Leo Leipziger
Die neuen Linden
Leo Leipziger

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XI.
Zwiesprache.

Der folgende Tag war kalt und unfreundlich. Ein Nordweststurm fegte durch den Kurfürstendamm, pfiff durch die Halle der Hochbahn am Nollendorfplatz und rüttelte an dem Turmknopf der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche.

In Fifis Boudoir dagegen war es warm und lauschig. Die zugezogenen Vorhänge verbargen sorglich die Unbilden der Witterung, die elektrischen Lampen verbreiteten einen zarten, rosenroten Schimmer, die Buchenkloben im Kamin knisterten und sprühten.

105 Behaglich ausgestreckt, lag Frau Fifi auf der Ottomane. Ihr Antlitz wies einen müden, abgespannten Zug auf, der den guten Franz entschieden beängstigte.

»Mein lieber Schatz,« sagte er, indem er sanft ihre blaugeäderte weiße Hand streichelte, »ich möchte doch lieber den Professor kommen lassen.«

»Nein, nein,« wehrte sie ab. »Es geht wohl schon wieder vorüber. Ein bißchen Migräne, weiter nichts.« . . .

Franz ereiferte sich.

»Ja, mein Liebchen, du schonst dich nicht genug! Vorgestern abend war es entschieden zu viel für dich. Es wäre doch vielleicht ganz gut, dich nach der Riviera zu schicken.«

Fifi schüttelte das Köpfchen.

»Ich mag dich und die Kinder nicht allein lassen.« . . .

Sie fröstelte ein wenig. Franz beeilte sich, sie in die Decke einzuhüllen. Sie ließ sich diese Zärtlichkeit gern gefallen.

»Auch die Füße, bitte!« meinte sie schmachtend. Dann hauchte sie dem Gatten einen Kuß auf die Stirn und lispelte leise: »Nun laß mich allein, Franz; vielleicht kann ich ein bißchen schlafen.« . . .

106 Der Herr Gemahl drückte seine Lippen auf die Hand der Gattin und verließ das Zimmer auf den Zehenspitzen. An der Tür prallte er auf Edith.

»Bleib nicht zu lange bei Fifi,« flüsterte er ihr zu, »sie ist so abgespannt und nervös und braucht entschieden Ruhe.« . . .

»Ah – du bist's!« . . .

Fifi gähnte und hielt sich dabei nicht einmal die Hand vor den Mund, um der Besucherin deutlich zu zeigen, wie unwillkommen sie ihr in diesem Augenblick war. Edith jedoch ließ sich weiter nicht stören, sie setzte sich und meinte ernst:

»Es tut mir leid, liebe Fifi, daß ich auf deinen Zustand heute keine Rücksicht nehmen kann, ich habe wichtige Dinge mit dir zu besprechen.«

»Wichtige Dinge?« . . . Sie richtete sich ein wenig auf und konnte eine gewisse Verlegenheit nicht verbergen.

Edith faltete die Hände, sah ihre Schwägerin mit einem durchdringenden Blick an und sagte dann kurz:

»Du betrügst deinen Gatten!« . . .

Frau Gleiwitzer verfärbte sich . . . doch sie entgegnete kühl:

107 »Ich bin wirklich heute nicht zu schlechten Scherzen aufgelegt, Edith!« . . .

Diese aber konnte ihren Zorn nun nicht länger mehr bemeistern. Sie erhob sich, trat einen Schritt auf Fifi zu und zischte mit mühsam gedämpfter Stimme:

»Du betrügst deinen Gatten! . . . Hörst du nicht? . . . Du schändest die Ehre deines Hauses und deiner Kinder. . . . Du hast sträfliche Beziehungen zu dem Schurken, der die Gastfreundschaft eures Hauses in der gemeinsten und schmählichsten Weise mißbraucht. . . . Du bist die Geliebte von Dr. Arndt!« . . .

Fifi war in den Divan zurückgesunken. Sie verstummte unter der Wucht dieser Anklage. Aber sie sammelte sich blitzschnell. Oft genug hatte sie ja mit Fritz die Frage erwogen, wie sie sich beide einer Entdeckung gegenüber verhalten sollten. Und da waren sie sich denn einig geworden, zu leugnen, solange es eben ging. Ein kurzes, heiseres Lachen drang aus ihrer Kehle.

