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Dritte Predigt.
Von der Vereinslauferei, der Jubiläumsseuche, dem »Tagen« und der Festbummelei

Wenn ich im Geiste den Stoff dieser Predigt vorausschauend überblicke, so komme ich mir vor wie ein Arzt, der über Volkskrankheiten sprechen will. Denn es sind tatsächliche Übel, die ich Euch vorführen werde oder doch Ausartungen eines gesunden Keims.

Es ist merkwürdig, wie heute alles sich darauf zuspitzt, den stillen Zauber des Hauses zu vernichten, die bescheiden leuchtende Lampe des Heims der Anziehungskraft zu berauben.

Daß sich Menschen zu gemeinsamem Handeln vereinigen, ist tief in der Menschennatur begründet. Vieles kann thatsächlich der Einzelne nicht, was erst die Zusammenfassung der zersplitterten Kräfte bewirkt, besonders wenn tüchtige Führer an der Spitze stehen. Die Zahl jener, die vortrefflich zu brauchen sind, wenn man ihre willig gebotene Kraft an richtiger Stelle benützt, ist ja stets größer, als die der selbständigen Arbeiter. So wird manches Schöne, Gute und Nützliche heute wirklich durch die Sammlung kleiner Einzelnkräfte erreicht. Es liegt mir ferne, dagegen etwas zu sagen.

Aber das löbliche Streben hat längst die gesunden Verhältnisse überschritten und ist zum Zerrbilde seiner selbst geworden. Ein krankhaftes Verlangen nach Vereinigung ist in Hunderttausenden lebendig und verbraucht unberechenbare Kräfte, die sich nützlicher und sittlicher verwenden ließen. Es spielt das Strebertum der Zeit, das in Eitelkeit wurzelt, gar sehr mit. Viele sind zufrieden, wenn sie wenigstens in irgend einer »Concordia«, »Harmonie« oder »Eintracht« als Vorstandsmitglieder an Festtagen vor der Menge leuchten können. Die farbige Masche auf der Brust oder auf der Achsel erhöht ihr Selbstbewußtsein, sie liebäugeln mit ihr, wie ein gefallsüchtiges Mädchen mit ihrem neuen Kleide oder einem kostbaren Schmuckstück.

Eine Menge von Vereinen dienen nur der Eitelkeit einzelner oder ihrer Ichsucht, die in irgend einer Art Beziehungen sucht, um sie für Sonderzwecke auszubeuten, andere wieder dienen nur dazu, um den Hauptzweck, die Vertilgung trinkbarer Stoffe, mit einigen Fetzen zu umkleiden. Aber selbst Verbindungen, die an sich löbliche Absichten verfolgen, sind heute sehr oft der Tummelplatz von Strebern aller Art, die öffentlich genannt sein wollen.

Wie sehr ich auch die Arbeit für das Ganze billige, wo sie mit ehrlichem Sinn, mit Zurücksetzung ichsüchtiger Absichten gethan wird, so entschieden muß ich die »Vereinsmeierei« als solche angreifen.

Es gibt viele Männer – auch Frauen – die im Grunde der Seele jeder ernsten Arbeit abgeneigt sind. Ein gewisses Beharrungsvermögen liegt nun in den meisten Menschen, und auch ich fühle mich nicht frei davon. Ich bekenne Euch, verehrte Zuhörer, daß in mir ein ausgesprochener Hang zur göttlichen Faulheit lebendig ist. So liege ich z. B. sehr gern auf dem Rücken im Walde auf weichem Moos und gucke durch die Blätter nach dem blauen Himmel; oder auf der Rückseite des Rückens im weichen Sande, den Kopf in die Hände gestützt, die Blicke auf das Meer gerichtet. Ich thue das sogar lieber, als z. B. Euch, so lieb Ihr mir seid, zu predigen oder gelehrte Bücher zu lesen. Wenn nun auch dieser Hang in den Meisten von uns recht kräftig ausgebildet ist, so bekämpfen wir ihn doch und leben einer Pflicht, welche es sei, die von uns den Einsatz aller Kräfte und Fähigkeiten, also ernste Arbeit fordert.

