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Der kleine Maschinist

Ein berühmter Sänger, der mit Gastspielen die Opernhäuser füllte, beglückte durch seine große Stimme selbst die Theaterarbeiter, denen die Kunst bei ihrer Arbeit oder dem Ausruhen nicht mehr wie störende Geräusche geworden waren. Heute aber mußte sogar der kleine Maschinist, der das Licht und die Motore zu beaufsichtigen hatte, sich mit Wurstigkeit und Watte Geist und Ohren zustopfen, um bei seiner Sache zu bleiben.

In der großen Pause, nach dem dritten Akt, kam der Regisseur zum Maschinisten herunter und erklärte ihm, daß im vierten Akt die versenkbare Plattform gebraucht werde; die große Arie ende mit dem Tod des Helden. Der Sänger ließe sich auf die Plattform niederfallen, es würde ein Drahtgestell mit einem Tuch bedeckt, über die Leiche geschoben und sofort verließe der Gast die Bühne, um auszuruhen. Beim Aktschluß, wenn der Gast gerufen werde, habe er ihn pünktlich wieder auf die Bühne zu befördern. Der Gast sei heute sehr nervös – die Sache müsse klappen, auch ohne Probe.

Der Maschinist ließ die Maschine anlaufen, beobachtete das Sinken der Plattform, ließ sie wieder steigen und hielt sich in Bereitschaft. Während der großen Arie hörte er, die Hand am Schalthebel, zu. Vertönende Orchesterklänge, die aufschwebende Stimme, Solo, bannende Spannung – Schrei, Fall – der Maschinist ruckte an und der Motor summte. Nieder sank die Plattform, der Gast wurde vom Hilfsregisseur empfangen und verschwand.

Vierter Akt. Im Orchesterbraus und Stimmenklang ließ der Maschinist seine Gedanken hinter dem Gast hergehen. Warum konnte der Herr nicht die zwanzig Minuten stilliegen? Zu nervös zum Stilliegen? Das verdammte Theaterspielen machte die besten Menschen kaputt, je größer, desto nervöser. Der Aktschluß kündigte sich mit vollem Orchester und tönendem Chor an, der Hilfsregisseur kam, hinter ihm der Sänger, der sich auf die Plattform legte. »Auf!« kommandierte der Regisseur.

Der Maschinist ging rund um die Plattform, drückte das Bein des Liegenden weiter zurück, legte die Hände auf die Brust des Sängers und beobachtete genau die Lage. Trotz der befehlenden Stimmen zögerte der Maschinist, drückte fast unmutig an den Körperteilen des Gastes, warnte noch einmal vor dem Verschieben der Gliedmaßen und ging, rückblickend, an den Schalthebel. Er ließ den Motor laufen. Oben, auf der Bühne, brauste der Zusammenklang aller Stimmen und Instrumente, der Maschinist starrte auf die Signallampe, drehte sich plötzlich um und lief an die steigende Plattform: er äugte nach dem Kopf des Sängers, der über die Platte hinausragte. Der Maschinist sah schon, wie die zwangsläufig steigende Platte den Kopf zwischen dem Bühnenboden abquetschen mußte. Er hatte zwei Sekunden Zeit, eine zum Überlegen, die andere zum Handeln. Zum Motor war es zu weit – er sprang an die Schalttafel, schlug mit der Hand den großen Schalthebel heraus, die Flammen schossen ihm aus den Sicherungen entgegen, grünrot schwelte der Brand des Kupfers in schmorendem Kurzschluß. Alles Licht im Saale, auf und unter der Bühne, erlosch – aus der jähen Stille brach der panische Schrei von zweitausend Menschen.

