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Kapitel II.
Von der Bedeutung der Worte.

§ 1. Philal. Da die Worte nun von den Menschen angewandt werden, um ihre Ideen zu bezeichnen, so kann man zunächst fragen, wie die Worte diese Bestimmung erlangt haben, und man ist darüber einig, daß dies nicht durch eine natürliche Verknüpfung geschehen ist, die zwischen bestimmten artikulierten Lauten und bestimmten Ideen stattfindet (denn in diesem Falle würde es unter den Menschen nur eine Sprache geben), sondern durch eine willkürliche Festsetzung, kraft deren ein solches Wort willkürlich zum Zeichen einer solchen Idee gewählt worden ist.

Theoph. Ich weiß, daß man in den Schulen und auch sonst allgemein zu sagen pflegt, die Bedeutung der Worte sei willkürlich ( ex instituto); und es ist allerdings richtig, daß diese Bedeutungen nicht durch eine natürliche Notwendigkeit bestimmt sind; nichtsdestoweniger sind sie es bald durch natürliche Gründe, bei denen der Zufall mitwirkt, bald durch moralische Gründe, bei denen eine Wahl stattfindet. Vielleicht gibt es manche künstliche Sprachen, die ganz aus der Wahl hervorgegangen und vollständig willkürlich sind, wie man glaubt, daß die chinesische eine solche gewesen ist, oder wie die Sprachen des Georgius Dalgarnus und des verstorbenen Bischofs von Chester, Wilkins, es sind Der vollständige Titel des Werkes von Dalgarno lautet: Ars signorum, vulgo Character universalis et lingua philosophica. Qua poterunt homines diversissimorum Idiomatum, spatio duarum septimanum, omnia Animi sua sensa (in Rebus familiaribus) non minus intelligibiliter, sive scribendo sive loquendo, mutuo communicare, quam Linguis propriis vernaculis. Praeterea hinc etiam poterunt Juvenes Philosophiae Principia et veram Logicae Praxin citius et facilius multo imbibere quam ex vulgaribus Philosophorum scriptis... Londini, Hayes 1661. Das Werk von John Wilkins ist unter dem Titel: An Essay towards a Real Character and a Philosophical Language (London 1668) erschienen. Über den Inhalt beider Werke vgl. Couturat, La Logique de Leibniz, Paris 1901, S. 544-552.. Diejenigen Sprachen aber, von denen man weiß, daß sie aus schon bekannten Sprachen gemacht worden sind, enthalten willkürliche Bestandteile neben den natürlichen und zufälligen, die aus den Sprachen, die sie zugrunde legen, stammen. So verhält es sich mit den Sprachen, die die Diebe sich gebildet haben, um nur von den Mitgliedern ihrer Bande verstanden zu werden, was die Deutschen Rotwälsch, die Italiener Lingua Zerga, die Franzosen das Narquois nennen, die sie aber gewöhnlich aus den ihnen bekannten gemeinüblichen Sprachen bilden, indem sie entweder die herkömmliche Wortbedeutung durch Metaphern verändern oder aber neue Wörter durch eine Zusammensetzung oder Ableitung auf ihre Weise schaffen Über das sog. »Rotwelsch«, die schon im sechszehnten und mehr im siebzehnten Jahrhundert hervortretende Gaunersprache Deutschlands handelt besonders eingehend Avé-l'Allemant in seinem Werke »Das deutsche Gaunerthum«, Leipzig 1858-1862, in vier Bänden (Sch.).. Manche Sprachen kommen auch durch den Umgang verschiedener Völker miteinander zustande, sei es, daß man benachbarte Sprachen ohne Unterschied vermischt, sei es, daß man, wie dies am häufigsten geschieht, eine derselben zur Grundlage nimmt, die man durch Vernachlässigung und Abänderung ihrer Gesetze und selbst durch Hinzufügung neuer Worte verstümmelt, ändert, mischt und verdirbt. Die Lingua Franca, deren man sich am Mittelländischen Meere im Handel bedient, ist aus dem Italienischen entstanden, und man hält sich in ihr nicht an die grammatischen Regeln. Ein armenischer Dominikaner, den ich in Paris sprach, hatte sich eine Art von Lingua Franca, die aus dem Latein gebildet war, selbst gemacht, oder sie vielleicht von seinen Mitbrüdern erlernt; ich fand sie ganz verständlich, obgleich