Viele aber suchen dieser Arbeit zu entgehen. Das Gewissen nun läßt sich jedoch nicht so leicht zum Schweigen bringen und immer wieder sagt es: »Höre, Mensch, du bist schrecklich faul.« Diese Vorwürfe sind dem Ich unangenehm. Aber es ist sehr schlau und denkt an einen Ausweg. Wie kann ich die ernste Arbeit vermeiden und doch den vordringlichen Mahner und Mäkler in mir einschläfern? Und mit diplomatischem Geschick findet Herr Ich das Richtige und sagt auf die Frage: »Indem ich ›geschäftig‹ bin. Das füllt den Tag aus, und so schläfere ich das Gewissen ein.« Eins der besten Mittel ist es nun, verschiedenen Vereinen anzugehören. Das nimmt viel, sehr viel Zeit fort und erfordert wenig Anstrengung, man kann mit Geschäftigkeit faul sein.

Ich habe die Ehre einen Mann zu kennen, der in den Vorständen von zwanzig Vereinen tagt und – nachtet. Hier ist er Schriftwart, dort Säckelwart, im dritten gehört er zum Vergnügungs-, im vierten zum Aufnahme-Ausschuß, und überall kann er reden, reden, reden.

Erlaubt mir, Euch eine ganz kleine Geschichte zu erzählen; natürlich ist sie buchstäblich wahr.

Es war zu jener Zeit, als noch die Götter vom Olymp niederstiegen, um bei den Menschen nach dem Rechten zu sehen. Zeus hatte den Erdenkindern die Sprache gegeben, damit sie Gefühle und Gedanken ausdrücken, die Dinge um sich benennen könnten. Mit Wonne hatten sie das Geschenk empfangen und sich gefreut, alles, was sie in und um sich wahrnehmen, taufen zu können. Aber allmählich kamen sie zu der Einsicht, daß man nicht viel zu reden habe, wenn man nur wirkliche Gedanken und Gefühle ausspricht, und da kam seltsame Unruhe über sie, die sich zuletzt zur Unzufriedenheit steigerte. Als nun wieder einmal Zeus zur Erde gekommen war, sammelten sich alle um ihn, und einer trat vor und sagte: »Vater der Götter und unser Vater, wir entbehren etwas, wofür wir keinen Namen haben. Du hast uns die Sprache gegeben, damit wir Dinge bezeichnen, Gedanken und Gefühle ausdrücken könnten. Nun aber ist schon alles benannt, und wir haben nicht immer Gedanken und Gefühle. Was sollen wir dann thun?« »Schweigen!« donnerte ihn Zeus so grimmig an, daß er und alle anderen Reißaus nahmen. Und sie versuchten seinem Befehle nachzukommen, aber die Unrast verstärkte sich nur. Da nahmen sie denn allen Mut zusammen und trugen dem Gotte nochmals ihre Bitte vor, ihnen zu helfen. Der aber schuf ein kleines Säckchen und murmelte darüber einige Worte und siehe: das Säckchen wurde ein riesiger Sack, der von innen heraus immer mehr anschwoll. »So,« sagte schließlich Zeus, »hier habt Ihr, was Euren Drang stillen wird.« »Und was ist in dem Sacke?« »Was Ihr braucht – Phrasen

Und von da an waren die Menschen zufrieden, denn sie konnten nun unaufhörlich Worte machen, auch wenn es nichts zu benennen gab und sie weder Gedanken noch Gefühle auszudrücken hatten. Die Freude am Wortemachen verbreitete sich von da ab auf dem Wasserwege in alle Welt.

Und mit Vorliebe gepflegt wird sie, abgesehen von Zeitungen, Büchern und Reichs- und Landtagen in vielen Vereinen. Ganz überflüssig erscheinen Gedanken, die störten nur die Gemütlichkeit; unnötig Gefühle, sie werden ersetzt durch den bekannten »Brustton der Überzeugung«, die auf das schwört, was die Mehrheit der Mitglieder zu hören wünscht. Diese aber wünscht eben nur Phrasen. Sie bilden die Rechenpfennige, mit denen die geistigen Bedürfnisse der meisten Vereine bestritten werden, sie sind glatt und abgegriffen, daß sich kaum mehr eine Prägung erkennen läßt, aber man nimmt sie dennoch an, die Klugen mit ironischem, die Schlauen mit pfiffigem Lächeln und nur die – nicht Geistreichen mit gläubiger Andacht.

