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Der Kampf um die Ehre

Ein Schulkamerad, der in seinem elterlichen Geschäft die Lehre bestand, kam oft in unsere Werkstatt, um sich Zugformen zum Ziehen von Zierleisten am Verputz der Hausfronten auszuschlagen. In den vielen herbstlichen Regenstunden half er uns bei der Arbeit. Dafür besuchten wir, wenn wir nicht viel Arbeit hatten, seinen Bau. Bei dieser Gelegenheit versuchten auch wir, den Zementmörtel an die Mauer zu Watschen, so wie er und sein Vater es machten.

Das sah so leicht und spielend aus; doch regelmäßig fiel der Mörtel, langsam sich lösend, wieder herunter, Einmal sagte der Helfer Jansen im Vorbeigehen: »Das ahnt ja kein Mensch, wieviel Können dazu gehört! Seht, so macht man das!« Mit dem gleichen spielenden Schwung warf er den Mörtel auf die Steine, daß er klebte. Ich versuchte wohl hundertmal, umsonst. Dann lachte Jansen: »Übung macht Können! Das Können erhöht die Menschen und gibt jedem seine Ehre. Diese Ehre muß man hochhalten!« Einmal den Geruch von Zement und Mörtel in der Nase, wurde ich ihn nicht mehr los. Wie eine Leidenschaft stieg der Ehrgeiz in mir auf, dieses Können zu erwerben. Ich kaufte mir einen Sack Zement und begab mich daran, an unserer Hausmauer die zerbröckelten Stellen auszubessern. Umsonst, es gelang mir nicht, den Schwung herauszubekommen. Endlich wurde es meinem Vater zuviel: »Laß doch die ewige Verputzerei! Uns gelingt nur, was wir aus Eisen machen! Setz du deine Ehre darein, ein tüchtiger Kesselschmied zu werden!«

Einige Wochen lang hatte es gedauert, ehe diese Worte so in mir wirkten, daß ich keinen Maurerehrgeiz mehr spürte und ich mich mit meiner eigenen Arbeit zufrieden gab. Als da eines Mittags der Helfer Jansen in die Werkstatt kam, um einige Schablonen machen zu lassen, kamen wir auch auf das Handwerk zu sprechen. Er beklagte sich bitter, daß er bei den Zünftigen immer noch als Handlanger gelte. Er sei zwar schon 24 Jahre alt, wolle Geselle und Meister werden; das setze er durch, und wenn er Tag und Nacht arbeiten müsse.

Ich sagte ihm, daß ich nicht so ehrgeizig nach Höherem, wie er, sei. Ob in seiner Familie wohl Baumeister und Architekten gewesen waren, daß er davon den Trieb nach Höherem habe. Da sah mich der Mann groß an, schüttelte die Fäuste und sagte: »Ha, weil mein Vater ein Säufer war und ein willensschwacher Mensch, meinst du, darum müsse ich ebenfalls auf der Straße und im Gefängnis enden? Einer meiner Brüder ist ihm nachgeartet. Auch ich habe das wilde Blut, das nach Krachmachen, Großtun, Händelsucht und nach viel Saufenkönnen schlägt. Lumpenehre, nein! Ich will als Arbeitsmann eine Männerehre wiederhaben! Was leisten! Geld verdienen, Meister werden! Dann werden die Leute von mir sagen müssen: »Ja, der Jansen hat bewiesen, daß der Arbeiter auch seine Ehre hat und was aus sich machen kann!«

Diese Worte trafen mich tief in die Seele. Wenn auch mein Vater kein Trinker mehr war, so war er doch ein Prozeßhansel geworden, der seine Ehre und seinen Stolz immer vor den Gerichten ausmachen mußte. Weil sein zweites Wort: »Recht« und sein drittes Wort »Ehre« hieß, darum wurden mir diese Worte zur Pein. Nun bewies mir der Stukkateur Jansen, daß die Worte Recht und Ehre nicht allen Menschen, sondern nur mir krank überliefert waren. Von diesem verachteten Mann konnte ich lernen, das Elend, das mein Vater über die Familie gebracht hatte, zu überwinden.