»Und die Beweise?« . . . fragte sie spöttisch.

Edith war wieder ruhiger geworden. Sie hatte sich schon vorher gesagt, daß es nicht leicht sein würde, das verlogene Geschöpf zu einem Geständnis zu bringen.

»Die Beweise?!« . . . entgegnete sie kühl, »du 108 bist gestern von drei bis sechs in der Wohnung deines Geliebten gewesen.« . . .

Fifi zuckte lässig mit den Achseln.

»Wer will das gesehen haben, wer hat dir dieses Märchen aufgebunden?« . . .

»Ich habe es gesehen! . . . Ich habe vorgestern abend eure Zeichensprache verstanden. . . . Er hat dich gebeten, um Drei bei ihm zu sein, und du bist einverstanden gewesen. . . . Ich habe mir seiner Wohnung gegenüber für einige Stunden ein Zimmer gemietet und den ganzen Vorgang beobachtet. . . . Willst du auch jetzt noch dein Verbrechen in Abrede stellen?« . . .

Fifi gab sich selbst jetzt noch nicht gefangen.

»Wer wird dir das glauben, liebe Schwägerin? . . .Es mag ja sein, daß eine Dame in das Haus von Fritz gegangen ist, die mir an Wuchs und Haltung gleicht. . . . Kannst du beschwören, daß ich es war, und . . . daß die Betreffende gerade bei Fritz war?« . . .

Edith war durch diese überlegte verständige Logik einigermaßen aus der Fassung gebracht. Die Überführung der Beschuldigten war doch schwerer, als sie gedacht hatte.

»Für mich«, erwiderte sie bestimmt, »ist der Verdacht zur Gewißheit geworden, und ich bin überzeugt, daß mein Bruder mir Glauben 109 schenken wird. Sollte er aber noch Zweifel hegen, so werde ich eine Verstorbene zur Zeugin anrufen.« . . .

Sie griff in die Tasche, holte den Brief ihrer verstorbenen Mutter hervor, und übergab ihn ihrer Schwägerin. Während Fifi erschreckt ihre Augen über die Zeilen der Verblichenen streifen ließ, fuhr sie in leiserem Tone fort:

»Vielleicht wird die Herzlosigkeit, die du in schwerer Stunde seiner Mutter gegenüber bewiesen, die Augen meines Bruders öffnen, wenn es mir nicht allein gelingen sollte, ihn von deiner Schuld zu überzeugen. . . . Denn mein Zeugnis ist es nicht allein, das die Wahrheit an den Tag bringen wird. . . . Sicherlich hat dich die Wirtin deines Geliebten häufig genug gesehen. Deine Kammerjungfer wird ferner bestätigen, daß du mit dem Federhut und dem hellen Mantel wiederholt die tiefe Trauer um deine Schwiegermutter unterbrochen hast. . . . Fritz natürlich wird unter seinem Eide erklären, daß du eine anständige Frau bist. . . . Das ist ja auch die Pflicht der Kavaliere, die die Ehe brechen. Das gehört auch mit zur Ehre.« . . .

Fifi schwieg.

Langsam dämmerte in ihr die Erkenntnis, daß das von Edith vorgebrachte Material doch wohl 110 genügend sein würde, um ihren Gatten zu überzeugen. Und wenn es zur Ehescheidungsklage kam, war der Skandal fertig und alles verloren. . . .

In ihrer ganzen Erbärmlichkeit klammerte sie sich jetzt an die Gewißheit, daß Franz noch nichts erfahren haben konnte, denn eben noch war sein Benehmen zu ihr von so rührender Zärtlichkeit gewesen, daß kein Schatten des Argwohns in seine Seele Einzug gehalten haben konnte. So galt es denn für sie, zu retten, was noch zu retten war. Und in ihrer schuldbewußten Angst stammelte sie die Worte:

»Hast du schon irgendwem Mitteilung gemacht?« . . .

Edith fühlte sich als Siegerin.

»Nein,« antwortete sie, »aber ich mache mein Schweigen abhängig von einem offenen und reumütigen Geständnis. . . . Seit wann bist du seine Geliebte?« . . .

Die Frage klang müde und traurig. Es war der letzte Verzweiflungsschrei eines gebrochenen Herzens.

Fifi erriet, was in ihrer Schwägerin vorging, und suchte geschickt aus ihrer offenbaren Rührung Vorteile für sich zu ziehen. . . .

