Heinrich Laube
Louison
Heinrich Laube

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Zwölftes Kapitel.

Man hatte sie beim Aufbruch bedauert, aber lachend bedauert. Dergleichen war bei diesen Leuten von keinem Belang. Ferval besonders sah dabei lachend auf O'Brien, welcher Louison den Arm bot, um sie zum Wagen und nach Hause zu geleiten. Sein Gesicht drückte eine unheimliche Befriedigung aus.

Louison sprach kein Wort, aber sie war totenbleich. O'Brien tröstete sie in sanften Worten und setzte flüsternd hinzu: »Unglück im Spiel soll Glück in der Liebe bedeuten. Stünde zu hoffen, daß Ihr Herz erwacht wäre, für Ihren sichersten Freund erwacht wäre, dann begänne ein neues, glückliches Leben für uns beide«

Sie sah ihn an, als wollte sie ihn bis auf den Grund durchschauen, und sagte nach einer Weile: »Morgen fünftausend Franks auf Ehrenwort zu bezahlen und tausend Franks an Sie.«

»Ach!« schob er wegwerfend ein.

»Und nun die Pfändung, welche nicht länger ausbleiben wird. Welche Schmach!«

114»Das darf nicht eintreten bei einer Dame, welche mein Herz besitzt,« sagte er fest, »bei einer Dame, welcher ich meine Hand anbiete. Ich komme morgen vormittag, um abzuhelfen. Fassen Sie heute nacht einen herzhaften Entschluß.«

»Ich kann's nicht ertragen, einem Manne anzugehören!« rief sie schluchzend, als sie aus dem Wagen stieg.

»Angehören!« sagte er nachdrucksvoll, »angehören! Das ist ja Übertreibung. Ich respektiere Ihre volle Freiheit und verlange nichts weiter, als daß ich wie Ihr rechtmäßiger Beschützer in Ihrer Nähe verweilen darf.«

Sie blieb einen Augenblick an der geöffneten Haustür stehen und sagte halblaut: »Ihr Ehrenwort darauf?«

»Mein Ehrenwort!«

Narziß, welchem der Concierge geläutet, erscheint mit Licht im Hausflur, und als Louison an ihm vorübergeschritten, neigt er sich wie fragend zu O'Brien; dieser aber sagt leise: »Morgen früh alle rufen!«

Als Rose sie auskleidete, weinte Louison still vor sich hin, und als diese teilnehmend fragte, erzählte sie ihr alles, auch O'Briens Anerbieten.

»Um Gottes willen nichts von dem!«

»Warum nicht der, wenn's denn doch einer sein muß. Wie soll ich denn morgen zahlen?«

»Ach, wenn nur Doktor Zech da wäre! Der könnte mit den Wucherern verhandeln. Sie müßten warten oder herunterlassen. Sie haben ja doch eigentlich nicht die Hälfte hergegeben.«

»Das hieße betrügen. Was ich versprochen, das muß ich als ehrliche Person zahlen, auch wenn ich zugrunde gehe.«

»O Gott, o Gott! Doktor Zech hat einen vornehmen Freund, der reich ist und der jede Woche ein paarmal zu ihm kommt. Der würde vielleicht – oder schreiben Sie das Unglück, das ganze Unglück dem Herrn Professor Rambert. Schreiben Sie gleich! Morgen früh trage ich den Brief hinaus. Er hilft gewiß.«

115»Du hast recht!« rief Louison und setzte sich im Nachthemd an den Schreibtisch, mit fliegender Feder schreibend. Das schöne Mädchen zitterte dabei wie Espenlaub und mußte zuweilen inne halten, weil die Buchstaben verzerrt wurden.

Aber der Brief wurde fertig, adressiert und Rose eingehändigt. Dann stürzte sich Louison, von einem Weinkrampfe ergriffen, ins Bett und winkte Rose zum Fortgehen.

Die frische Natur tat ihre Schuldigkeit: nach einer Viertelstunde war Louison fest eingeschlafen.

Als sie erwachte, stand die bleiche Wintersonne schon hoch am Himmel und schien auf ihr Bett. Vor demselben stand still wartend Rose und sagte, als Louison die Augen aufschlug: »Der Brief ist besorgt. Courage, Fräulein!«

Die war allerdings nötig, denn Narziß hatte auch die Morgenstunden benutzt, und das Vorzimmer füllte sich nicht nur mit Gläubigern, sondern auch mit Gerichtsdienern. Zahlung oder Pfändung! war das Stichwort.

Rose wollte niemand ins Zimmer lassen, mit Bestimmtheit versichernd, bis Mittag werde das Geld da sein und alle würden bezahlt werden. Man lachte höhnisch.

