Heinrich Laube
Louison
Heinrich Laube

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Siebzehntes Kapitel.

So rasch waren die Ziele erreicht, um derentwillen Lauriston und Ferval die Reise unternommen. Beide hätten also voller Freude sein können.

Aber Lauriston war es nicht. Er fühlte sich belastet von dem schweren Schicksal O'Briens und wollte nicht abreisen, bis Forrest ihnen einen neuen, hoffentlich günstigeren Bericht über den Zustand O'Briens gebracht hätte.

Gegen Abend kam Forrest von dem Verwundeten und bemerkte mit Erstaunen Lauristons Stimmung. Als Mediziner viel gleichgültiger gegen körperliche Übelstände, begriff er 194Lauriston kaum und sagte: »Ja, hat denn dieser Tunichtgut O'Brien ein besseres Schicksal verdient? Wahrhaftig nicht. Übrigens trösten Sie sich wegen Ihres Degenstichs. Der ist nicht sein schlimmstes Übel. Ich weiß schon von früher und bei der Verbandlegung hab' ich neuerdings Symptome bemerkt, und sie sind mir von dem Herrn Warnell erklärt worden, welche ihn ärger bedrohen als Ihr Stich. Hirn und Rückenmark haben eine Erschütterung erlitten von einem Falle nach rückwärts an der Landungsbrücke des Dampfbootes, welches ihm damals Louison vor der Nase entführt hat. Mehr um deswillen als um der Lungenstreifung, welche vielleicht heilt, ist sein Leben zur Enthaltsamkeit und Entbehrung genötigt, so daß ihm der ererbte Reichtum wenig nützen kann.«

»Und dabei« – sagte Ferval vergnügt zu Forrest – »dabei ist Freund Lauriston ein Poet, welcher seinen Beruf verleugnet! Ihr sprecht ja immer von poetischer Gerechtigkeit. Nun, ist das Schicksal O'Briens nicht eine solche? Werden ihm nicht seine Freveltaten heimgezahlt? Nur ich habe noch eine Forderung einzukassieren von dem reich gewordenen Lord. Er hat ja noch nicht die Wettsumme zurückgezahlt – doppelt ist sie zu zahlen, denn er hat die Wette verloren, hat noch unser Geld und ist uns auch noch die Abzahlung der Louisonschen Gläubiger schuldig. Kann er seinen Namen unterschreiben, Herr Doktor Forrest, für eine Bankanweisung auf hunderttausend Franks?«

»O ja.«

»Nehmen Sie mich also mit zu ihm. Dann reisen wir mit dem Nachtboote.«

Lauriston mißfiel auch dies. Er konnte keine frohe Stimmung gewinnen. Es lag doch nun alles plan vor ihm, was er wünschen konnte: Louison war befreit; seiner Neigung zu ihr war jegliche Bahn geöffnet; er hatte den Schluß für sein Stück, welches die junge Schauspielerin ihm zuneigen mußte – und dennoch atmete er nicht frei.

195Seine Mutter stand wohl im Hintergrunde vor seinen Blicken. So wie Ferval entzückt war von der abenteuerlichen Lösung der Dinge und sie mit jeglicher Übertreibung in die Zeitung jagen wird, so wird – dachte er – die Mutter gerade über das Abenteuerliche entsetzt sein, entsetzt sein über das, was ihrem Sohne öffentlich nachgesagt wird, über den fast tödlichen Degenstich, den ihr Sohn geführt, über die weiteren Folgen und den Verkehr mit einer kompromittierten Schauspielerin, von welcher – ach! – ihr Alfred nicht wird lassen wollen – kurz, Lauriston sah trüb' vor sich hin und wandelte durch die Straßen von Dublin wie einer, der Luft und Bewegung dringend braucht, um freier zu atmen.

Die Luft kam ihm zustatten, sie war rauh geworden und hatte den Frühlingshauch verscheucht; sie warf seine unruhigen Gedanken auf einen Hauptpunkt, und in diesem Hauptpunkte fand er einen Halt.

