Leo Leipziger
Die neuen Linden
Leo Leipziger

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IX.
Sektlaune.

Weihnachten war vorüber. Die Glocken der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche hatten das neue Jahr eingeläutet. Von den vielen Geschenken, die der liebende Gatte seiner Fifi unter den Tannenbaum gelegt, hatte sie keines so erfreut, als das nunmehr fertiggestellte Bild ihres Vaters: »Das Gastmahl des Lukullus«. Als sie Fritz das Gemälde zum erstenmal zeigte, hingen ihre Augen mit Spannung an seinem Munde, in der festen Zuversicht, Worte der Anerkennung zu hören.

»Was soll das sein?« fragte er spöttisch, nachdem er die bunte Leinwand längere Zeit lächelnd betrachtet hatte.

»Ein Gastmahl des Lukullus.« . . .

»So–o?! Ich hätte es für einen Schweinemarkt im alten Rom gehalten.«

Frau Fifi war pikiert, fast unglücklich; beinahe wären ihr die Tränen in die schönen Augen getreten. Aber ganz so unrecht hatte Fritz 79 diesmal mit seiner Kritik nicht. Die sechs römischen Senatoren, die sich da auf dem weichen Pfühl in ihrem eigenen Fett und auf vergossenem Falerner herumwälzten, sahen in der Tat nicht sehr appetitlich aus, und man konnte ebensowenig behaupten, daß die drei Sklavinnen, die ihren Gebietern einen vorgeahnten Tango vortanzten, eine auch nur entfernte Beziehung zu den Grazien gehabt hätten.

. . . »Übrigens meinen herzlichen Glückwunsch, Frau Fifi!« . . . sagte Fritz, während der Diener das Frühstück servierte. »Ich habe mich riesig gefreut, daß Ihr Herr Schwiegervater Geheimer Kommerzienrat geworden ist.«

Fifi machte ein spöttisches Gesicht.

»Für das Geld hätte ich mir mindestens zwanzig Toiletten aus Paris kommen lassen können. . . . Aber nach außen hin ist es ja ganz nett; außerdem haben Arndts jetzt nichts mehr vor uns voraus.«

Der Herr Referendar reagierte auf die letztere Bemerkung weiter nicht und sprach dafür desto fleißiger dem alten Madeira zu, der in der Zeit zwischen zwölf und zwei Uhr mittags sein Lieblingsgetränk bildete.

Franz trat ein.

Herzlich begrüßte er den Gast und begab sich 80 eilfertig ins Wohnzimmer, um ihm die beste und teuerste Importzigarre seines reichhaltigen Lagers zu präsentieren. Dann setzte er sich zu den beiden, sah sie listig an und sagte:

»Kinder, ich habe eine großartige Idee! Wir wollen wieder einmal zusammen abends ausgehen.« . . .

Fifi klatschte in die Hände.

»Franz, du bist doch der prächtigste Gatte auf der Welt.«

Auch Fritz geruhte beifällig zu schmunzeln.

»Also gut,« fuhr Franz eifriger fort, »wir gehen seit dem Unglück, das uns leider betroffen, heute zum ersten Male wieder aus; natürlich nicht in ein Lokal, wo Musik ist, dazu wäre es noch zu früh.« . . .

»Wie wär's mit Borchardt?« warf Dr. Arndt ein.

Franz nickte.

»Sehr gut. Ich werde gleich telephonieren und einen Tisch bestellen. Wollt Ihr noch jemanden außer Edith haben?«

»Natürlich, meine Eltern,« bemerkte Fifi etwas spitz.

Fritz verzog sein Gesicht, und auch Franz schien von diesem Vorschlag nicht gerade begeistert. Aber Fifi blieb unerbittlich.

81 »Wir sind länger als drei Monate nicht mit meinen Eltern ausgegangen. . . . Das geht einfach nicht.«

»Dann lade ich selbstverständlich auch meinen Vater und Richard ein,« wagte Franz zu erwidern.