es darin weder Fälle noch Zeiten, noch andere Flexionen gab, und da er an sie gewöhnt war, sprach er sie mit Leichtigkeit. Der sehr gelehrte, durch so viele andere Werke bekannte französische Jesuit Pater Labbé hat eine Sprache gebildet, deren Grundlage das Latein ist, die jedoch leichter als unser Latein und an weniger strenge Gesetze gebunden, immerhin aber regelmäßiger als die Lingua Franca ist. Er hat ein besonderes Buch darüber geschrieben Der Jesuitenpater Philipp Labbé lebte von 1607 bis 1667; von ihm berichtet Leibniz auch in seinem Schreiben an v. Ilgen vom 15. Juli 1709, daß er »das Lateinische mittels einiger Veränderungen zur allgemeinen Sprache habe machen wollen« (Gerh. VII, 36).. Was die Sprachen, die seit langem bestehen, betrifft, so gibt es darunter kaum irgendwelche, die heute nicht außerordentlich verändert wären. Dies tritt, wenn man sie mit den alten Büchern und Denkmälern vergleicht, die von ihnen erhalten sind, klar zutage. Das alte Französische näherte sich mehr dem Pronvenzalischen und Italienischen, und in den Eidesformeln der Söhne des Kaisers Ludwig des Frommen, die uns ihr Verwandter Nithard aufbewahrt hat, findet man das Deutsche nebst dem Französischen oder vielmehr Romanischen (das man früher lingua Romana rustica hieß), so wie beide im neunten Jahrhundert n. Chr. beschaffen waren. Man findet sonst nirgends so altes Französisch, Italienisch oder Spanisch Diese berühmten Eidesformeln, vermutlich aus einem lateinischen Urtext in die altromanische und altdeutsche Sprache übersetzt, hat Nithart in seinem Geschichtswerke (Hist. lib. III, c. 3) aufbewahrt, das im Auftrage Karls des Kahlen in den Jahren 841 bis 843 abgefaßt wurde. Pertz hat im achten Band der »Monumenta Germaniae« (S. 665 f.) den Text wiedergegeben, dessen romanischen Teil Fr. Diez in seinen »altromanischen Sprachdenkmälern« (Bonn 1846), dessen altdeutschen Teil J. Grimm, Wackernagel und Maßmann erklärt haben. Einen guten Teil der Literatur über das interessante Sprachdenkmal findet man bei Diez im erwähnten Werke (p. 3-5) (Sch.). – Die neuere Literatur hierüber s. bei Koschwitz, Les plus anciens monuments de la langue française5, Leipzig 1897, S. 1. Der Text ist jetzt z. B. auch in W. Braunes Althochdeutschem Lesebuch (4. Aufl. S. 49) bequem zugänglich.. Für das Teutonische oder das alte Deutsche aber gibt es das Evangelium des Otfried, eines Weißenburger Mönches aus derselben Zeit, das Flacius veröffentlicht hat und Schilter von neuem herausgeben wollte Otfrids Evangeliengedicht ist zuerst von Gassar durch Flacius (Basel 1571) und sodann, nach Leibniz' Tode, in Schilters' Thesaurus antiquitatum teutonicarum (Ulm 1726) herausgegeben worden; neuere Ausgaben von Johann Kelle (Regensburg 1856/69), Paul Piper, Paderborn 1878, Freiburg 1884 und Oscar Erdmann(Halle 1882).. Noch ältere Bücher haben uns die Sachsen, die nach Großbritannien zogen, hinterlassen. Man hat eine Übersetzung oder Paraphrase des Anfangs der Genesis und anderer Teile der heiligen Geschichte, die von einem gewissen Caedmon stammt und deren Beda schon erwähnt In Bedas Kirchengeschichte Altenglands (731 n. Chr.) wird eine poetische Darstellung einzelner Teile des Alten und Neuen Testaments von dem Mönch Kädmon (gest. etwa 1680) erwähnt; die dem Kädmon zugeschriebenen Dichtungen gab im siebzehnten Jahrhundert zuerst Franz Junius (Caidmonis Monachi paraphrasis poetica Geneseos, Amstelod. 