»Ja, mein Junge«, sagte er, »wir Söhne leiden alle unter den Sünden der Väter. Aber, es ist nicht genug, demütig zu leiden. Wir Söhne müssen die verlorenen Jahre wieder erkämpfen! Junge«, sagte er immer wieder, »der große Haufe, der sich anständig dünkt, glaubt, er dürfe mich bespucken. Ich verteidige mich nicht mit Worten! Ich habe mich vom Schnaps freigemacht, für mich meine Ehre erkämpft, und einmal wird auch die Stadt mich respektieren!«

Es wurde Herbst. An einem trüben Novembernachmittag kam ich an einer Baustelle vorbei und sah einen großen Menschenauflauf: der Neubau war fast zur Hälfte eingefallen. Feuerwehr und Bauleute sperrten mit Gerüstholz und Seilen die Unglücksstätte ab, weil immer noch weitere Mauerteile nachstürzten. Der andauernde Regen hatte den Mörtel nicht trocknen lassen, die Last wurde zu groß und drückte die Mauer aus dem Lot. Ein Mann sei verunglückt. Als ich gehen wollte, sah ich einen Schutzmann in das Wirtshaus nebenan laufen; der hielt das andrängende Volk ab. Sanitäter trugen eine Bahre hinein. Ich hörte, daß ein anderer Mann von einem Lastauto überfahren worden war. Bei einem neuen Regenschauer flüchtete ich mich in das nächste Wirtshaus, da begann ein Zimmermann zu erzählen: »Ja, es ging schon hart auf Mittag zu, die meisten Bauleute waren schon in der Bude, nur ein Stukkateur arbeitete noch an einer letzten Giebelecke. Ein anderer schleppte Mörtel herbei. Auf einmal rannten die Leute heraus, ein schwerer Schlag Steine war auf das Dach der Baubude gefallen. Gleich sahen sie, daß die Giebelspitze einen großen Riß hatte, sie schrien zu den beiden Arbeitenden hinauf. Ehe diese recht verstanden, was die Kollegen wollten, rutschte der obere Teil der Giebelmauer ab. Die beiden rissen die verschobene Leiter zu sich herüber; der jüngere Mann, der schon einige Schritte abgestiegen war, schrie seinem Kollegen zu: »Du hast Weib und Kinder!« und kam wieder herauf. Er hielt die Leiter fest, bis der Ältere hinabgeklettert war. Der Jüngere verschwand durch ein Fenster in den Bau hinein. Jetzt kam die noch stehende Giebelseite ins Rutschen, ein Teil der Front drückte sich mit heraus, und gewaltige Steinmassen schlugen auf das Gerüst. Da häuften sie sich, bis Bretter und Stangen unter der Last zerbrachen. Trotzdem der Ältere schon am zweiten Stock war, verschwand er mit einem Male, Inmitten schlagender Steine und fallender Bretter stand er auf, suchte mit einem Sprung zu entkommen, da krachte der Giebel zusammen und brach bis zum ersten Stock auf die Straße; der Mann wurde von den Steinen zugedeckt. Nun sahen wir nach dem Jüngeren, der stand in einem Fenster und sprang auf den Schutthaufen. Als er hörte, daß sein Kollege unter den Steinen lag, packte er trotz seiner Wunden mit an. Wir fanden den Älteren tot. Der junge Mensch kniete neben ihm, hielt seine zerquetschten Hände und schrie: »Und ich habe dir doch sofort gesagt: schnell, du hast Weib und Kinder, runter! Geh du vor! – Nun bist du doch tot!«

»Aber, du, du bist Junggeselle und lebst noch!« sagte ein Vorarbeiter, machte ein hämisches Gesicht und spuckte auf die Erde.