Fifi nagte ärgerlich an den Lippen.

»Deinen Vater, meinetwegen. . . . Aber Richard? Seine Anzüge sind mehr für Aschinger als für Borchardt berechnet. . . . Was meinen Sie, Fritz?« . . .

Fritz wollte es aber anscheinend mit keiner der beiden Parteien verderben und äußerte sich nicht zur Sache.

Man einigte sich schließlich dahin, daß sämtliche vorgeschlagenen Personen an dem Souper teilnehmen sollten. Der Fernsprecher wurde in Bewegung gesetzt, und da alle zusagten, bestellte Dr. Franz Gleiwitzer einen Tisch für acht Personen für 7 Uhr abends.

Pünktlich fanden sich die Gäste zusammen. Fritz saß natürlich zwischen Fifi und Edith, und Richard hatte zwischen Braumanns Platz genommen. Das war ihm das angenehmste, denn er brauchte nicht zu sprechen, weil das Ehepaar bei solchen Gelegenheiten sich so intensiv in die materiellen Genüsse zu vertiefen pflegte, daß 82 sich zu einem Gedankenaustausch sowieso keine Gelegenheit bot. Selbst wenn dann später die Zigarren angezündet wurden, änderte sich die Situation nicht. Frau Hertha machte sitzend ihr Nickerchen, und Professor Braumann schwelgte in seiner verklungenen Berühmtheit.

Richard und Edith hatten über den Vorfall, der das Lebensglück des armen Rechtsanwalts vernichtet hatte, nie mehr gesprochen. Es war ein stillschweigendes Abkommen, das ohne besondere Bestätigung von beiden Seiten treulich innegehalten wurde. Sie war ebenso herzlich zu ihm wie früher, vielleicht noch herzlicher, weil sie ihn bedauerte. Und er war viel zu stolz, um die Wunde seines Herzens zu zeigen.

Vater Gleiwitzer war in bester Laune. Mit »Geheimrat« angesprochen zu werden, war doch entschieden ein so großes Vergnügen, daß er in dem Vollgefühl der neuen Würde sogar die Spesen schnell verschmerzt hatte. Rechts von ihm saß Fifi, links Professor Braumann, und er begnügte sich damit, seiner schönen Schwiegertochter von Zeit zu Zeit ein banales Kompliment hinzuwerfen, da er schon längst darauf verzichtet hatte, den Renommagen des alten Braumann entgegenzutreten. Franz war es, wie immer, am liebsten, daß man sich nicht weiter mit seiner Person beschäftigte. Mit seiner 83 Schwiegermutter verband ihn keine besondere Sympathie, und mit seiner Schwester hatte er noch nie einen fesselnden Gesprächsstoff gefunden. So legte er denn beim Diner die Zeit nutzbringend an, ein kühnes Projekt zu einer neuen großen Villenkolonie, das ihm am Morgen im Bureau offeriert worden war, im Geiste auszuarbeiten.

Der leichte Bordeaux hatte längst einem Romanée mousseux Platz gemacht, dem Lieblingswein des Herrn Referendars. Man stieß an und war guter Dinge. Fritz war noch ziemlich nüchtern und gab sich Mühe, Ediths Gedanken zu folgen, die ihm ihre Anschauung über die moderne Frauenbewegung darzulegen versuchte. . . .

»Und darum«, beschloß sie ihre lichtvolle Ausführung, »komme ich mir so unnütz wie möglich auf der Welt vor. Bringe ich es in meinem Beruf zu etwas, so mache ich damit einer Ärmeren Konkurrenz . . ., denn gerade den Unbemittelten unter uns soll ja die neue Bewegung den Weg zu einer Existenzmöglichkeit bahnen. Leiste ich aber nichts – und ich fürchte, daß es so kommen wird –, dann ist mir mein Drohnendasein erst recht eine Last.«

»Sie sehen zu schwarz, Fräulein Edith,« versetzte Fritz, der wohl merkte, daß seine Nachbarin irgendeine Antwort von ihm erwartete, 84 und doch viel zu faul war, sich auf eine ernste Entgegnung einzulassen.