1655) heraus. Neuerdings ist die »angelsächsische Genesis« von R. P. Wülker (Greins Bibliothek der angelsächsischen Poesie, Band II, Leipzig 1894) herausgegeben worden. Vgl. auch E. Sievers, Der Heliand und die angelsächsische Genesis, Halle 1875.. Das älteste Buch jedoch nicht nur in deutscher Sprache, sondern in allen europäischen Sprachen, die griechische und lateinische ausgenommen, ist das Evangelienbuch der Goten vom Schwarzen Meere, bekannt unter dem Namen des Codex Argenteus und in ganz besonderen Schriftzügen abgefaßt. Er fand sich in einem alten Benediktinerkloster zu Werden in Westfalen und ist nach Schweden gebracht worden, wo man ihn, wie es sich gebührt, mit ebensogroßer Sorgfalt, wie die Urschrift der Pandekten zu Florenz aufbewahrt, obgleich diese Übersetzung für die Ostgoten und in einem Dialekt, der dem skandinavischen Germanisch sehr fernsteht, abgefaßt ist. Man nimmt jedoch mit einiger Wahrscheinlichkeit an, daß die Goten des Schwarzen Meeres ursprünglich aus Skandinavien oder wenigstens vom Baltischen Meere hergekommen seien. Die Sprache oder der Dialekt dieser alten Goten nun ist vom modernen Deutsch sehr verschieden, obgleich der Grundzug der Sprache der nämliche ist Der »Codex argenteus«, die Bibelübersetzung des Bischofs Wulfila (310-380 n. Chr.), enthielt auf 330 Blättern, von denen noch 187 erhalten sind, die vier Evangelien in der Reihenfolge Matthäus, Johannes, Lucas, Marcus. Es wurde zuerst von Franz Junius, Dortrecht 1665, im Druck herausgegeben; neuere Ausgaben von E. Bernhardt, Wulfila oder die gotische Bibel, Halle 1876, und von Moritz Heyne (8. Aufl., Paderborn und Münster 1885), näheres über die Schicksale der Handschrift z. B. in der zuletzt genannten Ausgabe S. IX.. Das alte Gallische war hiervon noch mehr verschieden, wenn man aus der Sprache urteilen kann, die sich dem wahren Gallischen am meisten nähert, nämlich aus der Sprache von Wales, von Cornwallis und aus dem Bas-Breton; noch verschiedener hiervon aber ist das Irländische, das uns die Spuren einer noch älteren britischen, gallischen und deutschen Sprache zeigt. Alle diese Sprachen stammen jedoch aus einer Quelle und können als Abwandlungen ein und derselben Sprache gelten, die man das Keltische nennen könnte. Auch haben die Alten sowohl die Germanen als die Gallier Kelten genannt, und wenn man höher hinaufgeht, und die Anfänge sowohl des Keltischen und Lateinischen als des Griechischen, die mit den germanischen oder keltischen Sprachen viele Wurzeln gemein haben, zusammen betrachtet, so könnte man vermuten, daß dies von dem gemeinsamen Ursprung aller dieser Völker herkommt, die von den vom Schwarzen Meere hergekommenen Scythen abstammen. Diese Scythen haben die Donau und Weichsel überschritten, und ein Teil davon könnte nach Griechenland gegangen sein, während der andere Deutschland und Gallien erfüllt haben mag: was eine Folgerung aus der Hypothese wäre, daß die Europäer aus Asien eingewandert sind. Das Sarmatische, vorausgesetzt, daß es slawisch ist, ist zur Hälfte wenigstens entweder deutschen oder mit dem Deutschen gemeinsamen Ursprungs. Etwas Ähnliches zeigt sich sogar in der finnischen Sprache, welche die der ältesten Skandinavier ist, bevor die germanischen Völker, nämlich die Dänen, Schweden und Norweger, dort den besten und dem Meere zunächst gelegenen Teil des Landes besetzt hatten. Die Sprache der Finnen oder des Nordwestens unseres Kontinents, welche auch die der Lappen ist, erstreckt sich vom deutschen oder vielmehr norwegischen Meere bis gegen das Kaspische Meer (wenngleich sie durch die slawischen Völker, die sich zwischen beide gedrängt haben, unterbrochen wird). Sie hat auch Beziehung zum Ungarischen, das aus Ländern stammt, die gegenwärtig teilweise unter russischer Herrschaft stehen. Die tatarische Sprache aber, welche mit allen ihren verschiedenen Verzweigungen das nordöstliche Asien erfüllt hat, scheint die der Hunnen und Cumanen gewesen zu sein, wie sie die der Usbeken oder Türken, der Kalmücken und der Mugallen ist. Alle diese scythischen Sprachen nun haben untereinander und mit unseren Sprachen viele Wurzeln gemein, und selbst im Arabischen (unter das man das Hebräische, das Altpunische, das Chaldäische, das Syrische und das Äthiopische der Abessinier einbegreifen muß) finden sich