Der Poet kann in die phantastische Welt flüchten, wenn die wirkliche Welt ihn ängstigt. Die Komposition seines Schlußaktes ergriff ihn und hielt bei ihm aus, bis sie feststand in allen Einzelheiten.

Das gab ihm Ruhe und Halt. Heimkehrend ins Hotel konnte er Forrest herzlich danken für die freundschaftlichen Dienste, welche er ihm geleistet, und es zufrieden anhören, als er sagte: »Nun, der Patron O'Brien, von welchem ich komme, kann noch hundert Jahre leben. Aber er wird niemand mehr beißen. Und das ist was wert bei solchem Gallennaturell.«

Ja, auch Ferval störte ihn nicht mehr besonders mit dem Vorweis des Wechsels auf hunderttausend Frank, welcher auf Kosten O'Briens in Paris einzufordern sei. Er telegraphierte das sogleich nach Paris.

Man speiste noch zusammen und tröstete den Walliser Donald damit, daß er gar nicht mitgespielt habe im Stadthause. Bei dieser Gelegenheit versicherte übrigens der 196mutwillige Forrest noch, er werde sich's angelegen sein lassen, dem Buben, welcher so frech einen Pater Patrik gespielt, regelmäßig, wo er ihm begegne, die Angst einjagen: jeden Tag könne sein Priestertum im Gerichtshause zur Sprache kommen. »Strafe,« schloß er, »ist eine gute Erfindung.«

Zur selben Stunde und auf demselben Boote schifften sie sich abends ein wie damals Louison, und auf der ganzen Reise bis Paris hatte Lauriston sein Taschenbuch und den Bleistift in der Hand, um bruchstückweise an seinem letzten Akte zu skizziren, wenn's auch oft nur kleine Reden wurden.

Ja, als sie in Paris ankamen, eilte er nicht sogleich nach Ramberts Hause, um Louison die gute Botschaft zu bringen, sondern er fuhr in seine Wohnung. Es drängte ihn eine Ahnung – und richtig, ein Brief seiner Mutter lag da, voll Schreck, Vorwürfen, ja Befehlen.

In seinem Telegramm hatte Ferval auch Notizen für die Zeitungen gespendet von seinen und Lauristons Heldentaten. Zunächst dunkel und geheimnisvoll, aber für Lauristons Mutter tief erschreckend.

Nie hatte seine Mutter so zu ihm gesprochen wie in diesen Briefen.

Er liebte seine Mutter über alles; er stand wie vor einem Abgrunde, denn im Grunde seiner Seele lag ja doch der Gedanke, daß er nicht mehr von Louison lassen möchte.

Wohl eine Stunde lang ging er im Zimmer umher, aufs ärgste beunruhigt.

Endlich flüchtete er wie in Dublin zu seiner Kunst: er schrieb die ganze Nacht, bis der letzte Akt fertig war.

Früh am Morgen schickte er das Manuskript an den Theaterdirektor mit der Bitte, die Ergänzung der Rollen gleich ausschreiben und austeilen zu lassen, jetzt aber bestimmt hinzusetzend, nun die ganze Rolle an Demoiselle Louison beim Professor Rambert zu senden, und zwar mit Ansage der ersten Probe.

197Hinweg mit jedem Gedanken an die Mutter! Und trotz der frühen Stunde hinaus, um Louison ihre Befreiung zu verkündigen.

Rose hatte ihn durchs Fenster kommen sehen; sie öffnete ihm weit die Tür des Vorzimmers und schlug die Hände vor Freude zusammen, daß er endlich wieder da wäre. Es sei die höchste Zeit, denn das Fräulein habe einen Rückfall erlitten.

»Sie ist neuerdings erkrankt?«

»O bewahre! nein, sie ist frischer als je, aber der Herr Professor sagt, sie sei zu frisch geworden, und nennt das einen Rückfall.«

»Ich verstehe nicht –«

»Und doch sind Sie schuld daran!«

»Wie denn? Was denn?«

»Sie haben ihr gefehlt, und da ist sie ungeduldig geworden und hat allerlei Kaprizen losgelassen wie früher, ehe sie ins Malheur geriet. Gewiß nur, weil Herr Lauriston nicht da war.«

»Lauriston?!« hörte man Louison aus dem Schlafzimmer rufen. »Was sagst du, Rose, von Lauriston?«

»Er ist da!«

Ein Freudenschrei und der Zusatz: »Ich komme, ich komme sogleich, er soll ja warten!« und nach fünf Minuten flog sie im Negligé heraus, streckte ihm beide Hände entgegen und zog ihn ins Zimmer.