Edith erkannte sehr wohl die Banalität seiner Erwiderung. Unbeirrt jedoch fuhr sie fort:

»Und je fester ich überzeugt bin, daß ich meinen Beruf verfehlt habe, desto klarer wird in mir die Erkenntnis, daß die jungen Mädchen aus unseren Kreisen viel besser daran täten, sich auf ihre Pflichten als Hausfrauen und Mütter vorzubereiten. Daß reiche Eltern jetzt gerade ihren Ehrgeiz darin suchen, ihre Töchter womöglich aufs Gymnasium zu schicken und sie das Abiturientenexamen machen zu lassen, halte ich für den gröbsten Unfug – für eine vollständige Verkennung der sozialen Forderung unserer Tage. So werden die jungen Mädchen sehr häufig nur die Opfer der Eitelkeit ihrer Eltern. In den meisten Fällen gar nicht dazu veranlagt, einem ernsten Studium obzuliegen, stopfen sie sich Dinge in den Kopf, die das kleine Hirn gar nicht begreifen kann, nur zu dem einzigen Zweck, auch diese Mode mitzumachen.« . . .

»Ich bin überzeugt,« unterbrach der Referendar Fräulein Edith, »daß Sie gerade berufen wären, alles in sich zu vereinigen.« . . .

»Wie meinen Sie das, Fritz?« erwiderte sie gespannt.

85 Infolge des langen gemütlichen und intimen Verkehrs wurden zwischen den beiden die strengen Formen in der Ansprache nicht mehr so ganz innegehalten. Sie sprachen sich gegenseitig zuweilen einfach mit dem Vornamen an, und dabei fand niemand etwas.

Fritz merkte, daß sein Kompliment von Edith zu ernst aufgefaßt worden war. Er ging also auf das Thema nicht weiter ein und zog sich durch sein volles Glas aus der Affäre.

»Prost, Fräulein Edith!« rief er, stieß mit ihr an und leerte sein Glas auf einen Zug. . . .

Der Kaffee und die Liköre waren längst serviert. Der Geheime Kommerzienrat hatte sich empfohlen, um seine allabendliche Bridgepartie im Klub zu spielen. Ein leises Schnarchen der Frau Professor Braumann gab ihrer Tochter die nicht ganz unerwünschte Veranlassung, ihren Vater zu bitten, das arme müde Mamachen nach Hause zu bringen. Somit blieben die fünf allein, die alte Tafelrunde war wiederhergestellt.

Das Lokal füllte sich mit Gästen, die nach Schluß der Theater soupieren kamen. Einige Offiziere mit ihren Damen traten ein und nahmen am Nebentisch Platz. Fritz grüßte und bekam einen roten Kopf. Es war der Oberst von Streckmann, der Freund seines Vaters, und das war ihm unangenehm. Erstens glaubte er zu 86 bemerken, daß Fräulein von Streckmann, die mit seiner Schwester intim verkehrte, boshaft und schnippisch lächelte, und zweitens ärgerte es ihn, daß ihn Dr. Richard Menkus in diesem Augenblick überlegen und sarkastisch fixierte. Diese Wahrnehmungen machten ihn nervös. . . . Er trank hastig. Die Schmisse in seinem Gesicht glühten purpurn, die Augen quollen aus den Höhlen und nahmen einen stieren Ausdruck an – er kam langsam aber sicher in sein gewöhnliches Stadium.

Fifi wurde unruhig. Sie kannte diesen Zustand und fürchtete seine Folgen. Denn Fritz war nicht mehr so ganz Meister seiner Sinne. Er kümmerte sich überhaupt nicht mehr um Edith, sondern seine verglasten Augen verschlangen gierig, fast tierisch, Fifis Reize. Sie sandte ihm bittende, flehende Blicke zu, aber es nützte nichts. Edith war empört und erschreckt zugleich. Nichts entging ihr in der Haltung des Referendars, und sie hatte einen heimlichen Bundesgenossen in Richard, der überhaupt wenig oder gar nichts trank und mit geschärften Sinnen der Entwicklung der Dinge folgte.

