Heinrich Laube
Louison
Heinrich Laube

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Viertes Kapitel.

Er fand sie natürlich nicht. Sie war indes nur einige Stationen weit bis nach St. Quentin gekommen und hatte dort einen alten wohlerfahrenen Direktor gefunden, welcher klüger war als der in Valenciennes. Ihre Schönheit und Liebenswürdigkeit hatte er wie dieser zu schätzen gewußt, aber er hatte sie geschickter ausgefragt und sie erst infolge einer intimen Unterhaltung engagiert. »Sie sind,« hatte er gesagt, »was wir eine ›ingénue‹ nennen, und müssen also ganz anders beschäftigt werden, als man's in Valenciennes getan. Hier sind drei Rollen. Flugs lernen und dann zu mir kommen. Des Abends nach der Vorstellung. Da nehmen wir sie zusammen durch, fröhlich und dreist, und ich sage Ihnen einige kleine Hilfsmittel. So wird's rasch vorwärts gehen.«

Und so war's auch gegangen. Er hatte sie frei gemacht von allem, was ihr Rambert eingetrichtert, ganz frei. Sie durfte und mußte ganz ungeniert sprechen, wie ihr der Schnabel 20gewachsen war. Mit höheren Worten: sie mußte und durfte sich ganz ihrem Naturell hingeben und sich um gar nichts weiter kümmern.

Das geriet gleich beim ersten Male gut. Man applaudirte. Augenblicks wuchs ihr Vertrauen, ihre Angst wich hinweg wie ein Nebel, sie gab sich der Situation rücksichtslos hin, ließ sich fröhlich gehen und wurde binnen wenig Wochen ein Liebling des Publikums von St. Quentin.

So stand's mit ihr, als Juron durch St. Quentin reiste, ohne zu ahnen, daß sie dort wäre. Er kam nach Valenciennes und fand keine Demoiselle Miot auf dem Theaterzettel, und auch im Theater, wo er nachfragte, kannte man keine. Auch der Direktor wußte keine Auskunft zu geben, bis Juron das Mädchen nach Ramberts Schilderung näher beschrieb. »Ah,« rief er, »das kann die schöne Louison sein, welche uns durchgegangen!« – »Wohin?« – »Das weiß ich nicht. Fragen Sie bei ihren Wirtsleuten!« – Das tat Juron, und da kam zu Tage, daß sie einen Brief an Mr. Miot nach Brüssel gesendet – sie war's also! »Wohin ist sie gereist?« Die Bürgersleute wußten nur, daß sie nach der Pariser Richtung gefahren wäre.

Nach dieser Richtung fuhr nun auch Juron und stieg in jedem Orte aus, wo es ein Theater gab, um nach Demoiselle Louison zu fragen. Es gab keine. Endlich nach mehreren Tagen stieg er auch in St. Quentin aus und fand auf dem Theaterzettel: »Der Weg durchs Fenster. Lise Pomme – Demoiselle Louson.« Da war sie gefunden.

Er suchte sie nicht sogleich auf, sondern ging abends ins Theater, um sie spielen zu sehen. Er war entzückt.

Louison war jedoch gar nicht entzückt über ihn, als er zu ihr kam. Er gefiel ihr ganz und gar nicht, obwohl sie seine dramaturgischen Auslassungen über sie, über die Schauspieler neben ihr und über Komödie überhaupt mit offenem Munde staunend anhörte. Denn davon verstand sie trotz 21ihrer Unerfahrenheit mancherlei, und dies Mancherlei erschien ihr richtig und wichtig, jedenfalls richtiger, als was Herr Rambert über das Theaterwesen gesagt.

Aber wenn auch Herr Rambert, wie sie jetzt glaubte, das Richtige nicht getroffen, wie gern dachte sie an ihn, wie hoch hielt sie ihn neben diesem Herrn Juron! Denn zudringlich gebärdete sich dieser in widerwärtiger Lüsternheit, deren sie sich kurz angebunden erwehrte.

Sie wußte überhaupt noch nichts von Neigung zum Manne. Die Männer waren ihr alle gleichgültig, auch die schönsten. Und nun gar ein so garstiger wie dieser Pariser Herr Juron!

Endlich brachte aber dieser Herr Juron doch zum Vorschein, was einen Eindruck auf sie machte: er wollte sie nach Paris bringen. Nach Paris!