deren so viele und von so offenbarer Übereinstimmung mit den unserigen, daß man dies nicht dem bloßen Zufall, ja auch nicht lediglich dem Verkehr zuschreiben kann, sondern es auf die Wanderungen der Völker zurückführen muß. In alledem findet sich also kein Umstand, der der Ansicht von dem gemeinschaftlichen Ursprünge aller Völker und einer ursprünglichen Grundsprache widerstritte; ja alles begünstigt sie vielmehr In diesen Ahnungen des verwandtschaftlichen Zusammenhanges zunächst der europäischen Sprachen, dann auch der übrigen miteinander, war Leibniz, wie in so vielen anderen Dingen, seiner Zeit weit vorausgeeilt. Er war es denn auch, welcher zuerst von diesem Gesichtspunkte aus die Sprachenvergleichung forderte und selbst betrieb (Sch.).. Wenn das Hebräische oder Arabische sich dieser Grundsprache am meisten nähert, so muß sie doch in ihm zum mindesten schon stark verändert sein, und das Deutsche scheint mehr Ursprüngliches und (um die Sprache des Jacob Böhme zu reden) Adamitisches bewahrt zu haben Über die »lingua Adamica« (die Natur-sprache Jacob Boehmes) vgl. bes. Leibniz' Entwürfe zur allgemeinen Charakteristik, Gerh. VII, 184, 198, 204; s. auch Band I, S. 30; s. ferner das Fragment: Leibnitius de connexione inter res et verba seu potius de linguarum origine (Opuscules et fragments inédits de Leibniz, éd. Louis Couturat, Paris 1903, S. 151 f.).. Denn wenn wir die ursprüngliche Sprache in ihrer Reinheit besäßen oder sie doch so weit erhalten hätten, daß sie uns noch erkennbar wäre, so müßten in ihr die Gründe der Verbindungen klar erscheinen, mögen diese nun physischer Art sein oder auf eine willkürliche Festsetzung zurückgehen, die weise und des ersten Urhebers würdig sein müßte. Aber gesetzt auch, daß unsere Sprachen abgeleitete sind, so haben sie doch im Grunde etwas Ursprüngliches in sich, was sie vermöge der neuen Wurzelworte erlangt haben, die sie seither zwar durch Zufall, aber doch auf physische Gründe hin, gebildet haben. Die Worte, welche tierische Laute bezeichnen oder hieraus abgeleitet sind, geben Beispiele hierfür. Von dieser Art ist z. B. das lateinische Wort coaxare, das von den Fröschen gesagt wird und mit dem deutschen Quaken in Beziehung steht. Das Geräusch, das diese Tiere hervorrufen, scheint auch sonst die ursprüngliche Wurzel noch anderer Worte der deutschen Sprache zu sein. Denn da diese Tiere großen Lärm machen, so wendet man heutzutage das Wort auf nichtige Reden und auf Schwätzer an, die man mit dem Diminutiv » Quakeler« bezeichnet; aber allem Anschein nach wurde das Wort quaken früher in gutem Sinne genommen und bezeichnete jede Art von Lauten, die man mit dem Munde hervorbrachte, die Sprache selbst inbegriffen. Und da diese Laute oder Geräusche der Tiere ein Lebenszeichen sind und man dadurch, noch ohne sie zu sehen, die Anwesenheit von etwas Lebendigem erkennt, so kommt es, daß » quek« im Altdeutschen Leben oder Lebendiges bezeichnete, wie man es in den ältesten Büchern bemerken kann, und wovon sich auch in der modernen Sprache noch Spuren finden: denn Quecksilber ist lebendiges Silber (vif argent) und erquicken bedeutet stärken, gleichsam wiederbeleben oder sich nach einer Schwäche oder schweren Arbeit wieder erholen. Man nennt auch im Niederdeutschen ein gewisses Unkraut Quäken: als sei es gleichsam lebendig und laufe, wie man sich im Deutschen ausdrückt, durch die Felder fort, um sich hier zum Schaden des Getreides auszudehnen und weiter zu verbreiten. Auch im Englischen bedeutet quickly so viel wie schnell und auf lebhafte Weise. Man wird also annehmen dürfen, daß die deutsche Sprache hinsichtlich dieser Worte als ursprünglich gelten kann, da die Alten nicht nötig hatten, einen Laut, der die Nachahmung des Fröschequakens ist, anderswoher zu entlehnen. Das Gleiche zeigt sich in vielen anderen Fällen. Denn die alten Deutschen, Kelten und