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Als Feuermann im Kesselhaus

Acht Dampfkessel liegen im Heizraum Eins. Acht Zweiflammrohrkessel von hundertzwanzig Quadratmeter Heizfläche und zwölf Atmosphären Überdruck. Jeder ist für sich eingemauert, drei Meter hoch, drei Meter breit.

Schön sieht es aus: das ziegelrote Mauerwerk mit den weiß abgesetzten Mörtelfugen. Zwischen jedem Kessel ist ein halber Meter freier Kaum. Die Kessel sind ganz vom Mauerwerk umschlossen; die Stirnwand ist mit einem schwarzen Wärmeschutz verkleidet, aus der die Stutzen des Wasserstandsapparates, des Speise- und Rückschlagventils hervorstehen. In der Tiefe sieht man noch den Vorsatzkasten des Mannlochdeckels mit den anderthalbzollstarken Schrauben.

Die Flammrohre, zwei in jedem Kessel, liegen, ein Meter groß von Durchmesser, nebeneinander in die Zweieinhalbmeterrundung des Kessels eingebaut. In der oberen Hälfte des Flammrohrs sind, in der Mitte geteilt, die Feuertüren; sie schlagen nach rechts und links auf, und hinter ihnen saust die Flamme aus den handhoch ausgebreiteten Kohlen. Unter den Feuertüren sind die Luftklappen, die nur selten geöffnet werden; in die innere Klappe führt ein Gußstutzen, der aus der Erde kommt. Durch diesen fußgroßen Rohrbogen saust vom Evaporator her ein Luftstrom unter den Rost und läßt die Kohlen mit größerer Energie verbrennen. Der Lärm ist so groß, daß man sein eigenes Wort nicht versteht.

An der Wand vor den Kesseln sind zwischen eisernen Platten die Kohlen geschichtet. Der Raum zwischen Kohle und Kessel ist knapp zwei Meter, gerade weit und schmal genug, um die Kohle mit der Schaufel zu packen und auf die Feuer zu schleudern.

Über alle Kessel hin läuft, hart überm Mauerwerk, ein vier Zoll dickes Rohr; zu jedem Kessel führt, in schlankem Bogen, eine Abzweigung zum Speiseventil. Durch dieses Rohr wird dem Kessel das schon kochendheiße Speisewasser zugeführt. Eine Druckpumpe preßt es zuerst durch ein hundertfältiges Röhrensystem, Ecconomyser, der in den Feuerzug eingebaut ist. In den Röhren erhitzt sich das Wasser auf hundert Grad; die so ausgenützten Rauchgase entweichen erst dann in den Schornstein. Der Raum über den Kesseln ist hoch und dunkel, man sieht nur das Trägergewirr der Binder, die das Wellblechdach tragen. Vom Dampfdom eines jeden Kessels führen fußdicke, umhüllte Dampfrohre zu einem langen, über alle acht Kessel reichenden Eisengefäß, dem Dampfhammer, hin. Aller Dampf aus allen Kesseln strömt in dieses Gefäß, in ihm sind alle Kessel so miteinander verbunden, daß sie immer gleichen Dampfdruck haben. Vom Sammler aus gehen auch die vielen kleinen Rohrleitungen für direkten Dampfverbrauch in die Einzelbetriebe. Das große Rohr in der Mitte führt durch die Überhitzer in die Dampfturbine, die, elektrischen Strom zu erzeugen, ein großes Dynamo treibt.

Neunhundertsechzig Quadratmeter Heizfläche werden von uns zwei Feuermännern bedient; ein Kohlenfahrer ist uns zur Hilfe beigegeben.

Es ist kurz vor der Mittagspause, die Feuer sind hochgestocht, der Dampf hat die höchste zulässige Spannung erreicht. Auf allen acht Manometern, Druckmessern, die kupferblank und glasklar mit den scharfgezeichneten Ziffern leuchten, stehen die Zeiger auf der zwölf, über die ein roter Strich, die Marke, gezogen ist.

In dem Augenblick, in dem die Maschinen in den Betrieben abstellen, erhöht sich der Dampfdruck in den Kesseln. Kaum merklich sind die Zeiger vorgerückt, gleich blasen auch schon die Doppelsicherheitsventile den überschüssigen Dampf ab. Das Brausen der Evaporatoren wird überströmt von dem Geräusch des entweichenden Dampfes.