Ah, das war ja ihr höchster Wunsch! »Und was würde Herr Rambert dazu sagen?« rief sie vergnügt.

»Er erwartet Sie. Er richtet eine Wohnung für Sie ein in seinem Hause.«

»O, das wäre charmant! Da schreib' ich gleich meiner Mama, daß sie kommt und mich begleitet.« – Sprach's und eilte an den Schreibtisch.

Eine Mama! Juron sah süßsauer drein; aber was blieb ihm übrig?

Er brauchte auch nicht lange zu warten; nach fünf Tagen war die belgische Mama in St. Quentin, machte ihrer Tochter die unerläßlichen Vorwürfe, war aber bereit, mit ihr nach Paris zu gehen. Wenn's denn einmal nicht anders wäre und es beim Komödienspiel bleiben sollte, dann müßte doch das junge Mädchen einen weiblichen Schutz bei sich haben! So sagte sie getrost zu Herrn Juron, welcher sich anständig verbeugte.

Es stand nichts mehr im Wege, als das Engagement in St. Quentin, welches bis zum Schlusse der Saison galt. Da half der Frühling. Er war warm vorgerückt, und mit 22den wärmeren Tagen wurde das kleine Theater überhaupt geschlossen. Der brave alte Direktor hatte Louison gern und wollte ihrem Glücke nicht im Wege stehen; er bedang sich nur noch ein paar Benefizvorstellungen aus, welche ihm ein paar gute Einnahmen verschaffen konnten, und damit war auch Louison einverstanden. Denn ihre Eitelkeit fand bei solchen Extraabenden unter ihrer Firma immerhin ihre Rechnung, und an solcher Eitelkeit fehlte es ihr schon nicht, wenn diese auch noch mäßig war.

Dabei sah Mama ihre Tochter zum ersten Male Komödie spielen, und sah sie unter den günstigsten Umständen. Sie fand natürlich, daß ihre Tochter ein beispielloses Talent wäre und daß dies dem Papa Miot ausführlich geschrieben werden müßte.

So kam's, daß diese drei Personen, Herr Juron, Madame und Demoiselle Miot, eines sonnenhellen Morgens nach Paris fuhren. Herr Juron bestritt die Reisekosten, wozu ihn ja Herr Rambert ausgerüstet, und er hatte natürlich auch nicht unterlassen, Herrn Rambert Tag und Stunde der Ankunft brieflich zu melden.

Rambert war darüber sehr erfreut. Sein Gewissen war nun beruhigt, und bei der günstigen Schilderung Jurons von Louisons Talent, welches er verkannt hätte, war er nun selbst der Meinung, daß er ihr in Paris eine vorteilhafte Laufbahn bereiten könnte. An die Spiegelfechtereien einer »ingénue« hatte er freilich in Brüssel nicht gedacht. »Sei's denn,« sagte er, »jetzt mit einer ingénue versucht!«

Er ließ unten rechts, wo das Speisezimmer war, eine Wohnung einrichten für Mutter und Tochter. Dazu war Raum genug vorhanden; der Speisesalon war sehr groß, das Rauch- und das Billardzimmer waren sehr geräumig, wenn man das Billard entfernte. Dahinter waren auch noch Räume, welche bisher unbenutzt geblieben waren, und das Vorzimmer faßte zahlreiche Schränke für die Garderobe der 23Künstlerin. Zu seinem Speisezimmer sollte künftig oben das Bibliothekzimmer gemacht werden. Es kam alles in gute Ordnung.

Zur bestimmten Stunde kamen sie an, und Louison fiel Herrn Rambert fröhlich um den Hals, küßte ihn und nannte ihn Onkel. Sie war allerliebst. Die Dienerschaft Ramberts sah das und wunderte sich höchlich. Jean besonders, der Kammerdiener, war starr.

Diese Dienerschaft mußte sich eben daran gewöhnen, daß ihr sonst so vornehmer einsiedlerischer Herr ein Familienleben einführte. Nach Verwandten sah doch Mama Miot nicht aus! Das Haus verlor an Ansehen, und jeder vom Dienstpersonal bekam mehr Arbeit. Jean fand es einfach unschicklich.