andere mit ihnen verwandte Völker scheinen aus einem Naturinstinkt den Buchstaben R angewandt zu haben, um eine heftige Bewegung und ein Geräusch, gleich dem dieses Buchstabens, zu bezeichnen. Dies sieht man in ῥέω (fließen), rinnen, rüren (fluere), rutir, Rhein, Rhone, Ruhr ( Rhenus, Rhodanus, Eridanus, Rura), rauben ( rapere, ravir) Rad ( rota) radere, raser, rauschen (ein Wort, das sich schwer ins Französische übersetzen läßt: es bezeichnet ein Geräusch, wie das der Blätter oder Bäume, das der Wind oder ein vorüberstreifendes Tier erzeugt oder das man auch mit einem Schleppkleid hervorbringt), recken (gewaltsam ausdehnen). Mit diesem letzteren Wort hängt das Wort »reichen«, ferner das Wort der Rick zusammen (das in jener Art von Plattdeutsch oder Niedersächsisch, das man bei Braunschweig spricht, einen langen Stock oder eine Stange bedeutet, an der man etwas aufhängt); auch steht es in Zusammenhang hiermit, daß Riege, Reihe, regula, regere sich auf eine gerade Linie oder Bahn beziehen, daß Reck früher eine sehr große, lange Sache oder Person, besonders einen Riesen bezeichnete, dann aber auch einen mächtigen und begüterten Mann, wie dies in dem deutschen Wort reich oder in dem riche oder ricco der romanischen Völker zutage tritt. Im Spanischen bezeichnet ricos hombres die Adligen oder Vornehmen, woraus man zugleich erkennt, wie durch Metaphern, Synekdochen und Metonymien die Worte von einer Bedeutung in die andere übergehen, ohne daß man immer ihre Spur verfolgen kann. Dies Geräusch und diese gewaltsame Bewegung bemerkt man auch in » Riß«, womit das lateinische rumpo, das griechische ῥήγνυμι, das französische arracher, das italienische straccio in Verbindung stehen. Wie nun der Buchstabe R von Natur eine heftige Bewegung bezeichnet, so der Buchstabe L eine sanftere. So sieht man denn auch, daß Kinder und diejenigen, denen das R zu hart und zu schwer auszusprechen ist, an seine Stelle den Buchstaben L setzen und z. B. sagen: Mon levelend pèle. Diese sanfte Bewegung erscheint in: leben, laben, lind, lenis, lentus, lieben, laufen (d. h. schnell dahingleiten, wie fließendes Wasser), labi (gleiten – labitur uncta vadis abies) Vergil, Aeneis VIII, 91 (Sch.)., legen (leicht hinsetzen), woher liegen, lage oder laye kommt (welches letztere Wort ein Bett, z. B. ein Steinlager, Lay-Stein, Tonschieferlage bezeichnet); lego: ich lese zusammen (d. h. ich sammle auf, was man niedergelegt hat, das Gegenteil von legen, dann ich lese, bei den Griechen endlich: ich spreche), Laub (etwas leicht sich Bewegendes), wohin auch: lap, lid, lenken gehören, luo, λύω, leien (im Niedersächsischen: sich auflösen, schmelzen wie Schnee, daher der Name des Flusses Leine im Hannoverschen, der, aus dem Gebirge kommend, durch geschmolzenen Schnee stark anschwillt). Wir brauchen hier nicht von zahllosen anderen Bezeichnungen zu sprechen, die beweisen, daß in dem Ursprung der Worte eine natürliche Beziehung zwischen den Dingen und den Lauten und Bewegungen der Sprachorgane obwaltet. Hierin liegt auch der Grund dafür, daß der Buchstabe L, mit anderen Worten verbunden, bei den Lateinern, den Romanen und den Oberdeutschen das Diminutivum bezeichnet. Man darf indessen nicht behaupten, daß diese Beziehung sich überall bemerken läßt, denn der Löwe, der Luchs, der Wolf (auf französisch loup) sind nichts weniger als sanft. Aber man kann sich hierbei an einen anderen Umstand gehalten haben, nämlich an den schnellen Lauf, der diese Tiere furchtbar macht oder der uns zur Eile zwingt: als wollte jemand, der ein solches Tier kommen sieht, den anderen zurufen: Lauft! (d. h. Flieht!). Überdies sind die meisten Worte durch verschiedene Zufälle und Veränderungen außerordentlich modifiziert und entfernen sich von ihrer ursprünglichen Aussprache und Bedeutung.

Philal. Ein ferneres Beispiel würde dies noch besser verständlich machen.