»Willst du nicht zahlen? Wir wollen gehen; ich bin müde.« . . .

Fifi hatte sich mit diesen Worten an ihren Gatten gewandt.

87 Aber Franz bemerkte in diesem Augenblick zwei Bankdirektoren, die eingetreten waren und ihm freundlich zunickten.

»Einen Augenblick, mein liebes Herz! . . . Ich muß bloß mit den Herren ein paar Worte sprechen.« . . .

Er stand auf und nahm bei den Geschäftsfreunden Platz.

Nun wurde die Situation erst recht unerquicklich. Fritz hatte jede Direktion verloren und starrte Fifi unverschämt ins Gesicht.

Richard bebte vor Wut.

»Sie sagten doch vorhin, Herr Referendar,« sagte er scharf, »Sie müßten morgen abend zum Stiftungsfest Ihres Korps auf einige Tage verreisen; da ist es vielleicht ganz gut, wenn Sie sich heute ausschlafen.« . . .

Fritz lachte brutal.

»Was hat der kleine Menkus gesagt?« fragte er Fifi. »Ich soll schlafen gehen? . . . Er soll doch selber schlafen gehen.« . . .

Seine zitternden Hände ergriffen die Flasche und füllten das Glas, wobei der Wein nach allen Seiten spritzte und das Tischtuch benäßte.

»Prost, Jungchen!« brüllte er dem Rechtsanwalt zu, und goß den ganzen Inhalt des Glases in seine Kehle.

88 Fifi konnte ihre Angst nicht mehr bemeistern.

»Fritz, um Gottes willen! Nehmen Sie sich in acht! Man sieht ja vom Nebentisch bereits zu uns herüber.« . . .

Das war richtig. An der Tafel des Oberst von Streckmann war man auf das Gebaren des jungen Mannes aufmerksam geworden, man steckte die Köpfe zusammen, und mißbilligende Blicke flogen zu Gleiwitzers hinüber.

Edith war wie vom Donner gerührt. Sie konnte sich nicht regen und nichts sagen. Aber eine ungeheure Spannung hatte sich ihrer Nerven bemächtigt, es war ihr, als ob die Entscheidung jeden Augenblick fallen müßte.

Jetzt machte Fritz mit den Händen, die er unter den Tisch hielt, krampfartige Bewegungen.

Er streckte den Daumen, den Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand zu Fifi hin, als wollte er ihr ein Zeichen machen, das die Zahl »drei« bedeuten sollte. Fifis Augen flackerten unmerklich, sie blickte unruhig abwechselnd zu Edith und zu Richard, ob diese die Pantomime nicht bemerkten. Aber wie auf Verabredung zuckte kein Muskel in dem Gesicht der beiden. Sie flüsterte ihrem Nachbar etwas ins Ohr, . . . so leise, daß niemand sonst am Tisch es verstehen konnte. . . .

89 Damit schien Fritz sich zufrieden zu geben, er bestellte sich eine Flasche Fachinger, trank das kühle Getränk, und wurde ruhiger.

Franz kam zurück, und man brach auf; Fritz als letzter. Sein schwankender Gang wurde von dem Streckmannschen Tisch mit einem lauten Gelächter begleitet, das bis in die Garderobe zu Fifi und Edith drang. Dann stolperte er ungeschickt die paar Stufen vom Lokal zur Straße herab.

Franz fuhr mit den Damen davon, und Richard stürmte um die Ecke, ohne sich weiter um den Referendar zu kümmern. Eine Weile stand Fritz unschlüssig da. Dann stieg er in eine Droschke und nannte die Adresse der »Donna« in der Kronenstraße.

 


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