Louison und Mama richteten sich schnell ein. Das gehört auch zum Talent einer Schauspielerin, leicht und rasch ein wohlversehenes Zelt aufzuschlagen. Was an häuslicher Bequemlichkeit etwa fehlte, das benannte Louison unbefangen, und Rambert ließ es sogleich anschaffen. Über Mein und Dein hatte sie gar keine Skrupel, und der Gedanke schien ihr ganz fremd zu sein, daß der gute Herr Rambert alles bezahlen müßte. Die Sache war entweder da oder sie kam wie beim Tischleindeckdich sofort. An die Märchenwelt des Tischleindeckdich glaubte sie ohne Nachdenken., das gehörte zum Künstlerleben.

Die Mama ging zufrieden mit. Sie fand es ganz in der Ordnung, daß ihre Tochter ein Mittelpunkt gefälliger Männerwelt, daß sie ein Genie wäre, für welches keine Geldausgabe zu hoch sein könnte. Sie sah behaglich zu, wenn alle Tage zum Diner neue Gäste kamen, Freunde oder Bekannte Ramberts und Jurons, oder auch Unbekannte, welche plötzlich Visite gemacht, um sich Louison vorstellen zu lassen und nun beim Champagner das Hoch der jungen Künstlerin ausbrachten. Sie fand es unterhaltend, daß ein Rundgang in allen Pariser Theatern beschlossen wurde, damit Louison die Pariser Komödie in allen Gattungen kennen lernte.

24Diese Tournée, wie die Franzosen sagen, nahm ein paar Wochen in Anspruch und war in der Tat sehr lehrreich für Louison. Sie war auch für Rambert interessant, insofern er den Geschmack Louisons bei den sehr verschiedenen Genres beobachten konnte. Er gab das höhere Genre des Théâtre français immer noch nicht auf für Louison, und man mußte ihm zweimal dahin folgen, einmal zu einer Tragödie und das andere Mal zu einem Konversationsstücke. »Siehst du wohl,« flüsterte er Juron zu, »wie aufmerksam sie der Tragödie folgt!« – Juron schüttelte das Haupt. Es war aber richtig: Louison sah und hörte mit voller Aufmerksamkeit zu. Nach der Vorstellung jedoch sagte sie nur zögernd einige Worte darüber auf Ramberts Frage, und als er sie drängte, ausführlich zu sprechen, da setzte sie mit einiger Verlegenheit hinzu: »Ich bin dafür offenbar noch zu einfältig. Ich verstehe wohl den Hergang und die schönen Reden, ich glaube auch gern, daß das was Ausgezeichnetes ist, aber es kommt mir doch alles fremdartig vor und – wenn ich's sagen darf – unnatürlich. Man braucht gewiß dazu mehr Bildung, als ich besitze.«

»Also« – sagte Rambert – »mit der Bildung wird dein Geschmack sich dazu erheben?«

»Das weiß ich nicht; das mußt du besser wissen.«

Sie nannten sich du, wie das schnell zu geschehen pflegt zwischen Künstlern und Kunstfreunden. Beide Teile wollen geschwind über die alltägliche Konvenienz hinaus.

Nach dem zweiten Abend, nach einem Konversationsstücke, äußerte sie sich munterer und erfreuter. Aber doch auch nicht enthusiastisch, wie man's von einer Schauspielerin aus der Provinz, welche nie eine so vollendete Vorstellung gesehen, hätte erwarten sollen. Dabei wußte sie jedoch, die Tragödie und das Konversationsstück betreffend, genaue Rechenschaft zu geben von allen Einzelheiten und namentlich vom größeren oder geringeren Verdienste der Schauspieler. Man sah, daß sie genau und gleichsam sachmäßig zugeschaut und zugehört hatte.

25Als nun die Boulevardtheater, Gymnase, Variétés und so weiter, an die Reihe kamen, da wurde sie lebhafter und immer lebhafter, da gefielen ihr die Stücke der Darsteller sehr. Selbst den ferneren Boulevardbühnen, Gaité, Ambigu comique, zeigte sie munteres Interesse. Auch dem Schauerdrama in der Porte St. Martin folgte sie mit vollem Anteil, aber sie wußte nichts Besonderes darüber zu sagen.

Das Thema über die Natur und ihr künstlerisches Wesen war nun Gegenstand der Debatte zwischen Rambert, Juron und einigen näheren Bekannten, welche sich dem Huldigungswagen dieser schönen neuen Künstlerin angeschlossen. Man debattirte wohl auch in ihrer Gegenwart, und sie hörte lachend zu, mitunter jedoch auch sinnend. – Unter den Besuchern kam auch einmal ein Herr Lauriston, welchen Rambert einen vornehmen Poeten nannte. Louison wurde seiner aber nicht gewahr. Er blieb schweigsam abseits und kam auch nicht wieder.