Rose ging lachend in den Hausflur hinaus.

»Wo waren Sie denn? Warum sind Sie so lang' ausgeblieben? Was will denn die garstige Mutter?«

»Ja wohl, meine Liebe, uns beide betreffend ist sie garstig.«

»Wie?!«

Schöner hatte er dies Mädchen nie gesehen. Das feine Antlitz war angehaucht von rosiger Röte, das dunkle Auge glühte von Leben, der Mund war halb geöffnet, die kleinen Zähne schimmerten schneeweiß, der Unterhals, und was die Franzosen la gorge nennen, war frei, und von den Armen fiel der Überwurf bei jeder Bewegung zurück. Was aber noch verführerischer: alles an ihr atmete Wärme und Entgegenkommen – Entgegenkommen, ein unerhörtes Wort für Louison.

Jetzt gab's keine Frage mehr, ob und wie er sie liebe. In diesem Augenblicke liebte er sie mit allen Kräften von Leib und Seele. Und so nahm er, als sie auf dem Sofa neben einander saßen, ihre beiden Hände in die seinigen, küßte diese und blickte ihr mit ganzer Seelenkraft ins Auge. Er fühlte, daß sie seinen Händedruck erwiderte und sagte endlich:

»Louison! Widerstrebt es Ihnen noch, daß ein Mann Sie so gefangen hält mit seinen Händen?«

Sie wurde glührot, schlug die Augen nieder und sagte kaum hörbar: »Nein.«

»Wirst du mich von dir stoßen, wenn ich dich in meine Arme schließe?«

»O nein, nein!«

Und damit sank sie ihm an die Brust. Er schlug die Arme um ihre Schultern und drückte sie an sich.

»Louison, du weinst?«

»Es sind Freudentränen, Alfred; ich liebe dich.«

Dabei hob sie ihr kleines Haupt und bot ihm den Mund, welchen er herzlich küßte.

»Welch ein Glück!« flüsterte sie, »und davon hab' ich so lang' keine Ahnung gehabt! Aber ach –«

»Still! Kein Ach! Ich bringe dir die Freiheit!«

»Was heißt das?«

»Du bist nicht verheiratet.«

Ein gellender Schrei der Freude, und sie flog hoch auf von ihrem Sitze.

»Nicht? – nicht, Alfred?!«

»Du bist nicht mehr verheiratet, du warst es nie.«

199Und nun zog er sie zu sich nieder und erzählte ihr den ganzen Hergang von Dublin.

Bei der Stelle, wo O'Brien, von Lauristons Degen getroffen, zurücksank, rief sie unwillkürlich: »Blutiger Mann, was hast du getan!«

»Er stirbt nicht daran, sagt der Arzt.«

»Er war ein böser Mensch; aber bin ich so viel wert, daß –«

»Daß er gestraft werde? Ja. Jedes verratene Menschenkind ist wert, daß der Verräter büße.«

»Gestrenger Mensch, ich fürchte mich fast vor dir.«

Aber die Vernichtung der Ehe, die voll hervortretende Erkenntnis von der Vernichtung derselben scheuchte all' das hinweg. Sie küßte ihm die Hände, sie streichelte ihm die Wangen, sie nannte ihn ihren Erretter und duldete einen langen, langen Kuß.

»Und nun?« fragte sie leise.

»Nun könntest du mein Weib werden, ja?«

»Ja,« sagte sie noch leiser.

»Nun aber, mein liebster Schatz, nun kommt ein neues Hindernis.«

»Was? was?!«

»Meine Mutter.«

»O!«

»Sie gibt's nicht zu. Soll ich dich zum Altar führen gegen ihr Verbot?«

»Das wär' nicht recht und – nicht gut.«

Da wurden sie unterbrochen. Rambert hatte erfahren, daß Lauriston da sei, und eilte im Hausrock hinunter, ihn zu sehen, ihn zu hören.