»Mann! Sagt das nicht noch einmal!« brüllte der junge Kerl, stand auf und sah dem grinsenden Vorarbeiter ins Gesicht, »sagt das nicht noch einmal! Kameraden, das hört sich an, als sei ich schuld an seinem Unglück; glaubt ihr das?« Der Beschuldigte stellte sich preß vor den Beleidiger und hielt ihm die geballten Fäuste vors Gesicht. Langsam sagte er: »Was habt ihr für einen Beweis für solche Verleumdung?« Die Männer stellten sich zwischen die beiden, doch der Vorarbeiter schrie ihm höhnisch zu: »Du lebst und dein Kamerad ist tot! Ich denke, das genügt!« »Kameraden, glaubt ihr das auch?« Nun wandte sich der Beleidigte zu den Umstehenden, faltete die Hände wie bittend zu ihnen: »Glaubt ihr, daß ich das gewollt habe?« Die Handlanger und Maurer redeten ihm zu: »Wir stehen für dich ein, wir glauben dir!«

»Dann muß er zurücknehmen, was er gesagt hat!« rief der Beleidigte und drängte dem Vorarbeiter nach, der schon in der Tür der Baubude stand. Auch einige Maurer sagten: »Zurücknehmen! Ihr könnt nichts beweisen!«

»Aber, er lebt ja noch!« höhnte der Vorarbeiter. Da ging der junge Mann zu der Leiche des Kameraden zurück und sagte: »Freundschaft! Du hast kein Leben und ich keine Ehre mehr!« Er zog sein Messer heraus, öffnete die Klinge und sagte: »Ohne Ehre ist kein Leben!«

»Raus da! Die Polizei kommt!« rief der Vorarbeiter in die Bude hinein; da sah er, wie der Geselle das Messer gegen ihn hob. Entsetzt lief er an den Bauleuten vorbei, der junge Mann mit blanker Klinge hinter ihm her. »Meine Ehre!« schrie er. Die beiden verschwanden um die Straßenecke. Nach kurzer Zeit kam der Vorarbeiter zurück, drückte den Arm vor die Augen und deutete um die Ecke; die Leute rannten hin: unter einem Lastauto zogen sie den zermalmten Gesellen hervor. Sie trugen ihn in die Baubude neben den toten Kameraden. Bald erschien der Sanitätswagen, die Toten wurden weggebracht, der Vorarbeiter war nirgends zu finden!« So schloß der Zimmermann und stieß an die Mütze, als müsse er seinen Kopf entblößen: »Er war ein ganzer Kerl!«

Am andern Tag kam mein Schulkamerad, der Lehrling – er sprach von nichts anderem, als dem Unglück. Ich fragte ihn, warum er so erschüttert sei. Da sah er mich mit großen Augen an und sagte: »Weißt du denn nicht, daß es unser Jansen ist, der unter dem Lastwagen tot blieb? Unser Jansen!«

Nein, das ahnte ich nicht. Als ich nun bedachte, daß er nicht nur einmal, sondern zweimal sein Leben für seine Ehre einsetzte, war es mir, als sei er mir gestorben, um mir zu zeigen, wie heilig ihm sein Wille zur Ehre war. Ich schämte mich so, wie ich mich noch nie geschämt hatte. Auch ich hatte damals diesen Mann für nichts geachtet, wie es alle hochmütigen Dummköpfe getan. Ich warf mich an den Hals meines Freundes und weinte. Am nächsten Tag gingen wir hinter seiner Leiche. Am Grab sagte der Priester zuerst die lateinischen und dann die deutschen Gebete. Als er das Vaterunser für denjenigen für uns betete, der dem Toten zuerst in die Ewigkeit nachfolgen würde, war alles aus. Ich war maßlos enttäuscht, daß kein Handwerksmann über diesen Toten sprach, der als guter Kamerad und treuer Mensch sein Leben für den Arbeitsbruder eingesetzt und dann für seine Ehre den Tod litt. Mir war, als müßten jetzt Soldaten Gewehre abschießen, es müßte die Musik einen Trauermarsch spielen. Auf dieses Grab gehörte ein Denkmal hin, ein ewiges Zeichen der Erinnerung. Lange noch mußte ich an ihn denken. Wenn ich abends im Bett lag und auf die Wand starrte, teilte sie sich, aus dem Gestein stieg seine Gestalt. Sein Geist wanderte mit mir zur Arbeit, er zog durch die Mauern der Häuser und Fabriken; wenn ich einmal ausruhend vor mich hinsah und mein Blick eine Steinmauer traf, erschien er mir gleich in Gestalt und Gesicht, wie er gelebt und gerungen. Seine guten Augen sahen mich an, als wollten sie sagen: »Halte du der Kameradschaft die Treue, und über alles die Ehre!«


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