Wie nun die Pariser Karriere beginnen? Das wurde die herrschende Frage. Sie wurde bald dahin entschieden, daß Louison jetzt bei voll hereinbrechendem Frühling kurz vor dem Schlusse der Saison nicht auftreten dürfte. Denn dies würde den Eindruck beeinträchtigen. Erst im Herbste sollte sie auf der Pariser Bühne erscheinen, und Juron hatte bereits Anträge von mehreren Direktoren. Louisons Erscheinung hatte schon hinreichendes Aufsehen gemacht.

Das war eigentlich Louison gar nicht recht. Sie wollte gleich auftreten und fügte sich ungern der ganz bestimmten Widerrede Ramberts. Dieser verlangte auch nachdrücklich, daß sie wieder Sprechstudien vornehmen sollte bei ihm; sie hätten ihr doch gewiß treffliche Dienste geleistet für ihre Rollen in St. Quentin.

Das gefiel ihr gar nicht. Solch gelehrtes Lernen war nicht nach ihrem Sinn. Am Ende gab sie jedoch der Mama nach, welche sagte: »Der Herr Professor tut viel für dich, solche Gefälligkeit bist du ihm schuldig.«

26Sie fügte sich also, war aber nur da nachgiebig, wo es sich um gute französische Aussprache handelte, blieb dagegen eigensinnig, wo Rambert die herkömmliche Betonung des Sinnes verlangte. Es besteht dafür bei den Franzosen eine genaue und ganz unerbittliche Tradition, und auf diese ging das dreiste Mädchen durchaus nicht ein.

Dabei war doch ihr Verhalten zu Rambert, dem schönen stattlichen Manne, ein vertrauenvolles, ja ein grenzenlos vertrauenvolles, ein nahezu zärtliches ohne eigentliche Zärtlichkeit.

Sie hatte ihn gern, mochte man sagen. Und von ihm galt dasselbe. Auch er hatte sie gern, ohne daß ein eigentlicher Liebesfunke in ihm vorhanden war. »Sie ist immer noch ein halbes Kind!« sagte er, »und ihr Herz ist noch unberührt. Vielleicht,« setzte er hinzu, »vielleicht bleibt das immer so.« Und er hatte nichts dagegen.

Diese Ansicht erhielt plötzlich einen Stoß. Nachdem man in allen Theatern gewesen, geriet man eines Abends in den Zirkus, und dort gefiel es Louison außerordentlich. Als die Clowns auftraten und ihre derben Späße ausstreuten, da lachte sie geradezu unanständig. Besonders einer dieser Clowns, ein Spanier des Namens Rosas, erheiterte sie bis zu völliger Ausgelassenheit. Zum Erschrecken Ramberts verließ sie ihren Sitz und stieg über die Bänke hinab bis dahin, wo nur noch eine leichte Barriere sie vom Boden der Arena trennte. Hier klatschte sie unaufhörlich in die Hände und rief so lange: »Bravo, Rosas! Bravo, Rosas!« bis dieser mit einem Kernspaße und Sprunge dicht bei ihr war und sie lustig anredete. Sie antwortete ebenso lustig, und das ganze Auditorium applaudierte diesem improvisierten Dialoge zwischen einem bildschönen Mädchen und einem kräftigen Clown. Er war von wohlproportionierter Mittelgröße und von kautschuckartiger Geschmeidigkeit der Glieder, mit denen er Bewegungen machte von ungemeiner Art und von komischer Wirkung. Der Kopf, eingerahmt von schwarzem Haar 27und Bart, hatte etwas Martialisches, und sein gebrochenes Französisch, welches er mit starker Stimme hervorstieß, erhöhte den komischen Effekt seiner in die Luft geworfenen Späße.

Rambert war entsetzt über ihr Betragen und schickte ihr die Mama nach, um sie zu holen. »Adieu, Rosas, auf Wiedersehen!« rief sie und kehrte lachend mit der scheltenden Mama zum scheltenden Herrn Rambert zurück.