Die Nachricht erfreute ihn so – er war ein guter Mensch –, daß er mit nassen Augen Louison und Lauriston umarmte und zustimmend auf Lauristons weitere Vorschläge einging.

200Diese Vorschläge betrafen die Aufführung der »Neuen Louison«, seines nun fertigen Stückes. Der Schluß sei bereits im Theater, und die ganze Rolle werde binnen kurzem ankommen, die Proben sollten in Eile begonnen werden.

»Ich kenne das ganze Stück auswendig, ich kann morgen auf die Probe kommen!« rief sie.

Und es ging nun auch alles beim Theater den erwünschten raschen Gang, wie das immer der Fall ist, wenn Außerordentliches eintritt.

Louison war glücklich. Der Widerstand der Mutter berührte sie nicht dergestalt, daß er sie verstimmt hätte. »Ich hab' ihn ja doch, meinen Alfred, wenn auch –« rief sie und erzählte ihrer Rose alles, nur plötzlich mit der Frage schließend: »Was sagst du, wird das Verbot der Mutter Alfred von mir abwenden?«

»Das weiß ich nicht, liebes Fräulein. Ich werde den Doktor Zech fragen, der kennt ihn genau. Noch heute abend frag' ich.«

Lauriston war nicht so durchaus glücklich wie Louison. Ihm lag der Widerstand der Mutter schwer auf der Seele«

Er ging denselben Abend zu Zech, ihm alles mitzuteilen und die Frage der Zukunft mit diesem nüchternen Freunde zu erwägen.

Zech hatte wenig Verständnis für starke Liebesleidenschaft und sagte kalt und trocken: »Du darfst das deiner Mutter nicht antun.«

Nicht wenig betroffen von dieser positiven Meinung ging Lauriston fort, als Rose eintrat.

»Ich weiß alles!« rief ihr Zech entgegen.

»O nein!« erwiderte Rose, schloß die Tür hinter dem fortgehenden Lauriston und trat ganz nahe an Zech heran, ihn wie in Gedanken anblickend.

»Was weiß ich denn nicht?« sagte Zech.

»Daß meine Herrin unsicher ist, ob Herr Lauriston sich 201von ihr abwenden könnte, wenn dessen Mutter ihm nicht nur die Heirat, sondern auch den Umgang mit ihr verbietet.«

»Ja, wer kann das sagen!«

»Sie können das sagen, Sie! – Denn meint mein Fräulein – Sie kennen das Gemüt Ihres Freundes.«

»Kind! wer kennt den anderen so genau! Man kennt sich selber kaum.«

»O nein. Ich zum Beispiel kenne Sie und Sie kennen mich.«

»So? Papperlapapp! Wenn ich nun jetzt du zu Ihnen sagte, wie würde Ihnen das gefallen? Ich zum Beispiel weiß es nicht.«

»Ich aber weiß es: es würde mir ganz gut gefallen.«

»Schau! Und wenn ich dich am Kinn faßte und spräche: Rose, du bist doch ein ganz hübsches Mädchen und könntest einem Manne willkommen sein und dessen Wirtschaft führen – was würdest da dazu sagen?«

Sie war purpurrot geworden und erwiderte barsch: »Was brauch' ich denn hübsch zu sein, um dem Manne die Wirtschaft zu führen?«

»Na, weil der Mann dich vielleicht auch heiraten würde!«

»Vielleicht? – Das ist nichts.«

»Da hast du recht. Also, würdest du den Doktor Zech – du kennst ihn doch –?«

»'s kommt mir so vor,« lachte sie.

»Würdest du diesen brummigen Zech heiraten, wenn er dich wollte?«

»Lieber heut' als morgen.«

»Bravo! Also übermorgen.«

»Das heißt: am Nimmermehrstage?«

»Durchaus nicht, sondern nächstens – ja?«

»Ja.« – Sie küßte ihm die Hand, und er klopfte ihr nur, wie er oft getan, die Wange. Sonst tat er nichts, und sie ging mit dem Kopfe nickend fort.