Aus dem öffentlichen Leben ist der Wasserschwall der Phrasen in viele Vereine geflutet, und von ihnen aus flutet er wieder ins öffentliche Leben hinaus. Es giebt politische, volkswirtschaftliche, naturwissenschaftliche, ästhetische, ethische und religiöse Phrasen, manche davon von ehrwürdigem Alter und nur neu gefärbt, andere vom Jahre für das Jahr, oft vom Tage für den Tag geschaffen. Da sie sich aber leichter erwerben lassen, als Erkenntnisse, so sind sie ungemein beliebt und machen bei geschickter Anwendung gebietenden Eindruck auf die gutmütigen Seelen. So züchten viele Vereine jene Bildungscrösusse, die protzig mit den Rechenpfennigen in der Tasche klimpern und oft sogar selber an ihren Reichtum glauben.

»Los von der Phrase,« müßte meiner Überzeugung nach der Wahlspruch jedes Mannes sein, denn sie fälscht die Gesinnung, verführt zur Lüge, zur Bildungsheuchelei und züchtet die Schwachen, die ganz auf eigenes Denken verzichten und damit zu Werkzeugen eitler Wortmacher, ichsüchtiger Streber und jener Begriffsfälscher werden, die es verstehen Leidenschaften zu entfesseln, um sich durch deren Sturmhauch in die Höhe tragen zu lassen. Das alles sind nicht Mannesdienste, sondern Knechtsarbeit – und die sollte sich kein echter Mann aufbürden lassen.

Ich will nicht davon reden, welche Zeit das Vereinsleben oft verschlingt, welche Geldmittel es oft beansprucht; ich schweig davon, daß es durch Ichsucht eine Unmenge kleinlicher Eitelkeit, verborgenen Neides, kindischer Eifersüchteleien großzieht; nur Eins möcht ich noch hervorheben: es verhindert heute gar oft die Ausgestaltung freier Persönlichkeiten.

Menschenverkehr, mäßig genossen, regt an, in übertriebener Weise gepflegt, verflacht er gewöhnlich; Ausnahmen gibt es ja auch hier. Mit je mehr Menschen ich zusammenkomme, desto mehr Rücksichten bilden sich. Ich meine damit nicht jene »Blüte edelsten Gemütes«, die sich im feinen Herzenstakt bekundet, sondern jene Rücksicht, die im Kerne aus der Ichsucht sich herausspinnt und zuletzt zum fesselnden Stricke wird. Bei dem einen will man nicht »anstoßen«, denn er könnte uns nützen; jener könnte uns schaden; ein dritter hat Beziehungen zu einflußreichen Leuten oder nimmt im Verein eine leitende Stellung ein; wieder einer ist »sonst ein sehr netter Mensch«, den man nicht verletzen möchte. U. s. w. Ehe man sich's versieht, steckt man in einem Netze, das die freie Bewegung verhindert. Hier muß man einer feindlichen Ansicht wenigstens zuzustimmen scheinen, dort die eigene abschwächen oder verstecken, um des sogenannten Friedens willen. So schleicht sich Lüge in's Gemüt, und sie ist in dieser Art immer Gift.

Diese äußeren Rücksichten verhindern die Entwicklung der inneren Freiheit und Einheit, die den höchsten durch nichts ersetzbaren Besitz des Mannes darstellen. Und wenn wir von Anlage gutmütig und schwach sind im Willen, so zersetzen sie wie eine scharfe Säure das Beste unseres Wesens und machen jede Selbsterziehung unmöglich.

Im Allgemeinen darf man behaupten: alles Große, Echte und wahrhaft Gute ist nur im engen Kreise oder im Verkehr mit dem eigenen Selbst zu gewinnen. Heute aber herrscht der Irrtum, daß die Vereinigung alles bewirken könne. Gewiß, die zusammengebundenen Ruten sind für manche Dinge widerstandsfähiger, als jede einzelne. Darum lasse ich auch Vereine für viele Thätigkeiten gelten, wo es äußere Ziele durch äußere Kräfte zu erreichen gilt. In Sachen des Geistes und des Gemüts aber bleibt das Beste stets dem in sich gewendeten Selbst überlassen. Wer außen in der Welt feststehen will, muß sich die Kraft dazu erst in seinem Innern wecken, erziehen. Weder philosophische noch wissenschaftliche, noch weniger sittlich-religiöse Wahrheiten können in Vereinen gefunden werden; Mehrheiten können weder falsches beseitigen, noch echte Erkenntnis bewirken. Wenn sie meinen solche hohe Fragen aufstellen zu dürfen, dann verflachen sie schon die Fragestellung; glauben sie gar, sie lösen zu können, dann kommt eine Springpuppe der Mehrheit heraus, es bilden sich Vorurteile und zuletzt steigt an dem beschränkten Geistesschaukreis empor: das schellenlaute Wort.