»Was ist's denn da weiter,« sagte sie, »wenn ich dem prächtigen Rosas meinen Beifall ausdrückte? Er amüsiert mich königlich, er hat ein großes komisches Talent. Ich möcht' ihn alle Tage sehen und hören.«

Dieser Wunsch schien sich auch zu erfüllen. Rosas hatte sich erkundigt nach dem schönen Mädchen, hatte ihre Adresse ausgeforscht und erschien um Mittag des nächsten Tages in ihrer Wohnung, ihr seine Aufwartung zu machen und sich ihrem ferneren Wohlwollen zu empfehlen.

Louison war ganz erbaut von seinem Besuche und freute sich, ihn auch in bürgerlichem Anzuge lustig und komisch zu finden. Er war ganz elegant gekleidet, und nur Weste und Halstuch in grellen Farben erinnerten daran, daß er einen sehr in die Augen fallenden Geschmack hätte.

Mama war erschrocken über diese Visite. Was würde Herr Rambert dazu sagen! Am Ende kündigte er ihnen die Gastfreundschaft! Zunächst müßte ihm dieses Ereignis jedenfalls verborgen bleiben. Wenn ihn nur Jean, der gestrenge Kammerdiener Jean nicht gesehen hatte!

Dabei mischte sie sich aber doch in das Gespräch, um beiläufig etwas Näheres zu erfahren über die Verhältnisse Sennor Rosas', namentlich wie viel er Gage hätte und ob er verheiratet wäre.

Er war nicht verheiratet, behauptete, aus guter Familie zu stammen, und nannte eine Gagensumme, die hoch war. »Ich verbrauche sie nicht,« setzte er hinzu, »habe brav gespart und besitze schon ein artiges Vermögen. Wenn mich« 28– flüsterte er der Mama ins Ohr – »wenn mich Ihre Fräulein Tochter heiraten wollte, ich möcht' es gleich, so würde sie's gut haben, und wenn sie selbst eine glänzende Theaterkarriere macht, was ich bestimmt glaube, so werden wir in Paris eine solide und glänzende Ehe führen.«

Für Mama Miot war dies von Wichtigkeit. Ihr erster und letzter Gedanke war eine gute Verheiratung Louisons. Herr Rambert und dessen Freigebigkeit gefielen ihr wohl, aber das ist doch, sagte sie sich, nur eine angenehme Laune. Die geht vorüber und gewährt keine Sicherheit. Auch die Theaterlaufbahn Louisons hielt sie nicht für sicher. Theater! Theater! meinte sie, ist doch ein wandelbar Ding. Und wenn dem Kinde was passiert, wenn sie krank wird oder auch nur heiser, oder wenn sie gar bei ihrer Lebhaftigkeit einmal eine Gliedmaße bricht – aus ist's alsdann mit dem ganzen Schwindel! Nein, schloß sie, ein Mädchen braucht einen zuverlässigen Ehemann, und dieser Rosas scheint zuverlässig zu sein.

Sie begünstigte es also, das Sennor Rosas alle Tage um zwölf Uhr zum Besuche kam und wenigstens eine Stunde verblieb, ehe man hinaufging zum Frühstück mit Herrn Rambert. Sie ging auch oft in ein anderes Zimmer, damit die jungen Leute nicht geniert wären, wenn sie sich Heimlichkeiten zu sagen hätten.

Hiermit setzte sie die ganze angenehme Existenz ihrer Tochter aufs Spiel. Wenn Herr Rambert von einer solchen Liebschaft erfuhr, so mißfiel ihm das gewiß in hohem Grade und er zog seine Hand ab von den weiblichen Miots.

Es konnte aber gar nicht ausbleiben, daß er es erfuhr. Am Ende erzählte es ihm Louison in ihrer unbekümmerten Naivität. Sie hatte es bis jetzt nicht getan – was die Mama fast verwunderte und was der Mama den Glauben erweckte, Louison meine es ganz ernsthaft mit der Vorliebe für Rosas.