202Ferval hatte unterdessen, wie vorauszusehen war, die ganze Pariser Presse mit seinen Heldentaten in Dublin alarmiert. Er hatte wohl gütig die eigentliche Heldenrolle dem tapferen Lauriston überlassen, als dem Achilles, aber Ulysses-Ferval war doch die wunderbare Triebfeder gewesen. Ganz Paris sprach denn auch von diesen merkwürdigen Ereignissen, und als die Kunde dazu kam, sie würden nächster Tage dramatisiert auf dem Theater erscheinen mit der erretteten Louison, da regnete es Vorbestellungen auf die Theaterplätze. Die als lachendes Genie bekannte Louison nun auch als tragische Muse auftreten zu sehen, das war eine erstaunliche Lockung. Das allgemeine Mitgefühl für die verfolgte Unschuld versprach der »Neuen Louison« – so sollte das Stück heißen – einen außerordentlichen Erfolg.

Freilich vergingen noch einige Wochen – in Paris ohnehin ein unerhört kurzer Zeitraum für eine neue Inszenesetzung –, und in großen Städten altern Sensationsnachrichten gar schnell. Da wachsen die Widersprüche empor wie Unkraut. Jeder neu auftretende Autor insbesondere hat an und für sich eine große Schar von Widersachern gegen sich. Es sind in erster Linie diejenigen, welche ihre Stücke nicht anbringen bei den Theatern, und welche den so glücklich zur Aufführung gelangenden Lauriston ingrimmig beneideten. Da hieß es denn und hieß es täglich lauter: Äußerliche Abenteuer allein haben die Annahme des Stückes zuwege gebracht! Und diese Widersacher hatten einen sehr geschickten Anführer, dessen Entrefilets in kleinen Journalen die Zweifelsucht sorgsam entzündet hatten. Dieser Anführer war Juron. Er schäumte in der Stille vor Grimm, daß diese ihm abgeneigte Louison wieder auf den Thron gehoben werden sollte. »Man kennt sie ja,« schrieb er, »diese beim Theater künstlich gemachten Größen! Wenn sie abgewirtschaftet haben mit ihren Minauderien und Kapriolen, dann spricht man preisend von ihren Umwandelungen. Weil Jugend und ein hübsches Lärvchen 203ausgereicht haben für Darstellung unbedeutender Mädchen, da soll nun eine kokette Heiratstravestie zureichen, um eine Tragödin erschaffen zu haben, welche Verse spricht. Lernt man französische Verse sprechen in Wirtshäusern und auf Dampfbooten?!«

Kurz, als die Aufführung der »Neuen Louison« für einen bestimmten Tag angekündigt wurde, da trat auch eine scharfe Opposition in Sicht, welche den Theaterdirektor mit Besorgnis erfüllen mußte. Mit ernster Besorgnis, denn es zeigte sich, daß sich auch die Jeunesse dorée der ungünstigen Stimmung zugesellte. Über die freche Wette ihres Klubs waren doch herbe Äußerungen laut geworden, und diese prüde Louison war ja schuld daran. Zeigen wir, hieß es, daß dies Persönchen als Künstlerin herzlich wenig bedeutet!

Lauriston entging nichts von diesen drohenden Anzeichen, und er sorgte mit Rambert nur aufmerksam dafür, daß Louison nichts erführe von dieser Gefahr, denn von ihrer gesammelten ruhigen Stimmung hing ja alles ab. Es gelang dies auch, bis eines Vormittags der allezeit getreue Rosas bei einem Haare alle Vorsicht zu nichte machte. Er hatte die Errettung und Befreiung Louisons gelesen und stellte sich ein bei der Glücklichen mit der naiven Frage: »Nun, Geliebteste, der Irländer ist vom Pferde gefallen, die Freiheit ist da! Wie steht's jetzt mit uns? Ist meine ehrliche Hand nicht wert, daß Sennora einschlägt?«

»Gewiß, Rosas. Aber wir passen nicht mehr zusammen. Ich lache nur noch stellenweise und ich spreche Verse.«