Wüßten die Menschen, welche verborgenen Kräfte in ihnen ruhen im Kerne ihres Selbst, dann versenkten sie sich wohl in den eigenen Geist, in das eigene Gemüt; dann liefen sie nicht in alle möglichen Vereine, um dort »Freiheit«, »ethische Kultur« oder gar »Religion« zu lernen. Sie gewännen Selbstvertrauen, beschritten den Weg des Denkens – selber, statt Halbbedachtes anderer einfach nachzusprechen. Und glaubt es mir: eine kleine bescheidene Wahrheit, die ich in der Stille, nach Leid und Kampf selbst gefunden habe, fördert mehr und macht männlicher als die größte Wahrheit, die andere zu besitzen oft nur vorgeben und mir schenken. Und wer erst einmal den Weg in sein Selbst gefunden hat, den läßt ein geheimer Zauber selten mehr los. Er wird sich frei zu machen suchen vom bloß Überlieferten, das nur als solches einfach Unterwerfung fordert – aber je tiefer er dringt, desto öfter wird er auch erkennen, daß auch im Überlieferten eine tiefe Wahrheit liegen kann, dann beugt er sich ihr, aber als Selbst, d. h. als freier Mann.

Die unglückselige Vereinssüchtelei macht uns unfreier, als wir denken; sie zersplittert uns nach außen, verflacht uns, wo wir uns doch sammeln und vertiefen sollten. Beides aber ist Mannespflicht in einer Zeit, wie die unsrige es ist, wo so viel Tagesmeinungen sich um unsre Seelen katzbalgen.

Haben wir erst unser Selbst im Besitz, dann mögen wir zur That, wo es not thut, Genossen suchen, deren Überzeugung auch aus dem Innern stammt.

Mit der Vereinsmeierei innig verbunden ist das » Tagen«. Auch hier gibt's Ausnahmen. Wenn Männer, die in einem ernsten Berufe thätig sind, zusammenkommen, um wichtige Angelegenheiten der Wissenschaft oder des öffentlichen Wohls in ernsten Erwägungen zu klären und zu erledigen, wird sich eine Stimme des Tadels gewiß nicht erheben. Vieles läßt sich mündlich am schnellsten fördern; feindliche Meinungen, die in Druck und Schrift niedergelegt voll verletzender Spitzen sind, milderten sich, wenn deren Vertreter einander als Menschen Aug' in Aug' gegenüberstehen. Vorurteile der Völker lassen sich mildern, ja beseitigen, wenn Angehörige verschiedener Länder auf dem Boden gemeinsamer Arbeit sich die Hände reichen.

Aber auch dieses »Tagen« ist zum Spiel ausgeartet, das Zeit, Geld und Kraft verschlingt und nur mehr den Anlaß zur Festbummelei bildet. Manche Feste solcher Art, wie die der Schützen, zuweilen der Sänger und Turner, haben geradezu Ausbrüche roher Genußsucht zur Folge gehabt, die eines gesitteten Volkes unwürdig sind. Aber auch bei Vereinigungen, die geistige Ziele – den Satzungen gemäß – verfolgen, hat das Tagen allmählich das Gepräge der Festbummelei angenommen. Die Mitglieder, die es am ehrlichsten mit der Sache meinen, sind oft gar nicht in der Lage, die Kosten zu bestreiten, und solche, die es können, meinen es oft sehr wenig ernst. Unwürdig erscheint es mir auch, bei solchen Gelegenheiten durch allerlei Mittelchen die Gastfreundschaft großer oder kleinerer Städte zu erzwingen, die oft nur gute Miene zum bösen Spiele machen und für Festessen und Festversammlungen Tausende verschwenden müssen. Bei solchen Anlässen drängen sich dann zumeist die eitlen Flachköpfe besonders hervor, und auch hier feiert die Phrase ihre schönsten Siege.