29Tat sie es auch wirklich nicht, so tat es doch wahrscheinlich Jean, der Kammerdiener. Jean war sehr stolz und hielt auf den Stolz seines Herrn. Er war ein mageres Männchen von etwa vierzig Jahren, also vom Alter Ramberts. Er trug sich sehr elegant, schon um seinem Herrn Ehre zu machen, wie er zu sagen pflegte. Denn außer dem Wohlbefinden seines Herrn war ihm dessen Vornehmheit der wichtigste Punkt. Er pflegte mit Empfindung zum Maître d'hotel eines Pairs von Frankreich zu sagen: »Es ist vornehmer, wenn man keinen Titel braucht, um vornehm zu sein. Mein Herr ist so reich wie irgend ein erblicher Pair, und was dazu kommt, mein Herr ist hochgebildet und zu seinem Vergnügen, zum bloßen Luxus nebenher ein großer Gelehrter, ja er ist, und das bedeutet noch mehr! er ist ein Mann von Geschmack. Das läßt sich gar nicht lernen und nicht erwerben, das ist eine seine Gabe Gottes.«

Diesem Jean mit solchen Grundsätzen war die Wirtschaft mit der jungen Schauspielerin und gar mit der gewöhnlichen Mama im Hause von vornherein unangenehm gewesen. Er hatte es entschuldigt mit der Schönheit und dem Liebreiz Louisons. Denn diesen Liebreiz empfand auch er wie alle Welt. Louison war überall von der Dienerschaft sehr geliebt, weil sie freundlich, ja liebevoll gegen dieselbe war. Auch Jean war dadurch bestochen. Aber die Mama mißfiel ihm positiv, und als der Clown Rosas zum Besuche kam, war er höchst pikiert. Er war ja mit im Zirkus gewesen, er erkannte ihn sogleich im Zivilkleide und der geschmacklosen roten Kravatte, für ihn ein Gegenstand der Verachtung. Ein Clown mit rotem Halstuch, fi donc! Und dieser Clown kam wieder und wieder. – »Nein!« sagte er »das geht nicht! Und dazu die Höflichkeit der alltäglichen Mama gegen den Gesellen – nein, o nein!«

Er konnte das alles beobachten, er wohnte unten gegenüber, und er machte sich außen zu tun, wenn der Weggang 30des Possenreißers, wie er ihn nannte, zu erwarten stand, und wenn Mama beim Abschied zum Wiederkommen einlud.

»Dem muß ein Ende gemacht werden,« sagte Jean, und damit die Kenntnisnahme von dieser üblen Aufführung vollständig einschlüge bei Herrn Rambert, zog er Herrn Juron ins Vertrauen, damit dieser die garstige Nachricht an Herrn Rambert bringe.

Juron hörte aufmerksam zu, als Jean die Klage vorbrachte. Ihm kam der Fehl Louisons erwünscht. Dies Mädchen hatte so gar kein Entgegenkommen bewiesen für seine Zärtlichkeit, sie kümmerte sich fortwährend so gar nicht um ihn, sie spottete wohl gar zuweilen über seine Bosheiten gegen alle Welt – ihr war eine Lektion heilsam.

Er sagte also Rambert alles. Rambert fand die Sache sehr widerwärtig. Zunächst indes schob er Juron einen Teil der Schuld zu.

»Wieso?«

»Du bist immer dagegen gewesen, daß ich sie zu ordentlichen Studien nötigte, zu Corneille und Racine. Das hätte ihren Sinn gehoben und vom Gefallen an ordinären Späßen abgewendet.«

»Redensarten! Hier handelt es sich nicht bloß um Späße, sondern um eine Liebschaft.«

»Das glaub' ich nicht.«

»Ich werd' dir's beweisen. Jetzt ist's gegen eins; der Clown ist lange da, jetzt nimmt er Abschied und die Zärtlichkeit steigt zur Höhe; jetzt geh' ich hinab und trete rasch ein. Ich werd' dir erzählen, wie ich die jungen Leute gefunden; es sind junge Leute!«

Und eiligst ging er hinab.

Er hatte ganz recht: es war der richtige Augenblick. Louison und Rosas hatten sich wie gewöhnlich lustig unterhalten; Rosas hatte Schnurren erzählt und mitunter ausführlich vorgetragen, wobei er alle körperlichen Schwenkungen 31machte wie im Zirkus. Das Zivilkleid war ihm dabei gar nicht im Wege: es war nicht eng geschnitten und gestattete einen Sprung über Tisch und Sessel. Ja, dieser Sprung nahm sich fast noch komischer aus als im Zirkus, weil die Zivilkleider einen kuriosen Kontrast bildeten. War solche dialogische Unterhaltung erschöpft – Louison hatte ihre lustigen Bemerkungen dazu gegeben –, dann kam eine Sammlung von schlanken Druckschriften an die Reihe, welche er mitgebracht. »Ein Vademekum für Lacher«, das war eine Sammlung von komischen Zwiegesprächen, ein Auszug von Schnurren und schlagenden Witzen, welche Louison und Rosas nun gemeinschaftlich lasen, um gemeinschaftlich zu lachen.