Sie seufzte laut auf:

»Vom ersten Augenblick an habe ich ihn geliebt. . . . Ich erkannte bald seine Schwächen und 111 seine Fehler, aber was ich auch tat, gegen meine Neigung anzukämpfen, meine Kraft versagte. . . .

Übrigens,« fügte sie leise, fast unhörbar hinzu, »auch du bist ja ein Opfer derselben Schwäche geworden.« . . .

Edith fuhr auf.

»Du hast recht, Fifi. Auch ich habe gefehlt. Aber glaube es mir nur, ich werde dafür büßen – so streng, wie ein Mensch nur büßen kann. . . . Nun aber zu dir!Ich bin frei. Ich kann mein Herz verschenken, wem ich will! Aber du hast freventlich die heiligsten Pflichten verletzt! Deinem Gatten verdankst du alles . . . du und deine Familie. Von der Dankbarkeit, die ein viel zu edles Gefühl ist, als daß du es je begreifen könntest, will ich aber gar nicht reden. Eine Rücksicht gab es, die du nicht außer acht lassen durftest, die Rücksicht auf deine Kinder.« . . .

Fifi wählte in diesem tragischen Moment den bequemsten Weg: sie fing an zu heulen, und Tränenbäche stürzten aus ihren schönen Augen. Weinerlich und stockend schluchzte sie:

»Ich weiß nicht – wie es gekommen – ist, ich schwöre dir – ich – liebe nur Franz. Aber – Fritz – es war nur – Sinnlichkeit. . . . Im Grunde – mag ich ihn gar nicht leiden. – Wie roh, wie brutal war er wieder vorgestern abend. . . . Oft schon wollte ich mit ihm brechen, und dann war ich wieder zu schwach dazu.« . . .

112 Edith beantwortete diese jämmerlichen Worte mit einem Blick der tiefsten Verachtung.

»Auch das noch! . . . Wenn in dir nur noch eine Spur einer anständigen Regung Platz hätte, dann hättest du mir erwidern müssen: ›Ja, Edith, ich liebe diesen Mann, ich habe mit ihm die Ehe gebrochen, und ich bin bereit, alle Folgen zu tragen.‹ . . . Aber daß du in diesem Moment deinen Geliebten noch beschimpfst, daß du von deiner angeblichen Liebe zu deinem Gatten sprichst, das ist kennzeichnend für dein . . . Dirnentum.« . . .

Fifi war aufgesprungen. Dieser Hieb hatte sie getroffen.

»Wage es nicht, mich in meinem Hause Dirne zu nennen!« . . .

Ediths Augen glühten. Nun kannte auch sie keine Schonung mehr.

»Du bist eine Dirne! . . . Nicht einmal die Sinnlichkeit ist für dich bestimmend gewesen. . . . Warum hast du deinen Gatten betrogen? . . . Aus der verwerflichsten, gemeinsten Eitelkeit! Die Freunde deines Mannes paßten dir nicht. . . . Der bleiche Jude Richard Menkus war keine Staffage für eine Frau Gleiwitzer! . . . Du brauchtest einen blonden, gut aussehenden Kavalier, der mit dir in den Lokalen herumzog und an Oberflächlichkeit und Leichtsinn zu dir paßte. Das war das 113 einzige Motiv für deine Handlungsweise. Aber der christliche Herr, der Korpsstudent und Reserveoffizier, der wollte auch etwas dafür haben, daß er sich öffentlich mit Frau Gleiwitzer zeigte, mit der Frau Gleiwitzer, die in seinen Kreisen doch nicht für ganz voll angesehen wurde. . . . Und was er dafür haben wollte, das warst du – das war dein Leib! Und diesen Körper hast du verschachert, nur um deiner Vergnügungssucht in deinem Sinne fröhnen zu können. . . . Für diesen Preis hast du dich verkauft! Und darum bist du schlimmer als eine Dirne. Denn diese verkauft sich, um essen und trinken zu können, um ein Obdach zu haben.« . . .

Fifi war vor der Schwägerin auf die Knie gesunken.

»Gnade, Gnade!« jammerte sie. »Meine Kinder!« . . .

Eisig stieß Edith ihre Schwägerin zurück.