Wenn solche Feste mit jenem Geiste gefeiert werden könnten, mit denen einst die Griechen die Olympischen Spiele in's Werk setzten, wäre es etwas Anderes. Für solche bin ich schon einmal eingetreten: für Kunstausstellungen verbunden mit Vorträgen der Werke deutscher Tonsetzer und Dichter und mit Vorführungen edler körperlicher Übungsspiele. Das wären deutsche Panathenäen, würdig eines großen Volkes, fähig die Liebe zum heimischen Geiste und die Begeisterung für alles Hohe und Schöne zu wecken und zu pflegen. So aber hat die Festbummelei ein widerliches Gepräge erhalten, das sehr oft jeden feineren Sinn verletzt, die Sache entadelt und – besonders bei Schützenfesten – nur Wirten und Dirnen den Säckel füllt.

Im Zusammenhange mit dieser Verflachung des Zeitgeistes hat sich eine Krankheit entwickelt, die als Jubiläumsseuche bekannt ist.

Wohin man blickt: Jubiläen.

Kindliche Gemüter sehen darin ein Zeichen, daß die Gegenwart ihren großen und – mindergroßen Geistern tiefere Verehrung und Begeisterung zolle, als es früher geschehen ist. Ich bin nicht mehr kindlich genug diese holde Märe zu glauben. Darum wage ich die Behauptung: die Auffassung des Pflichtbegriffs hat sich verflacht, das edle Selbstgefühl, das die Pflichterfüllung in sich trägt, ist im Verschwinden begriffen. Je geringer man es wertet, je geringer man die rein innerlichen Wirkungen anschlägt, desto mehr drängt man in die Öffentlichkeit hinaus. Jedes Verdienst – oft ist es nur Verdienst männlichen Geschlechtes – soll mit Trommelgerassel und Paukenstößen der staunenden Welt in die Ohren gellen, damit wenigstens für einige Tage sie es wisse, welch' bedeutender Mann Herr X oder Herr Z sei.

Der Jubelgreis oder Jubelmann – bald wird's auch Jubeljünglinge geben – befindet sich oft schon Wochen vor dem Ehrentage in Aufregung. Was er thun konnte, ist geschehen: zuerst hatte er nur gegen Freunde und Bekannte Andeutungen fallen lassen, die er dann in bestimmter gefaßte Worte einkleidete. Die Vertrauten, vielleicht irgend wie abhängig oder zu Danke verpflichtet, verstehen bald, wohin die Anspielungen zielen. Nicht selten geschieht es, daß sie mißgelaunt die ersten Schritte unternehmen und »Stimmung machten«. Wenn die »Jubilare« wüßten, mit welchen spöttischen, ja selbst hämischen Bemerkungen die Veranstalter oft Teilnehmer anwerben, ich glaube sie verkröchen sich lieber in die Holzkammern, als daß sie bei dem Feste erschienen. Und die Angeworbenen endlich! Ich hab's erlebt, daß man sie thatsächlich preßte, trotz aller Versicherungen, daß ihnen der Gefeierte gleichgiltig, ja als Mensch widerwärtig sei, und sie nicht so viel Mittel hätten, um 10-15 Mark für ein Gedeck mit Wein bezahlen zu können.

Wenn endlich genügend Zusagen gegeben sind, so erfolgt die feierliche Anfrage bei dem verdienstvollen Manne, ob er die Huldigung annehmen wolle. Mit mädchenhaftem Erröten sträubt er sich ein wenig; seine Bescheidenheit verbiete es eigentlich, aber wenn es den Herren Freude mache, wolle er sich dem Feste nicht entziehen.

Und ist nun die Feier, mit der zumeist eine erlesene Atzung sich verbindet, da, so hält der Jubilar es aus, daß man ihn mit Schmeicheleien überschüttet; er ist ganz überrascht und thut so, als hätte ihn ein Windstoß plötzlich in die Mitte der Versammlung hineingeweht. Der Festausschuß strahlt vor Vergnügen über die »glänzende« Gesellschaft. In den Zeitungen des Orts erscheinen dann eingehende Berichte, natürlich auch über die Reden, die ernsten sowohl, die nicht selten ein Lächeln erregen, als auch über die humoristischen, bei denen man weinen könnte. Und dann werden die Teilnehmer, wenn es geht, namentlich aufgeführt, und die liebe Eitelkeit kann einen Tag wieder schwelgen. Außen nur Honig; im Geheimen aber flüstern sich Neid und Mißgunst, Heuchelei und witzige Bosheit ihre Bemerkungen zu – oft schon bei Tische.