Wir warten auf den Glockenschlag. Der Kohlenfahrer geht in den Pumpenraum. Durch die offene Tür sieht er auf die Uhr. Wenn es genau zwölf Uhr ist, hängt er die Hand an den Griff und zieht den Hahn des Heulhorns. Polternd fährt der Dampf in die senkrecht führende Röhre, die über dem Dach das Heulhorn trägt; – zuerst ein unartikuliertes Fauchen, heiseres Brüllen, hustendes Brodeln, dann langsam in hohlem, immer voller werdenden Ton brummt das eiserne, glockenartige Dampfinstrument. Gleichzeitig erklingen schrill, vom Maschinenraum aus, die einzelnen Signale, klingeln in allen Tonarten in alle Nebenbetriebe, die Maschinen lassen im Rasen einige hundert Touren nach, rollen müde aus und stehen bald still.

In Scharen drängen die Arbeiter aus den Türen; wenn sie an der Heizraumtür vorbeikommen, so schauen sie einen Augenblick hinein. Jeden Mittag sehen sie dasselbe: Die Evaporatoren werden abgestellt, wohlige Ruhe tritt ein. Wir beiden Heizer und der Kohlenfahrer stehen bereit. Jeder hat eine vier Meter lange Stange aufrecht vor sich, einen Lappen um die linke Faust gewickelt. Mit der Rechten reißen wir die Feuertüren auf, fassen mit beiden Händen die Stange, an deren Ende eine fußlange, handbreite Eisenplatte befestigt ist.

Mit dieser Platte werden die nun ausgeflammten Glutmassen nach hinten, ans Ende der Roste, geschoben. Dort häufen sie sich an, während der Rest auf dem Rost verbleibt, die ausgebrannte Schlacke, die aber noch weißglühend ist. Unsere Kratzenstange wird von der Glut so heiß, daß der Lappen in der linken Hand zu schwelen anfängt; immer her und hin, vor und zurück, über den zwei Meter tiefen Rost muß zehn- und fünfzehnmal die Kratze fahren, von der energischen linken Paust niedergedrückt, von der stoßenden Rechten geschoben.

Der Feuermann muß immer wieder das Gesicht in die Glut hineinhalten, um nachzusehen, ob auch alle Kohle von der Schlacke fort ist. Dann kneifen sich die Augen zu einem winzigen Spalt zusammen, die Brauen verdecken das fast versengte Lid, die Backen ziehen sich über dem Jochbein vor das untere Auge, der Mund ist mit den eingekniffenen Lippen eine zahnlose Höhlung, die Zunge selbst zieht sich vor der ausstrahlenden Glut bis in den Hals zurück. Indessen vollführen die Arme die zwei Meter tiefen Stöße, die Beine stehen gespannt, der Oberkörper im rechten Winkel gehalten; der Schweiß beginnt zu rinnen. Da! mit einem heftigen Ruck fliegt die Kratze heraus, für eine Sekunde stehen wir grade und aufrecht, aber schon im nächsten Augenblick greifen wir zur nächsten Feuertür, zum nächsten Flammrohr.

Fünf solcher Feuer muß jeder von uns bedienen, – fünfmal hintereinander rissen wir die Türen auf, fünfmal bricht die Kratze in die Glutmasse, bis wir sie, am Ende der Feuerreihe, weißglühend zur Seite schleudern.

An jedem dritten Kessel steht anderes Gerät zurecht: die Stange oder der Spieß. Vier Meter lang, anderthalb Zoll stark, achtundzwanzig Kilo Gewicht; er ist am vorderen Ende angespitzt, am anderen Ende zu einem Handgriff rundgebogen. Wieder packt die Rechte den Griff, diesmal wird die Spitze hart über den Roststäben unter die Schlacke gerammt, die erkaltet, zusammengebacken, aufgebrochen werden muß. Wir springen mit dem Gewicht unserer Leiber auf den Hebel der Stange, drücken nieder, heben, hämmern, bis die zähe Schlackenkruste zerbrochen, in Stücke zerstoßen ist.