»Daß die Natur so grausam ist, solche Weiber zu Müttern zu machen! – Hast du an deine Kinder gedacht, als du die Ehre deines Hauses mit Füßen tratest?! Hast du dich deiner Mutterpflichten erinnert, als du mit deinem Geliebten die eheliche Treue brachst?! . . . Von mir verlangst du Gnade – von mir? – . . . Weißt du denn nicht, wie du an mir gehandelt hast? . . . 114 Mich, ein unschuldiges, junges Mädchen, habt ihr dazu benutzt, die Kupplerin eurer Gemeinheit zu werden, du und Dr. Arndt. Ihr wußtet ganz genau, wie es um mein Herz stand. Meine ehrliche, aufrichtige und uneigennützige Neigung zu ihm habt ihr durch euer Verbrechen besudelt! Ihr habt euch amüsiert . . . auf Kosten eines Menschenlebens!« . . .

Es war still im Zimmer geworden, ganz still. Die Buchenkloben waren ausgebrannt und knisterten nicht mehr. Die beiden Frauen waren mit ihren Gedanken beschäftigt. Endlich brach Fifi das Schweigen.

»Und was gedenkst du zu tun?« . . .

»Zunächst«, Ediths Stimme klang klar und bestimmt, »wirst du in meiner Gegenwart einen Brief an Dr. Fritz Arndt schreiben.«

Fifi schleppte sich an ihr Pult und nahm die Feder zur Hand. Edith diktierte:

»Geehrter Herr Doktor!

Nach Ihrem Benehmen am vorgestrigen Abend bin ich zu der Überzeugung gekommen, daß von einem weiteren Verkehr zwischen uns nicht die Rede sein kann. Auch mein Mann und meine Schwägerin fühlen sich so tief 115 verletzt, daß es am besten sein dürfte, wenn Sie unser Haus nicht mehr betreten.

Hochachtungsvoll

Fifi Gleiwitzer.«

»Und weiter?!« fragte Fifi ängstlich. . . .

»Weiter!« erwiderte Edith fest und bestimmt. »Ein Schreiben an mich.«

Willenlos ließ Fifi alles mit sich geschehen. . . .

»Liebe Edith!

Hierdurch bekenne ich, daß ich mit dem Referendar Dr. Arndt die Ehe gebrochen habe . . .«

Fifi warf die Feder fort.

»Nein, Edith, das schreibe ich nicht. Ich gebe mich nicht auf ewig in deine Hand.« . . .

»Auf ewig?!« Edith lächelte bitter. »Sei unbesorgt . . ., es wird nicht . . . ewig sein. Aber,« setzte sie hinzu, »wie du willst. Dann weiß Franz in einer Stunde alles.« . . .

Fifi hob die Feder auf.

»Also, dann weiter!« . . .

». . . Ich danke dir, daß du mir durch dein Schweigen die öffentliche Schande erspart hast, und ich verspreche dir, in Zukunft eine treue Gattin und gute Mutter zu sein.

Fifi.«

»So!... Und nun gib mir die beiden Briefe!«

Edith überlegte noch einen Augenblick . . .

»Deinem Gatten wirst du erklären, Fritz habe sich an jenem Abend bei Borchardt so taktlos gegen uns benommen, daß auch du nicht mehr in der Lage seist, die freundschaftlichen Beziehungen zu ihm fortzusetzen.« . . .

Dann nahm sie gütig Fifis Hand. . . .

»Und nun versprich mir, daß du das halten wirst, was du in dem Brief versprochen hast.« . . .

»Ja!« . . . flüsterte Fifi unter Tränen.

»Jetzt bleibe hier in deinem Zimmer,« fuhr Edith fort, »und trockne deine Augen, damit niemand etwas merkt. Ich gehe noch auf ein Stündchen in das Kinderzimmer.« . . .

Als Edith todmüde nach Hause kam, erwartete sie dort die Nachricht, daß ihr Vater ausnahmsweise im Klub speisen würde. Sie zog sich daher gleich auf ihr Zimmer zurück. Sie war ruhig, klar und gefaßt – fast heiter. Dann nahm sie einen Briefbogen und schrieb einen langen Brief an Dr. Richard Menkus, dem sie das Schreiben ihrer Mutter und das Geständnis Fifis beilegte. Hierauf begab sie sich selbst zur Post und ließ die Sendungen an Dr. Menkus und Dr. Arndt einschreiben. 117

 


 << zurück weiter >>