Da kam Madame Miot herzu, schrie und rang die Hände und stürzte ins Zimmer zu ihrer Tochter. »Mach' ein Ende, Kind!« rief sie, »und heirate O'Brien, sonst sind wir verloren.«

»Was weißt du von O'Brien?«

»Narziß hat mir alles gesagt. O'Brien hat gestern abend, als du die Treppe heraufgestiegen, zu Narziß geäußert: wenn du heute nicht ja sagtest, so bringe er Mutter und Tochter um, das heißt mich und dich!«

»Das ist nicht wahr!«

»Es ist wahr, und er tut's, wie er den unschuldigen Grafen Vilsac totgeschossen hat.«

Da trat O'Brien selber ein, ruhigen, freundlichen Wesens.

»Wiederhole in seiner Gegenwart, was du soeben gesagt, Mama!«

116»Was denn?« fragte O'Brien.

»Wiederhole es, was du soeben von Herrn O'Brien gesagt!«

»Nun denn, ja! Sie wollten mich und meine Tochter ums Leben bringen, wenn meine Tochter nicht Ihre Frau würde.«

»Sonst nichts?« fragte O'Brien lächelnd. »Liebe Mama, wir haben Dringenderes zu tun mit den Leuten draußen. Mit Umbringen fängt man nicht an.«

Die letzten Worte sprach er mit einem bösen Blicke auf die Mama, welchen Louison nicht gesehen, mit einem so bösen Blicke, daß Mama Miot sich zu Louison flüchtete, sie mit beiden Händen anfaßte und mit erstickter Stimme sagte: »Er tut's! Sag' ja!«

»Hab' ich Vollmacht,« sagte er mit freundlicher Stimme zu Louison, »hab' ich Vollmacht, als Ihr Bräutigam draußen mit den Leuten zu verhandeln?«

»Ich hoffe, bis Mittag sie bezahlen zu können.«

»Ah! Um so besser. Dann werd' ich sie im Zaum halten bis Mittag.« Und er ging hinaus.

Mama Miot redete weinend in ihre Tochter hinein: ja zu sagen und beider Leben zu retten. Und was für ein Leben! O'Brien werde, wie Narziß sage, binnen wenigen Tagen ein veritabler Lord und ungeheuer reich sein!

Louison war auf den Stuhl gesunken und sprach kein Wort.

O'Brien kam zurück und berichtete: »Die Leute sind fort und werden erst um Mittag wiederkommen, also in einer Stunde.«

Louison blickte auf ihre Mutter und sagte: »Das nennst du umbringen?« und zu O'Brien gewendet, sagte sie: »Lassen Sie mich diese Stunde allein, lieber Freund, ich muß mich sammeln in Ihrem und in meinem Interesse.«

Er verbeugte sich höflich, küßte ihr zierlich die Hand, flüsterte: »Vertrauen Sie mir getrost!« und ging.

Louison saß totenstill da bei allen Vorwürfen, welche die aufgeregte Mama über sie schüttete, und Mama fand reichliche Unterstützung in der eintretenden Nanette, welche 117ohne weiteres die Morgenfrisur an der unbeweglich still haltenden Louison ins Werk setzte.

»Glauben Sie mir, Mademoiselle,« sprach sie mit dem Tone tiefster Überzeugung, »glauben Sie mir, jedes weibliche Geschöpf bleibt ein halbes Geschöpf, wenn es keinen Mann hat, und für jedes weibliche Geschöpf gibt es nur einen Augenblick, in welchem es zugreifen muß. Ich habe diesen Augenblick leider verpaßt und ärgere mich darüber jeden Tag. Leider dachte ich auch, er paßte nicht für mich, der zuerst meine Hand begehrte. Ich fand ihn zu heftig, zu befehlshaberisch, weil ich jung und verwöhnt war durch meine Courmacher. Ich meinte, das Befehlen müßte von mir ausgehen, und wenn nicht, so könnte ich Brutalitäten ausgesetzt sein. Ach, wie albern war ich! Er war eben ein kräftiger Mann und sprach und handelte scharf. So aber muß der Mann sein, wenn wir glücklich werden sollen. Er heiratete dann die unausstehliche Fiammina, meine Cousine, eine arrogante Person, und wir alle prophezeiten ihr Unheil und ewigen Zank und Streit, und siehe da – ach, daß ich's eingestehen muß! – es ist die glücklichste Ehe geworden; die Fiammina beherrscht ihn, und er läßt sich lachend alles gefallen, ja, er sagt geradezu: Sie hat mich gezähmt. So wird's auch Ihnen gehen mit Lord O'Brien. Der ist akkurat so wie mein damaliger Bewerber, aber er hat die Passion für die Demoiselle. und die ändert alles. Und dazu ist er vornehm und reich. Glauben Sie mir, das ist und bleibt eine Hauptsache für uns Frauen. Wir müssen was bedeuten, man muß auf uns sehen, wenn uns behaglich zumute sein soll. Und wir müssen nicht genötigt sein, zu rechnen, wir müssen das Geld ausgeben dürfen, ohne es anzusehen, wenn uns die Laune treibt. Dann erst sind wir guter Stimmung und lachen die Welt aus!«

Diese Standrede – Louison blickte einige Male in die Höhe zu der Rednerin – wurde unterbrochen durch Rose. 118Diese flog jauchzend ins Zimmer, einen Brief hoch haltend, einen Brief von Herrn Rambert, wie der Bote gesagt.