Theoph. Hier eins, das klar genug ist und gleichzeitig mehrere andere in sich faßt. Das Wort Auge und seine Verwandtschaft kann hierfür dienlich sein, und um dies zu zeigen, will ich ein wenig weiter ausholen. Aus A, dem ersten Buchstaben, wird, wenn man eine kleine Aspiration folgen läßt, Ah, und da dies ein Aushauchen der Luft ist, das einen anfangs ziemlich hellen und darauf verschwindenden Laut gibt, so bezeichnet dieser Laut natürlicherweise einen gelinden Hauch ( spiritus lenis), wenn A und H nicht besonders stark sind. Daher haben ἄω, aer, aura, haugh, halare, haleine, ἀτμὸς, und im Deutschen Atem und Odem ihren Ursprung. Da nun ferner das Wasser eine Flüssigkeit ist und Geräusch macht, so ist es, wie mir scheint, gekommen, daß die Silbe Ah, durch Verdoppelung zu aha oder ahha verstärkt, als Bezeichnung des Wassers gebraucht wurde. Die Teutonen und andere Kelten haben, um die Bewegung besser zu bezeichnen, beiden Silben ihren Laut W vorgesetzt: darum bezeichnen Wehen, Wind, vent, die Bewegung der Luft, und waten, vadum, water die Bewegung des Wassers oder im Wasser. Um aber auf Aha zurückzukommen, so scheint es, wie ich gesagt habe, eine Art Wurzel zu sein, die Wasser bedeutet. Die Isländer, bei denen sich Spuren des alten skandinavischen Deutsch finden, schwächten die Aspiration und sagten Aa; andere, welche Aken sprechen (vergleiche Aix, Aquas grani), haben sie verstärkt, wie auch die Lateiner in ihrem Aqua und wie die Deutschen, die an manchen Orten die Silbe » ach« in zusammengesetzten Worten zur Bezeichnung des Wassers verwenden. So heißt Schwarzach schwarzes Wasser, Biberach Biberwasser; und statt Wiser oder Weser sagte man in den alten Rechtsurkunden Wiseraha und bei den alten Einwohnern Wisurach, woraus die Lateiner Visurgis gemacht haben, wie sie aus Iler, Ilerach Ilargus gemacht haben. Aus Aqua, Aigues, Auue haben die Franzosen endlich ihr Eau gemacht, welches sie ô aussprechen, wobei dann vom Ursprünglichen nichts mehr bleibt. Auwe, Auge bei den Deutschen ist heutzutage ein Ort, den das Wasser oft überschwemmt und der zur Viehweide geeignet ist, locus irriguus, pascuus; in noch engerer Bedeutung aber bezeichnet es eine Insel, wie im Namen des Klosters Reichenau ( Augia dives) und in vielen anderen. Und dies muß bei vielen teutonischen und keltischen Völkern der Fall gewesen sein, denn daher ist es gekommen, daß alles, was gleichsam abgesondert in einer Art Ebene liegt, Auge oder Ouge, oculus genannt wurde. So nennt man im Deutschen Öltropfen auf dem Wasser, und bei den Spaniern ist ojo ein Loch. Indessen sind Auge, Ooge, oculus, occhio usw. vorzugsweise auf das Sehorgan angewandt worden, das eine auffallende gesonderte Vertiefung im Gesicht ausmacht, und ohne Zweifel kommt das französische oeil auch daher, doch ist sein Ursprung in keiner Weise mehr erkennbar, wenn man nicht der soeben gegebenen Verkettung nachgeht. Auch ὄμμα und ὄψις der Griechen scheint aus derselben Quelle zu stammen. Oe oder Oeland ist eine Insel bei den Nordländern, und eine Spur hiervon findet sich auch im Hebräischen, wo א, Ai, eine Insel ist. Bochart nahm an, daß die Phönizier hiervon den Namen entnommen hätten, den sie, wie er glaubt, dem Ägeischen Meere, das voll von Inseln ist, gegeben haben Samuel Bochart (1667 zu Caen gestorben) dessen Werke im Jahre 1692 zu Leiden und Utrecht in 3 Folianten erschienen sind, wird von Leibniz geschätzt und oft zitiert. Bochart wollte alle Sprachen etymologisch aus dem Hebräischen und Phönizischen ableiten (Vgl. Opera, ed. Dutens VI, Pars II, 223, 226) (Sch.).. Augere (vermehren), kommt auch von Auue oder Auge, d. h. von der Ausschüttung von Wasser, wie ooken, auken im Altsächsischen vermehren bedeutete, und Augustus, wenn man darunter den Kaiser verstand, durch Ooker übersetzt wurde. Der Fluß bei Braunschweig, der aus dem Harzgebirge kommt und daher sehr oft plötzlich anschwillt, wird heute Ocker (früher Ouacra) genannt. Ich bemerke nebenbei, daß die Flußnamen, da sie gewöhnlich aus der ältesten, uns bekannten Zeit stammen, die alte Sprache und die alten Bewohner am besten kennzeichnen, und daß sie deshalb eine besondere Untersuchung verdienen würden. Und da die Sprachen im allgemeinen die ältesten Denkmäler der Völker sind, die der Schrift und den Künsten noch vorausliegen, so zeigen sie am besten den Ursprung der Verwandtschaften und Wanderungen an. Aus diesem Grunde würden die Etymologien, richtig verstanden, merkwürdig und bedeutsam sein; doch muß man die Sprachen mehrerer Völker zusammennehmen und nicht von einer Nation zu einer anderen, sehr entfernten, einen allzugroßen Sprung machen, ohne für die Übergänge gute Belege zu haben, wobei es vor allem wichtig ist, die Völker dazwischen als Gewährsmänner zu haben. Und im allgemeinen darf man den Etymologien nur dann Glauben schenken, wenn man eine große Zahl zusammenstimmender Zeugnisse vorlegt, sonst goropisiert man.