»Allmächtiger!«

»Ja, ich spreche Verse und spiele auch tragisch.«

»Tragisch? das heißt ja ›unangenehm‹.«

»Für Sie, Rosas, nicht für alle Leute, wie ich hoffe.«

Sie war von glücklichster Laune. Nun aber meinte der hoffnungslose Liebhaber, sie warnen zu müssen, und er sagte mit einer gewissen Feierlichkeit: »Sennora, ich kenne das! 204Wenn die Leute im Theater nicht mehr lachen können, dann werden sie leicht böse und fangen an zu zischen und zu pfeifen. Lassen Sie sich warnen! Überall hört man schon davon reden, daß –«

Da trat Lauriston glücklicherweise wie aufs Stichwort ein und ließ Rosas nicht weiter sprechen, sondern sagte: »Was hör' ich?! Ein Künstler wie Sennor Rosas könnte eine Künstlerin, könnte seine Kollegin unmittelbar vor der Schlacht beunruhigen durch Mitteilung von Klatschereien und erfundenen Schwierigkeiten! Nimmermehr! Ein Mann wie Rosas muß der Kollegin seinen Applaus zur Verfügung stellen.«

»Versteht sich von selbst!« schrie Rosas, »sie weist mich zwar wieder ab, weil sie die Lustigkeit nicht mehr so hoch schätzt wie früher. Das ist ein beklagenswerter Irrtum; – aber –«

»Ein Künstler bleibt Künstler!« unterbrach Lauriston.

»Bleibt Künstler, ganz richtig. Betrachten Sie diese Hände, um nicht Fäuste zu sagen. Sie werden's erleben, was sie abends vermögen, wenn's darauf ankommt. Ein Künstler rächt sich durch Wohltaten, und Sie werden nie einen solchen Applaus gehört haben als – basta, ich sage kein Wort weiter. Ade, Ungetreue! Meine Leidenschaft bleibt, ich aber verschwinde.«

Und mit einem malerischen Sprunge war er hinaus.

Louison fragte nicht, was Rosas gemeint habe mit seiner unterbrochenen Rede – sie war arglos geblieben und ging zum gemeinschaftlichen Studium mit Lauriston über, wie dies jetzt täglich geschah. Sie wollte immer noch Verbesserungen von ihm hören, er aber versicherte ihr täglich: es sei nichts zu-, nichts wegzutun. Die Auffassung und der Ausdruck seien vortrefflich, und namentlich die sentimentalen Akzente gingen tief zum Herzen.

Auch in den Proben auf der Bühne waren die Schauspieler einig darin, daß Louison in ihrer Kunst außerordentlich 205gewachsen sei. Sie faßten ihr Lob in die Worte zusammen: sie hat weinen gelernt.

Ganz unter sich – angeregt durch die schlimmen Entrefilets Jurons – unterdrückten sie jedoch ihre Zweifel nicht, ob der gar so schlichte Vortrag der Verse nicht auffallen und der Opposition nicht den Anlaß geben werde, zischend loszubrechen. Außerdem – flüsterten sie – ist die Szene im Schlafzimmer zu Dublin, wo sie aus dem Bette springt, doch ein starkes Gewürz, welches überreizen und schlecht ausfallen kann.

Niemand wußte das alles besser als Lauriston, und er war in arger Aufregung. Und nicht bloß diese Sorge lag auf ihm. Was seine Mutter betraf, da mußte er sich geradezu künstlich betäuben. Du hatte ihn ja auch Zech im Stiche gelassen, und täglich, täglich schrieb diese Mutter, wenn auch neuerdings nur wenige Worte, ihn beschwörend, das skandalöse Unternehmen solch einer Theateraufführung um Gottes willen aufzugeben, wenn er nicht die Teilnahme seiner Mutter für immer verlieren wollte.

Er wußte nichts mehr zu antworten, er verhärtete sich, wie's ein Verzweifelnder tut, und antwortete gar nicht mehr, das herkömmliche Stichwort der Franzosen: .»Vogue la galère!« zehnmal des Tages vor sich hinmurmelnd.

Aber es war hohe Zeit für ihn, daß es zur Entscheidung kam. Er fühlte, daß seine Nerven nicht länger Widerstand leisten könnten.


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