Tief am Ende des Rostes, vor dem zusammengeschobenen Gluthaufen, backt sie noch zäher zusammen; mit gewaltigeren, vorher eräugten, dann genau gezielten Stößen wird die letzte Kruste abgelöst und umgekehrt.

Vom ersten bis zum dritten Kessel geht genau dieselbe Arbeit weiter, – wir hängen, alle drei Mann, auf dem Spieß, stoßen vor, reißen zurück, biegen wieder den Oberkörper zum rechten Winkel, mit breitgestemmten Beinen, mit wutverzerrten Gesichtern. Da wird die Schlacke zum persönlichen Feind, den Flüche aus atemloser Lunge treffen ...

Türen auf! Türen zu! Nun verbrennen die letzten Reste der Kohle zwischen Rost und Schlacke. Wir ziehen Schweißtücher aus dem Gürtel. Jeder reibt und wischt den juckenden Schweiß von der dünstenden Haut. Nun ran, mit den Schultern ruckend, mit den Händen die gerutschte Hose aufziehend, greifen wir zum ersten Werkzeug, zur Feuerkratze, zurück und gehen ans erste Feuer.

Jetzt können wir getrost in das Flammrohr hineinsehen, nur am Ende des Rostes glüht die Kohle. Die Kratze wird hoch an der Decke des Feuerrohres hineingeschoben, in die Schlacke gesenkt und nun reißt der Arm die kalte Schlacke voran, heraus aus dem Rohr. Sie poltert in brechenden Brocken vor unsere Füße; die Stücke sind immer noch glutig.

Manchmal ist die glühende Schlacke wie ein Kuchen zusammengebacken, liegt quer und klemmt sich fest. Ob sie hart ist wie Beton und zäh wie Gummi, sie muß mit Stößen und Schlägen zerbrochen werden. Bis hinten an den Feuerhaufen fährt die Kratze, den letzten Rest hinauszufegen, einmal, zweimal, fünfmal hintereinander.

Vor den Rohren liegen nun die grauen Haufen des toten Feuers, die Schlacke. Wieder von neuem, ohne Pause, geht die Arbeit weiter. Diesmal muß die hinten aufgehäufte Glut wieder nach vorne gezogen, über die ganze Rostfläche verteilt werden. Jetzt grellt in unsere Gesichter wieder die Glut, näher kommt das Feuer, die verkniffenen Augen müssen immer hineinsehen, bis das Feuer über den ganzen Rost verteilt ist. Tür auf! Tür zu! Tür auf! Tür zu! Die Evaporatoren sind neu eingestellt und vollführen wieder das laufende Gedröhne. Die schweren Gußeisentüren knallen ans Geschränk und versperren der Luft den ungehemmten Zutritt. Die Feuermänner greifen zu den Kohlenschaufeln: Tür auf! Die Schaufel fegt in die Kohle, mit schwebendem Schwung zielen die Arme auf das Glutloch, in flacher Flugbahn gleiten die Stücke an der oberen Wölbung des Flammrohrs vorbei, senken sich auf die Glut, und prasselnd schlägt die Flamme. Schaufel auf Schaufel wird verteilt; nicht in einzelnen Haufen, sondern gespreitet flach, über die feurige Decke, damit sogleich die Verbrennung ohne überflüssigen Qualm beginnen kann. Würden die Kohlen auf Haufen oder zu dick liegen, dann entwickelte sich im Übermaß Rauch, der nicht von der Glut sogleich verbrannt wird. Unverbrannter Rauch aber ist verschwendete Kohle, ist vergeudete Arbeit. Kaum handhoch deckt die frische Kohle die Glut, knatternd fährt die Flamme an den Rändern der schwarzen Decke, den Rauch zu verzehren; jetzt glüht der ganze Raum in rötlichem Licht. Aber unsere Gesichter sind wieder gelassen und ohne Krampf. An allen Kesseln gleichzeitig ist die Arbeit beendet, an allen Manometern ist der Zeiger von der signalroten Zwölf auf zehn gesunken. Immer wieder prüfend schauen wir auf das Manometer, der Zeiger steigt nur ganz langsam, denn die Turbine hat nicht zu laufen aufgehört, sie erzeugt weiterhin Strom, der in die Akkumulatoren geleitet wird.