Philal. Goropisiert man? Was heißt das?

Theoph. Man sagt so, weil die seltsamen und oft lächerlichen Etymologien des Goropius Becanus, eines gelehrten Arztes im sechzehnten Jahrhundert, sprüchwörtlich geworden sind, obgleich er übrigens nicht so ganz unrecht gehabt hat, zu behaupten, daß die deutsche Sprache, welche er die zimbrische nennt, ebensoviel und mehr Zeichen einer ursprünglichen Grundsprache, als selbst das Hebräische, darbietet Goropius, mit dem Beinamen Becanus, ein namhafter Gelehrter und Arzt des sechszehnten Jahrhunderts, hat besonders in seiner Schrift »Hermathene« die in den 1580 zu Antwerpen erschienenen die erste ist, versucht, die Sprache aus dem Niederdeutschen, welches er in der genannten Schrift (Buch II, S. 25 f.) als das »Cimbrische« bezeichnet, – abzuleiten, wie er denn auch die Niederlande für den Sitz des Paradieses hielt. Trotz dieser Wunderlichkeiten zeichnete sich Goropius durch Tiefblick aus (Sch.).. Ich erinnere mich, daß der verstorbene Clauberg, ein ausgezeichneter Philosoph, eine kleine Abhandlung über den Ursprung der deutschen Sprache geschrieben hat, welche den Verlust dessen, was er über diesen Gegenstand versprochen hatte, bedauern läßt Über Joh. Clauberg (1622-1665), der besonders als Vertreter der okkasionalistischen Metaphysik bekannt ist, s. Band I, Anm. 142, Band II, Anm. 382; seine »Meditationes et collectanea linguae Teutonicae« sind Duisburg 1663 erschienen. Vgl. Opera, ed. Dutens, VI, 2, 220.. Ich selbst habe einige Gedanken dazu gegeben und außerdem den verstorbenen Gerhard Meier, einen Bremischen Theologen, veranlaßt, darüber zu arbeiten, was er auch getan hat; aber er wurde durch den Tod unterbrochen Gerhard Meier war zum Besuch des Abt Molanus nach Hannover gekommen, wo Leibniz ihn kennen lernte und zu sprachgeschichtlichen Studien anregte. (Vgl. die Einleitung Eccards zu den »Collectanea etymologica Leibnitii« und Leibniz' Briefwechsel mit Meier (Dutens VI, 2, 145 ff.).. Gleichwohl hoffe ich, daß diese Arbeiten, wie auch die ähnlichen Arbeiten des berühmten Juristen Schilter zu Straßburg, der aber nun auch gestorben ist, der Allgemeinheit noch einmal zugute kommen werden Über Johann Schilter (1632-1705) vgl. ob. Anm. 18, (Buch III) s. auch Dutens VI, P. I, S. 122; P. II, S. 222.. Wenigstens ist sicher, daß die Sprache und Altertümer der Teutonen in den meisten Untersuchungen über den Ursprung, die Sitten und die Altertümer Europas von Gewicht sind. Und ich möchte wünschen, daß die Gelehrten ebenso in der walisischen, biscaischen, slawonischen, finnischen, türkischen, persischen, armenischen, georgischen und anderen Sprachen arbeiteten, um deren Übereinstimmung zu entdecken, was, wie ich eben gesagt habe, ganz besonders dazu dienen würde, den Ursprung der Nationen aufzuklären.

§ 2. Philal. Dieser Plan ist von Wichtigkeit, aber gegenwärtig ist es an der Zeit, das Materielle der Worte zu verlassen und auf das Formelle zurückzukommen, d. h. auf die Bedeutung, die den verschiedenen Sprachen gemeinsam ist. Da werden Sie mir nun erstlich zugeben, daß, wenn ein Mensch mit dem anderen spricht, er seine eigenen Ideen zum Ausdruck bringen will, da die Worte von ihm nicht auf Dinge, die er nicht kennt, angewandt werden können. Insofern nun jemand eigene, aus seinem Innern stammende Ideen besitzt, kann er nicht annehmen, daß diese den Eigenschaften der Dinge oder den Begriffen anderer gemäß sind.