Heute war das besonders gut geraten, und Louison war vom Sitze aufgesprungen, um zu ausgelassenem Lachen im Zimmer umherzutollen. Rosas war ihr gefolgt, hatte sie um die Taille genommen, damit sie stehen bliebe, und war eben im Begriff, sie zu küssen, wenigstens auf die Wange zu küssen, da ihr Mund noch ein wenig abseits war – da ging die Tür auf, und Herr Juron stand im Zimmer.

Louison war so unachtsam gewesen, die Tür nicht ordentlich zu schließen; sie war eine Ritze breit offen geblieben. Juron hatte also eine ganze Weile zuhören, ja fast zusehen können, und er war just da eingetreten, wo ein zärtlicher Abschluß, den er unterbrechen wollte, in Szene gesetzt wurde.

Rosas trat eiligst zur Seite, er schien betroffen zu sein von dieser Störung.

Louison blieb ruhig stehen.

»Es tut mir leid,« sagte Juron boshaft, »gestört zu haben.«

»Mir auch!« erwiderte Louison.

»Ah, Ihnen auch? Offenherzigkeit ist eine schöne Sache. Ich habe das Vergnügen, Sennor Rosas zu sehen, Clown im Zirkus?«

32»Der bin ich.«

»Gratuliere, gratuliere! Lassen Sie sich nicht vertreiben.«

»Ich war ohnehin im Begriff, Abschied zu nehmen.«

»Hab's bemerkt.«

»Und so hab' ich die Ehre.«

Er küßte der immer ruhig dastehenden Louison die Hand und ging.

»Vergessen Sie ja nicht,« rief sie ihm nach, »mir die Fortsetzung des Vademekums zu bringen!«

»Des Vademekums?« sagte Juron und nahm die schlanken Druckschriften in die Hand. »Ah, welch eine edle Literatur! Viel unterhaltender als Racine.«

»O ja. Ihnen wird's nichts helfen, Ihnen wird das Lachen zu schwer.«

»Allerdings wird es mir schwer zu lachen, wenn ich sehe, wie sich eine junge Künstlerin wegwirft an Fadaisen und an einen Zirkusclown.«

»Wie so denn wegwirft?«

»Eine Liebschaft mit einem Clown heißt unter gebildeten Leuten: sich wegwerfen.«

»Eine Liebschaft?«

»Der Clown hat Sie ja eben geküßt!«

»Nicht ganz. Und was weiter?«

»Was weiter? Wollen Sie ihn vielleicht heiraten?«

»Heiraten? O nein. Ich will überhaupt nicht heiraten. Mit Rosas habe ich auch keine Liebschaft, das ist lustige Unterhaltung, welche ja Sie nichts angeht. Sie sind ja nicht mein Vormund.«

»Nun denn, Herr Rambert ist es doch wohl einigermaßen durch die überschwengliche Gastfreundschaft, welche er Ihnen angedeihen läßt, und es zeigt geringe Dankbarkeit von Ihnen, wenn Sie in solcher Weise sein Vertrauen, seine Freundschaft, seine großen Geldopfer vergelten.«

»Dankbarkeit? Ehrlich gesagt, ich höre immer davon 33sprechen, muß aber offen gestehen, daß sie mir unbekannt ist.«

»Unbekannt?! Nun wahrhaftig, Ärgeres kann doch ein junges Geschöpf nicht sagen!«

»So? Das mag wohl sein. Nun. da Sie mir mein Betragen so arg vorwerfen, besonders darum, weil Herr Rambert mir so große Opfer bringt, so wollen wir ihn selber fragen, ob er so schlimm von mir denkt. Tut er das wie Sie, dann wird es wohl schicklich sein, daß ich ihm die ferneren Opfer erspare und meine Wege allein gehe. Steigen wir hinauf zu ihm und hören wir, was er sagt.«

Der sonst ziemlich zynische Herr Juron stand ganz starr da bei solchen Worten.

»Gehen Sie voraus, Herr Juron, um mich ungestört anzuklagen, ich komme bald nach; meine Friseuse wartet.«


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