Bis zum neuen Arbeitsanfang ist nur eine Viertelstunde Zeit; in einer Viertelstunde muß der Dampf beigeholt werden: Tür auf! Tür zu! Kohle auf die Glut, immer wieder von vorn gehen wir mit den schwingenden Schaufeln von Tür zu Tür, von Feuer zu Feuer.

Der alte Zustand ist wieder hergestellt, die Feuer sind in Ordnung, der Dampf wieder nahe der Zwölf. Wir prüfen einen Augenblick, fegen den Schweiß vom Gesicht, trinken einen Schluck aus dem Kaffeetopf. Wir setzen uns für einen Augenblick auf die kleine Holzkiste, in der sich das notwendige Werkzeug befindet, wir wischen immerzu den Schweiß vom Gesicht. Wir ruhen aus, die Ellenbogen auf die Knie gestützt, die schwarzen Hände sind blankgescheuert, wie poliert von der gleitenden, glühendheißen Stange. Wir ruhen aus, während der Kohlenfahrer den Strahlschlauch an die Wasserleitung anschließt und die Schlackenhaufen ablöscht; weiß fährt in aufbrechender Wolke der Qualm hoch, zischend siedet das Wasser. Unsere Gesichter brennen immer noch, immer noch bricht der Schweiß aus. Auf den Schultern des Hemdes liegt der Schweiß aufgetrocknet in weißen Salzkristallen auf dem blauen Leinen: Edelweiß, das nur auf den Bergen von Arbeit blüht.

Der Kohlenfahrer lädt die Schlacke in den Karren und schiebt sie hinaus. Wir gehen in gemächlichem Trott von Feuer zu Feuer. Zwischendurch setzen wir uns auf die Kiste, nehmen den Henkelmann auf die Knie und verzehren den Rest Essen vom Mittag. Erst wenn der Kohlenfahrer die Schlacken weggefahren und neue Kohlen in die Hürden geworfen hat, wird auch ihm eine Pause, in der er essen kann. Nachher geht er zum ersten Kessel, stellt den Evaporator ab und öffnet die Luftklappe unter der Feuertür. Dann holt er die Asche aus dem Rohr unterhalb des Rostes heraus, feine, stäubende Asche, eine Schubkarre voll aus jedem Rohr. Und immer wieder fährt er Kohle an, immer wieder Kohle; zwischendurch nimmt er den schweren Besen aus Stahldraht und fegt: Kohle zur Kohle, Asche zur Asche. Sauber liegt der Raum zwischen Feuertüren und Kohlenhaufen; wir gehen von Feuer zu Feuer, schauen nach dem Wasserstand, öffnen die Hähne, lassen den angesammelten Schlamm aus den Schaugläsern abblasen, Dampf und Wasser zischt in milchweißem Strahl auf die Eisenplatte vor den Feuertüren.

Drei, vier Zentimeter über der niedrigsten Marke steht der Spiegel des Wasserstandes auch im Kessel: zwei Handbreit Wasser bis über den Flammrohren. Zehn Meter lang schlagen die glutheißen Gase am Dampfkessel vorbei, werden von Schornsteinzug und Evaporatordruck um die Eisenplatten geworfen und erhitzen das Wasser über dem Siedepunkt. Dampf steigt in den Hohlraum, Dampf in den Sammler, Dampf gespannt zu zwölf Atmosphären: das ist ein Kilo Druck auf einen Quadratzentimeter Kesselfläche. Hundertzwanzig Quadratmeter hat ein Kessel, das sind eine Million vierhunderttausend Kilo in einem Kessel und auf acht Kessel sind das elf Millionen fünfhundertzwanzigtausend Kilo Druck.

Die Dampfmaschine erzeugt an neunhundert Pferdestärken, übersetzt die Kraft auf Transmissionen und Maschinen, erzeugt Strom in tausenden Kilowatt und verbraucht dafür sechs Eisenbahnwaggons auf zwölf Stunden. Acht Dampfkessel, zwei Heizer und ein Kohlenfahrer: Wir sind das Kesselhaus, wir sind das Herz der Fabrik ...


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