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Kapitel VIII.
Von den abstrakten und konkreten Ausdrücken.

§ 1. Philal. Noch ist zu bemerken, daß die Ausdrücke entweder abstrakt oder konkret sind. Jede abstrakte Idee ist deutlich, so daß von zwei Ideen die eine niemals die andere sein kann. Der Geist muß kraft seiner intuitiven Erkenntnis den Unterschied zwischen ihnen bemerken, und folglich können zwei solche Ideen niemals voneinander ausgesagt werden. Jedermann sieht sogleich die Falschheit der Sätze: die Menschheit ist die organische Wesenheit oder die Vernünftigkeit; dies ist von so großer Evidenz, wie nur irgendeiner der am allgemeinsten angenommenen Grundsätze.

Theoph. Dennoch ist hierüber noch etwas zu sagen. Man kommt darin überein, daß die Gerechtigkeit eine Tugend, eine Fertigkeit ( habitus), eine Eigenschaft, ein Akzidens ist usw. Also können zwei abstrakte Ausdrücke voneinander prädiziert werden. Auch pflege ich zwei Arten von Abstrakta zu unterscheiden: es gibt abstrakte logische Ausdrücke und auch abstrakte reale Ausdrücke. Die realen Abstrakta, oder wenigstens diejenigen, die man als solche denkt, sind entweder Wesenheiten oder Teile von Wesenheiten oder Akzidenzien, d. h. Bestimmungen, die zu der Substanz hinzukommen. Die abstrakten logischen Ausdrücke sind Urteile, die auf einzelne Termini reduziert sind, wie wenn man z. B. sagt: Mensch sein, Lebewesen sein: und in diesem Sinne kann man das eine vom andern prädizieren und sagen: Mensch sein heißt ein Lebewesen sein. Aber bei den Realitäten findet dies nicht statt. Denn man kann nicht sagen, daß die Menschheit, die die gesamte Wesenheit des Menschen ausmacht, die Lebendigkeit ist, da diese nur einen Teil jenes Wesens bildet, indessen haben diese abstrakten und unvollständigen Wesen, welche durch abstrakte reale Ausdrücke bezeichnet werden, auch ihre Geschlechter und Arten, die nicht minder durch abstrakte reale Ausdrücke ausgedrückt werden; also findet ein Prädizieren unter ihnen statt, wie ich dies am Beispiele der Gerechtigkeit und der Tugend gezeigt habe.

§ 2. Philal. Man kann immerhin sagen, daß die Substanzen nur wenig abstrakte Namen haben. Man hat kaum in den Schulen von der Menschheit, der Tierheit, der Körperlichkeit geredet; im großen Publikum aber hat sich dies überhaupt nicht durchgesetzt.

Theoph. Man hatte eben nur wenig derartige Ausdrücke nötig, um als Beispiele zu dienen und den allgemeinen Begriff zu erklären, den man nicht völlig vernachlässigen durfte. Wenn die Alten sich des Wortes » Menschheit« nicht im Sinne der Schule bedient haben, so sagten sie statt dessen: die menschliche Natur, was dasselbe bedeutet. Auch sagten sie sicherlich Gottheit oder doch göttliche Natur, und da die Theologen von diesen beiden Naturen und von den realen Akzidenzien sprechen mußten, so hat man sich in den philosophischen und theologischen Schulen mit diesen abstrakten Wesenheiten und vielleicht mehr als es angemessen war, befaßt.


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