Der Regisseur riß die Taschenlampe hervor und der Maschinist kam; er beleuchtete den Sänger und wies auf den Kopf, der über die Platte, auf den Arm gelegt, herausragte. Der Sänger habe das Bein zurückgezogen, aber nicht auf seinen Kopf geachtet. Er ließ den herbeigeeilten Direktor stehen, löschte den Brand der Leitungen und gab sich daran, den entstandenen Schaden auszubessern. Inzwischen war der Gast von der Bühne weggeleitet und die Zuhörer beruhigt worden. Eine Viertelstunde wartete die ganze Oper auf den Fortgang des Spiels, indessen die Monteure mit dem Maschinisten im Schein der Notlampen arbeiteten.

Erst als der Sänger, ausgeruht, mit seinen Freunden und geladenen Gästen gegessen hatte und schon beim Kaffee saß, erkundigte er sich gelegentlich nach der Ursache der Störung. Er hatte ja, weil er der Bühne näher war als dem Maschinenraum, von nichts erfahren. Der Direktor, etwas verlegen, erklärte, wie das teure Haupt des Gastes im letzten Augenblick vor dem Abschneiden gerettet werden mußte. Wie die Aufzugsmaschine ihn fast guillotiniert hätte, weil die körperliche Größe des Gastes nicht auf die Plattform, die für gewöhnliche Maße hergerichtet sei, gepaßt habe. Nun aber könne man mit Recht die glückliche Errettung feiern.

Der Sänger starrte den Redner an, wurde sich des Inhalts der Worte bewußt und erlitt jetzt erst das Schaudern – das Gefühl der Machtlosigkeit durchzog ihn wie lähmendes Gift. Entsetzen stieß ihn in die unsichtbaren Krallen des mechanischen Dämons, und erst die beruhigenden Worte der Freunde belebten ihn. Dann aber triumphierten das Leben und die Natur: Erst jetzt sang er, sich selbst zur Lust, feierte das gerettete Dasein wie eine Wiedergeburt und pries die Sekunden, die ihm ein neues Leben geschenkt hatten.

Wäre jemand unter den Geladenen gewesen, der das Leben in dieser Zeit unter Maschinen und dem elektrischen Strom bis auf den Grund erlitten hätte, er würde des kleinen Maschinisten gedacht haben; er hätte in wenig Worten zeigen können, daß in der unerbittlichen Zwangsläufigkeit der exakten Mechanik ein lebendiger Mensch eingeschaltet ist. Ein Arbeiter-Mensch, der bereit sein muß, sich zwischen die unbelebten Massen von Stahl und Eisen zu werfen, mit Hirn und Händen bewußt gegen den Dämon Maschine todverachtend zu kämpfen. Es ist doch nun einmal so: die letzte Vollkommenheit der Technik ist erst die Hingabe des Arbeiters, der sein menschliches Leben zur Seele der Maschine, zu ihrem fehlenden Geist transformiert, damit sie nicht vernichte, was sie bildete. Der kleine Maschinist war die Seele des elektrischen Betriebes und hatte in dem Augenblick, als der Sänger in höchster Lebensgefahr schwebte, seinen Leib den tödlich verbrennenden Flammen hingehalten. Er hielt es für seine Pflicht, sich für den Sänger zu opfern. Er hätte es auch für einen einfachen Arbeitskameraden getan, wie überhaupt die Pflicht des Arbeiters immer mit dem Opfer unlösbar verbunden ist. Als der Arbeiter am anderen Tage nach Hause kam, hatte seine Frau in der Zeitung vom Gastspiel des Sängers und seiner großen Leistung gelesen. Es war auch der Zwischenfall mit dem Licht erwähnt und die Sache mit der Plattform als große Sensation ausgemalt. Von dem selbstverständlichen Heldentum des kleinen Maschinisten war kein Wort gesagt. Weder die Frau noch der Mann wunderten sich darüber; denn es ist in unseren Kreisen nicht üblich, daß man aus seiner Pflicht Sensationen macht und seinen Namen als Held gedruckt sieht. Weil nun niemand des namenlosen Mannes gedacht hat, und weil niemand von diesem Heldentum weiß, darum muß der Dichter unter den Arbeitern es nachholen, und darum setzte ich den Namen des Mannes auf die Ehrentafel des guten Kameraden:

Josef Pörschel.


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