sagt Santillana, ich fände ihn verwegen, daß er sich nach der unwürdigen Handlung, für die er so gerecht bestraft ist, noch an mich zu wenden wagt. Er ist ein Elender, der nicht mehr auf meine Hilfe rechnen darf, und den ich dem Groll des Königs überlasse.

So dreist Scipio auch war, diese Worte verwirrten ihn. Trotzdem aber wollte er noch für mich sprechen. Euer Gnaden, sagte er, dieser arme Gefangene wird vor Schmerz sterben, wenn er die Antwort Eurer Exzellenz erfährt. Der Herzog sah meinen Fürbitter statt aller Antwort nur von der Seite her an und wandte ihm den Rücken. So behandelte mich dieser Minister, um zu verbergen, daß er an der Liebesintrige des Prinzen von Spanien beteiligt war; und darauf müssen sich alle kleinen Vermittler gefaßt machen, deren sich große Herren bei ihren heimlichen und gefährlichen Unternehmungen bedienen.

Als mein Sekretär wieder in Segovia war und mir vom Erfolg meiner Sendung berichtet hatte, sah ich mich von neuem in den furchtbaren Abgrund zurückgestoßen, in dem ich am ersten Tage meiner Gefangenschaft geschmachtet hatte. Ich hielt mich sogar für noch unglücklicher, da ich nicht einmal mehr die Gönnerschaft des Herzogs von Lerma besaß. Mir sank der Mut; und was man mir auch sagen mochte, um ihn zu heben, ich fiel wieder dem schwersten Kummer zum Opfer, der schließlich eine akute Krankheit zur Folge hatte.

Der Burgherr, der sich für meine Erhaltung interessierte, glaubte nichts besseres tun zu können, als mir zwei Ärzte zuzuführen, die ganz aussahen wie wackere Diener der Göttin Libitina. Ich war so gegen alle Ärzte eingenommen, daß ich sie sicherlich sehr schlecht aufgenommen hätte, hätte ich noch am Leben gehangen; aber ich fühlte mich so lebensmüde, daß ich Tordesillas Dank wußte, weil er mich ihnen überantworten wollte.

Herr Kavalier, sagte einer dieser Ärzte, Ihr müßt vor allem Vertrauen zu uns haben. Ich habe volles Vertrauen, erwiderte ich, mit Eurer Hilfe werde ich in wenigen Tagen von allen Leiden geheilt sein. Ja, mit Gottes Hilfe, erwiderte er, werdet Ihr es sein. Wirklich gingen diese Herren wundervoll vor; zusehends zog ich in eine andre Welt davon. Schon hatte Don Andreo einen Franziskanermönch kommen lassen, und der gute Pater hatte sein Amt verrichtet und war gegangen; und da auch ich meine letzte Stunde nahe glaubte, so winkte ich Scipio, zu mir ans Bett zu kommen. Mein lieber Freund, sagte ich mit fast erloschener Stimme zu ihm, so hatten mich die Tränke und die Aderlässe geschwächt, ich hinterlasse dir einen der Säcke, die bei Gabriel sind, und ich flehe dich an, den andern bringe nach Asturien für meinen Vater und für meine Mutter, die ihn brauchen können, wenn sie noch am Leben sind. Aber ach! ich fürchte, sie haben meinen Undank nicht ertragen können. Muscadas Bericht über meine Härte hat vielleicht ihren Tod herbeigeführt. Wenn aber der Himmel sie trotz der Gleichgültigkeit, mit der ich ihre Liebe lohnte, erhalten hat, so wirst du ihnen den Dublonensack bringen und sie bitten, mir zu verzeihen, daß ich es nicht besser um sie verdient habe; und wenn sie nicht mehr leben, so verwende das Geld, um für ihre und meine Seelenruhe zum Himmel beten zu lassen. Damit reichte ich ihm meine Hand, die er mit Tränen netzte. Er konnte kein Wort entgegnen; der arme Bursche war zu betrübt über meinen Verlust. So sind die Tränen eines Erben doch nicht immer ein unter einer Maske verborgenes Lachen.

Ich machte mich also auf das Ende gefaßt; aber meine Erwartung wurde enttäuscht. Als meine Doktoren mich aufgegeben und der Natur das Feld geräumt hatten, retteten sie mich eben dadurch. Das Fieber, das mich nach ihrer Aussage dahinraffen mußte, verließ mich, als wollte es sie Lügen strafen. Ich erholte mich langsam: vollkommene Geistesruhe war die Frucht meiner Krankheit. Ich hatte keinen Trost mehr nötig. Ich bewahrte für den Reichtum und die Ehre die ganze Verachtung, die der Glaube an einen nahen Tod mich gelehrt hatte. Mir selber zurückgegeben, segnete ich mein Unglück. Ich dankte dem Himmel dafür wie für eine besondere Gnade, und ich faßte den festen Entschluß, wenn der Herzog von Lerma mich etwa zurückrufen wollte, nicht wieder an den Hof zu gehn. Ich nahm mir vielmehr vor, wenn ich je dem Gefängnis den Rücken kehrte, eine Hütte zu kaufen und dort als Philosoph zu leben.

Mein Vertrauter beglückwünschte mich zu meinem Vorsatz und sagte mir, um die Ausführung zu beschleunigen, wolle er nochmals nach Madrid gehn und um meine Freilassung bitten. Ich habe eine Idee, fügte er hinzu. Ich kenne ein Wesen, das uns helfen kann: es ist die Lieblingsdienerin der Amme des Prinzen, ein Mädchen von Geist. Sie soll bei ihrer Herrin für mich handeln. Ich werde alles versuchen, um Euch aus diesem Turm zu befreien; denn wie gut man Euch auch behandle, er bleibt ein Gefängnis. Du hast recht, erwiderte ich. Geh, mein Freund, und beginne ohne Zeitverlust diese Unterhandlung. Wollte der Himmel, wir wären schon auf unserm Ruhesitz!


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