Es gibt einzelne Fälle, wo derartige Feste ein Daseinsrecht haben. So wenn ein Volk aus freiem Entschluß einem geliebten Herrscher, einem großen Staatsmann huldigt; ebenso wenn Genossen und Vorgesetzte einem Arbeiter, der vierzig und mehr Jahre treu seine Stelle ausgefüllt hat, ein Fest bereiten; so wenn eine Bildungsstätte, eine Wohlthätigkeitsanstalt ihr hundert- oder mehrhundertjähriges Bestehen feiern.

Es wäre auch nichts dagegen zu sagen, wenn einem Geistesarbeiter, der ein halbes Jahrhundert thätig gewesen ist, aus der Mitte jener, auf die er gewirkt hat, Dankbriefe und Spenden zukämen, oder die Verehrer ihm in zarter Weise – wenn es notthut – die Sorge um die letzten Lebensjahre abnähmen.

Aber diese Grenzen sind heute längst überschritten. Schon feiert man fünfzigste Geburtstage und fünfundzwanzigjährige Pflichterfüllung; immer geringer werden die Ansprüche an das, was an Leistungen für ein solches Rührstück der »Dankbarkeit« genügt. Oft, wenn ich Berichte über derartige Feste lese, ist es mir, als wüßten diese Menschen, daß sie nach ihrem Tode für immer vergessen sein werden und wollten nun mit dem Possenspiel – der Ausdruck ist nicht zu hart – an der Zukunft sich rächen.

Besonders hasse ich die Jubiläen der Geistesarbeiter, die der echten noch mehr, als die der bloßen Macher. Nicht verwerfen will ich die Feier des Gedenktages. Wenn ein Dichter, Künstler oder Gelehrter an einem solchen seine besten, wahren Freunde bei sich versammelte – das kann man auch in einer beschränkten Wohnung – um einige Stunden in Erinnerungen an die Zeit des Kampfs und der Siege zu verbringen, wäre das nicht würdiger? Wäre damit ausgeschlossen, daß Alle, die ihn wahrhaft verehren, ihm irgendwie ihre Liebe bezeugten? So aber, wie es jetzt geschieht, begreife ich nicht, daß sich aller männliche Stolz, alles geistige Schamgefühl nicht aufbäumt gegen die Huldigungen zwischen Fisch und Braten.

Sie verlieren für jeden ernsteren Menschen immer mehr an Wert. Ähnlich wie Orden, Titel und Denkmale. Sie sind heute zum leeren Auftritt auf dem Eitelkeitsmarkt geworden, und der Tänzer, der 25 Jahre mit den Füßen gesprochen hat, wird ebenso als »größter Künstler« gefeiert, wie das echte Genie, dessen Leistungen noch ferne Enkel erheben und erfreuen werden, oder das echte Talent, das den besten Zeitgenossen genug gethan hat. Es wäre zu wünschen, daß eine Zeit käme, wo es in den Tagesblättern hieße: »Unser berühmter Mitbürger X hat gestern das 50. Jahr seiner Thätigkeit vollendet. Die Teilnahme war ebenso allgemein wie tief, denn es wurde kein Jubiläum gefeiert.«

Wird diese Zeit kommen?

Es gibt zwei Mittel, um sie herbeizuführen.

Das erste ist die Vertiefung des Pflichtsgefühls. Wenn jeder seinen Beruf mit Ernst und Treue erfüllt, an seiner Stelle, wie hoch, wie bescheiden sie auch sein mag, sein Bestes zu bieten strebt, so wird er zu jener inneren Selbstachtung gelangen, die den nur äußerlichen Ehrgeiz und die Sucht nach äußerer Anerkennung nicht neben sich duldet. Diesen Weg muß aber jeder für sich einschlagen.

Das zweite wäre die Gründung eines neuen Vereins: der »Anti-Jubiläumsliga«. Ich bin gerne bereit, eine Stelle im Vergnügungsausschuß anzunehmen, wenn es dessen Mitgliedern gestattet ist, bei Festlichkeiten eine bunte Masche auf der Brust zu tragen.

Wenn aber keiner meiner Vorschläge Euren Beifall finden sollte, dann richte ich einen dritten an unsern gegenwärtigen Finanzminister: er möge die Besteuerung von Jubiläen »in's Auge fassen«. Die nähere Ausführung überlasse ich, im Steuerzahlen geübt, aber unerfahren in der Auflegung von Staatslasten, seinem findigen Geiste. Ich bin überzeugt, der Ertrag wird die kühnsten Erwartungen übertreffen.


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