Louison sprang in die Höhe und riß zitternd das Kuvert auf, ohne die Adresse zu lesen. – Furchtbare Enttäuschung! Der Brief war nicht von Rambert, sondern von Juron, und lautete also:

»Mademoiselle! Herr Professor Rambert beauftragt mich, auf den früh am Morgen von Ihnen erhaltenen Brief sogleich zu antworten, da ich in der Lage war, meinem Freunde nähere Auskunft über Sie mitzuteilen. Er ist empört über Ihr Erscheinen am Spieltische unter derartiger Männergesellschaft und Maitressen, empört über das Verspielen großer Summen, während Sie von Pfändung bedroht sind, über Anlehen auf Ehrenwort, die Sie gar nicht bezahlen können, wahrscheinlich auch nicht bezahlen wollen, empört über das ganze unqualifizierbare Treiben einer grundsätzlichen Theaterprinzessin. Er verbietet Ihnen hiermit, sich jemals wieder seiner Bekanntschaft zu rühmen und sich ihm jemals wieder zu nähern. Er bedauert, ihre Karriere unterstützt zu haben, da sie nur dazu dient, ein liederliches Leben zu führen und als Maitresse unwürdig zu enden. Denn einem so entwerteten Geschöpfe werde nie ein Ehrenmann seine Hand reichen.«

Der Brief fiel Louison aus der Hand auf den Boden; sie aber wies mit beiden wankenden Armen alle Anwesenden aus dem Zimmer. Sie stand lange still und sah auf den unten liegenden Brief. Endlich raffte sie sich zusammen, und mit den Worten: »Ich will das Gegenteil beweisen!« ging sie an ihren Schreibtisch und schrieb:

»Ich bin bereit, Ihre Ehefrau zu werden. Sorgen Sie dafür, daß die Trauung durch den Priester unverzüglich vollzogen wird. Unterhandeln Sie mit den Gläubigern, wie es Ihnen als Ehemann zusteht, und befriedigen Sie dieselben. Aber schonen Sie mich! Lassen Sie mich auch beim Theater. 119Sie waren gut und treu in aller Abscheulichkeit der letzten Tage. Ich hoffe, ich verspreche meinerseits, alles zu tun, daß unsere Ehe zu einem Bande der Achtung, der Treue und auch der Neigung werde. Aber jetzt, für die nächste Zeit, seien Sie mir behilflich. Helfen Sie mir um Gottes willen über den Vorwurf hinweg, der mich quält, der jede beginnende Neigung in Haß und Abscheu verwandeln würde, wenn ich ihn zugeben müßte, über den Vorwurf, daß ich mich an Sie verkaufe. Fordern Sie von mir, auch wenn ich Ihre Gattin bin, kein Zeichen, keine Erweisung hingebender Liebe. Lassen Sie mir Zeit! Warten Sie, bis ich es Ihnen gestatte, bis mein Herz es mir selbst gestattet. Versprechen Sie mir das klar und bündig und ohne Umschweife auf Ihr Manneswort.«

Dann saß sie, auf das beschriebene Blatt hinstarrend, unbeweglich, bis die angekündigte Stunde verlaufen war und O'Brien eintrat. Ohne ein Wort zu sagen, reichte sie ihm das Blatt. Er las es ruhig: »Ein Handkuß ist aber erlaubt?«

»Ja,« antwortete sie.

Er küßte ihr die Hand, bat sie, aufzustehen, setzte sich an ihren Platz und schrieb auf ihren Brief, dicht unter ihren Namen: »Ich verspreche auf Ehre und Gewissen, dies alles getreulich zu erfüllen. O'Brien.«

Dann reichte er ihr das Papier, sie überflog es noch einmal, steckte es in den Busen und reichte ihm zum Dank die Hand.

»Verlassen Sie sich darauf wie aufs Evangelium!« rief er und setzte hinzu: »Binnen zwei Stunden sind Ihre Gläubiger und Herr Legrand befriedigt. Rüsten Sie während dieser zwei Stunden Ihre Koffer zur Abreise nach Irland. Dorthin geht ein Priester, Pater Patrik, mein würdiger Freund, zu Ihrem Schutze mit uns, und am Tage unserer Ankunft in Dublin zelebriert er unsere Trauung. Es ist ein 120Familiengesetz im Hause der O'Brien, daß ihre Ehen auf irischem Boden geschlossen werden müssen, um gültig zu sein. Sind wir einig?«

»Ja. Aber was fang' ich mit meinem Theater an? Dort muß ich heut' abend spielen.«

»Man wird was anderes heute geben, wenn Sie dem Direktor ein Billett schreiben, daß Ihr Ehegatte den Kontrakt mit dem Theater auflöse und Sie heute noch von Paris hinweg in seine Heimat führe. Dies Billett senden Sie erst ab, wenn wir in den Reisewagen steigen, damit uns nicht Hindernisse bereitet werden können durch den Direktor. Also auf Wiedersehen in zwei Stunden!«

»In zwei Stunden.«


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