Theoph. Dennoch ist es wahr, daß man sehr oft eher das, was andere denken, als das, was man auf eigene Hand denkt, bezeichnen will: wie dies Laien, deren Glauben sich lediglich auf Autorität gründet, nur allzuoft begegnet. Ich gebe indes zu, daß man immer ein wenngleich nur ganz allgemeines Verständnis besitzen muß, wenn der Gedanke auch noch so taub und von eigentlicher Einsicht leer sein mag und man bemüht sich wenigstens, die Worte nach der Gewohnheit der anderen zu ordnen, und ist im übrigen damit zufrieden, daß man annimmt, man könnte im Notfall den Sinn verstehen lernen. So ist man mitunter nur der Gedanken-Dolmetscher oder der Wortführer eines anderen, ganz wie ein Brief es sein würde; ja man ist dies öfter, als man denkt.

§ 3. Philal. Sie haben recht, wenn Sie hinzufügen, daß ein Verständnis wenigstens ganz im allgemeinen immer vorhanden ist, mag man noch so einfältig sein. Ein Kind, das in dem, was es Gold nennen hört, nur die glänzende gelbe Farbe erfaßt hat, wird der gleichen Farbe, wenn es sie im Schweif eines Pfauen sieht, den Namen Gold geben; andere erst werden die Merkmale der großen Schwere, der Schmelzbarkeit und Dehnbarkeit hinzufügen.

Theoph. Das gebe ich zu; doch ist die Idee, die man von dem Gegenstand, um den es sich handelt, besitzt, oft noch allgemeiner, als die jenes Kindes; und ich zweifle nicht, daß ein Blinder von den Farben ganz angemessen sprechen und eine Lobrede auf das Licht, das er nicht kennt, halten könnte, weil er dessen Wirkungen und Bedingungen kennen gelernt hat.

§ 4. Philal. Was Sie da sagen, ist sehr wahr. Es geschieht oft, daß die Menschen ihre Gedanken mehr auf die Worte, als auf die Sachen richten, und da man die meisten dieser Worte vor der Kenntnis der Ideen, die durch sie bezeichnet werden, gelernt hat, so gibt es nicht bloß Kinder, sondern auch Erwachsene, die oft wie Papageien sprechen. – § 5. Indessen behaupten die Menschen gewöhnlich, daß sie ihre eigenen Gedanken ausdrücken, ja noch mehr, sie messen den Worten eine geheime Beziehung auf die Ideen anderer und auf die Dinge selbst zu. Denn wenn der, mit dem wir sprechen, mit den Lauten eine andere Idee verknüpfte, als wir, so hieße das zwei Sprachen reden. Allerdings hält man sich nicht allzuviel dabei auf, zu prüfen, welches die Ideen der anderen sind, und setzt voraus, daß unsere Idee diejenige ist, die auch der große Haufe und die Gebildeten eines Landes mit demselben Wort verbinden. – § 6. Dies gilt besonders von den einfachen Ideen und von den Modi; was aber die Substanzen anbetrifft, so glaubt man hier noch ganz besonders, daß die Worte auch die Wirklichkeit der Dinge bezeichnen.

Theoph. Substanzen und Modi werden in gleicher Weise durch die Ideen zum Ausdruck gebracht, während die Ideen wiederum in dem einen, wie in dem andern Falle durch die Worte bezeichnet werden. Ich sehe also hier keinen Unterschied, außer daß die Ideen der substantiellen Dinge und der sinnlichen Eigenschaften fester sind. Übrigens bilden bisweilen auch unsere Ideen und Gedanken den eigentlichen Gegenstand, auf den wir im Sprechen abzielen, und sind selbst dasjenige, was man bezeichnen will, und die Reflexionsbegriffe mischen sich mehr, als man denkt, in die Begriffe, die wir uns von den Dingen machen, ein. Ja auch die Worte nimmt man häufig in materialem Sinne, so daß man also an der betreffenden Stelle nicht für das Wort seine Bedeutung, d. h. sein Verhältnis zu den Ideen oder den Dingen, einsetzen kann; und dies geschieht nicht nur, wenn man als Grammatiker, sondern auch, wenn man als Lexikograph spricht, indem man die Erklärung des Wortes gibt.


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